DER zeit | raum BLOG

Rezept gegen Wahnsinn

Gestern habe ich eine Reportage über die anstehende Wahl in den USA gesehen. Gezeigt wurde auch die Rückblende vom „Attentat“ auf Trump, als er kaum eine Sekunde später die Faust hochriss und zum Kampf aufrief. Er ist unkaputtbar, gottgleich. Schrecklich.

Warum sind Menschen mit einer narzisstischen oder psychopathischen Persönlichkeitsstörung so resilient, warum kann man sie nicht „treffen“? Ganz einfach: die unbeirrbare Überzeugtheit von der eigenen Größe, gepaart mit fehlender Empathie – das sind buchstäblich die Zutaten des Wahnsinns! Bei uns im Reitstall gibt es so ein mustergültiges „Studienobjekt“, der sich bei wie auch immer geartetem Widerstand aus der menschlichen Rest-Herde kurz schüttelt und dann koalierend dem Nachbarn berichtet. Man erreicht solche Menschen einfach mit nichts. Die Frage, die ich mir ja schon mehrfach gestellt und recherchiert habe: wie züchtet man Narzissten? Mutmaßlich durch fortwährende Überhöhung oder chronische Erniedrigung. Wahrscheinlich ist auch ein bisschen Genetik oder Transgenerationales dabei.

Zu diesen Überlegungen habe ich am Wochenende prompt die passende Szene geliefert bekommen: ein kleines Mädchen, etwa drei Jahre alt, ganz in Pink gekleidet, fuhr in einem elektrisch betriebenen, pinkfarbigen Mini-Cabrio bei uns durch den Ort, als Begleitschutz dahinter der stolze Papa auf dem Fahrrad. Das Mädchen strahlte und sah natürlich niedlich aus. Leider mussten alle entgegenkommenden Autos stehen bleiben und warten – also ich meine jetzt die mit echtem Motor, für die die Straßen eigentlich gedacht waren, bevor es solche Mini-Boliden oder E-Scooter gab, die jetzt überall rechts und links in den Büschen liegen. Was da wohl im Kopf eines kleinen Kindes geschieht? Ich sah förmlich die Gedankenblase „weg da, hier komme ich!“. Ob dem Vater klar ist, was er mit solchen Aktionen womöglich verursacht? Oder der beschäftigten Mutter, die ihren Prinzen mit ebensolch einem Gefährt die Anwohnerstraße rauf und runter fahren lässt, zum Leidwesen des Umfelds ist dieses Objekt kleinkindlicher Begierde allerdings deutlich männlicher motorisiert als Modell Nummer Eins. Natürlich weiß ich nicht, wie der Erziehungsstil jeweils sonst so ist. Deshalb bleibt das Geschriebene freilich hypothetisch.

Bei Torsten Sträter sah ich neulich „den“ deutschen Designer, dem das Publikum wirklich sehr zugetan war, ein sehr beredter und unterhaltsamer Kollege, dieser Guido Maria Kretschmer. Er wurde gefragt, womit er sich selbst seine hohen Sympathiewerte erklärt. Und er antwortete, er sei als Kind immer und vorbehaltlos willkommen gewesen, oft auch für Dinge gefeiert worden, die er rückblickend selbst als irrelevant erachtet. Herausgekommen scheint jedenfalls ein Typ zu sein, der die Welt und die Menschen liebt und der geliebt wird. Sehr empathisch, sehr freundlich. So etwas gibt es also auch.

Falls das jetzt Eltern lesen und sich am Kopf kratzen, kann ich noch ein Bild zur besseren Orientierung beifügen: wer einsieht, dass Grenzenlosigkeit dem Wahnsinn Tür und Tor öffnet und dass es ausschließlich Pferde-, Enten- und Igelmütter (u. s. w.) gibt, denen an der Vermittlung von Überlebensstrategien u n d an der Schulung von Herdenkompetenzen liegt und die ihren Nachwuchs auf manchmal brutal wirkende Weise auf den rechten Weg zurückschubsen und -stupsen, der hat das Wesentliche kapiert.

05.11.2024


Leben und Sterben

Wie hauchfein der Vorhang ist, der den Tod vom Leben trennt, sehen wir jeden Tag in der Tagesschau: Kriege, Krisen, Naturkatastrophen und allerlei Schreckensmeldungen mehr. Dabei ist das Grauen tatsächlich zum Greifen nah.

In der Nachbarschaft nämlich. Vor etwa zwei Jahren bin ich im Wäldchen oberhalb unseres Wohngebietes einer sehr netten Dame mit putzigem Hund über den Weg gelaufen. Oder sie mir. Jedenfalls beschloss irgendjemand „da oben“, dass wir Verbindung aufnehmen sollten und das haben wir getan. Ich bin sehr froh darum, denn ich kannte wirklich bislang niemanden, dem die innere Sonne aus allen Poren drang und der Charme so aus den hübschen Augen strahlte und der ebenso realistisch wie positiv, sympathisch wie liebenswürdig, zugewandt und interessiert ist und dabei trotzdem Pfiff und Rückgrat besitzt.

Vor etwa einem Dreivierteljahr sind wir uns an einem Sonntagnachmittag wieder „zufällig“ begegnet, wieder dort oben im Wäldchen, unser letztes geplantes Treffen war schon ein paar Wochen her. Die Gute klagte über Übelkeit und zeigte mir ihre schlabbernden Hosen, weil sie unbeabsichtigt abgenommen hatte.

Kurz darauf erzählte sie mir beim Hundegassi von ihrer schweren, fortgeschrittenen und multiplen Krankheit. Die Diagnose kam schnell und „vollumfänglich“, Krebs ist wirklich ein Scheusal. Die Therapie begann nach tatenlosen Wochen, vermutlich war es sowieso längst zu spät.

Keine Intervention half. All die Qualen waren vergeblich. Sie bleib zuversichtlich und meinte das ernst mit ihrem Kampf gegen die Krankheit. Sie trug ihre Perücke selbstverständlich fröhlich und sah blendend aus damit und mit ihren Blitzeeaugen. Bis zum Schluss der Krebs dann doch die Oberhand gewann. Unser Abschiedsbesuch war genau richtig und kurz vor knapp, auch wenn es an diesem spätsommerlichen Tag gar nicht danach aussah. Da war sie wider Erwarten so fidel wie immer und uns fiel unser Kommen und Gehen so leicht es eben sein kann. Seit letztem Wochenende ist sie nun frei. Ich dachte vorher täglich an sie, ich werde weiterhin an sie denken – sie sagte: ach was, ich habe keine Angst vor´m Sterben. Wer weiß, was für ein großes Abenteuer auf mich wartet. Das wünsche ich mir.

Sie war ein Vorbild für viele, da bin ich sicher. Auch, wenn das gar nicht ihre Absicht war. Marjan, du hast Spuren hinterlassen. Ich danke dir. Run free.

17.09.2024


Kuriositäten im Umlauf

Ich habe schon eine Woche Urlaub hinter mir und – vermutlich, weil ich die Kapazitäten frei hatte – einiges beobachtet, was ich merkwürdig finde. Wahrscheinlich ist es euch schon länger aufgefallen. Das macht es aber auch nicht besser…

Habt ihr auch in Kindheitstagen erfahren, dass man grüßt, wenn man jemanden sieht, den man kennt, und dass man sich entschuldigt, wenn man jemanden anrempelt? Sind wir uns einig. Ich kenne darüber hinaus auch die Anstandsregel, dass man sich die Hand beim Gähnen vor den Mund hält. Gut, mache ich im Auto, wenn ich von meinem Mann genötigter Beifahrer bin und mich zu Tode langweile, auch manchmal nicht. Wahrscheinlich ist schon so mancher, der zeitgleich in den Rückspiegel geguckt hat, versehentlich oder wissentlich aufs (Voll-) Gas gestiegen. Beobachtet habe ich am Gardasee aber verstärkt, dass „man“ das jetzt generell so macht: einfach gähnen, egal ob das Gebiss gereinigt oder vorzeigbar ist. Man sieht jedes Piercing und, ob man will oder nicht, auch Zahnbeläge an M8. Igitt, sage ich da nur.

Weniger eklig, aber auch sehr nervig ist das Zebrastreifen-Syndrom: immer öfter sehe ich zu Fuß gehende Menschen, deren Handy am Ohr festgewachsen ist. Sie stehen am Straßenrand und es ist äußerst unklar, ob sie nun die Straße überqueren wollen oder da nur wie angewurzelt stehen, weil auch die letzten paar Hirnwindungen gerade ihren Geist aufgegeben haben. Ich nähere mich jetzt immer in Schrittgeschwindigkeit, beobachte mit Argusaugen und beschleunige dann von 0 auf 100 km/h, während ich denke „Augen zu und durch!“. Bislang ist zum Glück nichts passiert.

Aber das kommt sicher an anderer Stelle. Nämlich, wenn ich mit dem Fahrrad fahre und von ihm falle. Hier fällt mir seit Längerem auf, dass Schulkinder, über deren Abwesenheit auf frühen Radstrecken ich mich gerade richtig ausgelassen freue, meist in bis zu 4er-Reihen nebeneinander fahren und das auch nicht ändern, wenn du dich näherst. Ich sondiere dann immer die Ausweichmöglichkeiten, sehe aber außer Spargel- oder Kornfeld-Stunts keine. Wir nähern uns wie in einem Western, nicht mit Hand am Abzug, aber gefühlt in Zeitlupe. Die entgegenkommenden Augen scheinen leer, bis ich eine Vollbremsung mache und brülle: „Tickst du eigentlich noch ganz richtig?“. Da sehe ich, dass nichts ist mit Multitasking, das der Gen Z immer nachgesagt wird. Willkommen in der Gegenwart, fährt ein Zucken durch die Glieder und ab und an dringt eine vom Fahrtwind verzerrte Entschuldigung an meine abstehenden, deshalb den Schall nach hinten abweisenden Ohren.

Ich habe noch ein paar Tage frei und werde, sofern ich nicht vom nächsten Rennradler ausgebremst und umgenietet werde, weiter beobachten und wieder berichten. Vielleicht doch nicht so gut, zwei Wochen Urlaub am Stück zu machen…

07.08.2024


Strategien gegen die Auswegslosigkeit in der Pflege

Wenn mir Themen gehäuft begegnen, gibt mir das zu denken. So geschehen in einigen Seminaren mit pflegenden Berufsgruppen. Ehe man es sich als Trainer versieht, ist man selbst in der von Führungskräften dargestellten Auswegslosigkeit gefangen und hilfloser Helfer eines maroden Systems.

Wenn in Kliniken etwas Neues eingeführt wird, das bestehende Prozesse und Strukturen aushebelt, hat das vermutlich gute (wenn auch keine fürsorglichen oder medizinischen) Gründe. Die Gesundheitsunternehmen sehen sich gezwungen, effektiver zu arbeiten und vielleicht sogar Köpfe einzusparen, weil ja ohnehin Fachkräfte fehlen. So jedenfalls stelle ich mir das ganz pragmatisch vor. Dass dabei kein Wunschkonzert gespielt wird – weder aus Sicht der Angestellten, noch zu Gunsten der Patienten – das ist leider auch Teil der Wahrheit. Aber ich bleibe jetzt mal beim Pragmatismus: es wird schon seine Ursachen haben, warum seitens der Vorstände oder Geschäftsführungen irgendetwas so entschieden wird wie es entschieden wurde. Auch ihr Handlungsraum ist bestimmt kein Ponyhof oder Abenteuerspielplatz, die Grenzen ergeben sich sicherlich aus betriebswirtschaftlichen, existenziellen Notwendigkeiten, die wiederum von politischen Versäumnissen bestimmt werden, denke ich mir.

Da ich aber in Seminaren keine Grundsatzdiskussionen über die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen forciere, die uns ja auch nicht weiterbrächten, höre ich zu und konzentriere mich auf das, was für die Führungskräfte im mittleren Management Alltag ist:

Mitarbeitende, die nicht aufhören, gegen bereits gefällte Entscheidungen anzukämpfen, gegen Führungskräfte (die lediglich „Funktionäre“ sind und zusehen müssen, dass der Laden weiterläuft) zu rebellieren und sich gegenseitig das Leben mit dauerhaften Ausflügen in das Jammertal schwer zu machen. Womit sich die Frage stellt, ob Arbeit wirklich Lebensqualität kosten sollte, anstatt Lebensqualität zu ermöglichen – und sei es außerhalb der Arbeit. Wie auch immer. Die Patienten tun mir leid. Und die Führungskräfte haben es auch nicht leicht sowie die Mitarbeitenden ebenfalls schwer. Sogar wenn sie in Sachen „wie setzen wir das um“ einbezogen worden sind, geht das Klagen weiter. Kein Experiment wird zugelassen, jede neue Erfahrung schlussendlich gescheut wie vom Teufel das Weihwasser. Ich frage mich, ob die für das Abwehrverhalten maßgeblichen Komponenten mehr Komfortzonenverlust oder Kontrollverlust sind. Chronischer Wertschätzungsmangel – ein Fass ohne Boden – ist ganz bestimmt dabei. Ich frage mich auch, was man den Mitarbeitenden geben könnte, die jetzt alte Sicherheiten oder Bequemlichkeiten aufgeben sollen. Hat daran schon einmal jemand gedacht: dass man nicht nur fordern, sondern auch ermöglichen muss? Und ich frage mich, warum so wenige Bitten im Spiel sind. „Bitte mach mit, ich brauche deine Expertise!“, „Bitte hilf mir, ich mach doch auch nur meinen Job“. „Bitte lasst uns hier zusammen- und nicht gegeneinander arbeiten. Woanders ist das Gras auch nicht grüner, ich verspreche es euch“.

Ich frage mich schon aber auch, warum dem Menschlichen gerade in Berufen, die mit Menschen arbeiten, so wenig Raum gegeben und Gehör geschenkt wird. Teamcoaching kann so einen Veränderungsprozess professionell begleiten und den Mitarbeitenden das Bleiben und auch das Gehen erleichtern, ohne dass zu große Kollateralschäden entstehen. Warum werden Supervisionen und Moderationen immer erst dann anberaumt, wenn die Führungskräfte schon an Schlagkraft verloren haben und selbst am Ende sind – weshalb werden die finanziellen Mittel immer erst dann verfügbar gemacht, wenn es schon zu spät ist?

Team ist in der heutigen Zeit ein wichtiger – nein, der wichtigste – Halt gebende Faktor. Wenn ich in meinen Seminaren erfahren will „was hält euch hier“, kommt meist „meine Kollegen“ als Antwort. Wenn diese Ressource nun immer mehr Schaden nimmt, weil sich keiner mehr genügend um sie kümmert, geht die Bindung völlig flöten. An den Arbeitgeber. Und an den Job. Das können dann Pflegekräfte aus Tunesien, Indien oder von den Philippinen auch nicht mehr retten. So schade.

25.06.2024


Süchtig nach dem „Qi“

Es gab mal eine Phase, da habe ich Yoga an der VHS ausprobiert. Weil ich dort regelmäßig eingeschlafen bin, habe ich damals entschieden, dass alles Langsame nichts für mich ist. Jetzt haben sich die Zeiten geändert.

Innere Unruhe, exorbitante Getriebenheit, 24/7 „on“ – kennt das jemand? Seit vielen Jahren waren das Wesensteile von mir. Es verging kein Wochenende ohne Date oder Takt, an dem ich nicht nervös wurde, in hektischen Aktionismus verfiel (zur Freude meiner Fenster oder Muskeln). Mit Leere kam ich echt schlecht klar. Dann kam meine „Thyreotoxische Krise“ – und siehe da: seit meine Schilddrüse gut eingestellt ist, bin ich die Ruhe selbst. Verrückt, oder? Wahrscheinlich hatte ich seit Jahr und Tag eine unentdeckte Überfunktion. Deshalb rate ich jetzt jedem, der sich vorkommt wie der Hamster im Rad, der auch hohldreht, wenn er nichts zu tun hat, also ohne Rad, seine Schilddrüsenhormone überprüfen zu lassen.

Der körperlich-seelische Ist-Stand hat mich letztlich so optimistisch gestimmt, dass ich mich erneut an einem fernöstlichen Meditationskurs versuchen wollte: ich probiere in diesem VHS-Semester einfach mal Qi Gong aus. Dachte ich bis vor einer Woche.

Ich war total offen und locker, konnte das Stirnrunzeln derer, die diesem Kurs teils schon zwölf (!) Jahre beiwohnen („wie, du hast das noch nie gemacht – und da willst du so einfach mitkommen bei uns?“) nicht nachvollziehen. Wird mir schon gelingen, dachte ich mir. Bin ja noch immer, betagt oder nicht, ziemlich wendig und vor allem ist mein Kopf überwiegend klar. Und es gelang wirklich problemfrei. In der ersten Stunde verstand ich zwar nur Bahnhof á la „der Fischer wirft seine Netze aus“ und „der Weidenbaum wiegt im Wind“, vermutlich fehlte mir bislang einfach chinesische Vorstellungskraft. Und als mich meine Qi-Gong-Trainerfreundin fragte, was wir so machen in dem Kurs, konnte ich nicht wirklich Auskunft geben. Ich machte halt nach und mit, erstaunt über die unglaubliche Langsamkeit der Bewegungen und die gehörige Konzentration, die genau das Bremsertum erforderte.

Und jetzt? Bin ich süchtig nach dem „Qi“, das man übrigens nicht Chi oder Ki, sondern Dschi spricht, wie mir mein besserwisserischer Mitbewohner so an die zehn Male ins Hirn drosch (und ich mir von Alexa bestätigen ließ).

Als ich Ende vorletzter Woche eine geschäftliche Enttäuschung verschmerzen musste – wer schreibt bitte unverständliche und ungerechte E-Mails am Pfingstfreitag Nachmittag, wenn sich alle aufs Wochenende freuen? –, rang ich um meine Mitte und brauchte dringend neues Qi. Seitdem praktiziere ich jeden Tag und teils zweifach Qi Gong nach einer YouTube-Anleitung. Ich bin so erfrischt und begeistert über die positiven Auswirkungen auf mein Seelenheil, dass ich jüngst wagemutig in einem Seminar eine Session darbot, weil das umtriebige Publikum ja so ungerne so lange sitzt. War ein Erfolg – und aus dem Augenwinkel sah ich einen Teilnehmer so hektisch mit den Armen wedeln und nach Luft schnappen, dass ich mich an mich erinnerte. Früher. Jetzt kann ich also langsam. Gut. Oder werde ich einfach alt?

27.05.2024


Irritationen sind menschlich!

Heute steht in der Zeitung, dass die Gen Z übermäßig viele Fernreisen unternimmt, oft sogar mehrere im Jahr. Obwohl sie Nachhaltigkeit lebt und bei Fridays for Future auf die Straße geht. Passt nicht so ganz zusammen, richtig?

Aber vielleicht kennt ihr so ein widersprüchliches Verhalten auch aus anderen Lebensbereichen: Leute, die unter Flugangst leiden, fahren mit dem Auto in den Urlaub – wissend, dass die Chance, im Straßenverkehr zu verunglücken, deutlich höher ist als die Möglichkeit eines Absturzes. Oder jemand propagiert eine gesunde Ernährungsform, belehrt und bekehrt dich und ein halbes Jahr später zieht er sich wieder Schäufala in Serie rein. Oder du willst dich seit zig Jahren mit jemandem zum Sport verabreden, es klappt aber nie. Immer, wenn derjenige dich sieht, sagt er, wie schade das doch ist (und du denkst an die vielen, vielen Begegnungen, bei denen es geklappt hätte, aber dem anderen was auch immer Diffuses im Wege stand).

Was verwirrend auf dich wirken mag, weil irgendwie unlogisch, nennt sich in der Psychologie „Kognitive Dissonanz“. Diese entsteht, wenn eine Diskrepanz zwischen Selbstbild und Wunschbild, Entscheidung und Information oder Erwartung und Erfahrung vorliegt. Beispiel: jemand sieht sich als taff, hat aber erkennbare Ängste in einem Kontext. Die anderen Beteiligten nehmen auf die Ängste Rücksicht und derjenige fragt erstaunt, warum alle auf ihn Rücksicht nehmen (aus Erfahrung wissend, welches beleidigte Verhalten bei Ignoranz der Ängste droht).

Durch die Diskrepanz nicht zu vereinbarender Bestrebungen, Motive, Einstellungen entsteht ein innerer Spannungszustand, den der Mensch gewöhnlich als ungut erlebt und den er wieder absoften will. Die Strategien, die deshalb gewählt werden, um wieder „Konsonanz“ zu erzielen, sind etwa (meiner Meinung nach eher selten) ein Ändern seiner Einstellung, aber eben auch ein überzeugtes Beharren auf der eigenen, überholten Meinung, das Abwerten „irrelevanter“ Informationen oder auch Verleugnung, Verdrängung und Selbsttäuschung kommen vor.

Leon Festinger, ein amerikanischer Psychologe, entwickelte den Begriff den 1950ern, nachdem er zum Schein Mitglied in der UFO-Sekte wurde. Die Sektenmitglieder erwarteten den nahenden Weltuntergang, der aber ausblieb. Um wieder Konsonanz herzustellen, hatten sie zwei Strategien zur Wahl: das Ändern der eigenen Überzeugungen oder das Ändern der Überzeugungen der Restwelt. Sie entschieden sich für das Letztere. Man könnte also sagen, bevor der Mensch sich selbst ändert, ändert er lieber die Meinung der anderen oder wertet die Überzeugung der Mehrheit ab.

Ts, ts, ts… tun wir das bitte nicht, sondern bleiben wir reflektiert, ehrlich und menschlich fehlbar. Das ist immer noch die sympathischere Variante, oder?

18.04.2024


Im besten Alter?

Neulich bin ich an einer Tanzschule vorbeigefahren. Da hing ein Plakat draußen: Tanzkurse für Best Ager. Und ein Seminar von mir, das eigentlich „je oller, desto toller“ heißt, musste unbenannt werden – irgendwas mit Best Ager, der Titel ist jetzt so nichtssagend, dass ich denke, die alten Hasen fühlen sich veräppelt und gehen erst gar nicht hin…

Mal ehrlich: Alt werden ist nicht lustig und daran lässt sich nichts beschönigen. Auch nicht mit Anglizismen. Ich habe am Zeigefinger eine geschwülstige Schiefstellung und man kann quasi dabei zuschauen, wie der Finger von Tag zu Tag krummer wird. Mein Hausarzt meinte: „Das sind die Hormone“. Ich habe darauf vertraut, einfach mal nicht nachgefragt, welche Hormone für die Schiefstellung von Gelenken zuständig sind und gehofft, das geht vorüber. Mein Orthopäde diagnostizierte jetzt Polyarthrose. Pech gehabt, geht nicht wieder vorbei, sondern wird mit den Jahren bestimmt total ätzend aussehen und weh tun.

In der Werbung fahren Best Ager nackt auf Fahrrädern und spielen Tischtennis, gegen Gelenkschmerzen schmieren sie sich eine bekannte Salbe auf die geplagten Stellen – wirken aber ansonsten wie Späthippies, denen die Jahre am Allerwertesten vorbeigehen. Was für eine Lüge! Mir tun an manchen Tagen – ich bin wetterfühlig, genau wie es meine Oma war – derart die Flossen weh, dass ich überlege, ob der Zweck des Gehens die Anstrengung rechtfertigt.

Wohingegen der nun 85-jährige Peter Kraus noch immer über die Bühnen galoppiert (muss man es nicht auch einmal gut sein lassen und sei es nicht, weil man nicht mehr laufen kann, sondern weil man einfach nicht mehr so eine Augenweide ist?). Dann ist die Art des Alterns also auch irgendwie in die Wiege gelegt. Es sei denn, du lebst von vornherein in einer dieser Blauen Zonen, die für ihre gesunden Greise bekannt sind. Dann hast du wohl Glück und beste Voraussetzungen, nicht an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben, weil du in deinem sardischen Bergdorf täglich deinen Garten bestellst und treppauf, treppab deinen Alltag bewerkstelligst, weil es da so hügelig ist und du in moderater Bewegung bleibst. Gelenkbeschwerden kennen die kaum, das Klima ist günstig und geschrieben wird, glaube ich, auch wenig. Außerdem sorgt die Großfamilie dafür, dass du dich immer gut behütet und nützlich fühlst. Woher das alles so schnell nehmen?

Ich bin also ein Best Ager und ich habe die Faxen dicke. Ich will mir nicht länger vorgaukeln müssen, dass das Älterwerden halb so wild ist, denn – ehrlich – es ist wild und gemein und jeden Tag kommt irgendwas Neues hinzu. Eine neue Falte da, eine schmerzende Gliedmaße dort, ein ausgefallenes Haar mehr im Waschbecken, Zähne, die ihre Ausrichtung ändern und insgesamt schmäler werden (wodurch spuckedurchlässige Lücken entstehen). Die Molaren malen nicht mehr richtig, weil sie keine Passung zur gegenüberliegende Zahnreihe mehr haben, die Augen sind trocken und tränen, die Nase ist ständig dicht und plötzlich sensibel auf Pollen aller Art. Kein Wunder, dass bei all dem Schabernack, den die Natur mit mir treibt – vor 100 Jahren wäre ich übrigens statistisch gesehen längt tot gewesen – auch das Herz aus dem Takt gerät.

Wer bin ich also und wer werde ich werden? Morgen, in drei Jahren und überhaupt? Von wegen Best Ager! Wenn das jetzt „best“ ist, dann kann es ja nur noch weiter abwärts gehen.

18.03.2024


Willkommen in der Welt?

Ob man tief in sich den Glauben trägt, gut zu sein wie man ist und willkommen in der Welt, im Leben, das wird meist bereits in Kindheitstagen in uns angelegt. Je älter ich werde und je mehr ich mich umhöre und umsehe, desto mehr denke ich: gut, dass ich keine Kinder bekommen habe.

Weil? Ganz einfach: ich hatte im gebärfähigen Alter weder den passenden Partner, noch den Eindruck, dass ich in der Lage sein könnte, Kindern all das mitzugeben, was sie im Leben brauchen würden. Es war mir schon immer eine Last, mit meinen eigenen Prägungen zurechtzukommen und ich wusste damals intuitiv und noch ohne den entsprechenden psychologischen Background, dass mich meine eigenen Päckchen am vorbehaltlosen Lieben und Lassen hindern würden. Zumindest habe ich dahingehend, meiner Meinung nach, die richtige Entscheidung getroffen.

Als ich letzte Woche mit einer Freundin spazieren war, die vor kurzem ihren Papa zu Grabe getragen hatte, war das Thema in anderer Weise zugegen: wir diskutierten darüber, ob es moralisch überhaupt vertretbar sei, auf ein finanzielles Erbe zu hoffen in Zeiten, in denen das selbst Erwirtschaftete mutmaßlich nicht zum einigermaßen Niveauvoll Weiterleben reichen wird später. Es ist ja auch nichts dagegen zu sagen, etwas hinzuzuverdienen bis ins hohe Alter – nur leider muss man ja dafür gesund bleiben, was keiner von uns sicher weiß. Meine Freundin vertrat jedenfalls sehr überzeugend die Einstellung, dass es für sie nicht nur moralisch einwandfrei, sondern von ihren Eltern sogar gewünscht sei, dass sie sich mit dem Erbe ein gutes Dasein gestaltet: Ihre Eltern hätten ihr schon immer nur das Beste gewünscht, alles dafür getan, dass es ihr einmal gut gehen kann und sie hätten sich ihr gegenüber stets wohlwollend und gönnend, tolerant und fördernd verhalten.

Es reicht ja schon, wenn ein Elternteil nicht wohlwollend ist, um Glaubenssätze in die Seele zu tätowieren wie „ich genüge nie ganz“, „ich muss brav und angepasst sein, um geliebt zu werden“ oder „ich bin verantwortlich für die Stimmung (oder, noch besser, für das Seelenheil an sich) meiner Eltern“. Wenn dazu noch grundlose Drohungen oder Aversionen im Erwachsenenleben kommen, ist das einst kindliche Hirn lebenslang auf „hab Acht“. Die Lösung für das marode Selbst ist es, autark und unabhängig zu sein, nur nicht zu viel Nähe zuzulassen. Eine weitere Lösung kann es aber auch sein, sich neue Glaubenssätze auf die Fahnen zu schreiben und zu versuchen, die negativen Prägungen von früher mit positiven Erfahrungen aus der erwachsenen Gegenwart zu übertünchen.

Also wird beispielsweise aus dem kindlichen „ich bin nicht liebenswert“ -> ein erwachsenes Statement á la „ich habe alles Glück der Welt verdient“. Das ist gar nicht so einfach und ich bin mir nicht sicher, ob uns allen diese „Umprogrammierung“ wirklich gelingen kann.

Was aber funktionieren m u s s : sich für das Leben zu entscheiden und gegen das Scheitern. Dranbleiben beim Nichtaufgeben. So dass wir nicht Störungsbilder, die sicher aus gutem Grund entstanden, aber eben auch in ihren Auswirkungen unentschuldbar sind, weiterleben, weitertragen, weitererleiden…

14.02.2024


Haben wir nicht alle einen Schaden?

Neulich war ich mit einer Freundin essen. Wir unterhielten uns angeregt und sie kommentierte eine meiner Erzählungen mit den Worten „diese Person hat wohl auch einen Schaden“. Und das brachte mich zum Nachdenken.

Wir alle haben ja – also ich gehe einmal schwer davon aus – mehr oder weniger große Schäden in und an unseren Persönlichkeiten. Wir tragen Verletzungen (meist) aus der Kindheit mit uns herum und tief geprägte Überzeugungen über das Leben und die Welt, Menschen und das andere Geschlecht, Beziehungen und Ehe, Arbeit und Geld. Das Dramatische jedoch ist, dass vor allem die negativen Glaubenssätze über uns selbst oft ebenso Weg bestimmend für unsere Interaktionen sind wie sie für viele Menschen unerkannte Bestandteile ihres Egos bleiben und im Subtilen wurmen. Das kann zu fortwährendem sozialen Chaos und sogar zu Krankheiten führen.

Beispiel: Jemand trägt tief in sich die Überzeugung, sich Erfolg stets hart erarbeiten zu müssen, weil insbesondere ihm nichts zufliegt oder geschenkt wird. Wie verhält er sich wohl? Hart arbeitend! Immer am Limit! Und bei geringster Kritik gerät sein inneres Gleichgewicht aus den Fugen und er tut noch mehr, wenn er nicht gar sein letztes Hemd gibt, damit seine vermeintliche Fehlbarkeit „nicht auffliegt“. Wenn aus diesem Habitus irgendwann ein Burnout wird, braucht man sich nun wirklich nicht wundern.

Noch ein Beispiel: Wenn das kindliche Hirn gelernt hat, dass es nie ganz genügt, um als liebenswert anerkannt zu werden, ist das – ich wage es zu behaupten - kaum korrigierbar. Solche Seelen leiden womöglich lebenslänglich unter der Angst vor „Liebesverlust“ und nehmen jede soziale Abkehr, und möge diese auch aus ganz anderen Anlässen heraus resultieren, an denen man gar nicht beteiligt war, als Absage an sich und existenziell bedrohlich wahr. Die Konsequenz auf der Verhaltensebene kann dann lauten, es jedem recht machen zu wollen und im Konfliktfall nicht für sich einzustehen (ich rede von einem Muster, man steht dann NIE für sich ein). Oder aber man neigt im Konfliktfall zum Weitertratschen, zu übler Nachrede, um sich Verstärker heranzuziehen. Auch denkbar, man zeigt vehement Standing und fordert strikt Auseinandersetzung ein – einen Austausch auf Augenhöhe, der die Nähe wiederherstellen soll. Dieses Verhalten halten die wenigstens Menschen aus, Auseinandersetzungsfähigkeit ist genauso verloren gegangen wie Empathie, meiner Meinung nach. Also hat man es letztlich wieder mit Liebesverlust zu tun.

Vielleicht geht es euch so, dass ihr einigen eurer Negativprägungen bereits auf die Schliche gekommen seid und dass ihr es auch dann und wann echt anstrengend findet, gegen diese in uns angelegten Spuren anzugehen – es fühlt sich manchmal an, als ob man gegen seine wahre Natur handelt. Aber jetzt kommt etwas, das mich sehr inspiriert hat, habe ich in einem Buch gelesen: das weit größere Problem als die Negativprägungen selbst sind wohl die Schutzstrategien, die wir uns in Folge zugelegt haben. Also das Musterhafte, das emotional ausgelöst wird, wenn „alte Bahnen“ angetriggert werden im Hier und Heute. Ich hoffe, ihr könnt damit etwas anfangen: Bitte ertappt euch, wenn ihr euch ins Kind-Ich zurückzuzieht, etwa aus dem Kontakt geht, auf „den Opferstatus“ pocht oder in die Aggression fallt – will heißen, wenn ihr übermäßig gekränkt auf Rückzug schaltet oder den anderen Beteiligten zu etwas drängt (z. B. eine Mitteilung seiner Gedanken oder die Auseinandersetzung an sich), was wiederum er nicht geben kann, weil er oder sie genau hier einen Schaden hat. Ist gar nicht so einfach, aber es lohnt sich, immer wieder aufs Neue erwachsen zu sein und noch mehr zu werden.

22.01.2024


Endjahresmüll und Lichtblick

Die Jahresendzeit ist ja nicht meine mental stärkste Phase. Und obwohl ich mich mittlerweile ganz gut unter Kontrolle habe, die vielen Verluste meines Lebens und andere Unveränderbarkeiten pragmatisch abnicken, wenn nicht gar akzeptieren kann – es war wirklich wieder ausufernd anstrengend.

Wir fliegen seit vielen Jahren in der Woche vor Weihnachten in den Süden. Mangels Wärme und Licht von außen erlischt sonst mein inneres Leuchten, was ich wiederum für meine Seminare brauche, eine depressive Dozentin will doch keiner haben. Viel hat der touristische Exkurs heuer nicht gebracht, denn auch auf Lanzarote war die Wetterlage so unterkühlt und fragil wie die Gemütsverfassung. Und apropos, mal ehrlich:  Wann hatten wir hier das letzte Mal einen Tag ohne Regen, Wind und/oder Dunkelgrau? Ich kann mich nicht erinnern, lebe aber sicher im falschen Land, wenn ich auch künftig noch vor die Türe gehen will.

Doch ganz unabhängig davon, es kam dieses Mal zum Jahresende wirklich geballt: zwei Krebserkrankungen im Umfeld, zwei sehr belastete Freundinnen mit schwer erkrankten Vätern, ein live miterlebter Einsatz des Rettungshubschraubers und Notarztes bei einem Bekannten, mehrere Corona-Erkrankungen in unmittelbarer Nähe, die die Weihnachtsfeiertagsaktionen notgedrungen kompakt hielten, eine falsch eingeschätzte Freundschaft und ein kränkelndes Pferd wurden mit der üblichen Zahnfleischentzündung inkl. Lymphknotenüber-dimensionierung quittiert – und mit etlichen im Garten verbrannten Post-its, ein Ritual, bei dem ich stark an mich halten musste, um nicht gleich noch mehr in Flammen zu setzen. Universum und lieber Gott, was soll das?!

Deshalb freue ich mich jetzt wie verrückt auf die Arbeit und überhaupt auf Normalität: ich sitze erwartungsvoll schon seit Tagen im Büro, sortiere mich und die nächsten Seminarinhalte, miste aus und zwischendurch starre ich auch mal sinnierend die Wand an, wenn ich nicht gerade die nächste Reise recherchiere, ein Konzert buche oder bei Amazon shoppe. Das Leben ist also einmal wieder herausfordernd (bin ich eigentlich die Einzige, die schon in den Startlöchern steht oder ist unser Telefon kaputt?), kann aber genau deshalb so auch nicht bleiben, das habe ich gelernt. Also rüste ich mich für das nächste kleinere, gerne auch große Glück, mit zweimal einem Dreier im Lotto bin ich allerdings noch suboptimal bedient und der neue Spanisch-Intensivkurs auf gehobenem Level, mit dem ich meine vorsintflutlichen Kenntnisse wieder auszugraben gedenke, bereitet mir gerade eher Kopfzerbrechen als Spaß. Aber das wird, das Jahr ist ja noch jung, die Chancen sind insgesamt zahlreich, genau genommen habe ich noch 361. Außerdem ist es gerade angenehm ruhig und heute gehe ich mit einer Freundin in den „Lichtblick“. Passt doch als Prophezeiung auf Perspektive, oder?

04.01.2024


Montagstief mit Regen

Heute früh habe ich mit einer Schulfreundin gewhatsappt: „Bei dem Wetter ist es wirklich eine Herausforderung, die Sonne im Herzen zu behalten.“ Sie schrieb: „Die Natur freut sich!“ Und stimmt. Da fiel es mir plötzlich wieder ein. Ich war ja schon laufen gewesen. Die Bäume haben sich wirklich gebogen vor Lachen…

Ich weiß natürlich nicht, ob ihr auch so unter der dunklen, nasskalten Jahreszeit leidet wie ich. Sie hat ja gerade erst begonnen. Aber schon das Wissen, dass es jetzt mehrere Monate so trübe und schattig bleibt, nagt doch sehr an meinem Gemüt. Ich bemühe mich, liebenswert zu bleiben, obwohl ich unseren Alexa-Wecker, der eigentlich Echo heißt und stets sehr freundlich zu mir spricht, allmählich zu hassen beginne. Und optimistisch, auch wenn ich während der Tagesschau nur noch Gaza, Angriffe und Tiefs mit nichttreffenden Namen registriere. All das kann doch niemand wollen.

Jedenfalls paarte sich heute ja ein Montag mit Dauerregen und wahrscheinlich zusätzlich negativer kosmischer Strahlung. Und wenn eine Woche schon so anfängt, finde ich nur noch wenige Gründe, meinen warmen Federn überhaupt zu entschlüpfen. Aber ich habe es getan. Für einen guten Zweck, der „Abholung Langzeit-EKG“ im Kalender hieß. Ich stehe also in aller Herrgottsfrüh vor dem Funktionslabor des nächstgelegenen Krankenhauses. Davor „stapeln“ sich gewissermaßen ältere Mitmenschen in Rollstühlen, die von einem fremdsprachigen und anteilnahmearmen, jedenfalls äußerst wortkargen Pflegeschüler begleitet werden oder stellenweise eben auch gar nicht. Schon blutet mein Herz und ich frage mich, ob ich nicht doch noch schnell Pflegehelferin lerne. Das muss ich noch abchecken. Dann sehe ich ein Schild an der Empfangstüre: „Nicht eintreten. Die Türe öffnet sich in Kürze automatisch“. Ich suche nach optischen Hinweisen auf einen mechanischen Türöffnungsapparat und finde nichts. Also klopfe ich doch zaghaft an. Es tut sich mehrere Minuten gar nichts. Ich frage mich, was „in Kürze“ genau bedeuten kann und die ebenfalls an“stehenden“ Senioren in ihren Rollstühlen auf dem zugigen Gang tun mir jetzt doppelt leid. Dann öffnet eine junge Pflegekraft die Türe von innen mit Schwung und zwar manuell, schaut knapp, aber eben eindeutig daneben an mir vorbei und sie bleibt dabei völlig wortlos. Ich werde aber doch erkannt und hereingebeten von einer Kollegin meiner Generation. Ich überlege die ganze Zeit, ob ich auf meine Unsichtbarkeit ansprechen oder einfach mal meine Klappe halten soll. Ganz ehrlich: wenn man mit Menschen arbeitet und nicht mal mehr ein Lächeln, ein freundliches Guten Morgen und ein Wie-kann-ich-Ihnen-helfen zustande bringt, ist man meiner Meinung nach im falschen Job. Ich entscheide mich, weil ich meine erzwungene gute Laune nicht gleich aufs Spiel setzen will, ausnahmsweise mal fürs Klappehalten und werde verkabelt. Beim Rausgehen schenke ich jeder Seniorin im luftigen Gewand noch ein strahlendes Lächeln und versuche, kurz die Herzen zu berühren. Sie lächeln selig zurück. Dann folgt schon meine dritte Beregnungsphase am noch jungen Tag. Meine Frisur sitzt bereits nicht mehr, aber ich wenig später mit EKG im Auto – und werde sogleich ein zweites Mal ignoriert. Diesmal von ein paar mürrischen Herren der hiesigen Müllabfuhr, die mich einfach nicht ansehen wollen, um mir zu signalisieren, ob ich sie wirklich rechts überholen soll und kann. Auch schon egal, ich gebe einfach Gas. Ich denke an mein kurzes Einweisungsgespräch im Funktionslabor (die Schwester wies mich darauf hin, dass ich mir extreme Anstrengungen während der nächsten 48 Stunden notieren sollte – ich gab zurück, dass ich nur im Büro sein würde und nicht extra, um meinen steigenden Blutdruck abzubilden, auf die A3 fahren würde). Aber eigentlich, merke ich, braucht es dafür gar keinen Stau mit geschlossener LKW-Front zur Rechten, die einen weder austreten, noch rausfahren lässt. Mir reicht schon ein ganz normaler Kurzstrecken-Montag bei Mistwetter. Mit miesen Visagen und übellaunigen Zeitgenossen rechts und links des Weges, die offenbar eines immer noch nicht kapiert haben: Das Leben endlich ist und dieser Tag mein letzter sein könnte. Oder eurer. Oder deiner. Lasst uns also einander Segen sein, nicht Seuche. Wohl geling´s!

13.11.2023


Wo ist das Menscheln hin?

Ich wundere mich über die fortschreitende Versachlichung der Prozesse. Vor einigen Jahren kannten wir unsere Ansprechpartner persönlich. Man freute sich, wenn man sich traf, tauschte sich aus, war zusammen interessiert am guten gemeinsamen Gelingen, zog am gleichen Strang. Heute gibt es diese „Chemie“ kaum mehr.

Mails wie „Sehr geehrte Frau Mustermann, wir freuen uns, Sie am Soundsovielten als Dozentin in unserer Bildungsakademie begrüßen zu dürfen“, vielleicht noch mit Angabe der Teilnehmerzahl und der Uhrzeiten, waren früher Gang und Gäbe. Heute bekommen wir oft nur noch Bescheid auf Nachfrage. Nicht, dass ich unbedingt einen Begleitservice brauche, aber uns holt und bringt manchmal auch keiner mehr von irgendwo nach wohinauchimmer. Nach den Seminaren sind wir dann – wie die Organisatoren übrigens auch – einfach weg, schreiben noch ein Dankeschön und Feedback und hören bis auf Weiteres nie wieder etwas von dort. Dabei wäre alles so viel netter, wenn es wieder etwas persönlicher wäre. Und ich verstehe jetzt die Pflegenden umso mehr, die über die Versachlichung der Prozesse und Entmenschlichung der Abläufe gerade in Gesundheitsunternehmen klagen. Diese Kultur zieht sich scheinbar durch wie ein roter Faden und genau dort, wo sich das Management fragt, warum es gar so sehr an Wertschätzung mangelt, genau da sind eben diese unschönen „Kleinigkeiten“ zu finden.

Es gibt dankenswerter Weise immer noch Ausnahmen vom beobachteten Trend. Die fallen uns natürlich auf und wir machen unsere Jobs ja eh sehr gerne, aber dann eben noch lieber. Die Frage ist: merkt niemand sonst, dass hier und da ein bisschen Menschlichkeit guttäte? Ein freundliches Wort? Ein Lächeln? Ein Hauch von Interesse? Bekommen die Betreffenden selbst keine Wärme mehr ab, so dass ihre Herzen kälter werden? Oder liegt es an der chronischen Überlastung, die Menschen schlussendlich die gemeinsame Identität und das Interesse am Unternehmen verlieren lassen? Sind die Leute überwiegend „inner quitted“? Ich will hier nur mal sagen: wir können nichts dafür! Aber wir werden weiterhin dahingehend wirken, dass im Miteinander wieder mehr Sonne scheint. Ich versuche, weiter zu strahlen – um fast jeden Preis, denn ich bin ja nicht wie ein Ross im Karussell, das nur wiehert, wenn man eine bestimmte Anzahl Münzen einwirft. Ich weiß noch immer, warum ich diesen Beruf gewählt habe, bin intrinsisch motiviert, ausgesprochen zuversichtlich und auch ohne Begleitservice gerne vor Ort. Und ich wünsche dieses innere „Wissen, warum“ auch dir und euch und allen da draußen, die zu verblühen drohen, obwohl sie das ja nicht müssten. Freiheit bedeutet schließlich, das lassen zu können, was man nicht mehr wollen kann. Noch haben wir jede Menge davon, nur die Verantwortung dafür, die müssen wir wohl noch üben 😊.

23.10.2023


Perspektivenwechsel

Ich habe mich im Urlaub mit zwei Schulfreundinnen in den Bergen getroffen. Wir hatten eine intensive Zeit miteinander, in dem sich das Erlebnisgeschehen verdichtet zu haben schien. Tatsächlich kamen mir die vier Tage viel länger vor – aufgrund interessanter Erfahrungen.

Ich hatte vor vielen Jahren eine Erschöpfungsdepression und zeitgleich einen jungen, extrem bewegungsfreudigen Hund. Beides sprach dafür, eine Ausdauersportart in mein Leben zu lassen und ich entschied mich damals fürs Joggen. Zwischenzeitlich haben sich beide Triebkräfte zum Endorphingewinn verflüchtigt, aber bei meiner täglichen Bewegungsportion im Morgengrauen bin ich auch deshalb geblieben, weil mein Job als Seminardozentin ja zwar oft bewegend, aber eben nicht gerade bewegungsintensiv ist. Weil derweil bereits Gelenke verschlissen sind, walke ich auch oft, anstatt zu joggen. Und für das Joggen habe ich selbst eine Alternative entwickelt, die man gesehen haben muss. Beschreiben kann ich das nicht, aber: ich komme vorwärts und – wie gesagt – mache das Winter wie Sommer und auch schon um 4.30 h, wenn es denn sein muss, im schwachen Lichtstrahl der Uttenreuther Energiesparstraßenlaternen.

An Bürotagen gehe ich nach dieser eigenwilligen Bewegungseinheit etwa zweimal pro Woche mit meinem Gassihund ein Stündchen, bevor ich in der warmen Jahreszeit mit dem Rad zu meinem Pferd fahre. Dort reite oder spaziere oder bespaße oder spiele ich – jedenfalls bin ich in Bewegung und oft schweißgebadet, schon bevor ich nach Hause radle und dann ins Büro durchstarte. Meine Beobachter bezeichnen mich als sportlich, fit, rank und schlank. Und ich denke mir oft: lasst mal die Kirche im Dorf, so viel ist das gar nicht. Und dass ich recht habe, das habe ich eben letzte Woche bemerkt, als ich mit meinen zwei alten Schulfreundinnen in den Bergen war. Die beiden sind echte Rennsemmeln, gehen jeder Sportart nach, die man im Gebirge so kennt und haben insgesamt – so schien es mir – ein hohes Lebenstempo und eine erhebliche Mobilität, sind weniger ortsgebunden als ich. Es kam wie es kommen musste und es war eine lehrreiche Lektion für mich. Wir sind an einem herrlichen Sommertag rund 700 hm aufgestiegen auf eine idyllisch gelegene Almhütte. Es ging (vielleicht durch mich oder weil meine Bergführerinnen einfach besonnen genug waren) schleppend voran und die Sonne brannte. In einer windlosen Passage hätte ich es gerne gut sein lassen und die Frage aller Fragen („Wozu?“) geisterte unentwegt durch mein erhitztes Gemüt. Doch ich wollte weder Spaßbremse sein, noch dem gemeinsamen Ziel im Wege stehen, also legte ich die Ohren an (schade, dass sie nicht so bleiben) und hielt durch. Es war unschwer zu erkennen, wer hier fit war und wer nicht, wer das tendenzielle Weichei mit dem rosa Cappy und wer der mit allen Alpenwässern gewaschene Profi.

Ein interessanter Perspektivwechsel, der mich sehr inspiriert hat: in irgendeinem Kontext sind wir nämlich immer die mit der Nase vorn und in einem anderen, die mit dem Pferdefuß und damit hinten. Beides muss man abhaben und aushalten können. Und am besten die Klappe halten, bevor man andere lahme Enten verurteilt.

21.08.2023


Glück in Reichweite

„Was für dich bestimmt ist, geht nicht an dir vorüber.“ Kennt ihr diesen Spruch? Ich finde ihn und glückliche Fügungen grandios. Man muss also offenbar nur zur rechten Zeit am rechten Fleck sein und die Augen offen halten.

Letzte Woche war ich mit ein paar Freundinnen zum Essen verabredet. Eine erzählte, dass sie dort, wo sie noch arbeitet, nichts mehr hält. Sie wirkte gequält und frustriert. Die Info arbeitete in mir. Am nächsten Morgen, genau genommen um 5.36 h, weckte ich meinen Mann mit den Worten: „Du, ich habe eine Idee…!“ Und er, noch schlaftrunken zwar, aber gezwungenermaßen aufnahmefähig, fand meine Idee gut. Er sprach gleich am folgenden Tag mit betreffender Freundin, sie formulierte eine Bewerbung, der ich noch den letzten Schliff verlieh. Er machte inhouse darauf aufmerksam. Wenige Tage später hatte sie ein Vorstellungsgespräch und tags darauf den neuen Job sicher. Zack. So schnell und unkompliziert kann es gehen. Wenn man zur rechten Zeit am rechten Ort ist und im außerfamiliären Rahmen, also außerhalb der gewohnten Kreise, mit Menschen spricht, können sich Neuronen verbinden und sich Netzwerkschlingen zuziehen, wie in diesem Falle geschehen.

Ist das nicht genial? Ich liebe solche Situationen! Und natürlich mag ich es auch, wenn ich am Strand von Costa Calma auf Fuerteventura gedankenverloren vor mich hin schlurfe und ein nasser Zehneuroschein meine Zehen kitzelt. Oder wenn genau in dem Moment, in dem ich in einem Hotel in Meiningen meinen Kaffee aus der Maschine lasse, eine Dame den Raum betritt, die ich mangels Platz an meinen Tisch bitte und wir in Minutenschnelle in einen Sog aus Gesprächsstoff geraten, weil sie zufälligerweise auch Seminardozentin ist. Oder wenn ich gerade meiner Freundin aus Hamburg schreiben will und sie mir zuvorkommt, während ich gerade noch fertig tippe.

Es gibt so viele schöne kleine Fügungen, die mir extrem Spaß machen. Eine erwarte ich in Kürze, mal sehen, wann sie kommt. Vielleicht in den Ferien, wenn wir überhaupt Zeit haben, die Augen offen zu halten. In diesem Sinne: Bis bald in neuer Frische und viel Glück bis dahin!

28.07.2023


Me, myself and I

Neulich kamen wir in einem Seminar einmal wieder auf „Narzissmus“. Das Phänomen scheint häufiger zu sein als wir meinen und hat in jedem Falle dramatischere Auswirkungen als es manche für möglich halten. Deshalb heute (wieder einmal) ein Blog zum Thema.

Narzissmus ist eine extreme Selbstbezogenheit, eine pathologische Überbewertung der eigenen Persönlichkeit, die in der Regel mit der Abwertung anderer einhergeht und sich aus ihr „speist“. Die von dieser Störung betroffenen Menschen haben ein übertriebenes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, typischerweise einhergehend mit Fantasien eigener Vollkommenheit. Allerdings besitzen Narzissten oft kein stabil überhöhtes Selbstwertgefühl, sondern eher ein labiles – und damit ist der gemeinsame Nenner zum umgangssprachlichen „Minderwertigkeitskomplex“ gefunden: ein ungesundes Selbstwertgefühl, das von Kritik empfindlich gestört bzw. zerstört werden kann.

Oft tritt die narzisstische Persönlichkeitsstörung scheinbar nicht auf, Studien sprechen von rund 1 bis 6,5 % Betroffenen an der Gesamtbevölkerung, wovon angeblich drei Viertel männlich sind. Interessant ist auch, dass oft zusätzliche affektive Störungen in Kombination auftreten, z. B. bipolare Störungen, Depressionen oder Angststörungen. Beim Recherchieren über „Narzissmus im Alter“ habe ich zudem entdeckt, dass Narzissmus, der sich ja bereits in der Kindheit bzw. frühen Jugend ausbildet, mit den Jahren oft „milder“ wird: die Menschen merken offenbar selbst, dass sie nach ihren eigenen Maßstäben an „Größe“ verlieren und dass Anerkennung von außen immer mehr abhandenkommt – dadurch entstehen nicht selten Suizidgedanken. Und auch Demenz, so die Forschung, kommt bei alternden Narzissten öfter vor. Warum auch immer. Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass der geistige Abbau wiederum die eigene Vernichtungstendenz antreibt.   

Es gibt drei verschiedene Subtypen von Narzissmus:

  1. Der „verdeckte“, vulnerabel-fragile Narzissmus tritt häufiger bei Frauen auf; auch hier kreist das Denken um das eigene Selbst und die Betroffenen zeigen wenig Empathie. Sie sind aber sehr sensibel, können Kritik und Misserfolge nicht verknusen und wirken insgesamt eher unsicher, depressiv.
  2. Beim grandios-malignen Narzissmus fühlen sich die Betroffenen zu Höherem berufen und wenn sie das Umfeld in ihrer Großartigkeit verkennt, reagieren sie aggressiv, sogar gewalttägig.
  3. Der Exhibitionistische Narzissmus geht offensiv mit seiner Großartigkeit um, ist privat (ohne „Applaus“?) aber verunsichert und ängstlich, was vertuscht wird mit gelebter Gefühlskälte.

Und woher kommt der ganze Schlamassel? Eltern noch heranwachsender Kinder sollten jetzt entweder der Wahrheit ins Auge sehen oder aufhören zu lesen: wenn Kinder keinen realistischen Maßstab für ihren „Output“ kennen lernen, d. h. ständig gelobt, bestärkt und vor Hindernissen behütet werden und nicht begreifen, dass eigenes Handeln auch soziale Konsequenzen (d. h. Folgen für sich, weil andere darauf reagieren) nach sich ziehen kann, könnten hier narzisstische Prägungen entstehen. Jeder, der Kontakt mit Azubis der Next Generation (Z) hat, wird es schon bemerkt haben: es läuft super, so lange alles glatt geht. Willst du auch mal „Korrekturen“ einleiten, kannst du ziemlich viele und noch so gut formulierte diplomatische Schleifen um deine Kommunikationspakete schnüren – es geht meist trotzdem schief und zu Lasten der bislang guten Beziehung. Doch es gibt auch das ursächliche Gegenteil, nämlich die emotionale Vernachlässigung, wie sie vermutlich häufiger in der Kriegs- und Nachkriegsgeneration zu Buche schlug. Mangels „Kapazität“ musste von den Kindern womöglich – ich bin hier mit meinen Mutmaßungen vorsichtig – auf gefühlsmäßige, liebevolle Zuwendung verzichtet werden und aus Selbstschutz-Gründen baut die Psyche dann eine starke Abhängigkeit des Selbstwerts zur eigenen Leistungsfähigkeit auf (Motto: wenn ich viel leiste, viel verdiene, viel zu sagen habe, dann bin ich was wert).

Wer testen möchte, ob womöglich Narzissmus vorliegt, hier zur schnellen Übersicht die typischen Symptome:

  • Selbstüberschätzung, ständige Suche nach Anerkennung der eigenen Besonderheit aus dem „Außen“ und sehr empfindlich bei Kritik
  • Fantasien von Erfolg, Schönheit, Vollkommenheit, um die das Denken kreist
  • Überlegenheitsgefühle, deshalb erachten sie es als selbstverständlich, nur von Ebenbürtigen verstanden zu werden (z. B. Briefe an den Vorstand der Telekom bei einer technischen Störung des Telefons)
  • Überhöhtes Anspruchsdenken mit vermessenen Erwartungen an andere Menschen
  • Ausbeuterisches und manipulatives Verhalten, weil sie andere gerne als die „Erfüllungsgehilfen“ für ihre Bedürfnisse missbrauchen
  • Aufmerksamkeitssuche, stehen sehr gerne im Mittelpunkt und führen das Wort
  • Mangel an Empathie, können und wollen die Bedürfnisse anderer nicht wahrnehmen oder sich in andere hineinversetzen
  • Neid auf andere und selbstverständlich gehen sie davon aus, dass andere neidisch sind auf sie
  • Sozial unverträgliches Verhalten – ecken oft an

So. Jetzt aber zurück zum Seminar neulich und zu der Frage, was macht der Narzissmus von Elternteilen mit Kindern, Ehepartnern, Familien. Diese Frage kann ich leider nicht hinreichend beantworten, aber ein bisschen erahnen. Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass Kinder beispielsweise „Kampfgesetze“ übernehmen. So etwas wie „wenn du wer sein willst, musst du besser sein als andere“ oder einen sehr starken Leistungsbezug als roten Überlebensfaden mitnehmen. So etwas wie faul sein und abhängen wird gerne als „Gesamtträgheit“ missbilligt (auch bei ihnen selbst – nichts tun, ist nicht) und das Streben nach Bedürfniserfüllung in der Freizeit als „Vergnügungssucht“ missverstanden. Versucht man, sich von diesem leistungsbezogenen Denken zu distanzieren und nach eigenen Lebensgesetzen glücklich zu leben, hat man pauschal „kein Interesse“ an der anderen Person. In Konflikten wird kompromisslos verlangt, dass man Partei ergreift („wer nicht für mich ist, ist gegen mich“). Nach Phasen der Annäherung folgen Brüche, die man als Gegenüber nicht nachvollziehen kann und die schwere Verletzungen hinterlassen. Zieht man sich dann getroffen zurück, kommt es im Denken der narzisstischen Persönlichkeit zu einer „Self Fulfilling Prophecy“ á la: „dachte ich mir es doch – kein Interesse“. Über Anteile an der Beziehung, die selbst verschuldet sind oder gar über Entschuldigungen wird eher selten nachgedacht. Meine Seminarteilnehmerin mündete als Erwachsene in einer Partnerschaft mit einem Narzissten, ähnlich ihrem Vater. Von beiden Menschen konnte sie sich letzten Endes befreien und jetzt arbeitet sie seit Jahren daran, sich als liebenswerter, würdiger und wichtiger Mensch zu fühlen. Es ist verrückt, ein bisschen Nachvollziehbarkeit (weil in jedem von uns eine Prise Narzissmus steckt), gepaart mit dem blanken Wahnsinn. Mein Herz ist mit den Angehörigen und meine Trauer mit den Betroffenen selbst, die sich so oft und so umfassend im Wege stehen, dass sie das Schöne an sozialen Verbindungen fernab von Leistung und jenseits ihrer verschrobenen Ansprüche leider nie erleben werden.

26.06.2023


Gemeinsam einsam oder zusammen alleine?

Einsamkeit ist ein gewichtiges Thema. Und nicht nur für Singles und Senioren. Es gibt auch Menschen in Partnerschaften, die sich gelegentlich oder dauerhaft einsam fühlen. Echt jetzt? Ja, genau! Wenn man sich mal mit der Definition beschäftigt, wird klar, an was die soziale Leere liegt.

Wissenschaftler deuten Einsamkeit als Zustand, bei dem die vorhandenen sozialen Beziehungen nicht den subjektiven Erwartungen entsprechen. Und das ist bestimmt häufiger der Fall als wir denken. Ich glaube nämlich, dass es über die 42 % der Menschen in Deutschland hinaus (und damit 28 % mehr als vor der Corona-Pandemie!), die angeben, Einsamkeit aus eigener Erfahrung zu kennen, genügend Leute gibt, die meinen, sich nicht einsam fühlen zu „dürfen“. Weil sie ja in ein soziales Gefüge eingebunden sind oder Familie haben. Viele machen Einsamkeit einfach am gänzlichen Fehlen eines sozialen Umfelds fest – aber das stimmt so nicht. Wenn wir zwar Teil einer (Groß-) Familie oder eines Freundeskreises sind, aber uns vielleicht schöne und zugleich selbstverständliche Begegnungen (z. B. an Feiertagen) fehlen, wenn es an emotionaler Zugehörigkeit mangelt oder an intellektuell ansprechendem Austausch, an gemeinsamen Themen oder Lebenseinstellungen, dann kann soziale Fülle trotzdem dann und wann zu Einsamkeit führen. In Paarbeziehungen ist es auch denkbar, dass man sich einsamer fühlt als man es alleine täte – etwa, weil man seinen Lebensrhythmus dem Paardasein unterordnet und wohltuendere Sozialkontakte schleifen lässt. Oder weil man von Single-Freunden gemieden wird, weil man als Paarmensch nicht so attraktiv scheint in Sachen Freizeitgestaltung.

Fakt ist, dass wir nicht wissen, wie einsam sich die Menschen vor 20, 30 oder 40 Jahren fühlten – Forschungsergebnisse hierzu fehlen. Aber sicher ist eben auch, dass die Existenz von Einsamkeitsgefühlen beim sozialen Herdentier Mensch dieselben Areale im Hirn aktiviert wie die, die von Schmerz getriggert werden. Einsamkeit tut folglich weh und verursacht Stress, macht uns krank. Neben der Affinität zu psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen, ist auch nachgewiesen worden, dass Herzerkrankungen und Schlaganfälle begünstigt werden. So ist das. Was können wir dann tun, um nicht zu vereinsamen oder im Alter nicht zu verkümmern? Ein zentrales Wachstumsthema ist für mich in jedem Falle, mit sich selbst gut zurecht zu kommen, denn das werden wir früher oder später auch verstärkt müssen. Über die sozialen Medien haben wir zudem die Möglichkeit, Gruppen für jedwede Interessenslage zu finden. Eine Bekannte von mir ist auf diesem Wege zu einer Trauergruppe gestoßen, die sich jede Woche auch ganz real trifft, eine andere hat online zu einer Essgewohnheiten-Gruppe gefunden, mit der sie sogar in den Urlaub gefahren ist. Vereine, Sportlocations, Wanderclubs, Tanzkreise, Gruppenreisen, die VHS, … es gibt viele Angebote, nur: das Experiment starten, das müssen wir dann auch tun, um Menschen zu finden, mit denen wir uns ein Stück des Lebens bewegen wollen und in deren Gesellschaft wir uns auch wirklich wohl fühlen. Irgendwas passt immer (nicht), stelle ich fest. Also weitermachen.

02.05.2023


Einfach mal taktlos sein

Mir ist nach Urlaub, Abstand, freier Zeit. Zum Glück und dank umsichtiger Planung kommt das jetzt auch. Zumindest für eine Woche. Meine Seele hasst Fremdbestimmung, während mein Geist Sicherheiten liebt. Ich bin ständig am Verhandeln. Doch letztlich ist nach geschäftigen Phasen nichts so heilsam wie Taktlosigkeit.

Einfach mal nicht auf die Uhr schauen, überhaupt so wenig wie möglich müssen, sondern alles, was man macht, wirklich wollen – da jauchzt das innere Kind und die anderen Lebensgeister werden auch wieder wach. Apropos Kind: ich habe ja nicht einmal eins und auch keine Enkel, bin also privat dank fitter Eltern nur geringfügig gefordert, und trotzdem sehne ich mich dann und wann nach selbstgemachter Leere nach Lust und Laune. Vor allem, wenn vorher fremdbestimmte Fülle war. Ich wandle dann auf dem schmalen Grat zwischen Entschleunigung und Langeweile – aber wer den nicht ab und an durchschreitet und zulässt, hat leider womöglich irgendwann ein hirntechnisches Problem, das sich im günstigsten Fall in nur noch kurzfristigen Aufmerksamkeitsspannen und dadurch verringerter Leistungsfähigkeit niederschlägt oder schlimmstenfalls in depressiven Verstimmungen oder auch Angststörungen manifestieren kann. Ich meine das ernst! Unser Gehirn ist nicht für dauerhaften Informationsbeschuss gemacht, weder per Social Media, noch per Telefon und auch nicht durch permanente analoge Beschallung. Wir brauchen auch mal Stille, Konzentration, Rückzug. Das Gehirn benötigt diese Skills, um Informationen zu sortieren, die Psyche, um den Kontakt mit uns selbst nicht zu verlieren.

Vielleicht kennt ihr das ja auch, dass es nach turbulenten Zeiten kaum mehr möglich ist, mehrere Seiten in einem Buch am Stück zu lesen, einem akustischen Vortrag zu folgen, den man im Anschluss noch wiedergeben könnte oder einer intensiven Unterhaltung gebührendes Gehör zu schenken? Dann drückt in eurem Leben doch auch einmal die Pause-Taste, macht die Türe zu, haltet die Klappe und übt euch in Beschäftigung mit euch selbst – ohne Ablenkung, ohne Handy, ohne schlechtes Gewissen. Einer von den Ostertagen könnte deiner sein! In diesem Sinne: ich wünsche euch fröhliche Hasen und mindestens für ein paar Stunden genussvolles Nichts.

06.04.2023


Der Schlüssel zu den Herzen

Vor einigen Tagen traf ich eine alte Bekannte meiner Eltern. Ich muss wahnsinnig überzeugend gewesen sein, einfach durch Atmen und Präsenz. Laut meiner Mutter schwärmt sie noch heute pausenlos von mir.

Mir ist so etwas ja peinlich und ich merke, es macht mich sogar ein bisschen widerborstig, wenn ich „einfach so“ Komplimente bekomme. Da es aber auch nicht täglich vorkommt, rege ich mich jetzt nicht künstlich auf. Stattdessen denke ich darüber nach. Was ist geschehen? Ich habe bei der Zufallsbegegnung mit der alten Bekannten – meine Eltern waren ebenfalls anwesend – nach ihrem verstorbenen Mann gefragt. Nur das kann die Erklärung sein und ist es: wenn die Menschen spüren, du zeigst echtes Interesse und Herzenswärme, sind sie dir wahrscheinlicher wohlgesonnen. Andernfalls hinterlässt man natürlich trotzdem Eindruck. Welchen auch immer.

Die Fähigkeit zur Empathie ist übrigens angeboren, allerdings können verschiedene psychische und neurologische Störungsbilder Mitgefühl verhindern. Autismus womöglich. Oder Psychopathie. Oder Narzissmus. Wenn ich mich so umsehe da draußen in der Welt, legt sich mir ein Gedanke nahe: bin ich umgeben von gestörter Empathie oder ist meine Wahrnehmung gestört? Bin ich anders und die anderen sind normal? Da ich die Antwort noch nicht kenne, beantworte ich die Frage lieber nicht. Ich beschränke mich zunächst auf Beobachtungen – Feldforschung, wie ich es nenne:

Eine junge Frau wollte bei mir Reitbeteiligung sein. Ich sprach: wenn da Liebe ist, finden wir einen Weg und machte mich mit ihr beherzt bei Eiseskälte an die Pferdearbeit. Stundenlang. Vier Wochen später kam nach mehrmaligem Bohren per Whats App, es sei ihr zu stressig, weiterhin Reitbeteiligung zu sein. Vorausschauendes Denken? Einfühlungsvermögen? Auch in sich selbst, den eigenen Zeitplan?

Eine nicht normgerechte Kuh wird seit Kälbchentagen an, also seit vielen Jahren, von einem Mädel betüddelt, bespielt und spazieren geführt, gepflegt und versorgt. Die beiden waren allerliebst zusammen, ich schloss sie sofort in mein Herz. Vor kurzem entschieden die Stall- und Kuhbesitzer innerhalb weniger Tage, die menschenbezogene Kuh zu schlachten. Das Mädchen weinte sich die Augen aus dem Kopf, versuchte, die Kuh zu kaufen, auf einen Gnadenhof zu stellen, irgendeine Lösung zu finden. Die Kuh war leider nicht zu retten. Weil? Sie hatte lange genug ein schönes Leben! Fertig. Als das Mädel aufbegehrte – es ging schließlich um Leben und Tod – bekam es Hausverbot. Empathie? Überhaupt irgendein Gefühl, Scham, Schande?

Ich postete neulich in Sachen Hundegiftköder-Serie, die gerade in meiner Wohngegend vonstattengeht. Um meinen Gassihund zu schützen und entscheiden zu können, was von all dem, das mir mittlerweile zugetragen wurde, wahr und was falsch ist, schrieb ich ganz sachlich in der zugehörigen regionalen Facebook-Gruppe: kennt jemand den Stand der Dinge? Daraufhin werde von einem Mitglied angerufen und dringend gebeten (genötigt?), meinen Post zu löschen. „So haben wir das mit der Polizei ausgemacht!“. Wer ist wir und wenn ich nicht Teil dieses Rudels bin, wer oder was bin ich dann? Geht es nur noch um Dominieren? Insistieren? Sich wichtigmachen?

Letzten Freitag war ich zu einer Veranstaltung in der Stadthalle. Leider hat das gesamte Publikum im selben Parkhaus geparkt, in dem dann anschließend nur zwei Kassenautomaten geöffnet waren. Ein PKW fuhr an die Automaten heran, blockierte eine Ausfahrt und stellte sich ans Ende der gut 200 Menschen langen Schlange, die sich einvernehmlich ans Hirn langte. Vermutlich hatte der Mann mit Mitgefühl gerechnet, konkret, vorgelassen zu werden, das kam aber nicht und warum auch. Die Frau auf dem Beifahrersitz des Autos starrte gebannt auf ihr Handy. Ich hätte stattdessen den Mann zur Sau gemacht. Aber wahrscheinlich war ihr so kalt wie uns anderen, die wir im Sturm und Regen anstanden.

So. Ich bin sicher, die nächsten Kapitel lassen nicht lange auf sich warten. Zwischenzeitlich übe ich mich in Lächeln, wenn ich den Schlüssel zu den Herzen der mich umgebenden Menschen mal eben verlegt habe. Das kann nie schaden, es lindert den Schmerz und macht milder. Angeblich.

13.03.2023


Stress macht Sinn

Es klagen ja alle ständig über Stress und so wie ich es sehe, hat die ganze Welt viel davon und ist ständig am Limit. Im Fernsehen kommt noch immer Kijimea-Reizdarm-Werbung und Zzz-Quil, das Melatonin-Mittel, steht wie gehabt hoch im Kurs. Zwischenzeitlich habe ich eine andere Sicht auf derlei Dinge. Ich finde sehr wohl, der Fluch kann auch ein Segen sein.  

Dass Stress leistungsfähiger macht, ist ja allgemein bekannt. So ist er von Natur aus gedacht: er soll uns befähigen, herausfordernde Situationen zu überleben. Mangels Bären und Säbelzahntigern, sind derlei Bedrohungen heute eher weniger verfügbar, dafür gibt es dann krankheitsbedingte Personalausfälle oder Vorgesetzte, die es mit der Kommunikation nicht so genau nehmen. Klingt jetzt zwar lapidar, löst aber in uns das gleiche aus wie einst das Mammut vor der Höhle. Das Gesundheitsrisiko besteht bei uns also nicht mehr durch direkt drohende Verspeisung, sondern bestenfalls bei Dauerstress durch Herzinfarkt, deshalb traue ich mich das hier zu schreiben: Stress in guter Dosis macht durchaus Sinn und manchmal sogar Spaß. Beispiele gefällig? Bitteschön! Ich war letzte Woche beim Friseur und da ich mit meinen drei Fransen ja sehr oft dort bin (und – nebenbei bemerkt – enorme Summen zahle), habe ich mich mental auf eine lange Hinternplattdrückzeit eingestellt und meinen Freund Tolino mitgenommen. Aber, hallo! Diesmal ging es ratzdifatzdi. Dank Stress. Die beiden Styling-Damen waren alleine, eine Kollegin musste zum Computerkurs, die andere fiel krankheitsbedingt aus. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie schnell alles ging. Ich musste weder aufs Essen warten (also auf ihres), noch aufs Rauchen, ebenso wenig auf die manchmal eine halbe Stunde dauernde Haarkur. Zack, war ich wieder draußen, was mich dann auch ein bisschen irritiert hat. Aber Stress sei Dank hatte ich noch was vom Nachmittag. Stress zahlt sich auch aus, wenn ich viel zu tun habe und die Zeit knapp ist. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie flott und effektiv ich dann bin. Auch Sinn macht für mich Stress, der durch eine Kollision der Außenwelt mit meiner inneren Wertewelt entsteht. Ich werde dann unglaublich ehrlich zu mir und merke, dass ich – anders als in jüngeren Jahren – nicht mehr an meiner Wertewelt und Haltung rumschrauben will, sondern einfach loslassen möchte. Das ist unglaublich befreiend und in vielen Fällen mindert es den eigenen Druck sofort. Wenn bei Zalando beim Artikel im Warenkorb steht „nur noch 2 auf Lager“, dann weiß ich natürlich, dass das nicht wahr ist, aber ich gebe mir diesem künstlichen Stress sehr gerne hin und bestelle einfach. Besser ein Teil zu viel im Schrank als eines zu wenig. Ich bin überhaupt überzeugt davon, dass mich der Stress, den ich mir selbst mache, dort hingebracht hat, wo ich heute stehe. Blöd ist allerdings, dass dieser Mechanismus scheinbar einer Halbwertszeit folgt. Manches, beispielsweise mein Auto – innen wie außen – oder mein Kleidungsstil am Wochenende, meine Dekoration zu Ostern oder Weihnachten wie auch der Anspruch, ein Fachbuch zu lesen, an das ich eigentlich geglaubt habe, das mir aber zu klein und kompliziert geschrieben ist, fällt dem fehlenden Stress zum Opfer. Hat irgendjemand eine Idee, wie ich mich wieder mehr unter Druck setzen könnte? Ich bin gespannt.

02.02.2023


Aus der Zeit gefallen

Ich habe manchmal das Gefühl, in der falschen Zeit zu leben. Vielleicht kennt das ja der ein oder die andere von euch auch: in manchen Restaurants kann man die Speisekarte nur noch via QR-Code-Reader anschauen, mein Auto hat keinen CD-Player mehr, meine Reitbeteiligung lässt total selbstsicher und grundlos mein Pferd hungern und Menschen beböllern sich gegenseitig.

Manchmal frage ich mich, was ich jetzt mit diesen Eindrücken machen würde, wenn ich noch älter, aber weiterhin am Leben wäre. Vermutlich bliebe ich fortwährend zuhause, weil mir das Ding da draußen fremd geworden wäre. Nicht mehr meine Welt. Es geht ja schon an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer los: umgeben von digitalen Zombies, die weder auf sich gucken, noch ihren Nächsten grüßen, fühlt man sich schnell unsichtbar. Die Fahrkartenautomaten am Bahnhof versteht kein Mensch mehr, Preisetiketten an Klamotten kann man ohne Leselupe kaum entziffern (was vermutlich gewünscht ist) und Qualität ist generell Mangelware, alles auf den schnellen Konsum ausgelegt. Kauft man einen neuen Staubsauger, hat der garantiert irgendeine nützliche alte Funktion nicht mehr, der Quirl kann stufenlos langsam (was wiederum unnütz ist) und das Heizkissen meiner Oma, das neulich „ein echter Burner“ war und meinem Mann ein Loch ins Shirt gefackelt hat, mag vielleicht ein Gesundheitsrisiko gewesen sein, aber es hat ordentlich geheizt. Die Telekom will mir ständig weiteres Datenvolumen andrehen, das erst geschenkt ist und dann 19,90 € kostet (so das Werbe-Wording) und ich frage mich, für was? Wahrscheinlich, damit ich im Auto ohne CD-Player Musik hören kann, womit sich der kostspielige Kreis zwar schließen ließe, aber meine zig CDs nicht am Verstauben gehindert würden. Wenn du in den Urlaub fliegst, falls der Flugplan nicht kurzfristig von Nürnberg auf Hamburg geändert wird oder von München nach Frankfurt, sei froh, wenn du deinen Koffer wieder glücklich in die Arme schließen darfst. Solltest du mal ein defektes Dach haben, gnade dir Gott – der nächste Handwerker kommt vielleicht in 300 Jahren. Menschen greifen willkürlich andere Menschen an, auf offener Straße – bekriegen sich, wie an Silvester geschehen, als ob es kein Morgen und keine Kriege gäbe. Und die Tiere, die leiden wie die Hunde, sind eh allen wurscht. Beißt ein verschreckter Hund aus Panik ein Kind, steht das tagelang in der Zeitung, die aber kaum darüber berichtet, dass Tiere in ihrer Not umgekommen sind. Ich hatte bis vor kurzem eine Reitbeteiligung, die so tat, als würde sie beim Pferd gewesen sein, faktisch aber nicht gesehen wurde. Apropos: um die Generation Z zu locken, nimmt ein Betrieb seine Azubis regelmäßig auf eine Kreuzfahrt mit, während ein anderer dafür sorgt, dass das Kantinenessen im Falle von Homeoffice nach Hause geliefert wird. Ich verstehe das alles so wenig wie Chinesisch. Aber jetzt habe ich ja wieder 362 Tage Zeit, um mehr über mich, diese Zeit und das Leben zu lernen. Ich bin hochmotiviert. Alles Gute für euch im Neuen Jahr!

03.01.2023


Tatsächlich genervt

Ich schaue ja ab und an Torsten Sträter – im TV oder auch live. Den kennt ihr vielleicht. Das ist der Comedian aus dem Ruhrpott, der meist mit dem schwarzen XXXL-Blazer und der (durchgeschwitzten) Mütze daherkommt. Und ich mag ihn, weil er dem Volk aufs Maul schaut. Manchmal auch haut. Kommunikativ, tatsächlich nur.

Wobei wir beim Thema wären. Ich überlege schon seit Tagen und ich denke, ich setze das Vorhaben am kommenden Freitag endlich um, Torsten eine Mail zu schreiben. Er nimmt in seinen Programmen oft Unworte aufs Korn: völlig verzichtbare, überbewertete Füllworte, kommunikativen Müll oder auch Verbalshit, den kein Mensch braucht – die deutsche Sprache schon gleich gar nicht. Und weil mir aufgefallen ist, dass es ein neues solches Unwort gibt, das bei mir mittlerweile nicht nur Würge-, sondern auch akuten Juckreiz auslöst, möchte ich ihn herzlich bitten, von mir aus sogar anflehen, endlich für kollektives Bewusstsein zu sorgen. Das Unwort, das ich hasse wie der Deibel das Weihwasser, heißt TATSÄCHLICH. Und ich kann euch jetzt schon versichern: wenn ihr erst einmal drauf geeicht seid, gnade euch Gott! Ihr werdet es, wie ich, STÄNDIG und ÜBERALL hören, manchmal von ein und demselben Sender in mehreren Sätzen hintereinander. Egal, ob ihr „Das perfekte Dinner“ guckt, um die Wartezeit aufs Abendessen zu überbrücken oder „Bauer sucht Frau“, um besser einschlafen zu können, ob ihr eine Reportage im Radio mithört, um im Stau eben nicht zu entschlafen oder mit egal wem telefoniert, direkt parliert oder via Social Media chattet – es ist alles plötzlich nichts oder weniger wertig ohne TATSÄCHLICH. „Tatsächlich habe ich hier eine Prise Salz rein“, „Tatsächlich habe ich mich heute beim Tennis völlig überschätzt“, „Tatsächlich habe ich mich für Esmeralda entschieden, weil ich dachte, sie kann Traktorfahren“ oder „Tatsächlich habe die Seminarplanung schon abgeschlossen, weil wir dieses Jahr tatsächlich schon bald dran waren. Sie können aber tatsächlich nächstes Jahr im Mai was schicken, vielleicht haben wir Sie bis dahin tatsächlich noch auf dem Schirm“. Mir wird speiübel!

Was soll das? Wer quält mich so? TATSÄCHLICH sagt so absolut gar nichts. Ab und an könnte man es durch WIRKLICH ersetzen. „Ich habe da jetzt wirklich nicht dran gedacht“ = „Ich habe es tatsächlich vergessen“. Aber welcher Native Speaker und vor allem einer aus Franken oder Bayern, wer spricht denn bitte so? Eben: Niemand! Ich hoffe, das Wort verliert sich wieder. Sonst verliere ich den Verstand. Oder halt das, was noch übrig ist, tatsächlich.

02.11.2022


Sicher ist nur der Tod

Lest ihr Zeitung? Im Moment habe ich nach der morgendlichen Zeitungslektüre bereits den Eindruck, einen Tag Urlaub zu brauchen. Und selbst der wäre wahrscheinlich nicht erholsam, weil es ja schon am Tag drauf die nächste Zeitung gibt.

Der Ukraine-Konflikt oder, konkreter, Russland nervt, in Somalia haben die Menschen nichts zu essen und den Piloten der Eurowings geht es zu gut, während die NATO den Ernstfall probt und die Energiekosten wohin auch immer steigen. Wenn dann noch persönliche Unwägbarkeiten hinzukommen – Seminarausfall, Terminverschiebung und Spontananfragen, Probleme im Umfeld und neue Büroräume, die sich noch nicht wirklich auftun wollen – bin ich … erschöpft. Erschöpft vom Leben, weil es mir gerade zu lebhaft und zu anstrengend ist.

Dabei ist der Verlust von Sicherheit ein Trugschluss. Weil einfach nichts sicher ist und es auch noch nie war. Kein Mensch weiß in Wahrheit, wie sein Leben ab heute Abend aussehen wird oder ob er es überhaupt bis zur Tagesschau schaffen wird. Menschen, die nahestehende Gefährten verloren haben, kennen das aus eigener Erfahrung: wir planen Zukunft, richten uns zusammen ein, denken an die vielleicht gemeinsame Rente und dann kommt eine Krankheit oder der Tod, früher oder später. Und nur das ist sicher, so hart es auch klingt. Ja, ja, das Einzige, was wir wirklich machen können, ist leben im Moment, jeden Augenblick genießen. Ich weiß. Sagt sich nur oft auch leichter als es ist. Freilich kann man einiges veratmen, rauslaufen, wegtanzen, vermalen oder zerlesen. Funktioniert nur leider nicht immer. Oder nicht nachhaltig.

Achtsamkeit also ist eine harte Nuss, wenn wir gerade in Ohnmacht sind, alltäglich Putin mit seinen nun immer mehr sichtbaren Verbündeten beobachten oder naturgewaltige Szenen in den Fernsehnachrichten bestaunen, die an biblische Endzeitmotive erinnern. Ich glaube, ich mache Schluss für heute. Schluss mit der Arbeit, Schluss mit dem Grübeln und überhaupt mal Pause vom Weltgeschehen bis Montag. Mal sehen, ob das gelingen kann und was es bewirkt in Sachen innerer Frieden. Alles Liebe von mir zu euch.

20.10.2022


Desillusioniertes Publikum

Ich halte seit geraumer Zeit einen Workshop zum Thema Menschenkenntnis. Am Anfang des Seminars erzähle ich derzeit eine Geschichte aus meinem Leben und frage, was die Teilnehmenden überraschend daran finden. Das Überraschende: nichts. Die meisten Menschen, die mit Menschen arbeiten, sind womöglich warmherzig. Aber realistisch bis desillusioniert.

Die Geschichte handelt von einem Nachbarsgarten. In besagtem Garten gab es in den vergangenen Wochen diverse Störungen. Nein, keine Wasseradern, auch keinen Spuk. Das eine Mal hat ein Amateurgärtner und womöglich für bar auf die Kralle während der von der Gemeinde verordneten Mittagsruhe gekärchert. Die anderen Male wurde nachts so laut gesprochen, dass wir im Schlafzimmer hätten Protokoll führen können, wozu wir allerdings keine Lust hatten. Im einen Fall habe ich die Initiative ergriffen und bin rüber, freundlich bittend, die Kärcherei bis nach der Mittagsruhe zu vertagen. Die anderen beiden Male ist mein Mann hinter die Büsche gehuscht und hat des nächtens nahezu liebevoll um ein bisschen weniger Lautstärke gebuhlt, mit dem Erfolg, dass ihm körperliche Gewalt angedroht worden ist.

Wir waren geschockt. Den Teilnehmern meiner Workshops erzähle ich solche quälenden Einzelheiten natürlich nicht, hier ging es um das Faktum, dass diese Geschichte – selbstverständlich mit fehlenden Informationen – von den beteiligten Personen an weitere Leute getragen wird. Beim Kärchern zur Mittagszeit fehlte zum Beispiel das Kärchern. Es blieb bei der Halbwahrheit, dass ich mich beschwert hätte, weil ein rechtschaffener Amateurgärtner seinen Dienst verrichten wollte. Ich weiß das deshalb, weil ich im August viel Zeit im Garten verbracht habe, paukend. Da hörte ich so manches über uns, was ich eigentlich nicht wissen sollte oder wollte. Ich erfuhr zum Beispiel, dass besagte Menschen über diese Kränkung, die durch die vermeintliche Zurechtweisung entstanden sein mag (ich war w i r k l i c h freundlich, diplomatisch, höflich bittend, aber das hat schon gereicht), nicht hinwegkommen. Ich erfuhr auch, dass mein Ton unverschämt war. Und dass mein Mann ein „Zugezogener“ ist (er wohnt da seit 20 Jahren), der nichts zu sagen hat, den man nicht kennt und am besten ignoriert. Ich hörte, dass ich zu allem Überfluss auch noch Seminare gebe, und das bei m e i n e m Ton. Und mir erschloss sich vor allem, dass es für diese Menschen wie für die meisten Menschen übrigens nicht hinnehmbar scheint, korrigiert worden zu sein. Auch, wenn es wirklich eine höfliche Bitte war. Da hat sich jemand „beschwert“. Geht gar nicht und muss schleunigst weitergetragen werden, zum Glück hat keiner groß Interesse an Fanclubs gegen uns. Meine Idee, es noch einmal auf ein Gespräch ankommen zu lassen, zu erklären und zu bereinigen, war übrigens eine blöde. Besser ist es offenbar (auf alle Fälle einfacher), sich nicht auseinanderzusetzen und andere zu informieren. Ich war schon etwas irritiert. Ich setze mich doch so gerne auseinander.

Aber meine Teilnehmer neulich fanden das alles nicht überraschend. Wer kennt die Menschen besser als Pflegende in Kliniken? Eine abgeklärte Zielgruppe, die Kummer gewohnt ist! Eine mit dem Herz am rechten Fleck. Und dem Hirn auch.

21.09.2022


Auf Krawall gebürstet

Also ich persönlich tue mich wirklich schwer damit, einfach nur „aha“ und „soso“ zu sagen. Ich will die Menschen sehen und verstehen, wenn nicht gar Lösungen finden. Und ich will allerdings auch verstanden werden und sichtbar sein. Verlange ich zu viel?

Im Griechenlandurlaub war diesmal ganz Serbien vertreten. Ich nehme an, Chalkidiki ist deren Norditalien und Nikiti ihr Garda. Die Entfernung könnte so einigermaßen hinkommen. Jedenfalls – Licht und Schatten liegen ja immer dicht beieinander – sind, wo viele Menschen und gute Geschäfte für die Griechen (die ich übrigens kaum gesehen habe), auch viele Familien auf verhältnismäßig wenig Sand in der Sonne. Und so kam es, dass man uns auf die Pelle gerückt ist. Also wenn ich ein Bein lang mache und damit bereits den Handtuchzipfel eines Fremden berühre, das ist mir zu nahe. Vor allem, wenn an anderer Stelle noch reichlich Platz wäre. Ebenso finde ich es nervig, wenn andere in meiner Nähe ständig auf Sendung sind, pausenlos schnattern, kreischen und quietschen. Also habe ich dann und wann sehr laut gestöhnt, was mir nur einmal einen serbisch-wissenden Lacher eingebracht hat. Die restlichen Blicke sprachen, wenn überhaupt, eher für „aha, soso“ auf Slawisch. Oder so.

Alle Daheimgebliebenen werden sich nun wundern: wie, auf deinen Status-Fotos haben wir ja nur wunderschöne, seelenvolle und menschenleere Strände gesehen? Ja, hätte ich den ganzen Pulk, der nach unserer Morgenstille um 8.30 h die Buchten kaperte, auch noch ablichten sollen?

Im Pool, zu dem wir dann am Nachmittag gewackelt sind, bei 34 Grad war nicht viel mehr möglich als Slow Motion, waren dann auch sehr viele Menschen. Das Wasser brodelte, weil Dutzende Bälle auf der Oberfläche und teils knapp neben meiner Rübe eingeschlagen sind. Ich, ohnehin unsicher, weil ja nicht ganz gesund, schlurfte zum Life Guard und beschwor ihn auf Englisch, doch bitteschön auch für die Sicherheit der Schwimmer zu sorgen. Er nickte aufmerksam, sagte (vermutlich) auf Griechisch „aha und soso“ und kehrte dann sehr konzentriert Laub.

Im Vorfeld hatte sich mein Mann viel Mühe gegeben, das gebuchte Zimmer umzubuchen. Doch wie das immer so ist, letztlich fühlt sich dann eh keiner zuständig. Nicht der Veranstalter und das Hotel sowieso nicht. Also ließ mein Mann eine griechische Kollegin gegen einen Frappé direkt vor Ort anrufen und die Sachlage schildern: Frau kommt nicht in den 2. Stock. „Aha, soso“ mag der Gesprächspartner gesagt oder gedacht haben. Als wir nämlich um 1 Uhr nachts schließlich ankamen, ließ der Sicherheitsdienst uns wissen, dass ein anderes Zimmer erst am nächsten Morgen verfügbar wäre. Jetzt stellt euch mal vor, ich hätte nicht laufen können. Hätte ich dann am Fuße der Treppe geschlafen?

Beim Autoverleih fuhren wir los und die Reifendruck-Kontrollleuchte strahlte uns an. „So nicht“, sagte mein Mann und hielt noch einmal an. Der Service-Mensch rief einen anderen Service-Mensch, der (vermutlich) sagte „Aha, soso – alte Hüte, geht schon seit 3000 km so und ist nix passiert, also sollen sie sich nicht so anstellen“. Service-Mensch 1 versicherte uns aber glaubhaft, die Leuchte würde nach ein paar Kilometern erlöschen. Das habe ich dann bis zum Ende des Urlaubs mit Spannung erwartet. Vergebens.

Seit alle dem bin ich noch immer auf Krawall gebürstet. Da ich gerade Akquise-Gespräche führe, in denen ich mir stellenweise für meine Verhältnisse unfreundlich vorkomme, dachte ich mir, ich brauche mal eine kleine Gehirnspülung. Dafür seid ihr in Anbetracht des verbalen Ausflusses jetzt an der Reihe mit „Aha, soso.“ Oder kennt ihr das alles etwa auch? Dann ist es wohl menschlich: Sehen und nicht gesehen werden. Mann, ist das heiß heute.

14.07.2022


Träume leben!

Letzte Woche war ich auf einer Beerdigung. Wieder mal. Sehr traurig, klar. Und die Crux der Überlebenden. Umgeben von ständiger Endlichkeit, tut es mir jetzt schon körperlich weh, wenn ich – wie vorhin – ein Kind schreien höre: „Habe einen Käfer tot gemacht. Juhu.“ Nebst der Frage, was eigentlich mit den Eltern los ist, beschäftigt mich, ob wir, ich genug mit unserem Leben anfange(n). Ich bin mir noch eine Antwort schuldig.

Seit ich, dank hoffentlich temporärer Medikation, die mir das Leben retten soll, jetzt schon um 20, anstatt um 21 Uhr im Sessel einschlafe und zwar so tief, dass ich meinen Mann eine Stunde später erst zeitverzögert erkenne und mich nur dunkel erinnern kann, wer und wo ich bin, fühle ich mich zwar alltäglich ziemlich gut erholt. Aber ist das jetzt das Leben, das wir meinen – oder ist das das blanke Funktionieren? Das Gefangensein im Hamsterrad? Das „9 to 5“, das Dolly Parton besingt? Das täglich-grüßende-Murmeltier?

Auf der Beerdigung letzte Woche war eine jahrzehntelange Zeitspanne verbal umrissen mit: „…trat ins Arbeitsleben bei Musterfirma ein, war dort Musterfunktionär und ist dann in den verdienten Vorruhestand gegangen.“ Das hat mich tagelang nicht losgelassen. Rund 30 Jahre werde in drei Halbsätze verpackt. Ich habe später diejenigen, die es besser wissen müssten, gefragt, ob da nicht noch mehr war – vielleicht Reisen, Hobbys, Abenteuer, Irrungen, Wirrungen, was weiß ich. Der Verstorbene sei ein Fleißiger gewesen, immer gewissenhaft und zuverlässig. Sehr verbunden mit seinem Job. Aha, ein echter Leistungsträger. Und dann stirbt er so früh im verdienten Ruhestand.

Ich bin drauf und dran, meine Segel zu hissen und mich treiben zu lassen. Wann soll ich denn meinen Traum leben, wenn nicht jetzt? Ein paar Wochen würden erst einmal reichen. Meinen Mann habe ich schon infiziert. Sollten wir es also bis nächstes Jahr schaffen und weder Corona 5.0, noch sonst ein gemeines Verräter-Schicksal uns in die Quere kommen, sind wir dann mal weg. Selbstverständlich im Sommer, wenn mich seminartechnisch noch nie jemand vermisst hat. Und zwischenzeitlich halte ich die Augen offen und die Ohren weit gespreizt – ich bin auf Empfang für alles Schöne, das mein Herz erfreut. Was es auch dringend brauchen kann. Und wovon träumt ihr so?

14.06.2022


Der Bergdoktor ruft!

Heute habe ich einen Artikel gelesen über die Angst, die bei uns allgegenwärtig ist, seit Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Gemäß einer Psycho-Umfrage versuchen wir uns gezwungenermaßen an der Normalität. Wirkt aber ein bisschen aufgesetzt, die Gute.

Hätte man mich gefragt – aber ich bin ja nicht unter den 130 Deutschen, die zwei Stunden vom Kölner Rheingold Institut verhört wurden – ich hätte gesagt, dass ich seit Corona und bis weit in den Ukraine-Krieg hinein gelernt habe, dass es zuhause einfach am Schönsten ist. Ich bin wohl, abgesehen von geschäftlichen Außeneinsätzen, so viel daheim wie schon lange nicht mehr. Ich liebe mein Bett. Außerdem schlafe ich extrem gerne im Sessel ein. Oder im Garten. Heißt: ich bin froh, wenn ich die Augen vor der Welt verschließen kann, ansonsten brennen, drücken und tränen sie auch vor Verdruss und im Überfluss.

Der Rest der Herde setzt offenbar teils auf Sport, um den angstbedingten Stress, die Welt könne sich durch den Krieg nachhaltig verändern und auch uns mächtig aus unserer territorialen Ordnung werfen, zu kanalisieren – was noch immer besser ist als sich fortlaufend zu betrinken oder in innerer Schockstarre auszuharren. Ein Teil der weiteren Kohorte liebt es wohl harmonisch und feiert, als ob es kein Morgen gäbe, mit Familie und Freunden, was man halt so feiern kann. Die Baumblüte und das Küken im Amselnest – seit Lockdown 1 haben wir ja viele gute Gründe in petto.

Im Medienkonsum von uns allen spiegelt sich laut dieser Studie die Sehnsucht nach heiler Welt (ähm – hier muss ich zugeben, dass mein Leseverhalten extrem gen Schundroman mutiert ist, seit alles so ernst und anstrengend geworden ist da draußen). Und? Ach ja! Wir horten und hamstern und rotten zusammen, was es ja vielleicht bald nicht mehr zu kaufen gibt. Oder weil wir fürchten, es nicht mehr bezahlen zu können.

Laut Rheingold Institut ist der Ukraine Konflikt psychologisch wie ein Tinnitus – immer da, modulierend und tendenziell Angst einflößend, weil nicht kontrollierbar. Was man allerdings steuern kann, ist die Intensität der Auseinandersetzung. Notfalls empfehle ich ein temporäres Digital Detox – eine Medienpause und den Bergdoktor für das Seelenheil. Das und „Love and Confess“ von (Vorname vergessen) Hoover ist immer noch besser, als zu verzweifeln und jeden Tag Nudeln zu essen. Passt auf euch auf.

30.05.2022


Die neue Langsamkeit

Ich mache gerade eine völlig neue Erfahrung, die man auch Entschleunigung nennen könnte: ich darf mich ärztlicherseits nicht anstrengen und mich nur im Schleichgang fortbewegen. Der Vorteil? Die Erkenntnis, dass auch das geht.

Ich habe im Moment nur 70 % Herzleistung zur Verfügung und wenn ich mich anstrenge oder aufrege, sind es noch weniger. Manchmal muss ich aber Treppen steigen. Dann kann es schon einmal vorkommen, dass ich mich auf dem Boden der Tatsachen wiederfinde, auch wenn sich dieser vor Seminarräumen, in denen ich fünf Minuten später arbeiten soll, befindet: Anstrengung ist eben nicht diskutierbar. Das Herz antwortet sofort und flattert, als ob es kein Morgen gäbe. Dass es bislang doch eins gab, ist ein glücklicher Umstand, den ich – ja, wem eigentlich – vermutlich den Medikamenten zu verdanken habe, die mir dunkle Augenringe bescheren.

Für mich ist jedenfalls etwas Bewegung besser als keine. Lieber schleiche ich durch die Natur, als auf meine Ressource zu verzichten. Ich bestimme Heil- und Wildkräuter im Gehen, so langsam bin ich. Labkraut, Schöllkraut, Zinnkraut – mir entgeht nichts. Und ab und an zücke ich meine Handykamera, um die Schönheit, die sich mir bei 0,5 km/h notgedrungen erschließt, festzuhalten. Es könnte also schlimmer sein. Und auch besser. Aber, wie bereits gesagt, ich darf nicht diskutieren und auch nicht hadern. Es ist wie es ist und das für mich Schwierigste ist, dass ich Geduld brauche – mein größtes Lernfeld.

Ich denke also Tag und Nacht an mein Herz, den Motor des Lebens, ohne den nichts geht und mit dem alles so selbstverständlich ist. Wenn ich einen Jogger sehe, schwappt schon mal die ein oder andere Träne über den Lidrand und wenn ich einen Walker in Slow Motion sehe, denke ich in Zukunft anders als „du Weichei“. Das Kranksein hat mein Selbstbild ins Wanken gebracht und mein Weltbild zurechtgerückt. Es gibt so vieles, das wir nicht wissen und so vieles, für das wir dankbar sein könnten. Tag für Tag. Ich hoffe, dieses Bewusstsein hält sich über diese geschwindigkeitsreduzierte Zeit hinaus, die ich nicht missen möchte, aber am liebsten sofort loswerden will.

Humor, wenn auch schwarzen, habe ich derzeit reichlich. Etwa, wenn ein Arzt sagt, ich soll Stress meiden und Freundinnen mir raten, kürzer zu treten. Kein Mensch begreift, dass ich Stress habe, wenn ich keine Arbeit habe und ansonsten eher privat. Die Stressoren kommen einfach so zu mir, in Form von Pferdekolik, Tod eines befreundeten Wallachs, Tod eines Verwandten und Disput mit einem Helfer in Nachbars Garten, der sich nicht an die Ruhezeiten hält und am Samstag um 13 h Höllenlärm produziert. Stress entsteht bei mir, wenn ich bei etwas nicht Hinnehmbaren ohnmächtig und lösungslos zusehen muss oder wenn ich von anderen Menschen Ratschläge bekomme, um die ich nicht gebeten habe, so als würden sie sich über mich erheben. Stress ist Teil des Lebens. Der Anspruch, ihn zu meiden, ist genauso hirnlos gestellt wie der Spruch „Pass auf dich auf!“ zwar gut gemeint ist, aber bei mir sofort ein extrasystolisches Herzzucken auslöst. Tun wir das nicht, die wir einigermaßen aufgeklärt und reflektiert im Leben stehen? Passen wir nicht auf uns auf? Im Grunde können wir manchmal nur das Beste draus machen, aber nicht wirklich das Übel abschmettern. Das ist die Wahrheit. Aber das Beste draus machen zu wollen, auch wenn es letztlich nur suboptimal ist, das ist ja auch schon ein Pluspunkt auf der persönlichen Wachstumsskala. Möge also die Weisheit weiter gedeihen. Langsam. Dafür stetig. Fertig bin ich jedenfalls noch lange nicht damit. Ihr?

23.05.2022


Tierisch wohltuend

Studien haben ergeben, dass uns der Kontakt mit Tieren gut tut – dass er nachweislich positiven Einfluss auf unsere Psyche hat. Die Tierliebhaber unter uns wissen das natürlich.

Mein Mann war neulich beim Zahnarzt. Die sehr moderne Praxis ist mit Monitoren ausgestattet, auf der Filme und Serien zu sehen sind. Mutmaßlich sollen sie zur Ablenkung und Beruhigung der Patienten beitragen. Eine Doku, die Löwen bei der Jagd auf arme Antilopen zeigte, konnte das wohl nicht leisten. Mein Mann blieb trotzdem ruhig. Aber das ist auch nicht der Tierkontakt, den ich meine.

Wenn wir Tiere streicheln – und es ist ganz egal, welche – produziert unser Hypothalamus das Hormon Oxytocin. Es hat verschiedene Auswirkungen auf den Geschlechtsapparat (z. B. stimuliert es die Milchdrüse nach der Schwangerschaft), jedoch auch einen schmerzstillenden, sedierenden und Kortisol hemmenden Effekt. Ich kann mir gut vorstellen, dass sich dieser auch mit Stofftieren provozieren lässt. Meine Oma hatte einst, da war sie schon sehr betagt und konnte kaum mehr sehen, eine Kuschelkatze, die sie öfters streichelte. Und ich selbst experimentiere seit Beginn der Pandemie mit einem Schlafschaf, das mir die Seele zu wärmen scheint. Es frisst nicht, blökt nicht und schmutzt nicht. Also: Why not.

Die andere Theorie, warum uns Tiere gut tun, hat mit der Sozialisierung zu tun. Schließlich lebt der Mensch seit Jahrtausenden mit Tieren. Wenn wir also ein entspanntes Tier um uns haben oder es auch nur beobachten – und mögen es Kühe auf der Weide sein – wissen wir instinktiv, dass momentan keine Gefahr droht. Beobachtet mal einen schlafenden Hund, es gibt nichts Friedvolleres!

Dass vielen Menschen Tiere nicht nur nützlich, sondern auch eine Herzensangelegenheit sind, ist klar. Warum aber sind manchen Menschen Tiere sogar wichtiger als andere Menschen? Mein Vater denkt, ich liebe Tiere, weil ich keine Kinder habe. Dass ich auch genügend Menschen kenne, die Kinder und Tiere haben, habe ich ihm nicht verraten. Hier eine würdigere Erklärung: Gefühlt haben wir an unsere Tiere weniger Erwartungen, von daher können sie uns auch nicht wirklich enttäuschen. Wenn ein Hund, der sonst ein Goldstück ist, im Wald abhaut, weil er einem Reh nachsetzt, sind wir in der Regel erst einmal in Rage, aber wir gestehen ihm zähneknirschend seine Natur zu. Von einer Katze erwarten wir – außer gelegentliche Schmuseminuten vielleicht – schon gleich gar nichts. Wir freuen uns einfach über ihr Sein. Das ist im Kontext Mensch-Mensch nicht ganz so einfach. Sollte es aber sein oder werden. Als ich gestern meiner Stute im akuten Krankheitsschub die Hufe hielt und leise mit ihr über mein Glück sprach, sie zu haben, ist mir wieder einmal bewusst geworden, wie fragil die Pfade sind auf denen wir Halt suchend wandeln. Die Endlichkeit ist in jedem Moment nur wenige Atemzüge entfernt. Und wir sind machtlos, vielleicht sogar die Nächsten. Auch dieses Bewusstsein habe ich vor einigen Tagen erlangt, als ich an einem ganz normalen Tag auf der Intensivstation landete.

Deshalb lasst uns dankbar sein für alle tierischen und natürlich auch menschlichen Weggefährten. Lasst uns einander herzen und auf Seelenebene berühren, dass es vor Oxytocin nur so scheppert, lasst uns versuchen, jeder jedem eine Wohltat zu sein. Kost´ ja nix und bringt viel. Weniger Stress zum Beispiel.

11.04.2022


Das Schöne sehen

Ich habe heute ein Experiment begonnen, das ganz leicht klingt: einfach mal einen Tag lang nur das Schöne sehen. Was soll ich sagen… entweder es gibt total wenig Schönes oder mein Hirn weiß nicht mehr wie das geht.

Ich würde mich so gerne einfach einmal wieder nur an den vorüberziehenden Wolken erfreuen. Oder an den Frühblühern in unserem Garten. Oder daran, dass ich ein Dach über dem Kopf habe. Aber wohin ich auch sehe, blicke ich den Tatsachen ins Auge. Das heißt nicht zwingend, dass ich negativ gestimmt bin. Ich sehe halt die Dinge wie sie sind: die Sonne scheint und zeigt mir schonungslos, wie dreckig meine Fenster zuhause sind. Die Schneeglöckchen leuchten unter einer scheußlichen Schicht alten Laubs, das dringend entsorgt gehört. Mein Auto fährt schön, aber der Sprit macht keinen Spaß mehr. Mein Pferd ist munter, aber meine Reitbeteiligung ist krank. Das Geschäft läuft, aber es werden schon wieder Seminare für Ende April abgesagt. Und selbst, wenn ich mich mal ganz gut fühle, bekomme ich das Feedback, angestrengt zu wirken. Daraufhin fühle ich mich gleich noch älter als ich bin und gebe zu: ich b i n angestrengt. Doch der Lottogewinn bleibt stoisch aus, der Entscheidungsfreiheit brächte – und überhaupt, was würde er denn ändern?

Heute also das Experiment mit dem „Schönes sehen“. Als ich dazu einen frischen, gelb strahlenden Osterglockenstrauß bei Whats App in den Status stelle, bekomme ich sofort Rückmeldungen von allerlei Leuten. Ich spreche ihnen offenbar aus der Seele. „Hast recht“, steht da. Oder „Geht mir ähnlich“. Umgeben von Schreckensnachrichten – und das nun schon seit über zwei Jahren – fällt es tatsächlich täglich schwerer, ein Optimist zu sein. Und bei den traurigen Bildern in den Nachrichten Frohnatur zu bleiben. Und, ehrlich, so richtig schön war heute noch gar nichts. Die Details erspare ich euch besser, mir läuft auch schon wieder die Zeit davon. Das „Glückstagebuch“ geht bei mir jedenfalls seit Wochen leer aus. Mir fällt nichts ein, außer dass ich atme und funktioniere, spaßbefreit. Could be worse, right! Aber diese Weisheit wirkt bei mir gerade so wie die hinkende Aufbau-Botschaft meiner Oma einst: „Im Vergleich zu einem gehbehinderten Menschen geht es dir doch gut!“ Bestimmt hat sie es nett gemeint. Aber es fällt schon wirklich schwer, sich mental in einen unbekannten Schreckenszustand zu versetzen, damit man sich mit geläuterter Sicht auf die Dinge wieder heraushievt aus der subjektiv krisenhaften Bewertung der Lage. Was ich aber weiß ist, dass es gerade vielen geht wie mir. Nicht umsonst haben die Seelsorge-Telefone Hochkonjunktur und das Hauptthema gerade ist die Angst vor einem Krieg.

So. Feierabend für heute. Sessel und Milka locken. Das ist definitiv ein happy End. Ich hoffe, ihr findet eures für heute. Oder spätestens morgen.

15.03.2022


Feindbild eint

Bis vor wenigen Wochen waren die Medien noch voll mit Querdenkern und Impfgegnergegnern. Jetzt sind alle wieder vereint. Dank sei dem kollektiven Feindbild, im diesem Falle dem Aggressor Putin.

Jetzt reißen sich alle die Klamotten vom Leib, kaufen palettenweise Babynahrung und Damenhygieneartikel, basteln Ukraine-Fahnen und tragen maskiert, weil Fasching, ihre Fassungslosigkeit zur Schau. Und ich bin sicher, bei der Riesendemo in Berlin sind Impfgegner und Impfbefürworter sehr friedlich und fraglos vereint im Geiste miteinander herummarschiert – dank Russland.

 Vor wenigen Wochen, um nicht zu sagen vor wenigen Tagen hatten wir vermeintlich noch andere Probleme. Vielleicht waren die pandemischen News zuletzt auch einfach zu verwirrend. Inzidenzen, hoch wie nie, auf der einen Seite, Lockerungsbestrebungen auf der anderen Seite. Ich kenne wirklich viele, die jetzt an Omikron erkrankt sind – und wenn man mehrere Tage völlig matt und zu entsaftet, um eine Stufe zu nehmen, als milden Verlauf einstufen will, dann sei dem so. Ich kann mich nicht erinnern, jemals so grippal infiziert gewesen zu sein wie ich es von Menschen mit Covid sind. Die meisten in meinem weiteren Bekanntenkreis holen es sich übrigens von den Kindern im Haushalt. Was auch interessant ist, weil die Kindertageseinrichtungen ja noch strikte Regeln wahren, Gruppen trennen und Kinder nicht zusammen toben lassen. Und trotzdem geht das Virus reihum. Nimmt es bevorzugt am Unterricht teil?

Eigentlich egal, denn jetzt dominiert ja der Ukrainekonflikt die westliche Welt und unser Denken. Er sezerniert Unruhe, Angst, Wut und Ohnmacht. Verbales Säbelrasseln nennt man das, wenn ein Diktator mit Atomwaffen droht. Tagtäglich sagt Dr. Masala im ARD-Brennpunkt, es sei unwahrscheinlich, dass Putin wirklich zündet. Aber mal ehrlich: kann man den denn einschätzen?

Konzentrieren wir uns also auf das, was wir kontrollieren können: Nudeln und Klopapier. Ja, es geht wieder los. Die REWE-Regale sehen aus wie vor Lockdown 1. Oder eben wie im Krieg.

01.03.2022


Happy Valentine!

Es ist Montag, early Morning, und mein Mann ist gerade aus dem Haus gestürmt. Ich hatte noch kurz den Gedanken, habe ihn aber im Zuge der hektischen Alltagsbewältigung verworfen, das lieb gemeinte Geschenkchen nicht aus dem Schrank geholt. Heute ist nämlich Valentinstag.

Als ich die Zeitung aufblätterte, waren die bunten Privatanzeigen nicht zu übersehen: Männer grüßen ihre geliebten Frauen und umgekehrt und eine Mami, die ihrem Sohn ihre Zuwendung bekundet, war auch dabei. Auf der nächsten Seite fand sich ein Artikel, der den Konsumterror zum Liebestag verunglimpft und in Frage stellt, warum gerade Dubai in diesem Jahr das IT-Ziel aller Verliebten sein soll.

Aber was ist eigentlich dran, an diesem Tag? Ist er wirklich, wie es böse Zungen behaupten, eine Erfindung der Floristen? Ich habe bei Wikipedia zwei Bezüge gefunden. Den einen zum römischen Kalender, der an diesem Tag die Juno, Göttin der Fruchtbarkeit und Geburt, preist – also einen saisonalen Zusammenhang zur Paarungszeit. Und tatsächlich geht es los da draußen mit Frühling: die ersten strahlend gelben Trollblumen werden von Bienen heimgesucht, die intergeschlechtlichen Beziehungen unserer Pferde intensivieren sich und die Stallkatzen fauchen sich an.

Der andere Bezug führt zum Valentin von Terni, der im dritten Jahrhundert lebte. Er soll angeblich Wunderheiler gewesen sein und Liebespaare, insbesondere Soldaten, trotz Verbot vermählt haben. Deren Ehen sollen unter einem besonders guten Stern gestanden haben. Außerdem war er wohl begnadeter Gärtner, der allen Verliebten, die an seinem Klostergarten vorbeikamen, Blumen geschenkt hat.

So ganz klar ist die Herkunft des Valentinstags allerdings nicht, gesichert aber, dass es mit der heute inszenierten Weise, mit Grußkarten, Geschenken und Süßigkeiten, erst nach dem zweiten Weltkrieg richtig losging.

So weit, so gut. Was macht ihr mit und aus dem heutigen Tag? Schenkt ihr euch Blumen, Pralinen, Schmuck, ein festliches Dinner oder schlicht heiße Blicke? Was ich gut daran finde, den Valentinstag zu haben: wir können dankbar für die Liebe sein, das Wunder, das uns mit unserer/unserem Nächsten zusammengeführt hat. Das ist nicht selbstverständlich und dass der Mann bzw. die Frau an unserer Seite bleibt, ist es auch nicht. Von daher können wir uns entscheiden, dieses Glück wahrzunehmen, zu würdigen und zu zelebrieren. Sich wirklich „zu sehen“, in guten und in weniger guten Zeiten, am heutigen Valentinstag wie im Alltag, das ist bei all den Belastungen und Stressoren eine wahre Kunst. Schwierig dann vor allem deshalb, weil man gerade nichts zu geben übrig hat.

Aber Kunst kommt ja von Können. Also können wir uns das ja mal vornehmen und gucken, was es bewirkt, oder? Ich wünsche euch und mir jedenfalls viel Liebe und als Experiment des Tages werde ich heute ausnahmslos mit dem Herzen sehen und mit wahrhaftem Gefühl sprechen. Liebevoll und liebenswürdig. Amen.

14.02.2022


Kuddelmuddel!

Irgendwie ist das gerade keine so gute Zeit. Keine Ahnung, wie sich fehlendes Glück zusammenrottet und warum an den meisten Tagen alles so müßig scheint. Aber es ist wie es ist: momentan eher beschwerlich als begehrlich und ich denke mich dauernd zurück ans Meer.

Meine Gedankenverlorenheit hat Konsequenzen: letzten Montag stand ein Teamcoaching in Weißenburg an. Ich war früh noch schnell bei der guten Stute und in mir zuckte was während des Ausritts, in etwa „schau sicherheitshalber nochmal in die Mails vom letzten Jahr“. Aber – ehrlich – ich war so beschäftigt mit mir, meinem energetischen Tiefstand, dem Pferd und den nächsten gut 340 anstrengenden Tagen, dass ich drüber wegging. Das sollte man nicht, wenn die Intuition zuckt! Ich fuhr also hin und zurück insgesamt nahe 200 km und 3 Stunden und das völlig umsonst. In all den vielen Jahren Selbstständigkeit ist mir das noch nie passiert. Ich war sehr sauer auf mich, was ich auch selten bin. Und dabei hatte es doch noch gezuckt!

Auf dem Rückweg übte ich Coaching, genau genommen die Technik „Reframing“: finde das Gute am Schlechten. Wozu sollte der Weg umsonst jetzt gut gewesen sein? Ich gab mir wirklich Mühe. Und das Einzige, was mir einfiel war: höre dir wieder mehr zu und nutze, carpe-diem-mäßig, den spontan frei gewordenen Nachmittag für eine Fraunhofer-Ausschreibung, bei der sich die Frist schon gen Ende neigt. Die Ausschreibung war zum Jahresende platziert worden, der optimale Zeitpunkt quasi für mich und den Rest der Welt, der Weihnachten zu feiern versucht. Am frühen Abend, nach drei ziemlich sinnlosen Stunden, fühlte ich mich nicht lebens- und leidensfähig genug, um diese Versachlichung und Entmenschlichung der Zusammenarbeit via digitale Plattform und Bieterpilot zu meistern. Ich weiß nicht, wie oft ich gerufen habe „Julia, schau mal!“ und sie genauso oft gesagt hat „verstehe ich auch nicht“. Mit Tränen in den Augen und einem Selbstwertgefühl gen 0 zwang ich mich da durch, wissend, dass ich niemals nicht für diesen Rahmenvertrag in Betracht käme mit meinem digitalen Kuddelmuddel. Endlich fertig geworden, war ich um Jahre gealtert, todmüde und traurig. Eine Woche später wurde spontan die Frist verlängert, weil vermutlich auch andere so menschlich sind wie ich. Ich habe den Mist bereits abgegeben. F***.

Weil mir das Hier und Heute also gerade absolut nicht gefällt und ich mich mental nicht dauernd nach Fuerteventura, Griechenland oder an den Gardasee flüchten kann, schweife ich neuerdings gerne gen Zukunft. Vorgestern war das verstärkt der Fall. Speziell fragte ich mich besorgt, wie sich diese Omikron-Welle wohl geschäftlich auf uns auswirken wird. Die erste Antwort kam prompt, innerhalb weniger Stunden per Mail: Ein Seminar, das in zwei Wochen hätte stattfinden sollen, wurde pandemiebedingt verschoben. Es geht also wieder los: diese Unkalkulierbarkeit in allem, die Arbeitsunterlastung jetzt, dafür zerreißt es mich im Sommer.

Mittags am selben Tag erinnerte ich mich, wie schlimm die letzte Zahnfleischentzündung im Urlaub gewesen war. Das ist meine sehr schmerzhafte Schwachstelle. Braucht kein Mensch. Heute habe ich natürlich eine neue bekommen. Nur durch Drandenken. Super.

Ich nehme mir jetzt vor, mein Denken besser zu lenken, mindestens einmal am Tag aktiv zu lächeln, drei positive Dinge zu sehen und auf jedwedes inneres Zucken zu hören. Außerdem werde ich der Wahrheit ins Auge sehen:

Es ist gerade Winter, spaßarm und sozialreduziert. Und dafür bin ich zu bunt. Aber es wird auch wieder anders. Ab sofort.

21.01.2022


Welcome back!

Wir sind wieder am Start und wünschen euch allen ein gesundes, glückliches und gehaltvolles 2022. Der Beginn eines Jahres ist übrigens der ideale Zeitpunkt, um nerviges Altes loszulassen und gutes Neues einzuladen. Das gilt natürlich nur für diejenigen unter euch, die latent unzufrieden sind. Oder unglücklich.

Wenn ihr euch schon länger darüber Gedanken macht, ob ihr euch und euer Leben nicht längst anders ausrichten oder optimieren solltet, dann fangt am besten gleich damit an. Bevor euch wieder der Alltag einholt und euch das Hamsterrad im Griff hat. Also jetzt gleich.

Mit welchen Parolen hält euch euer innerer Schweinehund in Schach? Ruft er regelmäßig nach Süßem und ist allmählich kaum mehr satt zu kriegen? Oder will er Nikotin, weil ihn das angeblich zum Aushalten animiert, statt ständig irgendwo reinzugrätschen und eure Disziplin zu untergaben? Ist es seine Gier nach Alkohol, mit der er vorschützt, euch in Ruhe schlafen zu lassen? Oder ist es eurer ständiges Nicht-Nein-Sagen-können, weil das Tierchen Disharmonie hasst? Das dauernde Zuspätkommen, weil Schweinehund gerade dabei ist, Alltagsflucht zu betreiben? Das Daddeln am Computer, das Sucht-Shopping online?

Was sind eure Laster – gemeint sind hier Gewohnheiten, die zur Last geworden sind? Und inwiefern leidet ihr darunter? Was entgeht euch, was schmälert die Lebensfreude, den Geldbeutel oder den Freundeskreis – oder was zahlt ihr drauf in Sachen Gesundheit?

Bevor man sich auf den Weg macht, den inneren Schweinehund auszutricksen, sollte man sich klar machen, dass all diese gewohnheitsmäßigen Strategien immer auch mindestens einen guten Zweck erfüllen. Beim Rauchen ist es vielleicht die Entspannungspause zwischendurch, beim Naschen das Wohlgefühl, während die Milka Noisette am Gaumen klebt. Wenn ihr die Laster loswerden wollt – nachhaltig – müsst ihr euch in jedem Falle alles bewusst machen, was ihr damit an Profit gewinnt. Um genau diesen Profit, den Lustgewinn (Schokolade) oder die Angstreduktion (Erhalt der Harmonie beim Nicht-Nein-Sagen) zu erhalten, müsst ihr nun auf kreative, andere Strategien setzen. Und die alten (Zigaretten, Alkohol, Schokolade & Co.) ersetzen. Kreative neue Strategien könnten sein: Wasser trinken, öfter mal Pause machen, feinen Tee kaufen und genießen, Reiswaffeln oder Apfel essen, einmal um den Block laufen, Dehnübungen im Wohnzimmer, Tagebuch führen, Malen, Joggen, Singen, Gitarrespielen beginnen, (gezielte) Bücher lesen, Selbsthilfegruppen besuchen. Das ist jetzt so ein Durcheinander, weil nur ihr selbst wissen könnt, mit welcher Alternative ihr euren alten Profit erreichen könnt.

Zum Durchhalten gehört jede Menge Disziplin. Und eine „Vision“ – ein Selbstbild, dass ihr mit eurer Lastervernichtung realisieren wollt.

Die wichtigste Frage, die ihr euch noch beantworten solltet, bevor ihr eurem Schweinehund an den Kragen geht, ist diese – die so genannte Ankerfrage:

„Wozu möchte ich mein Verhalten verändern, warum will ich mich von meinen lästigen Gewohnheiten verabschieden?“

Die Antwort darauf solltet ihr immer parat haben, wenn der Schweinehund murrt, bockt oder euch mit impertinenten Dauergeflüster auf die Nerven fällt. Am besten, ihr schreibt sie auf einen Zettel und steckt ihn euch in die Hosentasche, oder klebt Post-its an den Badezimmerspiegel, sofern ihr euch davor lange aufhaltet. Oder an den PC-Bildschirm, falls das der Auslöser-Ort sehnsuchtsvoller Gedanken an alte Muster ist.

Haltet durch und freut euch über Erfolge! Nehmt Rückschläge nicht so schlimm und macht einfach weiter – Studien sagen, etwa rund 70 Tage müsst ihr durchhalten, um eine alte Gewohnheit durch eine neue zu ersetzen. Wo ein Wille ist, da ist ein Weg. Oder mehrere… andere können es ja auch.

10.01.2022


Dankbarkeit zum Schluss

Letzten Montag, als ich vor meinem Bürotag zum Pferd fuhr, fragte ich mich im Auto, was jetzt passieren müsste, damit ich in eine andere Stimmung gelangen könnte. Ich war mies drauf. Als ich ankam, hatte mein Pferd eine Kolik. Und schon war ich anderer Stimmung. Vielleicht hätte ich konkreter werden sollen…

Oder den Blick aufs Glück richten, statt auf augenblickliche Löcher im emotionalen Käse zu starren. Am vergangenen Samstag, als ich meinen schwanzlosen Gassihund Ishta abholte, spürte ich, wie klein und leicht, fein und rein Glücksmomente sind. Vielleicht vergessen wir sie deshalb so schnell: Ishta wurde der Schwanz von Menschen abgebrannt. Trotzdem ist sie sanft und liebevoll. Da sie nicht mit dem Schwanz wedeln kann, wedelt ihr ganzer Körper, wenn ich komme. Wer mit Hunden ist, weiß, was ich meine: das ist Glück.

Dieses Bewusstsein am Samstag und die noch einmal gut ausgegangene Kolik vom letzten Montag beflügelten mich. Ich ließ meine Gedanken schweifen und überlegte, was alles im letzten Jahr Glück und/oder Dankbarkeit in mir ausgelöst hatte. Und mir fiel eine ganze Menge ein. Hier einige Beispiele:

Neulich wurde um halb vier nachmittags das zweitägige Seminar für den nächsten Morgen abgesagt. Ich war nicht enttäuscht. Seit wir unter den Einflüssen der Pandemie arbeiten, ist alles möglich. Das weiß ich. Womit ich aber wirklich nicht gerechnet hatte: ich bekam das volle Ausfallhonorar und fühlte mich tagelang wie eine Lottogewinnerin. Juhu. Das gibt es also auch.

Kurz davor hatte sich mein Mann auf eine Stelle beworben. Er bekam sie nicht und war sehr traurig. Zwei Wochen später bekam er einen Anruf und dort eine andere Position angeboten. Er hat ja gesagt und nach 30 Jahren seinen Arbeitgeber gewechselt. Mutig. Dafür bin ich dankbar und ich freue mich sehr für ihn (in der Hoffnung, dass unsere Gespräche am Küchentisch in Zukunft wieder unter einem glücklicheren Stern stehen).

Im September war ich froh, dass Mama ihre Operation gut überstanden hat. Die Regeneration kam so schnell und unverhofft wie die Krankheit ihr ans Leben wollte. Glück gehabt.

Im August habe ich durch einen irren Zufall, der fast schon keiner sein kann, meinen Gassifreund Lemmy samt Frauchen in einem Minidorf im Münsterland getroffen. Einfach so sind wir uns quasi über den Weg gelaufen. Ich war zu Tränen gerührt, hatte ich mich doch kurz vorher gefragt, ob ich Lemmy in diesem Hundeleben – er ist eine Deutsche Dogge und bei großen Hunden ist das Dasein kurz – noch einmal wiedersehen würde.

Etwa Juni dürfte es gewesen sein, als ich mit meinem Pferdchen immer mal wieder einer führenden Pferdebesitzerin über den Weg lief. Ihr Pferd hatte eine Sehnenerkrankung. Und immer, wenn wir uns zum grasen trafen, entstanden nette Gespräche. Seit einigen Wochen verabreden wir uns sonntags zum Ausreiten. Eine Freundschaft ist am Entstehen. Einfach so.

Im Mai wurde mein kaputter Fuß langsam wieder besser und ich konnte allmählich wieder schmerzfrei laufen. Was für eine Erleichterung!

Außerdem liefen die Geschäfte gut, ich habe reichlich Menschen in Präsenzseminaren gesehen und bin dabei – trotz Corona – gesund geblieben.

Natürlich gab es auch Unschönes. Ich denke nur an die fünf Tage Sommerurlaub bei 13 Grad und Regen. Oder an die Zeit danach, in der ich die Ferien daheim abbrach, weil uns wieder Seminarabsagen drohten.

Unter dem Strich denke ich, es geht immer darum, flexibel zu bleiben. Sich den Umständen bestmöglich anzupassen und fortwährend eine geeignete Haltung einzunehmen, wenn mal etwas verquer läuft.

In diesem Sinne, besinnlich, wünsche ich euch genau diesen Blick fürs Glück, vieles, für das ihr dankbar sein könnt und Kontrolle über eure Gedanken, denn die sind – wie wir wissen – Energie und locken vielleicht genau das an, das ihr befürchtet. Freut euch also auf ein geniales 2022 und genießt die Weihnachtstage mit euren Lieben. Oder in Liebe zu euch.

07.12.2021


Sprachlos

Mir fehlen die Worte. Ich beobachte, wie tagtäglich Kinder in die Schule sausen,– und sehe, wie traurige Weihnachtsbudenbesitzer ihr Hab und Gut abbauen, während im Fernsehen von rund 57.000 Fußballfans in Stadien berichtet wird. Dazu fällt mir einfach nichts mehr ein.

Ich weiß auch langsam nicht mehr, was ich noch entgegnen soll außer „Thuja“, wenn mir jemand völlig Uninformiertes von seinen diffusen Ängsten vorm Impfen berichtet. „Nein, kein Problem – du hast keine Impfnebenwirkungen, wenn du Thuja nimmst. Besorge es dir. Potenz egal.“ Neulich haben wir uns mit einer Bekannten unterhalten. Deren größte Befürchtung ist, dass sie im Infektionsfall keine Lohnfortzahlung erhalten könnte. Dass sie, als Raucherin, sich eigentlich vor dem Virus fürchten müsste, ist ihr nicht bewusst.

Bei uns im Reitstall sind zwei Pferdebesitzerinnen Pflegekräfte, von denen ich neulich erfuhr, sie würden im Falle einer Impflicht sofort kündigen. Sie möchten sich vom Staat nicht so bevormunden lassen. Das Geld im Rahmen einer monatelangen Arbeitslosigkeit aber wurde zumindest von der einen der beiden gerne genommen. Damals, als wir uns noch mit Problemen rumschlagen mussten, die wir heute nicht mehr haben. Beispielsweise, in welches Land wir wann fahren. Oder zu welcher Veranstaltung wir als nächstes gehen. Oder – in meinem Falle – was ich im nächsten Seminar anziehen werde. Heute ist es egal. Man sieht mich eh nur obenrum, zumindest in den meisten Fällen.

Egal ist überhaupt vieles geworden. Das ist mir an mir aufgefallen: es schmerzt kaum noch etwas. Vielleicht ist in den letzten Monaten auch weniger Negatives passiert, das mag sein. Aber ich merke, dass ich weder richtig traurig bin, wenn meine besten Freundinnen an meinem Geburtstag gleichzeitig erkranken (natürlich tat es mir für s i e leid), noch zucke ich richtig zusammen, wenn mal wieder ein Seminar abgesagt wird. Als ich erfuhr, dass am 1.1.2022 nur noch Tierärzte Homöopathika für veterinärmedizinische Einsatzzwecke verordnen dürfen, war ich bissl angefressen, weil mein Fernstudium damit für die Katz ist. Aber ich lasse mich vom Leben nicht mehr unterkriegen, weil es mir im Zweifelsfall egal ist, was wird. Tief in mir lebt ein Optimist, der irgendwie daran festhält, dass letztlich alles gut wird für mich. Vielleicht weiß ich einfach noch nicht, was das Beste ist. Das Schicksal wird´s schon richten. Ich bin mittlerweile so gut im Veratmen unliebsamer Themen und Ereignisse, dass ich neulich sogar belohnt wurde für meine kostbare Ressource: Pragmatismus. Eine spontane Seminarabsage wegen Corona (was sonst!) bescherte mir das komplette Ausfallhonorar. Fürs Geschehenlassen und Nichtzucken. Juhu! So werde ich weitermachen. Und wenn jemand von euch auch Lust hat, dahinzukommen: Jahresanfang ist immer ein guter Zeitpunkt für neue Vorsätze und bald ist es ja wieder so weit: Kommt ins Coaching!

23.11.2021


Gedanken zwischen Anfang und Ende

Ich habe gerade eine interessante Position im Leben. Zwischen Anfang und Ende. Der Schäferhund meiner Cousine wird morgen aus dem Leben gegangen, während eine Freundin gerade eine lange Fahrt auf sich nimmt, um ihren Welpen heim zu holen. Und so ist es im Prinzip dauernd. Mit allem.

Das Leben ist endlich und alles im Leben ist endlich, darauf habe ich ja hinreichend hingewiesen. Und ich friste im ständigen Bewusstsein dessen mein Dasein. Vor einigen Jahren hat mich deshalb einmal eine psychologische Psychotherapeutin als depressiv erklärt: ich hatte schon als Kind den Wunsch, einmal mit Pferd nach Hause zu reiten. Als ich dies dann vor einigen Jahren umsetzte und mit drei Haflingern vor der Türe meines Elternhauses stand, war ich einerseits happy, zeitgleich war mir bewusst, dass das auch das letzte Mal gewesen sein wird. Die Umstände will ich jetzt nicht erklären. Es war einfach die Wahrheit. Und die Psychofrau meinte: das ist depressives Gedankengut. Aber, mal ehrlich, ist es nicht einfach Realismus?

Wenn ich jetzt sehe, dass es um 17 Uhr dunkel wird und die Blätter unseren Garten in eine bunte Decke hüllen, dann weiß ich, dieser Sommer kommt nicht mehr. Das war´s. Und nicht nur für dieses Jahr, sondern überhaupt. D i e s e r Sommer ist passé. Auch gestern ist bereits vorbei. Und morgen wird vermutlich genauso flugs und ohne viel Aufhebens vorbei gegangen sein. Zu den Freundinnen, mit denen ich neulich essen war, sagte ich: „Und das ist es jetzt: wir freuen uns, wenn es Abend ist, wir den Tag geschafft haben?“ Ist das so im Herbst des Lebens? In mir wohnt noch immer ein junger Mensch, der mal spielerisch-ausgelassenes Kind, mal störrischer Teenie ist, auf ewig verbunden mit den 80er Jahren, wild at heart – maskiert mit alterndem Körper. Mein schönstes Kompliment in einem Workshop: „Du bist privat bestimmt eine coole Socke“. Das war nett gemeint, aber leider stimmt es nicht. Die Kraft reicht noch gerade so, um den Alltag zu bewältigen. Viel mehr ist einfach nicht mehr drin.

Irgendwas ist zu viel und irgendwas zu wenig, wenn wir aus dem Gleichgewicht und unserer Zufriedenheit kommen. Also denkt mal nach, wenn ihr euch angesprochen fühlt. Ich mache es auch und fange schon mal mit einem guten Vorsatz an: in der nächsten Woche hat Andi das Sagen – sie nimmt es locker mit Vergänglichkeit, Frust und Enttäuschungen auf und schreibt die Regeln neu (nein, jetzt nicht an die Always-Ultra-Werbung denken! Ich meine es ernst!).

 

01.11.2021


Das Zeit-Leistungs-Paradoxon

Ich halte demnächst analog – also in Präsenz – einen Workshop über Digital Detox. Vor Azubis. Tolle Idee. Mal sehen, was sie dazu sagen, dass sie nachweislich verblöden, wenn sie ihrem Hirn Langeweile vorenthalten und sich selbst in ihrem Tun ständig unterbrechen…

Ich rechne lieber mal nicht mit Begeisterung. Aber vielleicht säe ich ja einen Funken, der mehr Achtsamkeit entzündet. Eben genau deshalb, weil wir uns eine gesamtgesellschaftliche Verhaltensstörung antrainieren. Und die Prägung zu lediglich kurzen Aufmerksamkeitsspannen fängt schon immer früher an: ich werde es wohl nie verstehen, dass selbst pädagogisch versierte Eltern schon sehr jungen Kindern das Handy in die Hand drücken, damit sie darauf daddeln können. Vielleicht handelt es sich um eine subtile Entspannungstechnik: Gib dem Kind was zu tun, dann hast du deine Ruhe. Vorhin hat eine Mutter freimütig auf Antenne Bayern berichtet, dass sie ihrem Kleinkind, als dieses während der Autofahrt in einen hysterischen Anfall geriet und sich abschnallte, im eigenen Affekt eine Watschn verabreicht hat, um dem Zirkus ein Ende zu bereiten. Ist jetzt das eine (übrigens gesetzlich) verbotene Gewalt und das andere – das Handy – keine Gewalt, obwohl es nachweislich das Hirn verhundst?

Kann man sich ja mal darüber Gedanken machen.

Paradox ist allemal, dass die Technologie der Moderne so viel mehr Möglichkeiten bietet, das Zeit-/Leistungsverhältnis zu steigern. Sie tut es aber nicht, weil das Hirn seine Kapazität abbaut. Und mit genau diesem Hirnabbau bei uns und auch bei anderen, bekommen wir es dann zu tun. Jüngstes Beispiel: ich reite mit Stute aus dem Wald und mir schnellt ein kläffender Hund entgegen. Noch bevor mein verwundertes Pferd reagieren konnte, hatte ich bereits Bodenhaftung (ich kann unglaublich schnell absteigen, komme aber trotz täglicher Dehnungsübungen kaum mehr hoch). Das Frauchen war jung, apathisch und sehr weit weg. Also brüllte ich mal wieder schallend über die Flur, sie möge gefälligst den Hund zu sich rufen und dann anleinen. Es kam mit einigen Sekunden, in denen ich den Hund mit der Gerte auf Abstand hielt (lustig: er wollte mit mir spielen, aber ich musste ernst bleiben), eine Antwort, die da lautete: ich muss in die andere Richtung gehen, sonst kommt er nicht. Sie verschwand also hinter dem Wald und der Hund blieb bei mir. Logik lass nach. Vermutlich sind schon einige Gehirnwindungen adios.

Was aber vermeintlich auch der Logik entbehrt und irgendwie auch mit Hirn zu tun hat, ist die Tatsache, dass manche Menschen offenbar nicht zur Normalität zurück können. Ich rede jetzt von der Pandemie: Die Leitung einer Kindertagesstätte erzählte mir neulich, dem Team sei alles zu viel, obwohl es derzeit noch immer weit weniger stämmt als vor der Krise. Ich denke, hier steckt ein bisschen Parkinson´sches Gesetz drin, das besagt, dass sich Arbeit in dem Maße ausdehnt, wie Zeit zur Bewältigung zur Verfügung steht. Hat man also wenig(er) zu tun, braucht man dafür irgendwann die gleiche Zeit. Wenn das jetzt noch eine Weile so weitergeht, gute Nacht.

Zum Glück haben wir ja noch genügend im Kopf, um uns zu hinterfragen, auch mal zu überwinden, über uns hinauszuwachsen, Komfortzonen zu verlassen und uns neu zu justieren. Ich rede von unserem freien Willen zur Persönlichkeitsentwicklung. Sonst rennen wir alle irgendwann vor unseren Hunden weg und brechen, mit dem Stöpsel im Ohr oder dem Handy am schicken Halsband, unter der Last des normalen Lebens zusammen. Amen.

 

18.10.2021


Kinder, Kinder

Ich mag Kinder. Meistens. Alle zwei Wochen kommen zwei Mädchen mit zu meinem Pferd. Ich finde ihre unbekümmerte Art sehr inspirierend. Außerdem genieße ich den Nebeneffekt, dass ich – aus meiner Sorgfaltspflicht heraus – ganz im Hier und Jetzt bin, während die beiden Kleinen mit oder auf meinem Pferd sind. Oder auch mal drunter, was zum Glück nur selten vorkommt.

Ich bin erstaunt darüber, dass diese beiden Mädchen laut „Feeeeliiii“ rufend auf meine Diva zurennen und sie ihnen gnädig die Ehre erweist, sogar das Grasen aufhört und auf sie zugeht. Wenn sie gerade nicht grast, wiehert sie ihnen entgegen. Das ist das, was offene Herzen bewirken: wahre Freundlichkeit. Auch bin ich manchmal verblüfft über die Fragen, die sie mir stellen („warum pupst Fee, wenn ich ihr Bein hebe?“) und über ihre Reflektiertheit („Ich fühle mich bei Mami sicherer. Schließlich ist sie meine Mami“). Das ist sehr herzig.

Zwei kleine Jungs, die ab und an bei uns im Stall rumlaufen, sind auch zum Anbeißen niedlich. Wenn ich sage „sucht euch jetzt bitte einen anderen Spielplatz, hier kommt ein Pferd!“, dann sind sie sofort mitmachbereit, entgegenkommend und verständig. Das fällt mir auf und so macht es Spaß, mit Kindern zu sein. Natürlich sehe ich mir als Nächstes ihre Mütter an. Kein Wunder. Tolle Frauen – solche, die nicht nur hätscheln, sondern auch zu erziehen und zu leben wissen.

Und dann beobachte ich auch andere und anderes. Am Freitagmittag bin ich ins Büro gefahren, um noch ein paar Stündchen zu arbeiten. Meine freie Fahrt wurde jäh unterbrochen, als eine Fußgängerampel auf „rot“ schaltete. Davor parkende Autos versperrten mir einen Teil der Sicht, Menschen sah ich weit und breit aber keine. Beim Näherrollen allerdings bemerkte ich eine knieende Mutter neben einem etwa 18 Monate alten Kind, das mal eben gerade so auf seinen Beinen stehen konnte. Die Mutter auf Knien versuchte, dem Kind beizubringen, was eine Ampel ist und beim Signal Grün schlichen beide dann – Mutter geduckt, Kind mühevoll stolpernd – vor mir über die Straße. Gleich nach Ankunft auf der anderen Seite wurde die Fußgängerampel erneut gequält. Und der Autofahrer hinter mir. Ich war dann erstmal dran mit weg. Manche Mütter sind schon beeindruckend nicht in oder von dieser Welt und mit ihren Übungen ein bisschen frühreif, finde ich.

Wichtig ist es natürlich schon, die Verkehrszeichen verstehen und achten zu können. Vor allem, wenn man in der heutigen Kindheit ab etwa 5 Jahren regelmäßig seine Wochenenden in Einkaufszentren wie den Erlanger Arcaden oder dem Fürther Flair (neu und schön!) verbringen wird, die sich bekanntlich im Herzen der Städte befinden. Es gibt viele Ampeln auf dem Weg zu den Spielhallen und -höllen, die auf mannigfaltige, aber immer bunte und laute Weise verlocken, die Zeit zu vergessen und verleiten, das wahre Leben nie so richtig kennen zu lernen. Zumindest nicht als Kind. Ich habe Dutzende Mütter in Fürths Flair gesehen, die bei spätsommerlichen 25 Grad und Sonnenschein ihre leeren Kinderwägen und ihre noch wackelig laufenden Kleinkinder vor sich herschoben in den kunstbelichteten Shoppinghallen – schon jetzt im Spieltrieb-Training mit ultimativem Dopamin-Kick und, als ob das Hopsen auf illuminierten Bodenkacheln noch nicht gereicht hätte, noch mit der Kalorienbombe aus dem Waffel- oder Burgerladen hinterher.

Freilich frage ich mich, ob die Mütter das für sich machen oder für ihre Kinder: Wollen diese Mütter nach einer anstrengenden, vom Kind getakteten Woche endlich mal ihre Ruhe haben und die Kinder im Shoppingcenter sich selbst und anderen Kindern ähnlicher Mütter überlassen? Ist das Einkaufszentrum das, was früher einmal der Spielplatz oder der Wald war? Oder geschah das am vergangenen Samstag mangels Fürther Kerwa, die Covid-bedingt erneut verschoben wurde? Oder ist überhaupt Corona schuld an allem und vor allem auch daran, dass Mütter (und Väter oder sind die beim Shisha-Rauchen in der Kneipe ums Eck?) mit kleinen Kindern keine Spur von Natur mehr suchen? Oder liegt es an Fürth?

Keine Ahnung. Der Rest der Menschheit hockte jedenfalls an den Marktständen bei Aperol in der Nachmittagshitze. Und weil wir Kinderlose und Antialkoholiker weder mitspielen, noch mitsaufen konnten, haben wir das einzig Wahre gemacht: dem heimischen Einzelhandel geholfen. Schee war´s!

 

27.09.2021


Terror im Hirn?

Heute Morgen, es ist Montag, bin ich schon um 7 Uhr ins Büro gefahren. Am Verwaltungsgebäude in Uttenreuth lief mir eine junge Frau, geschätztes Alter 16, fast vors Auto. Sie trug neben einer Zahnspange auch Ohrstöpsel und war sichtlich in ein angeregtes Gespräch vertieft. Im Morgengrauen!

Da habe ich mir zwangsläufig einmal wieder die Frage gestellt, wie viele von uns es eigentlich noch aushalten, mit sich selbst beschäftigt zu sein. Also ich meine, so richtig bei sich, in sich, mittig. Ohne Facebook, Instagram, TikTok, Playlists und Blablabla. Ich weiß ja, dass das in der heutigen Zeit schwer ist, sich im Hier und Jetzt zu befinden. Bevor ich mich frage, was ich tun könnte, falls mir einmal langweilig ist, was es mir selten ist, schreibe ich einfach ein paar Whats Apps und warte auf Antworten. Das schafft fraglos Ablenkung. Ob ich damit wirklich Spuren hinterlasse – sowie in meinem Wochenende, als auch am Ende meiner Tage, das sei dahingestellt.

Gestern war ich am Nachmittag mit meinem Mann spazieren und wir trafen wieder – wie oft am Sonntag – eine Reiterin auf ihrem kugelbäuchigen Pony. Sie trabte auf uns zu und eine Spaziergängerin mit Riesenheadsets, keine Ahnung wie die Dinger wirklich heißen, mit denen man aussieht wie Mork vom Ork, wäre beinahe zum Crashtest-Dummy geworden. Sie hatte ja so gesehen keine Ohren und von Natur aus hinten keine Augen, aber das Pferd zum Glück vorne. Das war in diesem Falle sehr hilfreich, weil die Kapitänin des hoppelnden Hottehüs auch an diesem der vielen Sonntage aussah, als ob sie gleich den Boden küssen würde. Es kam dann noch kurz vor knapp zur Bremsung. Kann also auch von Vorteil sein, wenn man einfach nichts sieht und nichts hört, dann muss man sich auch nicht aufregen oder erschrecken über jedwede Umweltreize. Der Blutdruck bleibt auf Kurs, während das Pferd den seinen in der Diskussion mit dem Reiter noch sucht. Das ist schon auch gesund.

Ungeachtet dessen: ist es wirklich so erstrebenswert, ständig in einer Blase zu leben? Man erlebt die Welt wie von Sinnen, nur peripher und schemenhaft. Ist nicht wirklich Teil von ihr, weil man ja keinen Anteil hat. Nicht mit der Umgebung spricht (z. B. grüßt), das Surrounding nicht hört (z. B. ausweicht, wenn es wichtig wäre), nicht resonanzfähig und reaktionsträge ist (z. B. lächeln, helfen). Im Prinzip ist man gar nicht da und offenbar auch nicht dort, wo man lieber wäre (z. B. bei der Freundin, mit der man telefoniert) oder am Strand, den man gerade postet. Man hat nicht das Gesicht, das man in bearbeiteter Form als Facelift besser fände, den knallrot-schmolligen Kussmund, den ich total albern finde oder das Gewicht, das man auch ohne konsequentes Training und Veganfood hätte und frontal fotografiert offensichtlich eigentlich hat. Meine Friseurin erzählte am Freitag – sie begann zu sinnieren in Anbetracht meiner drei Haare -, dass immer mehr junge Frauen sehr viel (wahrscheinlich wenig vorhandenes) Geld für Extensions ausgeben. Um vorübergehend Haare zu haben, die nicht ihre sind, mit denen sie sich aber durchaus fähiger fühlen als sie sind. Ich war sprachlos: Hängt jetzt Selbstwert von teuren Haarteilen ab? Nicht mehr von Wissen, Persönlichkeitsentwicklung, Weiterbildung?

Obwohl – dieses Serum für die Wimpern werde ich jetzt auch probieren. Und wenn auch meine Wimpern wirklich so wachsen wie die der Tochter meiner Freundin und der Freundin, flechte ich mir Zöpfe, weil ich das am Kopf nicht kann. Endlich!

Spaß beiseite: Viele von uns werden scheinbar immer mehr zum Irgendwas im Irgendwo und sind nirgendwo mehr so richtig. Und schon gar nicht zufrieden mit sich und gerne mit sich alleine. Immer getrieben, umtriebig, triebhaft und ferngesteuert. Weil die Handy-Mania ja Glückshormone füttert, den Suchtmodus schürt und Fake-Realitäten im Hirn zur Daseins-Schablone macht.

Ich bin jedenfalls für Stöpsel raus, Augen auf, Nase in den Wind und mehr Me, Myself & I. Bleibt uns am Ende ja eh nichts anderes übrig…

13.09.2021


Dem Himmel so nah

Am Wochenende war ich im Münsterland zu einem Seminar. Es war eine ziemliche Gurkerei, bis ich endlich ankam. Über 500 km bin ich schon lange nicht mehr gefahren und seit Corona reicht mein Radius in der Regel eh nur von Zuhause nach Büro und anschließend nach Dormitz, wo mein Pferd wohnt. Aber ich wurde belohnt. Mit einem Wunder.

Am Freitag Abend angekommen, hatte ich das Dörflein im von uns aus gesehen Niemandsland schnell erkundet und umrundet. Die Gehsteige waren bereits hochgeklappt. Die Besitzer der einzigen Pizzeria im Ort waren sichtlich verwundert, mal einen Live-Gast zu haben, der seine ziemlich salzige Pizza an einem Tischlein vor der Türe verschlingen wollte. Und das, obwohl geimpft. Das Hotel war unterirdisch, ich habe noch nie so viel Schimmel in einem Bad gesehen. Und um den Wasserkocher aufzufüllen, musste ich den Duschkopf nehmen und um ihn anzuschließen, die Einrichtung neu arrangieren, sonst hätte das Kabel nicht gereicht. Ziemlich viel Aufwand also für eine 0,1 l-Tasse. In der von Stechmückenschwärmen geplagten, schlaflosen Nacht shoppte ich bei Amazon (die Pullover müssten eigentlich heute geliefert werden – mehr weiß ich nicht mehr, bin also gespannt auf die gekaufte Ware). Jedenfalls fasste ich hundsmüde am Samstag in der Frühe spontan den Entschluss, meiner Hundefreundin Sandra, nun ja leider samt langjährigem Gassifreund Lemmy wohnhaft in Hamburg, liebste Grüße aus Rosendahl zu schicken. Ich hätte es auch lassen können. Ich schreibe ihr nicht ständig, aber an diesem Morgen war mir eben danach. Und dann geschah das Wunder: wenig später, ich hatte gerade mein Auto vor dem Seminarhaus in Horstmar (wie, ihr wisst nicht, wo das ist?!) geparkt, erreichte mich eine Sprachnachricht: „…und jetzt halte dich fest: ich bin heute in Rosendahl und habe Lemmy dabei!“ Es stellte sich heraus, dass ihr Schwager in Rosendahl wohnt und am besagten Samstag ein Geschwistertreffen dort stattfinden sollte. Wir waren beide so begeistert wie sprachlos und Sandra, ihres Zeichens Zahnärztin, verrutschte spontan ihr verstandesgeprägtes Weltbild. Es gibt eben doch Dinge der unerklärlichen Art und bestimmt habt ihr so etwas auch schon erlebt. Ich schon lange nicht mehr, aber ich fühlte mich endlich wieder mittig, richtig und am Leben.

Am nächsten Tag, während der stundenlangen Heimfahrt, dachte ich intensiv an meine Schulfreundin Eva. Sicher könnt ihr euch denken, was als Nächstes geschah: sie schrieb mir innerhalb weniger Minuten nach dem Denken an sie und sie kommt nächstes Wochenende nach Erlangen. Ich finde das herrlich, diese Art von Verbundensein mit – ja, mit was? Der Welt? Dem Leben? Dem Universum? Aber eines muss ich jetzt schon auch: aufpassen, an wen und über was ich nachdenke. Am Ende passiert´s!

P.S.: Mit Lotto klappt das jetzt bald auch.

31.08.2021


Lebenslügen

Vor zwei Wochen schrieb ich hier von Urlaubsreife. Zwischenzeitlich war ich am Kochelsee bei strömendem Regen und bin in nebulösen Gefilden umeinander gewandert. Insofern bin ich nicht unfroh, wieder zuhause zu sein. Und zwischenzeitlich sogar schon wieder im Büro zu sein. Meinen Urlaub abgebrochen – das habe ich vorher noch nie gemacht…

Aber es war richtig so. Lieber bin ich im Büro und es gelingt mir, mich rückzuversichern, dass es da draußen – in den Homeoffices – noch Menschen gibt, die nicht nur willig sind Seminare abzusagen, sondern auch solche, die gerne welche buchen, als vergnüglich unterwegs. Ich kann nicht meinem lang gehegten Unternehmen beim Untergang zusehen und derweil daheim Zwetschgenkuchen backen. Es ist noch immer eine bewegte Zeit und in bewegten Zeiten sind flexible Taten nötig. Also übernehme ich meine Verantwortung, wenn ich auch lieber den nächsten Flieger nach Griechenland nehmen würde. Was soll´s. Ich habe neulich ein Schild hängen stehen, da stand drauf, dass das Leben regulär unsicher ist, nicht sicher. Alles andere sind Lebenslügen und ich finde, das stimmt. Wir sollten uns nicht, nur weil es komfortabel ist, in Sicherheit wähnen, wenn es doch nur mehr oder weniger Zufall (Schicksal? Karma? Göttliche Fügung?) ist, dass in einem Moment X gerade alles glatt läuft und nichts dazwischenfunkt.

Mit dem Dalai Lama möchte ich diesen denklastigen Augusttag im Büro beschließen, an dem ich alle beneide, die am Meer oder/und in Leichtigkeit oder/und unermesslich reich sind: „Es gib zwei Tage im Jahr, an denen du nichts tun kannst – das Gestern und das Morgen. Deshalb ist das Heute der richtige Tag um zu lieben, zu glauben, zu tun und vor allem zu leben.“

Also säe ich im Heute und hoffe, dass Corona die kosmischen Gesetze nicht gänzlich außer Kraft gesetzt hat. Wenn Actio nicht mehr gleich Reactio, hilft wirklich nur noch beten und jeden Abend mindestens ein Magnum.  

16.08.2021


Urlaubsreife erlangt

Heute früh lese ich in der Zeitung, dass Helge Schneider sein Strandkorb-Konzert in Augsburg abgeblasen hat und zwar mittendrin. Ich fand die Schlagzeile erst verwunderlich, stöberte im Hirnkasterl, ob ich irgendwas über eine Krankheit Schneiders gelesen hatte. Aber nein: er ist pumperlgesund, wahrscheinlich coronagenervt und einfach nur urlaubsreif.

Ich muss ihm unbedingt auf Facebook mein Mitgefühl bekunden. Denn ich bin ihm irgendwie nahe in dieser Zeit. Auch bei mir gab es kürzlich eine berufliche Begegnung, aus der ich hervorging (nach – wie immer – schlafloser Nacht) mit der Erkenntnis, dass man sich auch für Geld nicht alles gefallen lassen muss. Und mit zunehmender Urlaubsreife schon gar nicht. Vielleicht sind es aber auch diese Art Umstände, die dazu beitragen, dass man überhaupt urlaubsreif wird.

Schneider jedenfalls beschallte Menschen in Standkörben. Eine interessante Idee eigentlich, das unmaskierte Publikum in atmungsaktive 2er-Gebinde zu sortieren und es zum Stillsitzen zu verdonnern, was so ein Strandkorb nur auf den ersten Blick schön macht. Wenn der Popo da mal länger drin hockt und nicht übermäßig gepolstert ist, tut er sich schwer, weil weh. Aber ungeachtet des fehlenden Komforts finden Menschen es offenbar einfach herrlich, zumindest von der Gegenwart einiger Artgenossen in benachbarten Strandkörben zu ahnen und sich dabei für gutes Geld bewirten zu lassen. Genau das aber brachte den Schneider erst raus und dann in Rage: es liefen wohl während des ganzen Konzertes Servicekräfte vor seiner Nase rum, die den Rubel gastwirtschaftlich am Rollen halten sollten. Bis ihm dann die Hutschnur riss, weil er sich in seiner Konzentration gestört und in seiner oft aus dem Moment heraus geborenen Kreativität behindert fühlte.

Für jemanden, der nicht auf der Bühne steht, mag das nach divenhaftem Gezicke klingen. Aber ich kenne das und ich bin sicher, viele andere auch, die ihre Dienstleistung vor Publikum und mit Menschen erbringen. Wir sollten lächeln und quirlig sein, auch wenn wir Kopfschmerzen haben oder private Probleme. Wir müssen nett und charmant bleiben, auch dem gemeinsten Kritiker gegenüber. Wir sollen unterhalten und informieren, auch wenn wir manchmal Leute vor uns haben, die das Thema nicht im geringsten interessiert. Und all das geht unter dem Gebot der selbst gewählten professionellen Moral in den meisten Fällen routiniert, auch ohne Alkohol. Doch an manchen Tagen ist das Eis eben dünn – da fehlt nicht mehr viel, um das Lächeln zum Zähnefletschen werden zu lassen und den sarkastisch verschnörkelten Witz zur brottrockenen Wahrheit. Why not? Auch ein Helge darf mal nicht mehr können oder nicht mehr wollen, wobei die Grenzen manchmal fließend sind. Andere haben schon halbe Hotels zerschlagen und ihre Dödel nachts von Balkonen baumeln lassen. Also, was soll´s. Wer einen Helge besucht, der freut sich in der Regel auf das Verrückte und Unkalkulierbare, das Impulsive und Nonkonforme. Voíla! Einfach keine Tickets mehr in Corona-Pausen oder kurz vor August kaufen. Ich bin dann mal weg.

26.07.2021


Heilige Maria!!!

Ich habe am Wochenende das Upgrade der ZDF-Hitparade angeguckt und bin immer noch beeindruckt: Die Texte haben es mir offenbar nachhaltig angetan, ich kann vieles aus dem Stegreif noch immer mitsingen. Zum Beispiel „Santa Maria“, Insel wie aus Träumen geboren. Da entstehen emotionsgeschwängerte Bilder vor dem sehnsuchtsvollen inneren Auge. Von wunderschön, bis moralisch würg.

„Dort an ihren schneeweißen Stränden hielt ich ihre Jugend in den Händen“? Hoppla! „Sie war ein Kind der Sonne, schön wie ein erwachender Morgen. Stolz war ihr heißer Blick und tief in ihrem Inneren verborgen, brannte die Sehnsucht…lalala… vom Mädchen bis zur Frau“? Sag mal! Ist euch beim Hören der alten Ohrwürmer schon einmal aufgefallen, dass es in den allermeisten Liedern um die Paarung geht? Meist die der unverbindlichen Sorte, so wie in „Tanze Samba mit mir… Liebeliebeliebelei, morgen ist es vielleicht vorbei“ oder in „ein Bett im Kornfeld, was ist schon dabei – es ist Sommer und ich hab dir noch viel zu geben“. Peter Maffays Mutation vom Jungen zum Mann in jener Nacht mit der etwas älteren Dame ist da eher die Ausnahme, weil andersrum. Trotzdem wäre ich gerne mal in Roland Kaisers Armen gelegen, einst. Oder mit dem unglaublich schönen Jürgen Drews um die Häuser gezogen. Jetzt kann er kaum noch stehen. Und der Kaiser singt neuerdings von Selbstwertgefühl und dass nur wir Regie führen im Leben. Was zwar stimmt, aber im Vergleich zum Kontrollverlust in „Es geht schon wieder los, das darf ja wohl nicht wahr sein“ ziemlich großväterlich und langweilig ist. Und so sieht er auch aus, wenngleich freilich sehr sympathisch.

Und was ist mit uns, mit mir? Als ich Jule Neigel, die jetzt Julia heißt, wie einen wild gewordenen Derwisch die „Schatten an der Wand“ schmettern sah, fragte ich mich im Stillen, wohin meine Energie eigentlich verschwunden ist. Vor allem die nach 19 Uhr.

Muss das so sein, dass Älterwerden mit Lahmarschigkeit, Lustverlust und gelegentlichen Gelenkschmerzen garniert ist? Fahre ich bald auch nach Bad Füssing und lege mich in die Therme? Oder sollte ich mich lieber, wie Peggy March, planieren lassen, um wenigstens die Hülle nach dem Motto ´besser Püppchen als Ötzi´ in Schuss zu halten? Oder die momentane Phase wie in ´über sieben Brücken musst du gehen´ prophezeit betrachten – und an die eigene energetische Wiederauferstehung glauben?

Jetzt halte ich erst einmal einen Online-Vortrag in meinen gesichtslosen Computer hinein und irritiere meine Spiegelneuronen mit Kommunikation ohne Dialog. Dann denke ich an den nächsten digitalen Auftritt morgen und im Anschluss daran vielleicht weiter. Sofern der Akku dann noch langt. So geht das Tag für Tag und zwischendrin verfliegt die Zeit, bis ich vielleicht doch noch einmal voller Elan von vorne anfange. Wo? Na, am Blue Bayou!

12.07.2021


Lösen wir uns in Luft auf!

Die Auseinandersetzungsfähigkeit der Menschen ist suboptimal entwickelt. Statt zu reden, verschweigen wir lieber, was uns wirklich wurmt, fuchst oder irritiert. So kann es dann geschehen, dass aus nichtigem Grund Freundschaften, Partnerschaften, Ehen futsch gehen. Das Phänomen hat jetzt einen passenden Namen, der mir sehr gefällt: Ghosting.

Was ich aber noch mehr mag ist die Tatsache, dass wir uns, bevor wir uns in Luft auflösen, gar nicht mehr richtig kennen lernen müssen. Tinder sei Dank ist es ja heute im wahrsten Sinne des Wortes ein Kinderspiel, potenzielle PartnerInnen aufzutun: die Guten werden nach rechts gewischt, die Schlechten nach links (vielleicht auch andersrum, ich bin kein Insider). Wenn jetzt unter den Guten jemand ist, der interessant scheint, trifft man ihn im günstigsten Fall niemals. Im Worst Case datet man. Das meine ich jetzt genau so herum. Was man nämlich wissen muss ist, dass es über diesen geschmeidigen Online-Weg nicht nur ziemlich easy ist, jemanden zu finden, es ist auch – simsalabim – total leicht, ihn wieder aus dem Smart Phone und dem Leben zu löschen. Man entschwindet einfach, rührt sich nie mehr und tritt alle Kontaktdaten in die virtuelle Tonne.

Wenn man sich also auf diese Art Partnerschafts-Sale zu Dumping-Preisen einlässt, muss man sich klar sein, dass man selbst so enden kann wie mein rotes Kleid, das ich einst impulsiv unbedingt haben musste und definitiv zu selten trug, bevor es schließlich in der Altkleidersammlung sein viel zu frühes Ende fand. Auf Euphorie folgt eben selten was Solides. Natürlich könnte ich das rote Kleid auch kürzen, färben oder einer Freundin schenken. Aber das ist ja alles ziemlich anstrengend, deshalb entsorge ich es, wenn es mir lästig wird.

Mit Partnerschaften geht die konsumverwöhnte Welt heute ähnlich um: Ich sehe. Ich will daran glauben. Ich drehe durch vor Begeisterung. Ich sage „Ich liebe dich“. Plötzlich sondiere ich beim konsequent weiteren Rechtswischen jemand Besseren. Dem wende ich mich nun lieber zu als dem, den ich zu lieben glaubte. Ich entliebe mich spontan vom einen, verliebe mich Hals über Kopf in den Nächsten und wenn es doch nicht zu schön ist, um wahr zu sein, entwickle ich mich nicht weiter. Ich ziehe weiter.

Ich finde die antisoziale Strategie so zeitgemäß wie cool. Auch einige unsere GeschäftspartnerInnen sind – seit Corona und Home-Office – nur noch Geister und damit Schatten ihrer selbst, wenn man sie mit sich und früher vergleicht. Da sich Geister aber nicht im Spiegel sehen können, übernehme ich das gerne. Ich habe deshalb eine neue Strategie gegen Ghosting entwickelt. Ich lasse einfach nicht locker – und darin bin ich echt gut.  

18.06.2021


Nürnberg ist ein Schattendorf

Den Begriff habe ich neulich das erste Mal gehört: Schattendörfer sind Orte in den Bergen, auf die (im Winter) kein Sonnenlicht fällt, weil sie am Fuße von Bergen liegen. Auch Nürnberg ist – im übertragenen Sinne – so ein Ort. Zumindest scheinen einige Einwohner dort unterbelichtet.

Jetzt redet ja die ganze Welt über gebräuchliche Sprachneuerungen wie „divers“, das integrationspolitisch fragwürdige Sinti- und Roma-Schnitzel und so manche Apotheke mit seit 70 Jahren afroafrikanisch anmutendem Logo, dessen man sich ja heutzutage schämen muss, heißt jetzt sicherheitshalber noch wie sie ist. Also Apotheke. Wenn man in Seminaren nicht mindestens fünf Mal deutlich gemacht hat, dass man mit der männlichen Anrede alle vorhandenen Menschen meint, kann man ebenso einen auf die Mütze kriegen wie wenn man Geschichten aus dem Leben erzählt, die von südländischen Männern handeln, die es tatsächlich so gab. Auch hier kann es schon sein, dass der Vorwurf der Diskriminierung um die Ecke lauert.

Umso verwunderter war ich neulich, als ich in der Zeitung dies las: zu Beginn des Sommers, also gefühlt vor 3 Stunden, hat sich ein Fotograf der Nürnberger Nachrichten auf in die Fußgängerzone (fränggisch: Fussi) gemacht und Leute mit deren Zustimmung abgelichtet während diese den sonnigen Tag genossen. Unter vielen anderen war da ein sehr sympathisch und fröhlich wirkendes Paar mit dunkler Hautfarbe beim Eisschlecken zu sehen. Das Foto wurde von der NN online gestellt – und ging dann viral. Es muss furchtbare Kommentare auf sich gezogen haben. Hinterwäldlerische und wie oben bereits erwähnt unterbelichtete á la „Ausländer raus“, „sehen so die typischen Nürnberger aus?“, „genau – ihr esst Eis, während wir für euch arbeiten“. Bei diesem Pärchen handelte es sich übrigens um in Deutschland geborene Mitbürger, die, ob das jetzt jemandem passt oder nicht, halt mit der weit vorgeburtlich abgeschlossenen Ansiedlung ihrer Ahnen ihre Hautfarbe nicht loswurden.

Ich schäme mich. Ich bin zwar Erlangerin, aber trotzdem. Wie kommt man nur auf solche Gedanken und Worte? Sind die Menschen so unzufrieden mit sich, ihrem Leben, dass sie auf alles und jeden und bevorzugt argwöhnisch auf diejenigen lugen, denen es vermeintlich besser geht als ihnen selbst? Wenn die dann noch schwarze Haare oder dunkle Haut haben, prost Mahlzeit. Könnte ja sein, dass „die“ uns die Butter vom Brot fressen und auf Kosten unserer Steuergelder leben. Wahrscheinlich sind diejenigen, die solche Kommentare verfassen, gerade auf Hartz IV. Von wegen „unsere Steuergelder“ und so. Wie dem auch sei. In einer Welt, in der unsere Handybestandteile aus Afrika, unser Obst aus Spanien, unsere Autos aus Japan und unsere Klamotten aus Indonesien kommen, wo sie meist von Kindern und für einen Hungerlohn genäht werden, sollte es uns doch nicht erstaunen, dass auch da Menschen leben – Menschen, die hier und dort studieren, wohnen, leben oder das Beste aus ihrem Leben machen wollen. Wie wir auch.

Also gucken wir doch alle mehr auf uns selbst und unsere Möglichkeiten, oder? Manchmal muss man dazu auch die eigene Couch verlassen, was echt unbequem ist. Oder glaubt irgendjemand da draußen, dass es Spaß macht, in einem überfüllten Boot voller Flüchtlinge auf dem offenen Meer zu treiben, um dann irgendwo im politischen Niemandsland ein ungebilligtes und meist auch unwürdiges Dasein ohne Perspektive in absehbarer Zeit zu fristen?

Also macht was aus euch und eurem Leben, ihr da in den Schattendörfern dieser Welt! Was andere schaffen, das schafft ihr bestimmt auch. Wenn es anderen schlechter geht, geht es euch auch nicht automatisch besser. Also: raus aus der Komfortzone, rein in die „Komm-vor-Zone“!

14.06.2021


Das Schicksal ist (k)ein mieser Verräter

Diesmal fasse ich mich kurz: die Welt funktioniert nicht immer wie es uns gefällt. Wir müssen dringend Wege finden, das Leben zu verstehen. Und es zu nehmen wissen.

Alanis Morissette sang schon vor vielen Jahren von der Fliege im Chardonnay. War die Fliege am falschen Platz oder Alanis zur falschen Zeit vor Ort, war der Wein zu süffig oder die Wetterlage günstig für tieffliegendes Getier? Hatte eine höhere Macht das Sagen und war es vielleicht sogar, weil Alkohol ja ungesund ist, gut von ihr gemeint? Wir werden es wohl nie erfahren. Aber wir müssen uns dringend entscheiden, ob so etwas, genau wie der fette Vogelschiss Typ Riesen-Schwan auf unserer Windschutzscheibe eine Ironie des Schicksals ist. Oder eine simple Spielart des Lebens und infolgedessen ganz normal, i. S. v. kann vorkommen.

Wenn du für „Ironie des Schicksals“ votierst, wird das schlechte Wetter in deinem Urlaub, der festgepappte Blütenstaub auf dem frisch gestrichenen Esstisch oder das ausstehende Ergebnis des vor einer gefühlten Ewigkeit gemachten PCR-Tests, das du am heutigen Freitag für einen Job am Montag gebraucht hättest, als eher gegen dich gerichtet interpretieren.

Wenn du für „Spielart des Lebens“ bist, wirst du die miese Laune anderer Menschen, Auftragsabsagen, Pleiten, Pech und andere Pannen als ganz natürliche Möglichkeiten des Lebens betrachten. Und dich nicht weiter wundern.

Also hast nur du die Wahl: Mensch ärgere dich oder ärgere dich nicht. Ich sagte doch, ich fasse mich kurz.

04.06.2021


Von oben herab führt auch ein Weg

Seid ihr auch so sensitiv, wenn sich jemand euch gegenüber erhöht? Oft reicht es schon, wenn ein Erwachsener zu einem anderen Ausgewachsenen sagt, er sei stolz auf den anderen. Was ja gut gemeint sein könnte. Bedenke: wer auf dich stolz ist, steht (gedanklich oder auch faktisch in der Hierarchie) über dir! Ein anderer käme gar nicht auf die Idee, so ein gönnerhaftes Urteil zu äußern.

Bewertungen aller Art implizieren, dass einer vom anderen bewertet, beurteilt, manchmal auch verurteilt wird. Das gilt für Google-Bewertungen wie für Teilnehmer-Feedback. Doch in diesem speziellen Falle steht es den selbigen ja zu. Genau wie es mir als Seminardozentin zusteht, klugzuscheißen. Dennoch ist es mir ein Herzensanliegen, dass wir uns alle, in welchen Rollen auch immer, auf Augenhöhe begegnen. Es zumindest versuchen. Wie das auch mal schiefgehen kann, darüber habe ich nachgedacht, während mein Mann nichts ahnend Spargel schälte und es ihm seine neue Smart-Watch als „Rudern“ gutschrieb.

Auch ich wollte neulich, dass es jemand gut mit mir hat. Es waren zwei Pferde. Ungefragter Weise. Ich war wohl ganz und gar in Gedanken, als ich den Zaun zwischen den beiden Liebenden öffnete, die an diesem Morgen, ohne erkennbaren Grund, nicht zueinander durften, aber wollten. Die Besitzerinnen hatten nichts dagegen. Unsere Stallbetreiberin aber habe ich mit meinem Grenzübertritt in ihrer Cheffinnenehre gekränkt. Daraus habe ich geschlossen, dass ich niemals nicht wieder eigene Entscheidungen über fremdes Eigentum treffen werde und sei die Absicht noch so gut. Ich weiß gar nicht, was mich geritten hat, ehrlich. Ich bin einfach rein und habe gehandelt, wie fremdgesteuert. Nie im Leben habe ich in diesem Moment gedacht, dass sich jemand von mir „übergangen“ fühlen könnte. Und doch war es so. Weil die Grenzen zwischen „Dinge sehen und vorsorglich oder auch fürsorglich handeln“ und „Eindringen in Sachen, die mich nichts angehen“ total fließend sind. Der eine hätte sich bedankt, der andere zankt mit mir. Genau so war es auch, allerdings in einer Person morgens und abends, aber das ist eine andere Geschichte.

Mir ist wirklich bewusst geworden, wie schnell sich jemand herabgesetzt fühlen kann, auch wenn du es von Herzen gut gemeint hast. Unter diesem Aspekt kann ich es auch verstehen, dass neulich die Freundin einer Freundin tödlich beleidigt war, als diese von der anderen in Bezug auf ein handwerkliches Geschick hörte, das hätte sie ihr gar nicht zugetraut. Naja, tödlich ist vielleicht einen Tick zu viel der Reaktion und dem Auslöser nicht ganz angemessen. Aber da stecken vermutlich alte Triggerpunkte dahinter, wenn jemand so gar nicht mehr trennen kann zwischen der Absicht des Senders im Heute und der Erinnerung an den Sender im frühen Gestern (meist Kindheit).

Auf Facebook und in der Uttenreuth-Gruppe schrieb ich kürzlich zur fünften Gasthof-Werbung in Folge: „Jeden Tag Gasthof-Werbung“. Ganz ohne Wertung, Smilie, sonst etwas – schlicht als Faktum. Daraufhin schrieb mir ein anderer User, ich müsse Probleme haben, es ginge doch um leben und leben lassen – womit er genau genommen mich genauso wenig leben ließ, wie dieser noch nicht einmal in Uttenreuth befindliche Gasthof die arme Wildsau, die man kopfüber an einem Haken hängend auf einem Foto sah.

Der Fahrradfahrer, der sich in eben dieser Uttenreuth-Gruppe aufführte wie ein kleines Auto, weil die örtliche Fahrradbeauftragte (von deren Existenz bislang niemand wusste) ihm einen freundlich gemeinten Zettel ans Radl heftete mit dem Hinweis, er solle doch sein Gefährt in einen der vorgesehenen Ständer stellen, sonst kämen Passanten mit Rollator nicht mehr vorbei, hat sich offenbar auch bevormundet und somit erniedrigt gefühlt. Lappalie hin oder her, ich kann das schon irgendwie verstehen. Die Fahrradbeauftragte hatte mein Mitgefühl auch – sie hat ihren Job gemacht und in guter Absicht gehandelt.

Damit das für die arme Frau wenigstens irgendeinen Sinn macht, was ihr widerfuhr – es war wortgewaltig und es kam ordentlich Senf zusammen: Vielleicht sollten wir bei dieser Gelegenheit und aus meinem Anlass gleich alle mal darüber nachdenken, ob wir immer gleich beleidigt sein müssen, wenn wir zur Unterordnung und Anpassung aufgefordert werden. Das ist jedenfalls genau mein Ding. Also eben nicht. Aber fehlende Flexibilität mahnt die Seminardozentin in mir ja immer an. Also sollte doch wenigstens ich tun, was sie verlangt, oder?

20.05.2021


So viel Mensch!

Letzten Freitag hatte ich viel Kontakt. Das finde ich auch grundsätzlich gewinnbringend. Doch neben meinem geselligen Anteil wohnt in meiner Persönlichkeit auch noch ein Autist, der auf Reizüberflutung mit Verwirrung und Rückzug reagiert. Durch Corona ist es jetzt noch schlimmer geworden…

Wenn es um Zwischenmenschliches geht, bin ich ja eh so ein Korinthenkacker. Ich sehe genau hin, beobachte akribisch, nehme alles ernst und jedes Wort wörtlich. Das ist für andere bestimmt anstrengend, wird aber in meinem Job verlangt, weswegen ich mit meinen Fähigkeiten ganz sicher an der richtigen Stelle bin. Privat bin auch ich mit meinem dauerlaufenden Hirn manchmal überfordert. Coronabedingt kennt es jetzt keine Reizüberflutung mehr und reagiert übermäßig, also bei jedem Anlass quasi, mit der Ausschüttung von Stresshormonen. Es stünden als Strategien auch Flight oder Fight zur Verfügung. Stattdessen stelle ich mich täglich im Sessel um 21 Uhr tot.

Der besagte Tag begann mit einem Disput mit meiner Reitlehrerin, die ich noch als leidenschaftlich-laienhaft praktizierende Pferdeflüsterin und Tochter einer Freundin einer Freundin angeheuert habe und die das jetzt professionell betreibt. Sie zog vor Kurzem ins Niemandsland. Nun klärte sie mich darüber auf – der Kommunikationsprozess begann um 6 Uhr morgens und zog sich über ca. 10 Whats Apps –, dass ich, sofern ich individuell terminierte Stunden wollen würde, nun 20 Euro Anfahrtskosten zu berappen hätte. Ich habe innerlich geschnaubt, bin dann allerdings erst einmal joggen gegangen und habe danach entschieden: Ich gönne es ihr einfach von Herzen, deshalb gönne ich es auch mir ab und an, dass sie kommt. Aber kann ich etwas dafür, dass sie ihren Pferdetraum vom Hinterteil der Welt aus betreibt? Ich denke mir dann immer: würden Julia und ich so argumentieren und sprunghaft unsere Preise erhöhen, hätten wir wahrscheinlich keine Aufträge mehr. Weshalb wir unsere Preise nie erhöhen. Vielleicht sollten wir mal darüber nachdenken.

Später bin ich dann mit zwei kaputten Ledersachen zum Schuster im Neuen Markt in Erlangen. Selten, vielleicht sogar nie, wurde ich so freundlich und wie von Freunden begrüßt. Ich war irritiert. Die beiden Handwerker waren nahezu außer sich vor Glück, als sie meinen Reitschuh mit offener Kinnlade (sieht aus, als könnte er sprechen) sahen und meine ausgerissene Pferdetrense (ich musste zwar „Trense“ für den Abholzettel buchstabieren, bin aber guter Hoffnung, dass sie prima repariert wird).

Anschließend war ich beim Friseur. Ich hatte Glück. Die Inzidenzwerte liegen in Erlangen gerade günstig, so dass ich ohne Schnelltest hinkonnte, was meinem gerade viel zu hohem Tempo und meinen viel zu vollen Tagen zugutekommt. Ich finde meine Friseurin, eine Italienerin, die ihren Babyspeck auch gerne mal nabelfrei zur Schau trägt und eine Mähne hat, von der ich nur träumen kann, echt Bombe. Selbst aus meinen bescheidenen Flusen holt sie noch was raus. Was mir dort aber schon immer aufgefallen ist: mit Kunden können sie einfach nicht. Entweder man bekommt intimste Privaterlebnisse mitgeteilt und wird investigativ ausgefragt oder man sitzt befangen auf dem Stuhl, lächelt sich höflich im Spiegel an und ist froh, wenn es vorbei ist (weil man sich mit den drei Haaren auf der Birne nicht ständig anglotzen will). Meine Friseurin ist mal so, mal so. Am Freitag begrüßte sie mich, während sie am Handy telefonierte und informierte die Person am anderen Ende der Leitung darüber, dass sie bei mir „nur kurz Farbe auftragen müsse“, was aber ganz schnell gehen würde, und dann könne sie sofort loslaufen. Ich fragte mich natürlich sofort, wohin sie denn gehen und ob sie pünktlich zurückkehren würde. Sie fragte ich nicht, es gehört sich schließlich nicht, Telefonaten zu lauschen. Ich hatte nämlich direkt nach dem Aufhübschen noch Galeria gebucht und freute mich nach dem morgendlichen Clicken schon auf das Meeten am späten Nachmittag.

Sie kam jedenfalls mit Pizzakarton wieder, ging dann noch eine rauchen und machte dann ziemlich wortkarg weiter an mir rum. Ich hatte keine Lust auf die üblichen 5 Euro Trinkgeld. Ich gab nur 2. Dafür werde ich für einen Gnadenhof für ausgediente Zirkustiere spenden.

Jedenfalls kam ich pünktlich zu Galeria Kaufhof und stellte fest, dass so ein „Buch & Besuch“ auf mein Hirn wirkt wie auf andere der Lockdown in Bezug auf Klopapier: ich rannte wie eine Irre durch alle Etagen. Die Joggingschuhe, die ich eigentlich brauche, konnte ich weder suchen, noch kaufen, weil ich meine Einlagen zuhause vergessen hatte. Das mit der kaputten Trense und dem Reitschuh hatte mich schon über eine Woche in Anspruch genommen, gedanklich – mehrere Post-its sollten gegen das Vergessen wirken. Was ja auch funktioniert hat. Dem fielen dann die Einlagen zum Opfer. Jedenfalls kaufte ich alles Mögliche. Es war ein bisschen, als ob es kein Morgen gibt und man weiß ja seit über einem Jahr wirklich nie genau, was die nächsten Tage bringen, shoppingtechnisch. Das Einkaufserlebnis selbst war… mal was anderes im Vergleich zum Alltag. Trotzdem wirkt alles ziemlich ausgedünnt. Inklusive Personaldecke. Für alle Etagen und alle Kunden stand eine Kasse zur Verfügung mit einer Person. Daneben befanden sich noch weitere vier Kassen, vor denen sich die Schilder „Wegen Inventur geschlossen“ und „Vorübergehend nicht besetzt“ abwechselten. Ich habe kurz überlegt, ob ich das fotografieren soll. Die also eine Kasse wirkte als Engpass beim rechtzeitigen Verlassen des Hauses (ich hatte als Zeitfenster eine Stunde). Mir wurde warm. Etwa 10 Kunden vor mir und nichts ging vorwärts, weil eine ältere Dame einen Regenschirm umtauschen wollte, von dem sie vorgestern das Preisschild abgeschnitten hatte, weil sie dachte, dass es regnen würde. Da es aber nicht geregnet hatte, wollte sie den Schirm jetzt wieder zurückgeben. Ich dachte, mich tritt ein Pferd. Die Verkäuferin lächelte geduldig, während ich ungeduldig einer anderen, die gerade Ware auspackte, zurief, ob das wirklich die e i n z i g e Kasse im ganzen Haus sei. Auch diese Verkäuferin nickte geduldig. Oder war es apathisch? Ist auch ihr Hirn am Anschlag?

Das war ich dann zuhause auch: Ich bin einfach nichts mehr gewohnt und zu viel Mensch ist gar nicht so einfach verkraftbar, wenn er sich regt, also entweder spricht oder sonstwie verhält, was er ja meistens tut. Weitere T-Shirts (und vielleicht auch Shopping-Trips) brauche ich jedenfalls für diesen Sommer keine. Wenigstens erwartete mich als ich heimkam ein warmes Abendessen vor dem Sessel-Knock-Down. Das ist mein täglicher Anker. Kalkulierbar, kalorienreich und mit kommunikativem Gegenüber Mann. Was soll nur nach Corona aus mir werden? Eine futternde Couch-Potato?

10.05.2021


Unschöne neue Welt

Die armen Inder! Pro Tag weit über 300.000 Neuinfektionen und Sauerstoff Mangelware. Schrecklich. Furchtbar ist auch, dass dieses Monstervirus keine Grenzen zu kennen scheint. Eine Katastrophe ohne Ende also! Das Virus ist in Sachen Flexibilität einfach unschlagbar. Wir noch nicht so…

Während wir also gerade am Telefon von einem Auftraggeber gefragt werden, wie lange unserer Meinung nach Online-Seminare noch notwendig sein werden (für immer?) und wann Teilnehmende verstehen werden, dass Fortbildung und Schule eben nicht anders als digital möglich sind (so schlimm?), fehlt anderswo schlicht die Luft zum Atmen. Während mir gerade eine Gesprächspartnerin berichtet, dass der Ausgleich und die Abwechslung fehlen, haben andere Menschen einfach nur das Überleben im Sinn. Und während ich mich frage, in welcher Zeit ich eigentlich lebe und Julia sich fragt, aus welchem Endzeitfilm die Nachrichten stammen, kippt sich der verzweifelte Gastronom vielleicht allabendlich sein übrig gebliebenes Bier hinter die Binde und steht der begnadete Künstler mit seinen Siebensachen bei Hartz IV an.

Es ist eine irre Zeit und am besten, man kehrt seine Wahrnehmung nur noch nach innen, lässt das Leben außen rum fließen und die Dinge, auf die man sowieso keinen Einfluss hat, laufen, wohin sie mögen. Und während ich mich am Wochenende wieder mit der Luxusfrage beschäftigte, ob ich mir – mangels Reisemöglichkeit – einfach ein Iglu-Zelt kaufen und mich auf dem Fußweg zum nächstbesten Bachbett (ersetzt Meeresrauschen) aufmachen sollte (mein Mann sah mich nur irritiert an), lese ich in der Zeitung, dass ein Klient verstorben ist. Ohne Covid, aber mit Krebs und erst Mitte 50. Was ich sehr traurig finde.

Deshalb lasse ich heute mal die Kirche im Dorf und alle Fünfe gerade sein. Schlimmer geht immer. Auch für dich und mich. Schätzen wir einfach, was wir haben und finden uns mit dieser neuen Welt zurecht. Was auch kommen mag: solange wir gesund sind, wird uns schon irgendetwas einfallen, um uns bei Laune zu halten. Fangen wir jeden Tag mit einem Lächeln an und lassen ihn am Ende einen guten geworden sein!

26.04.2021


Gedanken zur Zeit

Ich nehme das ganze Wochenende an einem Online-Seminar teil. Ich sitze folglich im Büro, weil hier das Internet stabiler läuft und sehe der Sonne von innen beim Scheinen zu. Umso mehr genieße ich das morgendliche Duschen in der Natur beim Walken und Fahrradfahren. Was ich sehe? Wahnsinn!

Ich sehe sprießende Bäume und aufgehende Blüten an Schlehenbüschen. Außerdem tief fliegende Spatzen, die sich lautstark verfolgen in der Luft. Und das Flüsschen Schwabach, das sich gurgelnd und schäumend entlang des Weges schlängelt. Nichts Aufregendes, nein. Trotzdem ist es enorm gut zu erkennen wie unerschütterlich die Natur dem Krisenmodus die Stirn bietet. So sehe ich das auch: weitermachen, sich nicht aufhalten oder abbringen lassen – vielleicht mal etwas Neues wagen, etwas bislang Unentdecktes probieren, aussäen, damit wir später ernten könnten. Und sei es, von dem Wissen um unsere Belastbarkeit, unsere Resilienz.

Was mir also eine frische Morgendusche im Grünen taugt – und auch das sehe ich – ist für andere Menschen, ja, was eigentlich? Da geht jemand mit seinem Hund Gassi, der mir direkt vor die Füße läuft. Der Hund und ich, wir sehen uns erfreut an. Das Herrchen starrt in sein Handy, er nimmt unsere Begegnung nicht wahr. Dort hat jemand seinen schwarzen Hoody tief ins Gesicht gezogen, aber der Sehschlitz reicht für das Handy vor der Nase. Er läuft durch den Wiesengrund, er könnte auch anderswo laufen, überall. Es wäre egal, weil es ihm wurscht ist. Auf der anderen Straßenseite sitzt jemand mit Kaffee und Zigarette vor der Türe, mit Handy. Er erschrickt als ich grüße. Andere fallen mir heute Morgen kaum auf, weil es sie so gut wie nicht mehr gibt: Leute wie vielleicht dich und mich, die einfach nur Monotasking betreiben, also entweder Fahrradfahren oder telefonieren. Oder Walken oder Chatten.

Ich verstehe so vieles nicht. Aber ich lerne. Auch über mich: vor etwa einem Jahr bekam ich die erste Online-Seminar-Anfrage und saß – das meine ich ernst – heulend vor der Bürotüre (ohne Handy), starrte in den Himmel und fragte mich, warum dieses Los nun ausgerechnet mich Technik-Muffel treffen musste. Jetzt, also nicht so lange später, kann ich mir mein Sein ohne Online-Seminare kaum mehr vorstellen. Ich freue mich, dass es so einfach ist, an einer Fortbildung teilzunehmen oder einen Workshop abzuhalten – egal, welches Virus da draußen tobt. Leider sehen das andere anders: es gibt noch immer Teilnehmende, die absagen, wenn sie erfahren, dass eine Fortbildung online stattfinden muss. Komisch. Ist doch besser als nichts, oder? Hat doch auch was mit Anpassungsfähigkeit und Flexibilität zu tun. Zwei essentielle menschliche Eigenschaften, wenn wir überleben wollen in dieser Zeit.

Dennoch hat die Technik natürlich auch ihre Tücken. Damit meine ich jetzt nicht, dass regelmäßig in egal welchem Seminar hier die Kamera nicht geht und dort das Mikro nicht funktioniert. Die Technik macht uns träge. Wir wollen auf nichts verzichten, aber immer weniger dafür tun. Wir wollen Kontakte pflegen, greifen aber kaum mehr zum Telefon oder treffen uns. Wir wollen Wissen erwerben, aber keine Bücher mehr wälzen. Wir möchten Geld verdienen, aber dafür am liebsten nirgends mehr hinfahren oder uns schön kleiden müssen. Wir haben Lust, ferne Länder zu sehen, aber keine, uns lange mit diesen Ländern zu beschäftigen. Schon gar nicht mit deren Krisen.

Wir leben in einer komischen Zeit, finde ich. Und ich finde mich fast täglich bestätigt. Alles scheint so bipolar geworden zu sein. Wir trennen uns voneinander, statt uns zu einen. Die Menschen sind entweder zufrieden oder totunglücklich, eingebunden oder einsam, beschäftigt oder arbeitslos, flexibel oder starr, loslassend oder festhaltend, mit der Zeit gehend oder vom alten Schlag, tolerant oder verbissen.

Ein bisschen mehr Mitte wäre schön und gut für uns alle. Aber die ist wahrscheinlich das am Schwersten erhältliche Gut gerade. Sei es drum. Die Gedanken sind frei.

12.04.2021


Wer spielt, gewinnt!

Bin ich denn die Einzige, die mit Schlafschaf im Bett liegt? Nein, bin ich nicht! Viele Hochbetagte stillen ihre kindlichen Kuschelbedürfnisse mit lenorweichen Seelentröstern. Deshalb komme ich mir auch gar nicht komisch vor. Seltsam und absolut nicht ratsam ist es vielmehr, wenn man das Kindliche verliert.

Was bleibt uns denn noch in dieser Zeit, wenn wir nicht mehr unsere Träume leben und unsere Macken pflegen können? Ganz genau: Es wird alles viel zu ernst. Und daraus wird meist nichts Gescheites. Höchstens Trauer oder Wut. Deshalb nehme ich es mir heraus, Bauklötze zu staunen, wann immer ich kann. Freilich hat man nicht täglich Gelegenheit dazu, die ollen Kamellen aus dem Kanzleramt, die uns allabendlich in der Tagesschau als News verkauft werden, einmal außenvorgelassen. Doch heute hat tatsächlich der erste Zitronenfalter meinen Weg gekreuzt. Gestern hat mich ein Amselerich mit seinem kecken Paarungstanz fasziniert. Vorgestern habe ich mich selbst begeistert, als ich mit verloren geglaubtem Rezept vom Gynäkologen von vor zwei Jahren beim Orthopädischen Einlagenbauer im Hier und Heute stand, während sich das gefragte Rezept in Luft aufgelöst zu haben scheint. Und am Sonntag hat mich mein Niedrigenergiepferd damit überrascht, dass es während einer Kinderreitstunde sein eingekreuztes Araberblut in höchste Wallung brachte. Diesmal staunten die Kinder Bauklötze. Mein inneres Kind kreischte vor… na, nennen wir es: Hysterie.

Jedenfalls gibt es ständig was, über das man sich wundern kann. Ich meine jetzt nicht die mit einem Schlag zu eng gewordene Jeans. Die war absehbar. Und das Schöne ist, dass all meine Thesen zum Thema „lieber durchgedreht als langweilig“ jetzt von wissenschaftlicher Seite ihre Bestätigung fanden: Wie einschlägige Experten in der „Social and Personality Psychology Compass" berichten, zeigen Studien, dass Verspieltheit bei Erwachsenen zu mehr Freude, Wohlbefinden und auch Glück in der Liebe beitragen kann. Mit Verspieltheit ist an dieser Stelle gemeint, dass die damit begabten Menschen in der Lage sind, alltägliche Situationen so zu gestalten, dass sie „als unterhaltsam, intellektuell anregend oder persönlich interessant wahrgenommen werden“.

Deshalb empfehle ich euch folgendes Experiment: Überlegt euch einmal, was euch alles einfallen will, wenn ihr die gegenwärtige Situation, euer Leben, mit den Augen eines Kindes sehen und aus dieser Sicht gestalten könntet: würdet ihr aus euren Frühstücksfrüchtchen Gesichter legen, statt früh duschen zu gehen in der Badewanne plantschen, während des Walkens den ein oder anderen Hüpfer hinlegen, rückwärts laufen, die Zeit beim Fotografieren des Sonnenaufgangs vergessen, jeden dahergelaufenen Hund bestreicheln, den hämmernden Specht in den Baumkronen suchen, euer schönstes Kleid im Homeoffice tragen, jeden Fingernagel anders lackieren, mittags Pommes rotweiß vernaschen, mit High-Heels den Küchenboden wischen, bei Amazon eine Modellrennbahn kaufen, ein Pferdepuzzle puzzeln, mal wieder Mohrenkopfbrötchen futtern (DIES IST KEIN RASSISMUS, das hieß früher so), am Abend alle Flipperfolgen glotzen und wenn es schon dunkel ist, den netten Nachbarn heimlich was Nettes vor die Türe stellen (und euch auf keinen Fall am nächsten Tag verraten)?

Es hält euch nichts ab! Seid doch einfach mal sinnvoll nutzlos und bloß nicht der Meinung, der Spaß findet nur auf Mallorca statt. Wer sich hier langweilt, der tut es dort auch. Vielleicht ist derjenige im Anschluss etwas brauner als wir, aber dafür wird er vermutlich gesellschaftlich gedisst und muss – wieder zuhause – seine frische Farbe übertünchen. Am besten, kreativ. Womit wir wieder beim Clown wären. Wagt es! Ihr werdet gewinnen.

24.03.2021


Wie wichtig sind wir eigentlich?

Es geht jetzt immer mehr ums Impfen. Seid ihr schon registriert? Oder meint ihr, das hat eh noch keinen Sinn, weil ja keine Systemrelevanz gegeben ist? So weit ist es also gekommen: von der infiltrierten Gleichheit der Menschen erzieht man uns jetzt um zur Zweiklassengesellschaft. Haben wir „C“ zu verdanken. Wem sonst.

Also ich finde ja diesen Begriff „Systemrelevanz“ fragwürdig. Den gab es in meinem Wortschatz bis vor einem Jahr so nicht. Und mehr noch. Ich wusste gar nicht, dass es in unserer Gesellschaft wichtige und weniger wichtige Berufsgruppen gibt. Ganz ehrlich. Für mich ist jeder Job bedeutsam und alles, womit wir unseren Lebensunterhalt verdienen, hat seine Daseinsberechtigung. Ich gehöre eher zu der Sorte, die sich immer mal wieder fragt, wie es zu diesen immensen Unterschieden in den Löhnen und Gehältern kommen kann. Im Grunde stellen wir doch alle unsere Lebenszeit zur Verfügung. Wie kann Lebenszeit aber so unterschiedlich bewertet werden, dass ein Mensch, der acht Stunden täglich im Schneegestöber oder bei 36 Grad im Schatten körperlich arbeitet, das verdient, was bei einem Konzern-Manager auf der mittleren Führungsebene die Leasingrate seiner fahrbaren Untersätze ausmacht? Und kommt mir jetzt bitte nicht mit „mehr Verantwortung“! Wenn sich jemand aus Bereich 1 etwas zu Schulden kommen lässt, sitzt er vermutlich auf der Straße anstatt auf ihr zu arbeiten. Im Bereich 2 bekommt er eine Abfindung, die unsereins für ein ganzes Leben langen würde.

Ich bleibe dabei: ich verstehe es nicht. Und ich möchte kein Mensch zweiter Klasse sein, bloß, weil ich nicht i n einem Krankenhaus arbeite, sondern öfter mal f ü r ein Krankenhaus. Wer systemrelevant ist, der hat auch irgendwie Glück gehabt in der Corona-Zeit. Es ist ja alles eine Frage der Perspektive: die Systemrelevanten durften meist in der ganzen Zeit ihren Job weitermachen, mehr oder weniger normal. Wir nicht. Die Systemrelevanten haben in vielen Fällen vom Staat auch noch einen Extrabonus bekommen, während Kleinunternehmer und Selbstständige oft noch immer auf die finanziellen Unterstützungen warten. Und die Systemrelevanten werden früher geimpft – was in vielen systemrelevanten Bereichen ja aufgrund der fortwährenden Infektionsrisiken durch Kontakt mit Menschen berechtigt ist. Wir müssen warten. Das heißt dann auch, dass die Systemrelevanten sehr wahrscheinlich früher als wir Rest wieder ihre Grundrechte ausleben dürfen. Darunter das Recht der Freizügigkeit. Wir bleiben daheim.

Manche Unrelevante werden so gesehen in mannigfaltiger Weise dafür büßen, dass sie ihr Leben komplett aus eigener Initiative und Kraft bestreiten wollten, ohne doppelten Boden und staatliche Absicherung, dafür aber mit Steuern satt. Und es ist ja nicht so, dass jeder selbstständige Beruf automatisch die Möglichkeit eröffnet, ein Vermögen zu machen. Oft verkaufen wir Selbstständige einfach nur unsere Lebenszeit, unseren Einsatz in Zeiteinheiten. Den kann man schlecht verzigfachen. Und nachts schlafen müssen wir ja trotzdem.

Jetzt sind wir also gefordert, unser Licht nicht unter den Scheffel zu stellen: Ich bin wichtig. Du bist wichtig. Wir alle sind wichtig. Jeder auf seine Weise. Das macht jetzt zwar nichts mit der Impfreihenfolge, aber mit meiner Einstellung. Und die, finde ich, ist total systemrelevant.

02.03.2021


Leben will gelernt sein

Jetzt ist es so weit: in Erlangen macht das Traditionsschuhhaus Mengin dicht und heute stand in der Zeitung, dass die Erlanger Arcaden erwartungsgemäß Mieterverluste verzeichnen. Bleibt die Frage, was vom Leben wie wir es kannten und liebten postpandemisch noch übrigbleiben wird. Und was wir dann überhaupt noch brauchen.

Wenn mir jemand vor einem Jahr erzählt hätte, dass ich fast ein ganzes Jahr ohne Schaufensterbummel und Café in der City verbringen werde, meine Haare selber schneide, das Highlight des Tages Milka Noisette sein wird und der Dechsendorfer Weiher kurz vor Hessdorf zu meinem Alternativ-Ozean wird, hätte ich vermutlich für dessen Einweisung ins Bezirksklinikum plädiert. Freilich ist es so schlimm auch wieder nicht, weil es jetzt ja auch impfgestützt rauswärts geht. Davon gehen wir jetzt einfach mal aus. Wenn wir dann aber doch wissen, was wir alles entbehren und sogar zu unserer Zufriedenheit gestalten können und was wir demnach gar nicht brauchen, was werden wir dann in Zukunft noch wollen?

Womöglich sind wir im Sommer so bedürfnisgestutzt, dass wir uns weiterhin an die Ausgangssperre und Kontaktbeschränkung halten. Wer braucht schon Corona, um sich auf das Wesentliche zu reduzieren? Wer will Freunde, wenn er sich selbst hat? Ein Konzert, wenn es doch das Autoradio gibt? Und Urlaub am Meer, wenn es doch den Dechsendorfer Weiher gibt? Ich kann das jetzt alles und es sogar schön finden. Gemütlich irgendwie. Beschaulich. Nur ohne mein Schlafschaf Dolly könnte ich nicht mehr. Sie spendet Nähe ohne Ansteckungsgefahr, hört zu, ohne zu diskutieren, kuschelt ohne Gegenleistung, erfreut mich permanent auf herkömmliche Weise und leidet nicht an Ausfallerscheinungen wie manchmal Webex, Zoom und MS TEAMS.

Einige Menschen erzählen mir, dass sie sich „in ihrer Blase“ aufgehoben und wohl fühlen. Vielleicht ein bisschen lethargisch und matt, aber doch sicher. Nur außer der erwarteten Reihe darf nicht viel passieren. Schnell liegen die Nerven blank, Aggression schlummert unter der von einem müden Lächeln gedeckelten Oberfläche oder/und die Frustrationsschwelle ist schmerzhaft niedrig.

Innerlich auf Krawall gebürstet und äußerlich die Ruhe selbst warten wir so dahin zwischen dem Müsli am Morgen und der Milka am Abend. Wir bangen nicht mehr und vielleicht haben wir die Hoffnung verloren, um nur ja nicht enttäuscht zu werden von sprunghaften Inzidenzwerten oder überrascht von mysteriösen Mutanten aus aller Herren Ländern – Worte übrigens, die wir vorher so nicht hatten. Genauso wie „Flockdown“.

Ich finde, alles in allem können wir dankbar und stolz sein, dass wir das alle so stemmen. Jeder auf seine Weise. Die einen allein daheim, seit Monaten im Homeoffice und einsam. Die anderen daheim im Chaos mit schlechter Internet-Verbindung, wenig Raum und Kindern, die in vielen Belangen ziemlich zügig erwachsen sein müssen. Selbstständige, weil sie immer noch nach Geld vom Staat dürsten und derweil Verwandte anpumpen, um weiterhin ihren Kühlschrank füllen zu können. Angestellte, weil ihr Job in Gefahr ist und damit auch Haus und Hof. Menschen wie du und ich, weil sie Väter und Mütter und vielleicht Töchter und Söhne verloren haben, an oder mit Corona.

Sicherlich ist es eine gute Idee, wenigstens einmal pro Woche Bilanz zu ziehen und sich alles aufzuzählen, wofür man sich glücklich schätzen kann. Und sich zu überlegen, was man nach dieser Krise gelernt haben wird über sich und das Leben. Ich glaube, die Chancen wachsen am Wegesrand, manchmal müssen wir nur einfach noch ein Stück weitergehen, um sie zu sichten und zu pflücken. In diesem Sinne: bleibt lebhaft und gebt jetzt nicht auf!

17.02.2021


Ist Duschgel diskriminierend?

Letztens wurde ich nach einem Vortrag der Diskriminierung bezichtigt. Ich war überrascht, denn ich meinte natürlich nicht, was der Botschaftsempfänger zu hören glaubte. Doch ungeachtet dessen, was meine Wahrheit ist, halte ich seitdem meine diesbezüglichen Ohren und Augen natürlich offen.

Ich finde, man darf unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob eine Mohrenapotheke aufgrund der wertzuschätzenden Existenz dunkelhäutiger Menschen umgetauft werden muss oder ob ein Zigeunerschnitzel namentlich Volksverhetzung und von daher zu verschmähen ist. Diese Meinung kann ich auch jedem lassen. Der eigentliche Kern ist ja hier nicht die Namensgebung, es geht um die Haltung, die wir gegenüber verschiedenen Kulturen, Religionen, Hautfarben und Herkünften (ich traue mich schon gar nicht, „Rassen“ zu schreiben, weil schon der Begriff diskriminierend klingt) sowie sexuellen Orientierungen haben. Dahingehend wasche ich meine Hände in Unschuld. Jeder darf herkommen, wo er eben herkommt und sein, was er darstellen will, so lange er dabei nicht unsere Gesetze und die Persönlichkeitsrechte anderer Menschen touchiert.

In einem Vortrag neulich habe ich ein Beispiel von Teammitgliedern eines produzierenden Gewerbes feilgeboten, weil es half, den Inhalt zu transportieren. Diese Teammitglieder waren allesamt südländischer Herkunft (da kann ich ja nichts dafür) und sie fielen mir durch ihre Wortwahl auf (f*** in Variationen wurde häufig genannt und auch bezüglich einer weiblichen Führungskraft gegenüber in einer eine Tat schildernden Weise, die ich mich hier nicht zu benennen traue). Ich habe also auf der Metaebene eine Sachlage geschildert und das Szenario betitelt mit „harte Jungs“. Das hat schon genügt, um diskriminierend zu sein, weil es wohl impliziert, ich würde alle Südländer für Machos halten und nur des f***-Worts mächtig. So ähnlich stand es dann jedenfalls im Feedback. Noch ein paar andere Faktendarstellungen meinerseits waren ebenfalls zitiert und selbstverständlich moniert worden.

Das ist jetzt nicht weiter schlimm. Wie ich schon sagte: wichtig ist, dass wir selber wissen, wo wir stehen. Wenn dann beim anderen das Falsche gehört wird, kann es auch am zu fein eingestellten Hörgerät des anderen gelegen haben. Das bleibt einem im Leben als Vortragende nicht erspart und ist so.

Als ich heute unter der Dusche stand, habe ich mich einmal wieder für das Duschgel meines Mannes entschieden. Bei uns stehen immer mindestens zwei Duschgels in der Halterung: eines ist meines und es handelt sich in der Regel um so etwas wie Mandelmilch oder Lavendelblüte, eines ist seines und es verspricht so etwas wie Reboot, Hyperfresh oder Energy-Booster zu sein. Je nach Tagesform treffe ich meine Wahl. Heute war es Reboot und weil das Duschgel neu ist, ist mir eben aufgefallen, wie sexistisch diese mit dem morgendlichen Säuberungsakt einhergehenden Nebenwirkungs-Versprechungen doch eigentlich sind. Frauen sind also voll auf Blüte, weich und zart, fein und so feminin, dass wir uns beim anschließenden Anziehen eigentlich fragen müssten, warum wir so wenig Röcke tragen und ich – verflixt – von Natur aus mit so dünnem Gefaser obenrum ausgestattet bin. Hätte ich eine anständige Mähne würde ich sie, ganz in Lotusknospe, selbstverständlich hochstecken und seitlich zu lieblichen Löckchen drehen. Da ich das nicht kann, trage ich meist Jeans. Dazu passt dann auch Cyperpower oder Morning Speed besser.

Jedenfalls hat da offenbar niemand was dagegen. Gegen dieses Wording. Und genau deshalb bleibe ich sprachlich bunt und wer das als Diskriminierung verstehen will, soll einfach mal zu Müller oder DM gehen und dort in der Herren- und Damenkosmetik stöbern. Ich hoffe, es entsteht kein Trauma.

02.02.2021


Spaßbremse Corona

Heute kam es wieder, dieses „Wir schaffen das!“. Diesmal von einer Freundin und auf einen Zeitungsartikel hin, den ich ihr per Whats App geschickt hatte. Da ging es erneut um die Zunahme psychischer Erkrankungen durch die C-Krise. Ist dem aber wirklich so: schaffen wir das?

Ich beobachte das Leben mehr als dass ich mich als Teil von ihm fühle. Freilich ziehe ich meine alltäglichen Kreise und pflege meine gewohnten Rituale, durchpflüge in meiner Freizeit den Schnee und lerne für mein Studium, das ich mir ja als Corona-Begleiterscheinung angelacht habe. Ich schütte mich mit Tätigkeiten zu und halte mir nur wenig Freizeit frei, damit ich nicht zum Nachdenken komme. Das habe ich längst durchschaut: Ich bin totaaaal busy. Dabei ist das meiste spaßbefreit, also womöglich sinnvoll, aber eben unlustig.

Vorletzte Woche wollte ich einen Teil meines Weihnachtsgeschenkgeldes in Pullover investieren. Online, ist klar. Ich hatte damit ganz analog vorgehabt, mich ein paar Tage allabendlich auf etwas freuen zu können: Päckchen, viele, vor der Haustüre. Vorher hatte ich mich nämlich vergeblich auf Winterwanderschuhe gefreut. Vor lauter Euphorie und Habenwollen hatte ich doch glatt über deren Herkunft hinweggeklickt und mich anschließend nach gefühlten Äionen gefragt, ob sie wohl noch vor der ultimativen Polarschmelze eintreffen würden. Auch hier wich die Spannung schließlich der nun schon bekannten Resignation, mit einem kleinen Umweg über Akzeptanz im Vorfeld. Am Ende schmolz die Hoffnung und das Stimmungsbarometer sank wieder. Also schritt ich, ganz lösungsorientierter Lifemanager, wiederholt zur Tat und bestellte was Kuscheliges von naheliegenderem Versandanbieter: Pullover, weil das Untenrum in Online-Seminaren ja eh keiner sieht. Die meisten von den teils dünngewebten Teilen retournierte ich postwendend. Aber ich freute mich wenigstens mal ein paar Tage lang auf das Ankommen zuhause, so wie ich mich früher gefreut hatte, als mein Hund noch lebte und mich wedelnd begrüßte. Naja, so ähnlich. Schließlich wich die Freude wieder dem Ärger über den abnormen Verpackungsmüll und das ständige Gerenne zum DHL-Schalter bei REWE. Kurz: das Hoch währte nicht lange.

Immer wieder gehe ich jetzt online jagen. Das Problem ist nur, ich brauche so wirklich überhaupt nichts, folglich finde ich auch nichts. Heißt das dann aber auch, dass mir rein gar nichts fehlt? Ich weiß es – ehrlich gesagt – schon selbst nicht mehr genau. Ab und an regt sich etwas in mir, das sich anfühlt wie die Sehnsucht nach dem Meer, nebst planlosem, unbeschwertem Sein in hautschmeichelndem, mediterranem Ambiente. Oder wie der Wunsch, in der milden Frühlingssonne in einem Café zu sitzen und dabei Lippenstift zu tragen, Schuhe, die jeder sehen kann und laut mit einer Freundin über all das viele zu diskutieren und zu lachen, das ich laufend erlebe. Das sind aber nur flüchtige Gedankenfetzen, die mir vorkommen wie Flashbacks aus einem anderen Leben. Bin ich traumatisiert? Bin ich nicht! Denn ich habe ja Schokolade und futtere mir gerade einen fetten Schutzpanzer an, der die Covid-Mutanten abschrecken soll bei Invasion. Außerdem habe ich meine gute Stute und meine Gassihund-Freunde, viele zweibeinige Gefährten und Whats App, einen Mann und ein nettes Häuschen, ein lebhaftes Hirn und meist funktionierende Füße, mein Studium und unsere schönen Online-Seminare mit wie immer netten Menschen, die dankenswerter Weise dem Lockdown im Job entgegenwirken. Also ja. Ich schaffe das schon. Und wie steht es um euch, welche Fakten verbucht ihr auf die Halt und Sinn gebende Seite? Schreibt euch doch einmal eine Liste und erfreut euch an euren Ressourcen. Und falls euch zu viel Fülle flutet, mistet aus! Nicht umsonst heißt es ja: Alles in Ordnung.

19.01.2021


2021: Schaffen wir das?

Letztes Jahr um dieselbe Zeit hatte ich im Blog geschrieben, dass 2020 garantiert eine echte Lachnummer werden würde. Ich muss voller Hoffnung gewesen sein und guten Willens. Am Hangover konnte es jedenfalls nicht gelegen haben, denn Alkohol trinke ich ja (leider) keinen mehr. Habe ich gerade gelacht, als ich das gelesen habe!

Es kam ja nun ganz anders. Schlimmer als wir uns das alle hätten träumen lassen und nicht so weit von der fiktiven Version, ich meine „Outbreak“ mit Dustin Hoffman, entfernt. Wir sind also mittendrin und keinesfalls raus aus der Krise. Und wer weiß, wie lange noch. Ich stelle fest: die Menschen haben die Schnauze voll vom Lockdown. Wir wollen unser „normales“ Leben zurück. Doch – ganz ehrlich – wissen wir alle, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Fraglich und manchmal vielleicht ganz gut, dass wir nicht in die Zukunft blicken können, ob es jemals wieder so werden wird: Unbedarft und unmaskiert, womöglich sogar lächelnd, weil völlig sorgenfrei durch den Alltag tingeln, offline shoppen gehen oder aus Spaß mit vollem Geldbeutel durch Läden bummeln, aus Lust und Laune Urlaube planen oder so ganz banale Dinge tun wie Freunde treffen – mehrere auf einmal und das in beheizten Innenräumen oder in einem Café in der bald milden Frühlingssonne, sich was auch immer vornehmen und das gute Gefühl genießen, dass wir uns vorfreuen dürfen, weil dasjenige Event auch tatsächlich stattfinden wird. Ach, hatten wir es nicht wirklich schön, früher?

Die Menschen leiden, machen wir uns da nichts vor. Wir harren aus und halten durch und uns zurück und überlassen unserer Vernunft das letzte Wort, wenn das wild gewordene innere Kind kurz vorm Durchdrehen ist. Wie lange noch? Ich kann die Querulanten schon ein bisschen verstehen, meist nicht inhaltlich, aber was deren Wehrhaftigkeit angeht. Es reicht langsam. Und wenn die massiven Einschnitte nichts bringen, warum werden sie dann noch verschärft? Und warum so spät? Warum durften volle U-Bahnen fahren und Kinder bis zuletzt in die Schule? Wo ist denn da jetzt die Logik?

Zum Glück schlafe ich um 21 Uhr im Sessel ein. Dadurch muss ich mich wenigstens nicht darüber aufregen, dass ich um diese Zeit nicht mehr vor die Haustüre darf. Doch mit dem Grämen alleine hat es sich leider auch nicht immer. Still und heimlich geht so manches persönliche Elend in eine Depression über. Der Prozess kann tatsächlich so schleichend vonstattengehen, dass wir es nicht mal merken, wenn die Grenze zwischen gesund und krank verschwimmt. Nachweislich ist es aber so, dass prädisponierte Menschen den krisenbedingten Dauerstress – gemacht durch Belastungsfaktoren wie Angst vor Ansteckung, soziale Distanz und fehlende Zugehörigkeit, die Doppelbelastung im Berufs- und Familienmanagement bei überwiegend Frauen (laut Studienergebnissen), Einkommensverluste durch Kurzarbeit und andere existenzielle Zukunftssorgen – nicht mehr auf gesunde Weise kompensieren können. Es fehlt einfach so viel und für manche eben zu viel. Ruhe zum Beispiel oder Planbarkeit oder finanzielle Sicherheit und Hoffnung.

Die Leitkriterien, auf die wir alle achtgeben sollten, sind: depressive Verstimmung mit einem Mangel an Freude und fehlendem Interesse an anderen Menschen oder dem Leben an sich, Antriebsarmut und Motivationsverlust, Konzentrationsstörungen und Vergesslichkeit, mangelndes Selbstvertrauen und gefühlte Wertlosigkeit, Resignation und pessimistische Zukunftsgedanken, nebst körperlichen Symptomen wie Schlafstörungen, Appetitlosigkeit und Gewichtsabnahme. Der Zeithorizont ist alarmierend gering. Nur zwei Wochen an den meisten Tagen müssen wir uns so oder so ähnlich fühlen, dann haben wir laut der internationalen Diagnoserichtline ICD-10 eine depressive Episode.

Solltet ihr euch in dieser Beschreibung wiederfinden, holt euch bitte Hilfe und plagt euch nicht mehr alleine damit herum. Es gibt wirksame psychotherapeutische Strategien und auch Medikamente, die das Stimmungsbild trotz C-Krise aufhellen, so dass ihr wieder psychische Substanz gewinnt, mit der die Sondierung der persönlichen Möglichkeiten besser gelingt.

Drei Tipps am Ende und Rande habe ich noch für die, die sich von der obigen Ausführung zumindest „ertappt“ fühlen:

Erstens: Pflegt eure sozialen Kontakte und macht euch klar, wie weit ihr euch aus dem Fenster lehnen könnt, ohne Gefahr zu laufen oder selbst ein Risiko zu sein. Ein Terrassenkaffee mit einer Freundin in warmen Klamotten, ein winterliches Walk & Talk mit dem Freund oder ein kurzes Telefonat zwischendurch gehen immer, selbst wenn man mit Skype & Co. nichts anfangen mag.

Zweitens: kommt in Bewegung, das wirkt nachweislich positiv auf eure Psyche! Eine halbe Stunde Sport oder flottes Gassi oder von mir aus auch Yoga auf dem Wohnzimmerteppich und vor dem Bildschirm gehen immer. Täglich!

Drittens: macht euch einen verlässlichen Tagesplan, auch im Homeoffice! Haltet euch an Aufstehzeiten, überlegt, wann ihr die Zeitung lest oder euer Müsli esst, wann ihr eine halbe Stunde aktiv seid, wann ihr duschen wollt und für die Arbeit loslegt. Haltet euch an Pausen und am Ende des Arbeitstages packt den Kram weg oder zieht euch was anderes an, so dass gefühlt eine andere Tageszeit mit einer anderen Rolle im Vordergrund beginnt. Rituale geben unserer Psyche Sicherheit und Halt in haltlosen Zeiten.

Bis bald einmal wieder und haltet durch und wenn nicht: wir machen Coaching und Psychotherapie (HPG) auch kurzfristig möglich, auf Wunsch online oder live mit Abstand, aber nahbar und hilfreich!

04.01.2021


Endlich Endzeit!

Hat euch dieses Jahr auch so angestrengt wie uns? Wir finden, es reicht jetzt. Manchmal ist es ja ganz entzückend, dass das Leben so lebhaft ist. Für unseren Geschmack war 2020 übertrieben ereignisreich und es war so gut wie alles dabei, nur wenig Schönes.

Wenn die Anstrengung die energetischen und materiellen Einnahmen überragt, sollte man sich schon der Orientierung halber eine Pause gönnen. Zum Glück kommt jetzt bald Weihnachten. Und das wird ja dieses Jahr noch stader und stiller als üblich, mahnt die Regierung. Diktiert Corona. Mir soll es recht sein. Nachdenken kann man nur, wenn man zur Ruhe findet.

Außerdem kann man ja auch Freunde im Freien treffen und den wenigen Familienmitgliedern von der Terrasse aus zuwinken – oder, ganz gemäß den Zeichen der Zeit – eine Webex-Session abhalten. Am besten ist es aber doch, schon aus Daten- und Kälteschutzgründen, ich mache es mir einfach zuhause gemütlich. Jetzt überlege ich nur noch, ob ich mir so ein richtiges Winterwonderland einrichte – oder schon mal die Osterdeko auspacke; Narzissen habe ich schon einige im Supermarkt gesehen. Ich könnte die festliche Zeit einfach übergehen und so tun, als ob sie weder was mit mir macht, noch etwas mit mir zu tun hat. Sind ja noch ein paar Tage hin.

Eines weiß ich aber jetzt schon sicher: dass ich dieses Mal nichts bei Amazon bestellen werde oder sonstwo online. Mir tut es in der Seele weh, dass die Erlanger City immer trostloser wird. Deshalb werde ich den lokalen Einzelhandel fördern und mich nicht vorher fragen, was ich wem schenken will. Ich werde einfach sondieren, was es in den paar Läden für wen zu kaufen gibt. Schenken ist also auch nicht mehr das, was es einmal war.

Aber sei es drum. Ich sehe in der Dunkelheit dieser Tage Licht am Horizont. Es ist noch unklar und klein, aber es leuchtet und nur darauf kommt es an: Im nächsten Jahr wird vieles anders als es jetzt ist. Ich freue mich jetzt schon wie verrückt auf die Normalität, die mich früher oft gelangweilt hat. Und die wünsche ich euch auch. Bis dann im Neuen Jahr und immer schön positiv bleiben!

30.11.2020


Pragmatisch muss man können

Ich finde ja, die Eigenschaft, die wir im Moment am meisten brauchen können, ist Pragmatismus. Einfach mal annehmen, was ist und schon mal gespannt sein auf das, was kommt. Diese Haltung bringt uns in jedem Falle weiter, als sich ständig aufzureiben an Themen, auf die wir auf die Schnelle sowieso keinen Einfluss haben.

Auf Pragmatismus gepolt, habe ich mich am Wochenende über meinen Mann gewundert, der CNN als Dauerbeschallung laufen ließ. Vermutlich spricht er jetzt fließend Englisch. Interessiert nur niemanden. Und freilich habe auch ich gebetet, dass es dieser Biden schafft. Darüber hinaus wünsche ich zutiefst, dass er es – betagt wie er ist – noch eine Weile macht. Ich sehe ihn zwar auf die Bühne joggen, doch ich kann auch erkennen, wie sehr er sich darum bemühen muss, diesen global gewichtigen Dauerlauf durchzuhalten. Letztlich aber ist es wie es ist und es kommt wie es kommt.

Diese Haltung mag zwar den Querdenkern von Leipzig nicht gefallen, doch ich weiß auch nichts sonst. Was nützt es denn, das Virus und die Maßnahmen anzuzweifeln (ich zweifle auch!), wenn im Nachgang nur über die Tatsache diskutiert wird, wer diese Veranstaltung (und ich dachte, es gälte ein Veranstaltungsverbot?) bewilligt hat? Inhaltliche Diskussionen werden ja scheinbar null angeregt durch das ganze Durcheinander aus es gut meinenden Philosophen, staatsfeindlichen Proleten und Pöblern, die jede Chance nutzen, aufzubegehren gegen wen und was auch immer.

Es ist doch wie es ist – unlogisch zwar, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, in denen sich die Menschen alltäglich quasi auf dem Schoß hocken und mit den offenen Schulen und Kigas. Aber es ist jetzt eben so, bis erkannt wird, dass so ein Lock-down light auch nichts genutzt, wohl aber vielen geschadet hat.

In all dem Wirrwarr dieser Zeit ist Pragmatismus eine Gabe. Man kann ihn üben und lernen wie jedes Denkverhalten. Es wird immer Zeiten geben im Leben, in denen wir einfach nur „sind“. Ohne Ziel vielleicht, aber mit dem Wissen, dass es immer irgendwie weitergehen wird. Vielleicht müssen wir das ein ums andere Mal auch unsere Sichtweise ändern oder uns irgendwohin bewegen, wo es uns besser gefällt. Bewusst nach Wohlsein suchen sozusagen, gerade jetzt.

Deswegen hat mich am Wochenende am meisten ein Schäfchen begeistert, das in Brandenburg schon länger alleine auf Achse war. Sein Auf- und Abtauchen beschäftigte offenbar den Raum rund um Falkensee schon eine ganze Weile. Was für ein tolles Tier: es wurde nun gesichtet in einem regionalen Baumarkt und zwar in der Futterabteilung. Intuitiv hat es für sich die richtige Richtung gewählt – und die Entscheidung, dass es am besten dahin trotten sollte, wo was reinkommt in den Magen.

So mache ich das jetzt auch, ganz pragmatisch. Ich suche Nahrung, wo sie eben ist. Und ich nähre mich auf meinem Weg an meinem noch jungen Pragmatismus. Schlimmer geht schließlich immer, also freue ich mich wollig-wonnig auf das, was kommt, statt immer nur zu meckern. Na, wie findet ihr das? Probiert es doch auch mal aus! Und auf die Straße gehen, das können wir ja dann ja immer noch. Ganz pragmatisch. Im Dezember. Ist so.

09.11.2020


Was passiert mit uns?

Ich habe ein Wochenende Digital Detox hinter mir und es hat verdammt gut getan, nichts von der Welt zu hören und kaum was zu sehen. Es war auch dringend nötig, denn ich wusste ja schon, was kommt: Wieder einmal ein beruflicher Shut-Down. Heute, an meinem Geburtstag, bin ich ganz mutig und aufrecht ins Büro gefahren, um die eingehenden Absagen zu zählen.

Es ist der absolute Wahnsinn. Und – ja, na klar – es könnte alles noch schlimmer kommen. Wenn wir krank würden. Aber ist es nicht auch so, dass die eigene Existenz nicht nur von der körperlichen und übrigens auch psychischen Gesundheit abhängt, sondern auch von der wirtschaftlichen Solidität? Ich kann dieses „Hauptsache, wir bleiben gesund!“ schon lange nicht mehr hören!

Und ich wüsste auch nicht, wovon ich krank werden sollte. Statt über Lebensrisiken nachzudenken, bin ich im Geiste bei allen, die wie wir wieder einmal eine existenzielle Krise durchleben. Diesmal warten wir nicht auf den Sommer, der das Virus dezimiert. Diesmal warten wir auf den Impfstoff. Vielleicht sieht es in einem halben Jahr wieder besser aus, normaler. Was soll ich bis dahin machen? Depressiv werden?

Meine Zündschnur ist infolge meiner Verfassung kurz. Aber das darf ich anderen auch mal zumuten, finde ich. Ab und zu muss ich mich einfach entladen, Selbstkritik hin oder her. Ich gehe ja ohnehin schon ganz gebeugt. Bevor ich breche, fauche ich lieber.

Und das ist gestern passiert, als ich einen Hund alleine mitten auf der Straße sah. Das etwa 80 Meter danach folgende Frauchen wäre mir beinahe vors Auto gelaufen, doch sie gebot mir majestätisch Einhalt und lachte dabei so herausfordernd, dass ich sie einfach fragen m u s s t e, ob sie eine Meise hat. Ich bin sicher, sie hat eine, wenn nicht gar zwei.

Corona macht was mit den Menschen. Ich würde es universale Verunsicherung nennen. Wenn jemand dem Wahnsinn schon nahe war, dann ist er ihm jetzt wahrscheinlich noch näher. Im Grund ist es egal, ob jemand massive Angst vor Ansteckung hat, ein anderer nicht weiß, ob seine Kinder ab nächster Woche wieder zuhause die digitale Schulbank drücken, ein nächster um sein Geschäft bangt oder sich der übernächste um eine mögliche Wirtschaftskrise sorgt, jemand unter Social-Distancing-Einsamkeit leidet oder ein anderer Wutanfälle hat, weil er die staatlichen „Einschnitte“ zu einschneidend findet. Es macht sich eine bestimmt seit dem Krieg nicht mehr da gewesene universale Verunsicherung und mangelnde Kalkulierbarkeit der Zukunft breit. Hoffentlich nicht schon bald Hoffnungslosigkeit. Ich habe da was dagegen:

Vertrauen wir gerade jetzt auf das Heute und auf uns selbst, unsere Stärke und unsere Ideen. Meine Freundin Sabine wollte mir heute auch noch gute Gedanken schicken. Aber bislang ist noch nichts bei mir angekommen.

26.10.2020


Immer diese Fake-Fakten...

Gestern Abend habe ich ferngesehen. Das ist jetzt nichts Untypisches, das mache ich öfter, um die restliche Wachzeit bis zur Schlafenszeit 21 Uhr zu verkürzen, was bei meiner Aufstehzeit von 4.30 Uhr auch in Ordnung sein sollte. Doch langsam werde ich unleidlich…

Mir geht die Vorgaukelung falscher Tatsachen allmählich so sehr auf den Sender, dass ich überlege, mir selbst schon um 19 Uhr den Stecker zu ziehen. Dafür könnte ich dann um 3 Uhr nachts aufstehen und hätte definitiv so viel mehr vom Tag als ohnehin schon. Wenn ich nämlich dem Fernseher Glauben schenke, dann hat die ganze Welt Kijimea nötig (Anmerkung: dies ist kein Berg in Tibet!). Gehört dann jemand ohne Reizdarm überhaupt noch zur ernsthaft angestrengten Klasse – ist das, was gestern „ich bin ja sowas von ausgebrannt“ war, heute „ich komme nicht mehr von der Schüssel runter“ und damit der moderne Nachweis für „ich bin wichtig“?

Es nervt. Jeden Abend vor der Tagesschau. Und wenn man die Kijimea-Hürde dann übersprungen hat – vielleicht nutzt man die Prime Time ja tatsächlich für einen kurzen Austritt ohne Hilfsmittel –, dann kommt das Neueste von unserem Fake-News-Fetischisten, der jetzt so milde an Corona erkrankt ist, dass jeder Gott und auch die ganze Welt nachvollziehen kann, dass er eine ganze Batterie an Ärzten um sich scharen muss, um klar zu kommen. Am Virus liegt es vermutlich nicht und selbst wenn jetzt schon, dann werden wir später hören, dass diesem großen Denker ein so kleines Covid-19 selbstverfreilich nichts anhaben kann.

Nehme ich auch diese allabendliche Hürde – neben Trump und Lukaschenko gibt es derzeit noch etliche weitere Feindbilder meinerseits – kommt so ein netter Fernsehfilm in genau der richtigen Länge vor Schlafenszeit (wenn ich Glück habe; wenn ich Pech habe, kommt Mälzer in der zigsten Wiederholung oder irgendeine Psychonummer, in der bereits in der ersten Viertelstunde x Menschen abgeknallt werden oder der Hund stirbt, dann ist es eh vorbei mit dem Schlaf bei mir). Aber in dem netten Fernsehfilm werden wieder lauter Szenen abgespult, von denen ich überzeugt bin, dass sie jeder kennt, aber keiner lebt: überwiegend Frauen in Oversized-Pullovern und folglich hochgekrempelten Ärmeln liegen (tagsüber) quer auf der Koje, selbstverständlich bäuchlings, trinken dabei Tee oder Kaffee aus einem Jumbo-Pot und gucken alte Fotos, meist aus den 80ern. Hallo? Wie passt Reizdarm denn da jetzt dazu?

Wenn ich wiederum Glück habe, schlafe ich vor dem Fernseher ein und hoffe, mein Mann tut es auch, damit ich ungestört bis 4 oder 3 oder was weiß ich wie viel Uhr weitersurfen kann auf der Woge der inneren Ruhe. Wenn ich Pech habe, rege ich mich über die Klamotten, den Lifestyle, die pubertierende Tochter oder die Tatsache, dass Mann und Frau noch nach 30 Jahren Ehe und täglichem Wehe so verliebt und leidenschaftlich sind wie am Tag, bevor sie sich kennen lernten, so sehr auf, dass ich mich die ganze Nacht unruhig von einer Seite auf die andere wälze.

Das ist die Wahrheit: die meisten Menschen überleben mehr, als dass sie aktiv leben und für Rumgammeln auf dem Bett tagsüber hat keine Sau Zeit. Es sei denn, sie hat Corona. Und das ist, wie wir bald hören werden, total überschätzt.

05.10.2020


Is Big Brother watching me?

Ich habe etwas ganz Seltsames erlebt. Das muss ich euch erzählen. Ich hoffe, ich entwickle keinen Beziehungswahn und auch ein paranoides Störungsbild könnte ich jetzt – neben meinem Schwindel, der den Turbulenzen dieser Zeit geschuldet ist – echt schlecht brauchen. Mal gucken, was euch dazu einfällt:

Ich habe einen neuen Gassihund, mit dem ich mich gerade anfreunde. Ein netter Typ und sehr kuschelig. Leider jagt er alles, was laufen, fliegen, kreuchen und fleuchen kann. Zur Not auch Blätter, die im Winde verwehen. Jedenfalls macht diese Neigung am Golden Retriever, dem das Rasseattribut „Familienfreundlichkeit“ (Merke: ist nicht „Pflegeleichtigkeit“) anhängig ist, das Spazierengehen zur Herausforderung. Ich trage seit Wochen Wertekonflikte auf Waldwegen mit mir herum. Wissend, dass ein junger Hund genügend Auslauf braucht, bin ich doch auch bangend, ob er noch vor Anbruch der Dunkelheit zu mir zurückkommen würde, wenn er erst einmal eine Spur in der Nase hat. Und das hat er ja so gut wie ständig.

Jedenfalls habe ich gestern ganz spontan, also bereits vor Ort im Wald befindlich, entschieden, dass ich den Hund zu meiner und seiner Entlastung genau jetzt frei laufen lassen werde. Irgendwann ist ja immer das erste Mal. Also tat ich das völlig ohne Aufhebens: Leine ab, laufen lassen – rufen, sich wie Schnitzel freuen und vor Überschwang wie übergeschnappt klingen, Leine dran. Weitergehen. Leine los, rufen, überschnappen – und so weiter. Halt so, dass er kapiert, dass sein Kommen und Leine dran nicht immer bedeutet, dass er dann nicht mehr frei laufen darf.

Es lief besser als erwartet. Ist ja alles eine Frage der eigenen Ansprüche und über die Tatsache, dass zwei entgegenkommende Hundegefährten interessanter waren als ich und meine Leckerlis, kann ich großmütig hinweggehen. Ich muss nur zusehen, dass ich mir vom Brüllen nicht die Stimme ruiniere. Die brauche ich ja noch.

Selbstzufrieden und stolz wie Oskar auf den Hund, der eigentlich Sammy heißt, gab ich ihm dann in seinem Zuhause sein Fressen. In meinem Auto schnappte ich mir gleich mein Handy und tut dem Hundefrauchen die Gassi-News als Sprachmessage per Whats App kund. Als ich wenig später bei mir am Küchentisch saß, erhielt ich eine SMS von der TELEKOM. Die schicken mir ständig irgendeinen Webequatsch, von dem ich inhaltlich das Wenigste verstehe: braucht man wirklich ständig mehr Datenvolumen und warum will man mir 500 MB schenken – sehe ich so aus als ob ich es nötig hätte? Diese SMS war aber nun wirklich sehr, sehr befremdlich: „Hallo Frau Baumgartl, Sie sind Hundebesitzer und lassen beim Spaziergang Ihren Liebling auch mal von der Leine? Kein Problem, mit dem Combi Protect GPS-Tracker…“.

Also ehrlich. Wer schon öfters mal was von mir gelesen hat, weiß, dass ich Zufälle kenne und Zufälle liebe. Das geht mir aber jetzt zu weit. Ich habe den mysteriösen Vorfall heute Morgen, als ich mit dem bewährten Gassihund meine Kreise zog, einer Bekannten erzählt. Sonst noch niemandem. Und schon diese eine Kontaktperson erzählte mir, so etwas Ähnliches sei ihr auch schon mal passiert, nur nicht mit der TELEKOM: Sie war mit ihrem Mann unterwegs und das Navi versagte. Es folgte der Klassiker: ein Streit zwischen ihr und ihrem Mann entbrannte. Plötzlich fiepte ihr Handy und es kam eine SMS mit dem Inhalt: „Streiten Sie sich öfter mit Ihrem Partner? Ziehen Sie eine Paartherapie in Betracht…“.

Ich bin heute wirklich verwirrt. Leben wir doch in einem Überwachungsstaat? Und ist Facebook so böse, dass es genau m e i n e Sprachnachrichten mithört? Ist die Corona App, wegen der ich das GPS aktiviert habe (aber Achtung: Handy war nicht mit im Wald, falls ihr das jetzt denkt), an allem schuld? Und über all das Ungeklärte und Unfassbare hinaus: why is Big Brother ausgerechnet watching me? Ich wüsste da Interessantere. Relevantere. Pikantere.

Ich entscheide mich jetzt für folgende Perspektive, mit der ich gut leben kann, Trump macht das ja schließlich auch: ich bin so wichtig, dass alles, was ich absondere (wenn auch nicht immer für mich oder die gemeinten Empfänger) für die Welt von Bedeutung ist.

(Erhobenen Hauptes, um eine narzisstische Neigung reicher, aber von der Paranoia befreit, schritt sie frohen Mutes ins Wochenende 😊.)

25.09.2020


Wundern – gibt es immer wieder

Dass das Leben lebhaft ist, hatte ich ja schon mehrfach erwähnt. Im Moment zeigt es sich wieder von seiner dynamischen Seite oder – wie ich zu sagen pflege – irgendwas ist immer und immer öfter Verwunderliches.

Ich wundere mich zum Beispiel über die Anti-Corona-Aktivisten in Berlin. Ein bisschen be-wundere ich sie auch für ihre Energie. Aber inhaltlich ist mir vieles unklar. Als ich dann heute in der Tageszeitung einen Artikel über eine Demo-Teilnehmerin aus Nürnberg entdeckte, die total sympathisch und harmlos von ihren Ambitionen reden machte, war ich erst dankbar. Endlich werden mal gedankliche Hintergründe erörtert, dachte ich mir. Doch am Ende war es wieder da, das Wundern. Wenn auch die Corona-Geschichte Skeptiker beflügeln mag, weil sich die Gefährlichkeit des Virus nicht richtig objektivieren lässt, die Berichterstattung des RKI und der Medien teils lückenhaft und verzerrt war und weil aus dieser Perspektive der Lock Down überzogen gewesen wäre – so finde ich einfach keine logische Erklärung dafür: Was hätte die Regierung von einem allgemeinen Niedergang der Wirtschaft? Wer kann ernsthaft glauben, es läge jemandem daran, dass wir kollektiv verarmen? Und warum werden, wenn schon unsere Regierung Contra kriegt, die Corona-Reaktionen der anderen europäischen Staaten ausgeblendet?

Ich denke, keiner wollte die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen, die aus einer möglichen Verharmlosung der Pandemie erwachsen wären. Alle waren mit der Situation überfordert. Jetzt sind viele von uns ein bisschen traumatisiert. Und doppelt so sauer, wenn sie es vorher schon waren. Auf wen oder was auch immer.

Menschen geben mir immer wieder Rätsel auf. Auch die in nächster Nähe. Während ich manchmal aus der Selbstreflexion nicht mehr herauskomme, scheinen andere über diese Neigung völlig erhaben zu sein. Am Wochenende durfte ich einem interessanten Hundetraining beiwohnen. Als die Trainerin anfing, meine Blicke zu deuten (ausnahmsweise waren sie an besagter Stelle einfach nur „leer“, ich war völlig im Moment und im Hirn hielt sich weit und breit kein Zweifel auf) und mich zu nötigen, meine (nicht vorhandenen) Gedanken laut zu äußern – war es schon wieder um mich geschehen: ich wunderte mich. Der Tag endete dann mit Whats-App-Kommunikation, wie ich sie in dieser Länge und Intensität noch nicht kannte. Glücklicherweise war nicht ich der Empfänger der irritierenden Botschaften. Sondern die Hundebesitzerin, die ich begleitet hatte. Die sperrt jetzt den Absender, was richtig ist. Denn vor übergriffigen Persönlichkeiten sollte man sich besser schützen, sofern man sich keine grauen Haare wachsen lassen will. Dann lieber einen ungeschliffenen Hund sein Eigen nennen, oder?

Kaum war das eine veratmet, habe ich mich schon wieder gewundert. Am gestrigen Sonntag waren auf Wetter Online immer wieder kleine regenfreie Felder auf dem Satellitenbild zu sehen. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich mich auf einen zügigen Spaziergang gefasst gemacht habe – um dann zu sehen, dass die Regenlücke bereits unmerklich weitergezogen war, selbstredend ohne eine Spur der Trockenheit von oben. Am Ende gab ich dann auf und schaltete mein Handy aus.

Heute habe ich mich noch nicht gewundert. Auch darüber nicht, dass die Hundetrainerin schlussendlich mir schrieb. Was mir völlig klar war. Aber der Tag ist ja noch jung. Kann also nicht mehr lange dauern und falls doch: wundere ich mich einfach darüber, dass es so kalt ist heute. Das Wetter und die Menschen – immer für eine Überraschung gut.

07.09.2020


Ängste im Urlaub

Im Moment passiert nicht viel. Man könnte mein Leben als idyllisch beschreiben. Einmal ganz abgesehen von den Corona-Fakten und der Tatsache, dass mein geliebter Gassi-Hund sehr weit wegzieht. Womöglich habe ich genug geheult für Jahre oder/und das jüngste Johanniskraut wirkt noch nach. Vielleicht ist es aber auch einfach so, dass Sorgen und Ängste derzeit Auszeit haben.

Das wird schon so sein. Meine Kollegin Julia, ihres Zeichens Angst-Expertin, sagt, dass Ängste und Besorgnisse geringer werden, je mehr sie zur Normalität gehören. Deshalb bin ich für meine Verhältnisse ultra-gechillt: Mein Hirn bewertet die mich umgebenden Lebensumstände als weniger bedenklich als vor einigen Wochen, obwohl – das sagt mir die Logik – alles keinen Deut besser ist als vorher. Wenn nicht gar blöder.

Vielleicht bin ich einfach müde und gelangweilt davon, dass keiner weiß, welches Risikogebiet morgen deklariert wird und welcher lebensmüder Irrer als nächstes das Unglück zig anderer herausfordern will in privaten Party-Areas. Werde ich übernächste Woche die geschenkte Wanderreise antreten können, ohne weitere 5 Tage Urlaub einplanen zu müssen wegen der Pflichttests an der Grenze? Das entscheide ich gemütlich eine Nacht vor Abfahrt. Ebenso kostet es mich lediglich ein entspanntes Schulterzucken, wenn ich darüber nachdenke, ob Veranstaltungen (von denen wir ja dummerweise leben) stattfinden, abgesagt oder als digitale Notlösung platziert werden. Nur ungleich mehr bringt mich die Unwägbarkeit in Wallung, ob Trump die Wahl im November wirklich verlieren wird und wie lange der engelsgleiche Biden dann noch unter uns weilen wird.

Vergleichsweise wenig geschlafen habe ich allerdings heute Nacht, weil gestern ein supersüßes Kind von meiner übermütig bockenden Stute gepurzelt ist. Mir ist immer noch übel, wenn ich daran denke.

Ansonsten: is´ mir alles egal. Meine Sorgen und Ängste haben Urlaub und dort dürfen sie ruhig noch eine Weile bleiben. Falls nicht, gebe ich einfach mehr Ponyreitstunden und ich warte extra, bis mein Pferd rosst und garantiert unberechenbar ist. Denn größere Sorgen verdrängen kleinere. Sagt Julia.

26.08.2020


Sterben wir jetzt aus?

Ich höre momentan von drei Arten Mensch: Der eine lebt wie immer, denkt logisch und ist einigermaßen acht- und wachsam. Der andere schlägt gelegentlich völlig bekloppt und vermutlich zugedröhnt über die Stränge, bevorzugt auf Malle oder öffentlichen Plätzen hierzulande. Der dritte lebt nur noch zuhause.

Und was mache ich? Mich wundern, klar! Mir dröhnt seit Tagen der Schädel und in stillen Momenten dreht es mich. Ich werde gerade untersucht und die ersten Ergebnisse brachten meinen Arzt schier zum Ausrasten: „Die Bauchspeicheldrüse – ein Traum! Die Nieren – herrlich!“. Was ja schön ist. Ein bisschen hatte ich aber dennoch gehofft, mein körperlich-seelisches Elend hätte einen Bezug nach innen. Wenn der fehlt, gnade mir Gott. Ich ahnte es aber bereits: mir sind diese Zeiten zu schnell und zu fremd und zu ungeheuer.

Fangen wir mit Gattung Drei an, dem Homo Officialis – das ist der, der sein Home Office auf dem Küchentisch liebt, zum Leidwesen seiner Mitbewohner den ganzen Tag ins Telefon blökt und die Kamera bei MS Team-Besprechungen lieber auslässt (Haare ungewaschen? Schlafanzug an? Ganzheitlich speckig?). In jedem Falle verlässt er das Haus offenbar nur noch widerwillig oder auch gar nicht mehr, weil der Weg zum Büro ja schon immer eigentlich eine Zumutung war. Und jetzt sieht man ja, dass Arbeiten von Zuhause nicht gänzlich ins Leere läuft, sondern schon zu was. Vor allem führt es zu den vom Controlling dringend ersehnten Kostenersparnissen, die sich nun – mit hervorragenden Argumenten in der Hinterhand und trüben Gedanken im Hinterkopf – durch den Rückbau gewerblich genutzter Flächen und Gebäuden verifizieren lassen.

Was ich da strange finde? Na, dass die Firmen jetzt den Komfortzonen Tür und Tor öffnen! Jetzt glauben sie noch, es könnte gewinnbringend sein. Gucken wir mal in die Zeit nach Corona (sofern wir das noch erleben). Ich wette, die Bindung an die Unternehmen wird immer geringer und der Team-Zusammenhalt – sofern überhaupt vorhanden gewesen – weicht dem gnadenlosen Einzelkämpfertum (Egoismus). Aber vermutlich sind die zuhause gebliebenden Mitarbeitenden dann schon so faul geworden, dass auch ein Arbeitsplatzwechsel am Küchentisch zu anstrengend wird.

Gattung Nummer Zwei, der Homo Exzessivus, liebt das wilde, zügellose Leben, die Freizügigkeit in jeder Hinsicht und säuft gerne mit vielen anderen im Freien. Ich rede von denen, die Corona nur als mexikanische Biersorte kennen, virologische Prognosen für Hirngespinste halten oder/und ihr Gedächtnis bei nächtlichen Gelagen auf öffentlichen Plätzen oder in den Clubs von St. Wolfgang wegbeamen. Es müssen Gelage sein, sonst verstehe ich das mit der Ansteckung nicht. Wegen denen und dergleichen verlieren viele von uns womöglich früher oder später ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage, weil ständig irgendwo Hotspots hochkochen und lokale Lock Downs drohen. Na, herzlichen Dank auch. Hauptsache, ihr hattet Spaß.

Die erste Gattung, der Homo Normalus… scheint eine bedrohte Art, obgleich ich schon noch einige Exemplare kenne. Und wenn ich meine Symptome mal so betrachte, vielleicht sterbe ich ja aus?  

30.07.2020


Und, was haut ihr so raus?

Am Wochenende war ich mit meinem Mann und dem Radl in der Stadt. Das machen wir jetzt, seit Corona, nur noch selten. Und das hat sich als richtig erwiesen. Ich bin einfach latent so gereizt, dass ich ständig irgendjemandem ins Gesicht springen könnte.

Und der erste, der das verdient hätte, wäre der Mann aus dem Telekom-Shop gewesen. Ich finde, mit der Telekom hat man am besten nichts zu tun. Man fragt nichts und rüttelt an nichts und freut sich einfach über die ruhige Normalität, wenn alle Anschlüsse machen, was sie sollen. Doch ungeachtet dessen, dass mich die Dame aus dem Chat im Kundencenter an die Reality-Filiale verwiesen hatte und der Typ mich dann vor Ort wieder ins Kundencenter verwies, zudem der Mund-Nasen-Schutz meinen aggressionsbedingten Sauerstoffmangel begünstigte – mein Mann konnte nichts dafür. Er war völlig ruhig geblieben, obwohl auch ihm der Schweiß auf der Stirn und im Mund-Nasen-Raum stand.

Als nächstes fand ich das Geburtstagsgeschenk für meine Freundin in keinem Laden und bestellte noch in der Fußgängerzone notgedrungen bei Amazon. Meine Halsschlagader pochte bereits sehr, als mein Mann die von mir gewünschte Kaffeepause ausschlug. Ich wollte nur noch heim und fühlte mich bestätigt in meinem derzeitigen Glauben an das Schlechte der Welt. Dann lenkte mein Mann auch noch ein, ohne mir etwas zu sagen. Während ich mir wild entschlossen und endlich Johanniskraut in der Apotheke – hochdosiert – besorgte, wartete er bereits mit einem glühend heißen Kaffee und in der Überzeugung auf mich, dass er mich so besänftigen könnte. Doch es war bereits um den letzten Rest meiner westeuropäischen sozialen Prägung geschehen und ich war innerlich zum Axtmörder mutiert: Wie konnte er nur! Ich wollte einen KALTEN Kaffee, heiß war es ja schon draußen und in mir zur Genüge.

Wir tranken dann schweigend. Mein Mann traute sich, glaube ich, auch nichts mehr zu sagen, während ich mich fragte, wie und ob überhaupt dieser Tag noch zu retten sein möge.

Er war es dann schließlich. Plötzlich erinnerte ich mich an meine guten Sitten – und war ein bisschen beschämt. Gerade den Menschen hatte mein nur durch eine dünne Schicht letzte Würde von der Außenwelt getrennter innerer Vulkan mit zerstörerischer Ausbruchsgewalt bespuckt, der eben immer und kompromisslos und selbstverständlich und oft wahrscheinlich grundlos gerne an meiner Seite ist, mit oder ohne Corona-Krise und mit oder ohne meine krisenhaften geschäftlichen Erlebnisse. Pfui. Ich rang mich schließlich zu einer Entschuldigung durch. Mein Mann lächelte milde und bedankte sich.

Das brachte mich zur Erkenntnis, dass eine Entschuldigung nicht nur den von der „Schuld“ entlastet, der Täter war (ich), sondern auch den, der als Opfer der Umstände die verbale und intersoziale Gewalt abbekommen hat.

Deswegen möchte ich mich in Zukunft daran erinnern, dass Entschuldigung allen Beteiligten guttut, ihnen Last von den Schultern nimmt und das Miteinander wieder einvernehmlicher macht. Viel Gewinn für wenig Wort, finde ich. Lasst uns also öfter mal „sorry“ sagen – oder, noch besser, nicht in die Stadt oder unter Menschen gehen, wenn uns nicht danach ist.

21.07.2020


Wachstum oder Wahnsinn?

Ich war wieder bei den Alpakas. Und wenn es stimmt, dass wir mit dem Tier, das wir führen, tatsächlich etwas gemeinsam haben, dann bin ich wohl gewachsen. Oder es lag am Lama.

Ich bin sehr stolz! Ich hatte diesmal das wahrlich schönste und stolzeste Tier – ein schwarz-weißes Lama namens Salomon. Ein bisschen verliebt war ich spontan tatsächlich, wenn auch mein Auserwählter mich beharrlich ignorierte. Aber das kannte ich ja schon von der Dreikönigswanderung. Deshalb ignorierte ich meinerseits die Missbilligung und streichelte ihn gelegentlich verstohlen, wenn er gerade mit der Überwachung der Herde beschäftigt war. In Herzensangelegenheiten sollte man schließlich dranbleiben. Ich bin ja auch nicht ganz lernresistent.

Die meiste Zeit des Weges jedenfalls trottete Salomon etwas widerborstig hinter mir her. Maximal ließ er sich auf Rang 3 von hinten ein, ansonsten wollte er das Schlusslicht bilden. Mir war es recht, denn so hatte ich auch meine Mutter mit ihrem etwas „spritzigen“ Tier (wie sie!) im Blick. Nach einer Weile tat mir zwar der Arm weh, weil er immer so leicht verdreht mit Zug von hinten zu kämpfen hatte. Aber was tut man nicht alles für so eine Wanderung mit Kamelverwandten bei schweißtreibenden 30 Grad im Schatten und bedrohlichem Donnergrummeln rund herum?

Ich fühlte mich alles in allem sehr wohl mit meinem Salomon. Die Position, die er wählte – als leiser Weiser mit dem längsten Hals den Überblick über die Herde behaltend – hat mir hervorragend entsprochen. Ich muss auch im wahren Leben nicht mehr den Ton angeben oder ständig die Kontrolle haben. Aber wenn Not am Mann ist oder Gefahr im Verzug, kommt bei mir Superwoman zum Einsatz. Womöglich ist es auch latenter Wahnsinn, mag sein. Wenn es jedenfalls darum geht, andere zu stützen oder zu schützen, Mensch oder Tier, bin ich gleich da. Ich denke dann nicht nach. Ich mache das einfach. Wie Salomon: In dem Moment, als alle Tiere alle Viere in den Waldboden rammten, weil sich ein Angler anmaßte im Teich auf der kleinen Lichtung auf einen Fang zu hoffen, da kamen Salomon und ich diskussionsfrei als Team aus dem Off ins Feld: Wir übernahmen einvernehmlich die Führung und brachten die murrende Herde am Risikoherd vorbei (der Angler hatte jetzt auch seine Kamera gezückt – er glaubte, zu träumen). Unmittelbar danach war Salomon nicht mehr auch nur einen Millimeter zu bewegen. Bis eben alle wieder vor ihm waren. Na, schön. Ich entspannte mich gerade vollends, als mein Lama einen Stunt einlegen und auf den vor ihm laufenden Wallach aufspringen wollte. Ich konnte ihn gerade noch zügeln. Keine Ahnung, was in ihn gefahren war. D A S hatte jedenfalls genauso wenig mit mir zu tun wie das kollektive Badevergnügen, das sehr unvermittelt auf einem sandigen Stück des Pfades erfolgte und von hinten betrachtet zum Brüllen komisch anmutete.

Am nächsten Morgen jedenfalls war Superwoman müde und Stute hatte wieder das Sagen. Der Zauber war vorbei und Alltag wieder Realität. Schade, dass man Wachstum nicht behalten kann, wenn auch Wahnsinn wahrscheinlich bleibt. Wenigstens was. Und wenn er noch dazu animiert, den Radler lautstark anzuherrschen, der mich heute Morgen samt Hund beinahe über den Haufen gefahren hätte – er hat davon ganz bestimmt nichts mitbekommen, weil Stöpsel im Ohr plus Mann am Lenker –, dann hat selbst der Wahnsinn seinen Sinn: mit Vogel im Oberstübchen ist man nie alleine! Es gibt sehr viele von uns da draußen. Und täglich werden es mehr.

30.06.2020


Auf zur Berg- und Talfahrt – holldrihö!

Wenn es mir gut geht, dann meist sehr gut. Und wenn es mir schlecht geht, dann in der Regel sehr schlecht. Da es mir in den letzten Wochen und trotz C-Krise im Prinzip sehr gut gegangen ist und das ja nicht auf ewig so bleiben konnte, geht es mir jetzt sehr schlecht. Das Problem: schlimmer geht immer.

Schon mal etwas vom Law of Attraction gehört? Diese angeblich physikalische Gesetzmäßigkeit besagt genau das: gute Gedanken ziehen positive Erlebnisse nach sich und miese Stimmung wirkt magnetisch auf Hiobsbotschaften und Vollpfosten. Mir kommt es darüber hinaus so vor, als ob ich in dieser trübseligen Verfassung meine eigene Verwundbarkeit und Fehlbarkeit doppelt und dreifach stark fühle wie an guten Tagen – und ich sehe die Makel der anderen wie unter dem Elektronenmikroskop. Gigantisch groß und megadeutlich. Was es dann in deren Umgebung auch nicht besser macht, das psychische Tief zu durchatmen. Zumal ich ja kurzatmig geworden bin, wie berichtet.

Dass es bei all dem Grauen regnet wie es seit Monaten nicht mehr geregnet hat und mir heute Morgen beim Gassigehen wieder mal so ein Seelchen über den Weg gelaufen ist, das behauptet hat, es sei alles so schön und die Natur bräuchte den Regen ja so sehr – das bringt mein Wutfass fast zum Überlaufen: im Wald sind Bäume umgefallen, die Wiesen ersaufen, Keller und Straßen sind geflutet und nicht mal der Hund wollte heute mit mir ins Freie (was am Regen oder aber an meiner Verfassung gelegen haben könnte, genau wissen werde ich es nie). Mir ist danach, mir die letzten drei Haare auszureißen vor Frust und auf mir selbst Tee zu kochen vor Wallung. Kein Wunder, dass meine Magensäure überschäumt und es ständig grummelt und schmerzt.

Wenn ich bis jetzt gerade eben den Grund meiner höchstpersönlichen Ausnahmesituation noch nicht wirklich erfassen konnte – denn es ist weder prä-, noch post-… ihr wisst schon – jetzt kenne ich ihn. Gerade ist er mir telefonisch übermittelt worden. Klar, dass man an solchen Tagen dann auch noch fürchterliche Nachrichten bekommt. Es geht wie immer um Leben und Tod. Und es ist selbstverständlich zu schockierend, um sich der Tragweite in Gänze schon in diesen Minuten bewusst zu werden. Selbstverständlich fühlt man sich nun noch mehr nichts und vom Schicksal vernachlässigt, grundsätzlich fehlplatziert auf diesem Planeten und wurmgleich statt frauhoch. Und ich könnte wetten: gleich bekomme ich noch eine Workshop-Absage wegen Corona (ja, wir sind immer noch bei Covid-19!).

Andere mögen durch den Regen und das Leben tanzen. Ich gehe jetzt zum Team-Coaching und danach noch schnell in die Apotheke. Bald geht es mir bestimmt zumindest anders als jetzt gerade und meine Stimmung hebt sich bereits in Anbetracht des ersehnten Ausblicks. Jedenfalls freue ich mich schon auf mein Johanniskraut, wenn wir in Kürze die launige Berg- und Talfahrt per pedes im Vollmatsch am Königsee fortsetzen. Holldrihö.

15.06.2020


Leben mit Mogelpackungen

Mein Zeitfenster zwischen Pferdebeschwörung und Bürobesuch war heute tatsächlich etwas knapp kalkuliert. Also fuhr ich forscher als sonst, zumindest 200 m weit. Dann dümpelte ein Mitsubishi Spacerunner müßig vor mir her, ein echter Super-Schnarchzapfen. Und so geht es mir derzeit dauernd. Ich bin umgeben von Mogelpackungen.

Also ich meine damit nicht, dass ich nie vorwärts komme. Es geht sogar wieder bergauf und rauswärts, dynamisch immer heiter schneller wieder weiter – bis auf Weiteres und endlich. Aber ich denke mir ganz oft, dass nicht immer das drin ist, was drauf steht. Und so war das eben auch mit dem Spacerunner, diesem Lahm-Popo. Wenig vorher zeigten sich schon meine 1 PS von dieser trugschlüssigen Seite. Es steht zwar nicht Schlachttier im Equidenpass, aber ein Reitpferd – und als solches hatte ich die gute Stute ja damals käuflich erworben – ist sie definitiv auch nicht. Und schon gar nicht kurz vor oder nach Vollmond oder wenn es regnet und ihre Schlafkuhle geflutet ist oder wenn sie vor dem Reitversuch gegrast hat oder sie erst nach dem Reiten grasen darf. All das und vieles mehr verursacht regelmäßig grottenschlechte Stimmung. Dabei sieht sie total knuffig aus, die alte Mogelpackung.

Aber sie ist ja nicht die einzige. Auch die neue Anti-Falten-Creme, die mich täglich hoffnungsvoll in den Spiegel blicken und enttäuscht der Wahrheit ins Gesicht sehen lässt, straft ihr Hyaluron-Versprechen Lügen. Außerdem ist nicht alles gesund, nur weil es Körner enthält oder gut für die Figur, nur weil es nach nichts schmeckt. Wohingegen vieles total lecker ist, von dem jedes Kind weiß, wie schädlich es ist.

Verkehrte Welt – das ist auch, wenn zwei Menschen sich als Paar bezeichnen, aber eben nur Satzteil eins daran stimmt. In Teams gibt es dieses Phänomen ja sehr oft, dass genau genommen nur eine Gruppe drin ist und der kollegiale Zusammenhalt noch so viel Luft zum Wachsen hat wie die Chio-Chips-Verpackung Vakuum.

Wie ich auf den Gedanken kam? Derzeit ist es ja noch weniger schön, die Fernsehnachrichten zu gucken, als zu den schlimmen Zeiten vor einigen Wochen. Gefühlt überall Tumult und Kampf und in Anbetracht der eben erst abgeflauten Pandemie bekomme ich schon beim Zusehen die Krise. Doch die Demonstrationen sind für mich auch so eine Mogelpackung. Die Botschaften, die das multifarbige, -nationale und -kulturelle Kollektiv zu einen scheinen, sind von einer solchen Wucht und Wut getragen, dass man sich fragt, ob die alle wirklich noch den gnadenloses Gewaltakt an George Floyd meinen. Tatsächlich glaube ich, der allgemeine Unmut brauchte einen Anlasser. Und das war dann der arme Mann. Seitdem werden die USA durch Massenunruhen beschäftigt (meinen die nicht eigentlich Trump?). Und wir hier in Deutschland? So viel Solidarität gegen Rassismus hatten wir doch noch nie, oder? Die Deutung der Botschaft in der Botschaft überlasse ich jedem selbst. Ich habe ja gesagt: ich schreibe nicht mehr über C. Aber die Gedanken sind frei.

08.06.2020



Massenphänomen Selbstwert

Der Selbstwert war hier schon häufiger im Gespräch. Ich denke, er sollte auch jetzt wieder einmal Thema sein. Denn tatsächlich handelt es sich um ein zeitloses, altersübergreifendes, geschlechtsneutrales und vor allem grassierendes Phänomen. Ich will hier mal ein paar konkrete Beispiele aus dem Leben geben.

Sind euch schon einmal Leute untergekommen, die alles persönlich nehmen? Damit meine ich beispielsweise: ihr sagt eine Verabredung aus welchem Grund auch immer ab und der andere reagiert gekränkt? Das ist ein interessantes Hinweis-Verhalten auf negatives Selbstwertgefühl! Denn jemand, der einen unguten Selbstwert hat, bezieht euer Verhalten eher auf sich, als dass er es euren Lebensumständen zuschreibt. Deshalb habe ich als Tipp: Erklärt eurem Gegenüber eure Beweggründe und schickt sicherheitshalber noch hinterher, dass die Absage keine Absage an die Person ist, sondern eine zu der Verabredung, zu der ihr bestenfalls und wenn möglich gleich einen Alternativvorschlag macht.

Oder ist es euch schon einmal begegnet, dass ihr selbst eine heftige Gefühlsregung äußert – und der andere kann damit nicht umgehen, ist womöglich geneigt, darüber hinwegzugehen oder euere Beschwernis leicht zu nehmen, in dem er sie für ungewichtig oder irrelevant erklärt? Als Kind wurde mir immer gesagt: Es gibt auch Menschen, die im Rollstuhl sitzen – die haben echte Probleme (impliziert: deine sind keine). Das ist unempathisch, so viel dürfte klar sein. Jeder hat ein Recht auf seine Probleme! Deshalb: Lasst euch eure Probleme nicht nehmen, sondern bittet vielmehr um eine differenziertere Stellungnahme, mit der ihr euren Betrachtungshorizont erweitern könnt (sofern ihr das wollt), anstatt einfach zu schlucken und euch hinterher über die Herabwürdigung eurer Mit-Teilung zu ärgern.

Das gerade Erwähnte kennt noch eine Steigerung. Dann nämlich, wenn sich eure Gefühlsäußerung auf etwas bezieht, das der andere mitgeteilt hat. Dann steht womöglich Gefühl gegen Gefühl. Ärger gegen Ärger. Traurigkeit gegen Traurigkeit. Angst gegen Angst. Das Besondere: Die Auseinandersetzung unterbleibt, denn der andere geht aus dem Kontakt und rührt sich einfach nicht mehr. Auch schön. In diesen Fällen könnt ihr selbst überlegen, ob ihr die unwillentlich geschehene Kränkung ungeschehen machen könnt, euch selbst noch einmal erklären wollt – oder ob ihr einfach „ganz normal“ mit dem Kontakt weitermacht. Erwachsen eben. Relevant für das Verhalten ist auch hier wieder die vom anderen unterstellte, aus Richtung Minderwert motivierte Absichtszuschreibung: Wolltet ihr den anderen kränken? Nein? Und lag die Kränkung nicht implizit in eurer Wortwahl? Ihr wurdet also missverstanden, vielleicht wieder einmal – und der Rückzug ist auch nichts Neues? Dann lasst das Problem auch mal beim anderen. Es ist nämlich seins.

Ebenfalls hoch im Kurs im Hinblick auf Selbstwert ist nämlich auch die fehlende Fähigkeit, Nähe und Distanz gesund regeln zu können. Das will heißen, dass sich wertlos fühlende Menschen entweder intensive Nähe suchen (oder/und einfordern) und gleichermaßen mit subjektiv erlebter, zu großer Distanz (z. B. verursacht durch vollen Terminkalender) nicht umgehen können und dieses Faktum eines bewegten Lebens auf die Beziehung münzen, sie in Frage stellen. Erklärt euch, wenn ihr könnt! Und falls ihr nicht wollt, macht einfach ganz normal mit dem Kontakt weiter, so wie er im Moment eben für euch möglich ist.

Unter dem Strich ist all das ziemlich anstrengend, findet ihr auch? Das Interessante daran: Wir machen das alle, Selbstwert hin oder her, zumindest gelegentlich. Also packen wir uns doch auch mal an die eigene Nase. Wer an sich überhaupt nichts mehr Korrektur- oder Wachstumsbedürftiges findet, der ist ein Narziss. Ungeachtet der Tatsache, dass eben solchen Typen viele Türen und zuallererst die zu hohen politischen Ämtern offen zu stehen scheinen – so wollen wir dann letztlich doch auch nicht sein, werden oder enden, oder?

25.05.2020


Das Leben lieben

Ich hatte es ja versprochen: positiv oder gar nicht mehr. So sei es. Und prompt fiel mein Blick am Wochenende auf einen interessanten Artikel zum Thema „das Leben lieben“. Es steht zwar nicht drüber, was drin ist, aber im Wesentlichen kann es ja nur darum gehen, wenn eine uralt werdende Frau alle ihre Lieben überlebt.

Als die C-Krise noch ganz am Anfang stand und die staatlichen Eingriffe sich gerade eben erst anbahnten, habe ich mir als allererstes eine Liste in mein Tagebuch geschrieben. Ich hatte nämlich wahnsinnige Angst vor dem Eingesperrtwerden, so wie es in Italien über Wochen gewesen ist (meine Freundin Giovanna postete auf Facebook sehr oft leere Weinflaschen in dieser Zeit und ich kann es ihr nicht verdenken). Also habe ich versucht, die auch uns drohende Situation des Ausgeliefertseins unter Kontrolle zu bekommen. Auf meiner zweiseitigen Liste standen schließlich lauter Sachen, die ich drinnen im Haus hätte machen können. Dazu gehörten natürlich diverse Putztätigkeiten (Lustpegel = 0), verschiedene Kreativgeschichten (in diesem Kontext Lustpegel auch = 0), Kreuzworträtsel (Geduld = 0), Bücher (Konzentrationsvermögen = 0), YouTube-Videos über Pferdedisziplinen (0), Online-Yoga-Kurse (0), ein Fernstudium und so manches mehr.

Das Fernstudium habe ich dann vorsichtshalber einfach begonnen, obwohl ich ja weiterhin raus durfte. Lernen kann man ja überall und schaden tut es bekanntlich auch nicht. Und ich fand es in Folge der C-Krise nur richtig, mich für die Zukunft breiter aufzustellen, um bereiter zu sein als jetzt für was auch immer da kommen mag.

Was mir aber wirklich sehr geholfen hat außer Mimi, meinem Plüsch-Alpaka und Talisman in Stunde Null, ist die Gewissheit, dass es meine Oma auch geschafft hat. Trotz Krieg, Verlust des Ehemannes, mit zwei kleinen Kindern und ohne Geld. Also motivierte ich mich, nicht groß rumzulamentieren. Sondern einfach nicht weiter als bis zum kommenden Freitag zu denken und das schöne Wetter zu genießen.

Jetzt sehe ich so braun gebrannt aus wie nach zwölf Wochen Seychellen und es geht mir heiter bis wolkig, aber überwiegend trocken und die Böen nehmen auf das Niveau eines milden Lüftchens ab. Es zeigen sich diverse Perspektiven an meinem Horizont. Und dass ich überhaupt einen habe, ist ja auch schon was wert. Außerdem haben sich neue Erkenntnisse offenbart. Eine davon ist die, dass ich ziemlich sicher aus meiner Burnout-Vergangenheit mitgenommen habe, alles bewältigen zu können, so lange ich gesund bin. Da ich gesund bin, bewältige ich gerade. In diesem Falle hat das sehr viel mit Geduld (abwarten ist nicht gerade meine Stärke), Glaube an die Rückkehr der Normalität (leider abhängig von C-Entwicklung) und mit emotionaler Entbindung zum Geschäftlichen (ich versuche, nichts mehr persönlich zu nehmen) zu tun. Drei wirklich gute Übungen, um weiter zu wachsen – für mich zumindest.

Und dann lese ich eingangs erwähnten Artikel über diese 122 Jahre alt gewordene Frau, tatsächlich angeblich die älteste, die je gelebt hat: Sie hieß Jeanne Louise Calment. Sie rauchte fast bis zuletzt wie ein Schlot und hörte nur deshalb auf, weil sie nicht mehr gut genug sah, um sich selbst eine anzustecken. Außerdem schlief sie viel, aß gerne Knoblauch und frönte leidenschaftlich dem Portwein. Mit weit über 90 fing sie noch das Fechten an. Und den Mega-Geld-Coup landete sie unwissend, als sie ihre Wohnung einst gegen Leibrente an einen Juristen verkaufte: am Ende starb dieser vor ihr und sie erhielt bis zu ihrem Tod das Dreifache des eigentlichen Wohnungswertes. Alt werden kann demnach reich machen. Aber auch glücklich? Überlebt hat sie jedenfalls nicht nur den nachfolgenden Eigentümer ihrer Wohnung, sondern auch ihre eigene Tochter, ihren Ehemann, ihren Enkelsohn – und bestimmt noch manche mehr, die ihr lieb und teuer waren.

D A S muss man sich mal vorstellen. Da gehört wirklich eine unerschütterliche Resilienz dazu und die Fähigkeit, sich immer wieder einen Sinn zu suchen – ja, finden zu wollen. Schade, dass ich sie dazu nicht mehr befragen kann. Würde mich sehr interessieren, wer oder was ihr diesen Halt gegeben hat. Weiß der Himmel. Ja, der wird es wissen.

11.05.2020


Ein Virus, das glücklich(er) macht?

Überall noch immer die C-Krise in Zahlen und Kurven, Masken zum Shoppen und Mahnungen zur Vorsicht. Ich sehe und verstehe nur noch Corona, wohin ich auch blicke und höre. Und das geht jetzt schon so weit, dass ich Ähnlichkeiten erkennen kann zwischen einer dunkelschokolierten Praline mit roten Erdbeerguss-Tupfen, die ich gerne am Abend futtere und dem Virus, das uns alle so aus dem normalen Leben hebelt.

Ich registriere Veränderungen. Und damit meine ich jetzt nicht diese grauenvollen geschäftlichen, die mich alltäglich fordern, weil mein Pragmatismus (ich kann ja eh nichts ändern!) langsam einer pauschalen Lustlosigkeit weicht (will ich eigentlich noch irgendwas ändern?).

Ich merke, wie ich fauler werde und atemloser, dass mir beim täglichen Joggen immer schneller die Puste ausgeht und wie ich mich während der pausenlosen Qual permanent frage, warum ich mir das eigentlich antue. Ich finde meinen Schokoladenkonsum uferlos und es ist mir total wurscht, weil ich auf diese Weise meine Wut wenigstens an Pralinen ausbeißen kann, die aussehen wie Corona. Sie haben die gleichen roten Pusteln. Ich bekomme beim Lebensmittel-Einkauf Hitze-Wallungen, die nicht meinem Hormonspiegel, sondern den extrem luftundurchlässigen Masken zuzuschreiben sind – deshalb shoppe ich in rasantem Tempo und es gibt immer öfter das Gleiche zum Abendessen. Dabei gilt: Hauptsache hochkalorisch und mit Mayo und Ketchup kompatibel.

Außerdem stelle ich begeistert fest, dass ich mit zunehmender Trägheit auch immer genügsamer werde: meine Tage sind gefühlt ewig lang und mit immer weniger trotzdem irgendwie randvoll. Ich bin viel mit mir alleine und sehe nur vereinzelt Menschen. Aber das passt schon, weil ich das Mich-Festlegen komplett verlernt zu haben scheine. Telefonieren ist für mich übrigens genauso wenig eine Lösung wie Remote-Lösungen ein Ersatz für Präsenz-Seminare sind. Ich fahre kaum mehr Auto, spare Benzin und damit Geld und dass es weder Fernflüge gibt, noch Kurzurlaube, das macht mir wider Erwarten überhaupt nichts aus. Ich habe schon einiges gesehen von der Welt und bis auf die Tatsache, dass ich mir gerade in meinem Leben vorkomme wie in „täglich grüßt das Murmeltier“ kann mir die Ferne gerne bis auf Weiteres gestohlen bleiben. Genauso wie Atemluft-Diffusionen, die sich im Flugzeug mikrofein über die Klimaanlage verteilen und in meine Nasenlöcher schlüpfen. Oder Firmen, die jetzt einen auf „oh nein, wir müssen unsere Mitarbeiter schützen“ machen, obwohl sie gut im Saft stehen und eigentlich nur Manpower und Kosten minimieren wollen, mittelfristig. Oder Mitarbeiter, die nicht erst seit Home Office ihren Arbeitsplatz hassen, das aber mit Ängsten kaschieren, was bei zunehmend weniger Infizierten im Landkreis echt langsam schwierig zu verargumentieren sein wird. Dann wird es zur Führungs-Prüfung für die Chefs. Mal sehen wie die so ticken.

Aber wir waren ja bei dem, was mir gestohlen bleiben kann. Das wäre dann noch zweite C-Welle, die früher oder später kommen wird, nur vielleicht mit einem Covid-Uprgade. Jetzt, wo wir schon mal wissen, wie schnell wir wegsperrbar sind, können wir das Erlernte so oft es eben nötig ist wiederholen, alle Jahre wieder, bis wir alle pleite oder sozial so verarmt sind, dass wir uns selbst nichts mehr zutrauen. Schon gar nicht jemanden in die Arme zu fallen, denn das geht in Zukunft definitiv unter die Gürtelline. Schöne neue Welt.

P.S.: Ab sofort schreibe ich entweder gar nicht mehr oder nicht mehr über Corona oder nur noch Positives, versprochen.

30.04.2020


Trojanisches Pferd am Start

Wenn es um die Erklärung für absonderliches oder einfach auffälliges menschliches Verhalten (psychisch) kranker Menschen geht, mag ich diesen Spruch: nicht alles ist Krankheit. Was soviel heißen soll wie, es ist nicht jedes Verhalten automatisch eine Folge dieser Krankheit. Es ist oft kein Zwang, sich so und nicht anders zu verhalten. Manchmal ist es auch ein positiver (z. B. sozialer, wirtschaftlicher) Nebeneffekt, den jemand durch die Krankheit hat. Ein Krankheitsgewinn. Und genauso ist es mit Corona auch.

Ich will jetzt nicht zum Widerstand gegen die sozialen Beschränkungen aufrufen. Ganz im Gegenteil, ich halte sie für wichtig und umso wichtiger, als dass ich selbst ein dringendes, wenn nicht sogar existenzielles Interesse daran haben, irgendwann wieder Geld zu verdienen, von dem ich leben kann. Für diesen Wunsch trage ich dann gerne Maske und ganz egal bei was. Von mir aus halte ich auch maskiert Seminare für alle Zeit. Ich behaupte aber folgendes: wenn Menschen, die pumperlgesund und ohne Vorerkrankungen sind, Angst haben, dass sie sich – trotz Social Distance und Mundnasenschutz – bei einer haushaltsfremden Person während, sagen wir, eines Spaziergangs anstecken, dann hat das mit Corona nichts mehr zu tun. Dann stimmt was anderes nicht und Corona ist nur das Trojanische Pferd, mit dem etwas transportiert wird, das eh schon im Menschen war. Eine Angststörung vielleicht. Oder eine Abneigung gegenüber dieser haushaltsfremden dritten Person.

Wenn jemand also in seinem Job, weil er ihn irgendwann wieder machen muss, totale Angst vor Ansteckung bei seinen drei Kollegen hat, die symptomfrei, in großem Abstand und mit Masken auch im Büro sitzen, dann darf er nicht Corona die Schuld geben und die Kollegen zwingen, sich noch mehr einzuschränken als sie es ohnehin schon tun. Manche streben nämlich tatsächlich raus aus dem Home Office und rein ins reale Büroleben. Dann sollte sich dieser jemand mit seiner vielleicht nicht mehr angemessenen Angst beschäftigen.

Ich habe den Eindruck, dass sich hier und da Persönlichkeitsstörungen zeigen, die vorher zwar spürbar schon anwesend waren, aber noch nicht so dramatisch in absonderliches Verhalten umgeschlagen sind.

Was mich aber total nervt und mir selbst auch Angst einjagt, das ist, was ich in Firmen beobachten kann – oder lesen, wie heute in einem Artikel in der Erlanger Nachrichten. Dort betonte der Vorstandsvorsitzende der Nürnberger Versicherung wie gut es dem Unternehmen geht und dass vermutlich die Summen, die Betriebsschließungsversicherungen nun verursachen dürften, durch weniger Schäden in der Corona-Zeit wettgemacht würden. Da bin ich ja echt froh, weil ich dort eine Lebensversicherung habe, von deren Sicherheit ich übrigens vor 30 Jahren, als ich sie abschloss, bereits hoffnungsfroh ausgegangen bin. Gleichsam unkte der Herr Vorsitzende, dass es nun, nach Corona, nie mehr werden wird wie es war. Der Trend der Digitalisierung schreitet nun nämlich im Eiltempo voran und wird schon in naher Zukunft Standard. Wobei es natürlich weiterhin, vor allem im Bereich Altersvorsorge, auch mal ein persönliches Beratungsgespräch geben (müssen) wird.

Da ich neulich schon einmal etwas Ähnliches gehört habe von einem regional sehr präsenten Kreditinstitut – dort wurden die Öffnungszeiten der Filialen weit über die gelockerten Ausgangsbeschränkungen hinaus gekürzt und erste Filialen (vorübergehend?) geschlossen –, bin ich felsenfest überzeugt: Corona wird benutzt, um Strategien von oben umzusetzen, die längst schon auf dem Schirm waren, aber für viel mehr Widerstand gesorgt hätten ohne Corona. Wir reden hier von Stellenabbau, dem Verzicht auf Menschen.

Wenn es also wahr wird und Menschen, die sich als pflichtschuldige Bürger verantwortungsvoll durch die Pandemie geschlagen haben, immer mehr wegrationalisiert werden und in Zukunft ihre alten Jobs kaum wiedererkennen (sollten sie diese dann noch haben), dann stimmt es wirklich. Dann wird alles anders. Und nicht schöner. Aber Corona? Kann dafür nun wirklich nichts.

22.04.2020


Coronale Kreativität

Was sollen wir auch machen, außer stillhalten und abwarten? Das Leben genießen, trotz allem und jetzt erst recht, wo es doch gerade grünt und blüht und die Sonne so schön scheint? Dunkle Gedanken über Worst-Case-Szenarien verdrängen, weil es so ja auch nicht bleiben kann? Mir fällt zum Stattdessen so einiges ein!

Manchmal entstehen ja aus der Not auch Tugenden. Oder zarte Pflänzchen einer längst verloren geglaubten Kreativität. Oder Erinnerungen an längst vergangene Zeiten ploppen auf, angetriggert durch aktuelle Gefühlszustände. Ich weiß jedenfalls nicht, wann ich mich das letzte Mal vor jetzt gerade gelangweilt habe und es so richtig gut fand. Tatsächlich fühle ich mich sauwohl mit coronabedingt wenigen Vorsätzen, kaum Terminen und massig Zeit, die sich sowas von ausdehnt, was auch immer ich tue. Produktiv ist anders. Das interessiert aber kein Schwein. Wenn ich den Blick auf den stetig abnehmenden Kontostand weglasse, könnte es echt erst einmal so bleiben. Vorausgesetzt natürlich, das Wetter passt. Sonst würde mein Müßiggang womöglich in eine depressive Phase umschlagen. Johanniskraut kann ich auch nicht dauernd mampfen, das schlägt auf die Leber. Aber noch passt das Wetter ja und es kann, über das Jahr gesehen, nur noch besser werden.

Jetzt aber zu den coronalen Eingebungen. Damit ihr seht, dass in meinem Kopf jede Menge Leben tobt und um euch zum Schmunzeln zu bringen, hier einige kuriose Ausgeburten der nun plötzlich sehr langen, leeren Tage, an deren Ende ich – obwohl ich kein Geld verdiene – total entspannt ermüde und meist bestens schlafe:

Ich habe nun doch eine Haarschere ergattert und schneide mir meine dünne Matte fortan voller Selbstvertrauen und positive Affirmationen murmelnd eigenhändig. Augenzeugen berichten: was ich da anrichte, kann sich sehen lassen bzw. sieht man nicht, dass ich das war. Ich bin gut!
Zudem begutachte ich täglich und bei wechselnden Lichtverhältnissen, ob der Ansatz bereits so auffällig ist, dass ich zur Tönung greifen muss. Mein Mann berichtete erst gestern von einer Kollegin, die gerade ziemlich ergraut, vor allem, wenn die Sonne ungünstig über ihr steht – und das auch noch in Form eines Aalstrichs wie in meine Stute im Sommerfell trägt. Muss ich nicht haben. Ich werde also lieber gleich doch noch LÓreal hamstern gehen. In meinem Lieblingsladen, Drogeriemarkt Müller. Den, in dem man auch Sachen kaufen kann, über deren Nötigkeit für den täglichen Bedarf man streiten könnte, aber nicht muss. Hauptsache offen und oben kein Übergang.
An sehr vielen Abenden dieser langen, leeren Tage klatsche ich mir Masken ins Gesicht, die sehr viel versprechen. Beispielsweise Detox oder ein rosiges Aussehen oder eine Spontanverjüngung oder eine erfrischende Wirkung. Letztere hat mir fast schon Angst gemacht, weil sie mich ja aus meiner von einem milden Dauerlächeln begleiteten Lethargie erwecken könnte. Lieber nehme ich doch die mit dem goldenen Schimmer, Erdbeer-Geschmack oder Grüntee-Extrakt.
Ich habe mich mit der Kunst des perfekten Augenbrauen-Designs beschäftigt und mir dazu einen Stift gekauft. Er versprach viel, leistet aber auch nicht mehr als ich gerade. Jetzt habe ich ihn und teuer war er ja nicht, also egal. Ich beherrsche eine neue Kunst, zumindest theoretisch, praktisch fehlt mir entsprechende Augenbrauendichte.
Ein Thema, das spätestens übernächste Woche zum Problem geworden wäre, habe ich gerade noch rechtzeitig in günstige Bahnen gelenkt: Minderbeschäftigung führt bei mir nur bei gutem Wetter und nettem Pferd zu erträglicher Laune. Wenn das Wetter umschlägt, wechselt auch die Stimmung, wie oben bereits beschrieben. Deshalb bin ich jetzt präventiv wieder eine Studierende (eine Lernende war ich ja immer), habe mich an einem Fernlehrinstitut angemeldet. Für welchen Studiengang, das bleibt mein Geheimnis. Mein Herz sagt jedenfalls „ja“, mal sehen, was Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom dazu sagt.
Selten habe ich so viele Pflanzen gekauft und eingetopft wie gerade eben. Das hat auch was mit der Verknappung des Guts Pflanze per se zu tun, was im Frühjahr von früher ausgeschlossen schien. Aber momentan gibt es Balkonpflanzen ja nur in Supermärkten und es sind feierwürdige Zufälle, wenn ich bezahlbare und schöne ergattere. Mein Hirn deutet diese seltenen Situationen als Schnäppchen. Also kaufe und kaufe und kaufe ich und pflanze und pflanze und pflanze ich, wann immer ich kann.
Über die Tatsache, dass wir den Corona-Soforthilfeantrag nur im Hinblick auf die anstehenden Kosten stellen durften (und die entgangenen Umsätze, die uns unseren Lebensunterhalt sichern, diesbezüglich irrelevant sind), hingegen aber Zahnärzte, Ergo- und Physiotherapeuten ihre entgangenen Einnahmen analog des vierten Quartals 2019 zumindest prozentual ansetzen dürfen, habe ich mich richtig arg geärgert. Ungerecht ist das! Also habe ich eine Mail an Herrn Dr. Söder geschrieben. Mal gucken, was kommt und ob überhaupt was kommt. Spannung macht das Aufstehen am nächsten leeren, langen Tag ein wenig leichter.
Manchmal ist es auch ein zusätzlicher Gassi-Hund, der mich in Bewegung bringt. Und ein Frauchen, das mich braucht. Dann bin ich doch noch etwas sinnvoll.

Nebenbei gebe ich übrigens Reitstunden, wenn ich nicht gerade ein Praktikum in einer Tierarztpraxis, den Aufbau eines Online-Imperiums, YouTube-Videos und ein neues Buch plane – und für heute Abend Schafskäse paniert mit Bulgur an mediterranen Gemüsen.

Andere, die ich kenne, nähen gerade Atemschutzmasken aus bunten Stoffen, kaufen sich DVDs, um Workouts vor dem heimischen Fernseher zu machen, nehmen zu, weil der Weg zum Kühlschrank den Dauerlauf ersetzt, der in Anbetracht permanenter Videokonferenzen und abendlicher Totalerschöpfung regelmäßig ausfallen muss und holen sich im ergonomisch suboptimal ausgestatteten Homeoffice Leiden an Stellen, deren Existenz sie vorher gar nicht erahnten.

Bin ich doch besser dran, oder?

Jedenfalls kleide ich mich jeden Tag, wenn ich ins Büro fahre, als ob es mir an nichts fehlt. Denn ich habe mir fest versprochen: sollte ich letztlich doch nicht an der Krise wachsen, sondern an ihr untergehen, dann mit maximaler Würde, stolz erhobenen Hauptes (frisch gestutzt und getönt!) und geschmackvoll gekleidet. Besser ein Plan als kein Plan.

 

15.04.2020


Na, alles (un-) klar?

Ich finde im Moment keine richtige Orientierung. Obwohl die Corona-bedingten „Anordnungen von oben“ mittlerweile gebetet werden könnten, so oft wird uns multimedial mitgeteilt, was wir alles und insbesondere an Ostern nicht dürfen – im Detail scheint mir vieles schleierhaft.

Wenn ich nämlich aus meinem Bürofenster gucke, sehe ich direkt den Eingangsbereich des Eiscafés, das uns gegenüber liegt. Und da tummeln sich heute, an einem frühsommerlichen Apriltag, gut zwanzig Personen auf maximal 20 Quadratmetern. Sie lecken ihr Eis während sie miteinander stehend plaudern oder/und teilen sich Bänke. Wer da zu wem gehört, ist nicht nachvollziehbar. Ich kann mir aber auch nicht vorstellen, dass plötzlich viele Familien aus lesbischen Paaren mit gesamt fünf Kindern bestehen. Ungeachtet dessen heißt es ja, dass wir unsere Hintern nicht zu dicht beieinander und auch nicht für ein Weilchen auf eine Bank des öffentlichen Raumes pflanzen sollen. Sonst könnten doch auch gleich wieder die Cafés öffnen, oder? Aber was ist jetzt der genaue Unterschied zwischen sechs Bänken des öffentlichen Raumes und sechs Tischen vor einem Café? Erhöht hauseigene Bestuhlung die Ansteckungsgefahr und öffentliche Bänke nur, wenn wir länger als fünf Minuten zum Eislecken brauchen? Ist mir unklar.

Nächstes Thema. In der Zeitung stand, dass sich ein 18-Jähriger aus Nürnberg mit seinem Fahrrad auf den Weg zum Birkensee gemacht hat, nähe Lauf. Dort war er der einzige Mensch weit und breit. Also nahm er sein Buch und hockte sich ans Weiherufer. Just in diesem Moment passierte eine Polizeistreife die Einöde und verpasste dem armen Tropf ein Bußgeld in Höhe von 600 €. Die erboste Mutter wandte sich an die Nürnberger Nachrichten. Diese befragten Innenminister Herrmann zum Thema. Er hielt das Prozedere für rechtens. Weil wir unseren Hintern eben nicht länger als nötig – was auch immer damit gemeint sein mag (vielleicht um im Sitzen einen Schluck Wasser zu trinken auf unserer Radtour?) – auf öffentlichen Raum platzieren dürfen. Denn das Sit-in lockt andere an, es einem gleich zu tun und selbst, wenn im Umkreis von mehreren Kilometern niemand ist. It´s magic. Verstehe ich auch nicht so recht.

Nächstes Thema. Gerade wird ja darüber berichtet, dass Pflegekräfte endlich einen sozial höheren Stellenwert bekommen sollen. Das Mittel der Wahl, dies zu zeigen, ist Geld. Und dieses Geld – momentan ist die Rede von 1.500,00 € – soll fließen, weil die Pflege gerade total belastet ist. Dabei ist es übrigens völlig unerheblich, ob derjenige, der die Zuwendung erhält, einer Station angehört, die vorübergehend geschlossen worden ist (z. B. mit ambulanten Patienten arbeitende Stationen) und er selbst gebeten wurde, seine Überstunden abzubauen, bis ein sinnvoller anderer Einsatzort gefunden ist. Bitte versteht mich richtig: Die Pflegekräfte sind immer wertschätzungswürdig und zwar auf Dauer und sie sind auch oft am Limit, weil Unterbesetzung Alltag ist. Nicht erst seit Corona, dem Virus, dem der Ruf der noch ausstehenden „Welle“ in Deutschland vorauseilt. Diese Ausschüttung nach dem Gießkannenprinzip finde ich jedenfalls ungerecht all denen gegenüber, die gerade gerne arbeiten würden oder nichts lieber täten als ihr Unternehmen retten, aber nicht dürfen. Unklar eben.

Auch völlig eigenartig finde ich, wenn jemand eine Strafe bekommt, weil er in der SB-Waschanlage sein Auto säubert. Oder warum Kieferorthopäden geöffnet haben dürfen und Physiotherapeuten (die dann ohne Mundschutz direkt am Körper des Patienten arbeiten), während Friseure geschlossen bleiben sollen. Verquer finde ich auch, dass im Drogeriemarkt Müller in Spardorf alles verkauft werden darf und unterdessen in der Filiale in Erlangen Zentrum nur Kosmetik und Toilettenartikel (ihr wisst schon) erhältlich sind. Verstehe ich nicht.  

Total klar ist mir hingegen und das war auch wirklich abzusehen, dass es im besagten Drogeriemarkt keine Haarscheren mehr gibt. Wann die wiederkommen, war wiederum am Tag meiner dringenden Nachfrage bis auf weiteres unklar. Und dass ich mir in meiner Not vor Ort einen Lockenstab gekauft habe, weil ich mir ja irgendwas einfallen lassen musste, um das Chaos zu befrieden, das dürfte wieder nachvollziehbar sein.

Oder? Alles (un-) klar bei euch?

06.04.2020


Kann man Leid vergleichen?

Heute Morgen habe ich - entgegen meines Vorsatzes und wenn auch nur beim Duschen - doch einmal wieder Radio gehört. Und ich habe mich spontan nicht gewundert, als ich die bissigen Kommentare einiger Hörer auf so manche Corona-Klagen  vernahm.

Denn das ist typisch Mensch: Von Haus aus sind wir ja Herdentiere und deshalb von Natur aus mit den Spiegelneuronen ausgestattet. Diese machen es möglich, das Leid anderer Herdentiere durch mentales Nachvollziehen selbst zu spüren. Vielleicht nicht ganz so dramatisch wie am eigenen Leibe, aber dennoch merklich. Wir nehmen Anteil, wenn wir jemanden weinen sehen und wollen helfen, wenn uns jemand von seinem Kummer berichtet.

Dieser völlig normale und uns zu sozialen Wesen machende Mechanismus wird beispielsweise durch gestörte (früh-) kindliche Entwicklungsprozesse behindert. Oder durch eine Schädigung des Gehirns. Oder eben auch durch emotionale Stör- und Belastungszustände wie vermutlich viele sie in der gegenwärtigen Situation gerade haben. Ja, bei eigenem Stress hört dann die Friedfertigkeit auf. Dann ist Schluss mit Empathie.

Verschiedene Hörer schilderten, wie sehr sie ihr beengten Räumlichkeiten in die psychische Bredouille bringen, wenn sie dort auch noch x Kinder beschäftigen und bespaßen sollen, quasi um die Uhr und Tag für Tag und wer weiß, wie lange noch. Verständlich. Andere fanden es extrem unlustig, im Home Office bei einem noch stärker getakteten Arbeitstag als sonst schon kontaktmäßig zu verkümmern. Und wieder andere waren von Ängsten geplagt, was ja ziemlich naheliegend ist, etwa, wenn man gerade kein Geld verdienen kann oder der Job auf Kurzarbeit und damit 60 % des Einkommens reduziert wurde nach nicht mal zwei Wochen Ausgangsbeschränkung in Bayern.

Und was passiert? Die Leute kommentieren die Sorgen der anderen, spielen diese herunter oder strafen diese sogar mit Hohn. Statements wie „stell dich nicht so an, ich bin alleinerziehend und habe es geschafft, x Kinder ins Leben zu bringen“ oder „habt ihr doch selbst gewusst, was es heißt, Kinder zu haben“ oder „ihr habt wenigstens einen Garten“ häufen sich. Und das ist fast noch schlimmer als die Corona-Krise selbst, gegen die ich übrigens nahezu immun geworden bin: ich rechne mit dem Schlimmsten und freue mich auf das Beste, die doch schnellere Rückkehr zur Normalität als man denkt.

Was haben wir dann, wenn die Menschen weiter so miteinander umgehen, weil allseits der Stresspegel steigt und die Empathie verloren geht, übereinander gelernt? Dass wir in der Not asozial werden?

Ich bitte uns: lassen wir die Menschen doch jammern, stöhnen, weinen und auch einmal das Negative am Erleben, den Frust, die Wut, die Angst artikulieren. Ohne zu vergleichen. Ohne zu bewerten. Ohne uns zu denken „ja, aber ich leide noch viel, viel schlimmer und deshalb sei du armes anders Schweinderl gefälligst ruhig!“

Das ist jetzt eine gute Übung für alle, die an ihrer erwachsenen, reifen Persönlichkeit und zugleich ihrer Beziehungstauglichkeit arbeiten möchten: wenn jemandem diese aktuelle Situation sehr zusetzt, dann i s t das halt einfach so und es steht uns nicht zu, darüber zu urteilen, wer unter welchen Umständen klagen darf und wer nicht. Es gilt, das subjektive Erleben und Empfinden unserer Mitmenschen zu respektieren. Trösten ist übrigens auch nicht immer der probate Weg, um Anteilnahme zu spenden. Dabei geht es im Wesentlichen um Akzeptanz, wirkliches Verstehen wollen und Einfühlungsvermögen - nicht darum, Leid zu vernichten. Und wer weiß, wann wir selbst einmal in eine Lage kommen, sofern wir es vereinzelt oder situativ nicht sogar schon sind, in der wir dankbar dafür wären, dass uns ein anderer wirklich hört, sieht und sein lässt. Also fangen wir doch einfach an. Bei uns.

31.03.2020



Besorgt euch auch eine Mimmi!

Normalerweise propagiere ich ja Digital Detox. Im Hinblick auf die aktuelle Situation habe ich mich nun jedoch hinreißen lassen, häufiger Facebook zu frequentieren. Leider ein paar Mal zu oft. Habe ich eine Wut jetzt! Ihr auch?

Ich bin vor einiger Zeit ganz bewusst ins Soziale Netz gegangen, um mit anderen Menschen in meinem Wohnort in Kontakt und up-to-date zu sein, lokal gesehen. In den letzten Tagen, seit Söder als Vorreiter die Ausgangsbeschränkungen angeordnet hat, kommen allerdings meine dunklen Seiten immer mehr zutage. Erstens, weil Söder von vielen in den Bayerischen Himmel gelobt wird - als ob er aus purer Fürsorge und aus keinerlei politischen Motiven heraus handeln würde. Zweitens, weil es da draußen offenbar einige „Seelchen“ gibt, die mit engelsgleichen Zungen propagieren, man solle sich an den erblühenden Bäumen freuen, die gerade jetzt so richtig aufatmen können. Und drittens, weil einige Leute tatsächlich behaupten, es sei gewinnbringend für Partnerschaften und Familien so gut wie rund um die Uhr im trauten Heim aufeinander zu hocken - ja, da kann man sich tatsächlich mal so richtig kennen lernen. Viertens und letztens, weil sich immer wieder gleich Wortführer hervortun als Sheriffs oder Retter der örtlichen Menschheit. Ich muss laufend an mich halten, um keinen verbalen Krieg anzuzetteln.

Um das besser zu können, habe ich meinem inneren Kind, das sich im Minutentakt zwischen Trotz, Trauer und Wut bewegt, emotional also ziemlich rege ist, vor einigen Tagen ein Alpaka gekauft. Es heißt Mimmi und wohnte bis Freitag im Drogeriemarkt Müller. Und es schaut so niedlich drein, dass es eine besänftige Wirkung auf mich hat.

Vielleicht drehe ich ja durch demnächst. Ganz sicher aber passiert das, wenn ich nicht mal sagen oder schreiben kann, wie sehr mich die Situation mindestens pauschal annervt, sozial arm und mürbe macht, wenn nicht gar wirtschaftlich massiv bedroht. Ich denke über die Zukunft nach und finde nur diverse Cases, von denen kein Mensch weiß, ob sie eintreffen. Sie könnten aber alle. Und ich denke über die Gegenwart nach, in der mir stellenweise so rein gar nichts mehr taugt. Bei denen, die weiterhin ihrer Arbeit nachgehen und deren Alltag sich nicht groß verändert hat, mag das etwas anders sein. Die können freilich mit flachem Temperament über Gänseblümchen grinsen. Versteht mich bitte richtig: Natürlich finde ich die blühende Natur auch schön, aber nicht erst jetzt und jetzt schon gar nicht. Manche tun so, als hätten sie noch nie in ihrem Leben den Frühling bemerkt. Dann hat Corona ja tatsächlich mal was Gutes angerichtet. Ich sehe den Frühling jetzt schon im 52. Jahr. Er überrascht mich weder, noch überwältigt er mich gefühlsmäßig. Das kann nur der Blick in den Spiegel momentan. Denn ich sehe Wut. Ich sehe Tränen. Ich sehe Furcht. Und ich sehe, genau genommen, gerade aus, als ob ich in den letzten zwei Wochen um Jahre gealtert bin.

Ich finde, es muss auch Zeit und Raum sein für das Hadern und Bangen, das Fluchen und Nörgeln und für die Angst, dass danach (wann auch immer das sein mag) nichts mehr ist wie zuvor. Vielleicht auch deshalb, weil uns diese Krise neue Erkenntnisse bringt, über uns selbst und die Menschen. Oder auch eine Posttraumatische Belastungsstörung im Kollektiv.

Bitte schreibt uns, wenn auch ihr euren Corona-bedingten Gefühlen freien Lauf lassen wollt. Wir halten das schon aus: info@mein-zeitraum.de

24.03.2020


Coronalschäden

Ich lese gerade das Buch eines Profilers und beschäftige mich – quasi von Berufswegen – mit den Abgründen der menschlichen Psyche. Tatsächlich tun sich diese jedoch auch in meinem Leben auf, direkt vor meiner Haustüre, wenn man so will und auch in mir selbst, sorry.

Jetzt hat uns Corona also alle in seinem Bann. Dabei ist zum Glück das, was so ein Virus im Schilde führt, erst einmal Nebensache. Ich bin zwar noch immer erkältet und meinen Mann hat es auch erwischt, ich denke aber, das wären wir auch ohne Corona.

Die Grenzen sind geschlossen seit heute. Es gibt kein Entkommen mehr. Und EDEKA reglementiert die Käufe mancher Waren wie Toilettenpapier und Seife (was ich gut finde: ich habe gestern in Tennenlohe einen Mann beobachtet, der drei Großpackungen Klopapier unter seinem Arm nach Hause trug, sonst nichts – das hat mich richtig aggressiv gemacht). Die Schulen und Kindertagesstätten sind geschlossen. Altenheimbesuche soll man sich sparen. Alle, die können, sollen im Homeoffice arbeiten und möglichst auch zuhause auf soziale Kontakte verzichten. Und in der Zeitung stehen unter so gut wie allen Veranstaltungshinweisen Abgesagt-Hinweise.

Freunde von uns, die am kommenden Montag aus ihrem Österreich-Urlaub zurückkommen werden, dürfen sich vermutlich gleich im Anschluss in Quarantäne begeben. Mein Mann und ich haben heute darüber gerätselt, ob sie sich dann noch etwas zu essen kaufen dürfen. Oder auch können. Wer weiß, welche Supermärkte am Montag noch geöffnet sind und ob so eine Quarantäne eine „Muss“- oder „Soll“-Anweisung impliziert, sich auf direktem Wege und ohne Umwege in die Abgeschiedenheit aufzumachen. Eine Reitstallfreundin, sie ist Mutter von zwei männlichen Teenagern und alleinerziehend, sagte heute zu mir, dass sie nicht ganz sicher sei, ob sie die mehreren schulfreien Wochen mit ihren beiden rebellischen Jungs heil überstehen werde, ohne dass Mord und Totschlag zu befürchten sei. Eine Kundin, die ich gestern total zerknirscht am Telefon hatte und deren Mann ein Familienunternehmen führt mit zwanzig Angestellten, bangt um den Betrieb und ihre familiäre Existenz. Die Partnerin einer Bekannten hatte gestern einen Nervenzusammenbruch: sie ist Hebamme und bekommt keine Termine mehr, während auch der Berufsverband aufruft, Kundenkontakte so minimal es nur geht zu gestalten. Der Eismann gegenüber unseres Büros berichtete mir, er sei für sechs Messen als Caterer gebucht gewesen, die nun alle ausfallen. Er fügte hinzu, dass er nicht wisse, wie er jetzt sein Geld verdienen solle. Auch hier hängt, wie bei italienischen Mitbürgern üblich, eine ganze große Familia am versiegenden Geldtropf. Denn in seinen zwei Läden ist – so kurz nach der üblichen Winterpause – ja auch erst einmal kein Umsatzhoch zu erwarten.

Es ist gespenstisch. Wie in einem Science Fiction. Ich war gestern von den vielen Seminarabsagen innerhalb von wenigen Stunden so traumatisiert, dass ich ständig grundlos lachen musste. Heute morgen flossen dann die Tränen. Ich habe es erst gar nicht gemerkt. Sie liefen – einfach so aus mir heraus. Ich nenne das jetzt mal Coronalschaden, wenn virusbedingt die Psyche entgleist. Und ich denke, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein in den nächsten sechs bis acht Wochen. Ich mache mich jetzt einfach mal auf das Schlimmste gefasst und kaufe am Montag, sollte es noch dazu kommen, erst einmal einen Vorrat Johanniskraut.

Dass ich ein paar Wochen einnahmenfrei überstehen kann, versteht sich von selbst. Ich bin fast mein ganzes Leben lang selbständig gewesen und weiß, dass man einen Puffer braucht. Wie die vielen anderen Kleinunternehmer da draußen, waren aber weder Julia, noch ich darauf gefasst, dass uns so etwas passieren würde. Wir waren immer fleißig und haben uns auf unsere Leistungen verlassen. Und auf unsere Partnerschaften. Pfff. Ich weiß nicht, wie oft ich dieses Wort in den vergangenen dreizehn Jahren in den Mund genommen habe. Stolz und glücklich. Wir arbeiten für Unternehmen in der Regel nicht nur einmal, weil wir eben gut sind. Doch auch das ist ein Coronalschaden: ich weiß noch nicht, wie ich in Zukunft dazu stehen werde und was ich daraus machen werde, dass die Rahmenverträge unserer „Partner“, die wir lediglich zur Unterschrift vorgelegt bekommen und die in einigen diesen Corona-Absagefällen tatsächlich einmal zu unseren Gunsten greifen würden, nun für hinfällig erklärt werden, will heißen: nähmen wir die Vertragsgrundlage für bare Münze und würden wir unser vereinbartes Honorar als Ausfallhonorar in Rechnung stellen, können wir dort in Zukunft nicht mehr darauf zählen, ein Seminar platziert zu bekommen. Und das wird uns ziemlich genau so auch mitgeteilt.

Vielleicht liefen auch deshalb die Tränen. Ich bin total traurig, denn ich habe mich getäuscht. Immer in gutem Glauben gehandelt. Mein Bestes gegeben. Und das von Herzen gerne. Aber dass ich im Notfall, der für uns alle Neuland ist, in der Bedeutungskette geringer bin als ein Wurm, das war mir noch nicht klar gewesen. Und was ich aus diesem Coronalschaden machen werde, das weiß ich noch nicht genau. Ich habe jetzt ja auch mehrere Wochen Zeit, darüber nachzudenken. Wochen, in denen ich nicht schwimmen und nicht auf Veranstaltungen gehen kann, nicht shoppen oder verreisen werde. Sondern über meine Zukunft nachdenken, lesen und schreiben, das kostet kein Geld und ist überall möglich. Wir werden sehen, sofern ich das überlebe, was dabei herausgekommen ist.

17.03.2020


Im Corona-Fieber

Ich traue mich gerade kaum mehr auf die Straße. Denn ich habe Schnupfen. Und den darf ich mir in diesen Tagen so wenig leisten wie noch nie zuvor. Also schäme ich mich für meine erste Erkältung seit einem halben Jahr. Und schniefe so leise und unauffällig es eben geht in täglich etwa 40 Taschentücher.

Klar, das habe ich Corona zu verdanken. Dieses Virus macht nicht nur die Atemwege krank, es macht vor allem die Welt verrückt und die Menschen hysterisch. Und so sehr ich mich auch bemüht habe, das alles wie die alljährliche Influenza-Welle an mir vorbeigehen zu lassen, hat Corona jetzt auch mich im Griff. Dabei dachte ich, wenn meine Eltern es schaffen, auf eine Kreuzfahrt nach Asien aufzubrechen, sollte ich mich in Uttenreuth doch wirklich sicher fühlen. Nun bin ich doch verunsichert. Auf multiple Weise.

Am Wochenende wurde mir das Ausmaß der drohenden Katastrophe erstmals schmerzhaft bewusst. Ich ging mit meinem Mann Gassi und traf eine liebe Freundin mit zwei Bekannten im Schlepptau. Wie immer begrüßte ich ihre Hündin zuerst, und zwar wie üblich aufs Herzlichste. Dann wandte ich mich den Menschen lächelnd und mit den Worten zu „und jetzt seid ihr dran“ - und alle drei Damen hoben gleichzeitig die Arme zur Abwehr des Feindes (Corona?) und mit Angst im Gesicht. Ich stolperte Abschiedworte stammelnd weiter, war auf so eine rabiate Reaktion nicht gefasst gewesen und entsprechend gekränkt.

Beleidigt wieder zuhause überlegte ich, ob ich Corona womöglich zu Unrecht auf die leichte Schulter nahm. Ich war noch nicht ganz entschlossen, das zu glauben, als mich am Montag in der Tageszeitung eine halbseitige Anzeige mit Anweisungen zu präventiven medizinischen Gepflogenheiten ansprang. Außerdem waren bemerkenswert viele Artikel zum Thema abgedruckt. Ich finde, die Hausärzte können einem gerade echt leid tun.

Jedenfalls fuhr ich später am Tag - etwas müder als ich es normal am Nachmittag sein sollte - Richtung München und machte Halt im Ingolstadt Village, wo mir einige Chinesen mit Atemschutzmasken begegneten. Als ich die dortige Luxus-Toilette aufsuchte, bevor meine Fahrt weitergehen sollte, überlegte ich mir, ob es wohl möglich sein könnte, ohne Berühren sämtlicher Türen und Griffe ins Freie zu gelangen. War es nicht. Nachdenklich setzte ich mich ins Auto. Ich nieste mehrmals und heftig und schlagartig immer öfter. Konnte das so schnell gehen, sich etwas eingefangen zu haben? Sicher nicht. Oder doch?

Am Abend, im Hotel, fielen mir dann am Tisch nebenan zwei Italiener auf. Ich überlegte, wie groß der Abstand zwischen Personen, die sich gegenseitig nicht infizieren sollen, mindestens zu sein habe - waren das nicht zwei Meter? W A R E N das wirklich zwei Meter?

Über Nacht verdichtete sich meine Nase und ich bekam kaum mehr Luft. In diesem Zustand ging ich dann in ein nahegelegenes Krankenhaus, um dort ein Seminar zu halten. Schon an den Eingangstüren wiesen zig Schilder mit vielen Ausrufezeichen darauf hin, dass Menschen mit Atemwegs-Symptomen auf KEINEN Fall hier hineingehen, sondern sich sofort zur Notaufnahme begeben sollten. Zählt ein Schnupfen als Atemwegserkrankung?

Mit schlechtem Gewissen hielt ich das Seminar. Und erfuhr darin, dass im betreffenden Städtekreis das Klopapier in den Supermärkten knapp geworden war. Meine Freundin Bärbel berichtete heute Morgen im Stall, dass die Tomatendosen - wie aufmerksam von mir bemerkt - nicht nur bei REWE, sondern auch bei EDEKA langsam zur Neige gehen. Und zwischenzeitlich hat die erste meiner Partnerfirmen ein Seminar kurzfristig abgesagt, um die Corona-Ausbreitungsgefahr einzudämmen. Von einem anderen Unternehmen erhielt ich heute die Anweisung, auf keinen Fall jemanden zum Seminar zu entsenden, der sich in einem Risikogebiet aufgehalten hat. Da weder das Ingolstadt Village, noch Uttenreuth auf der Liste stehen, werde ich jetzt dort morgen ganz mutig direkt durch die Hauptpforte schreiten, mit Ibuprofen inside mein Seminar halten und hoffen, dass keiner allergisch auf meinen Schnupfen reagiert. Vielleicht komme ich einfach maskiert, macht bestimmt was her in Sachen Hygiene und fällt, falls überhaupt in der Oberpfalz, nur positiv auf.

12.03.2020


Verpasste Chancen

Vielleicht kennt ihr das auch: Manchmal scheint es wie am Schnürchen zu klappen und ganz ohne eigenes Zutun fügt sich alles Mögliche zu deinen Gunsten - manchmal auch zu deiner Überraschung. Und abschnittsweise, nun ja, irgendwie nichts.

So ist das bei mir gerade. Es hakt hier und zwickt da. Menschen, die sich noch nach Jahren an einen Auftritt als Referentin erinnern und mich für einen Vortrag buchen möchten, nennen mir ihren Termin. Ich denke „Treffer versenkt“. Da kann im Rest der betreffenden Woche gähnende Leere herrschen, doch genau an diesem Tag, zum besagten Termin, bin ich schon für eine andere Veranstaltung gebucht. Toll. Ist jetzt schon ein paar Male in Serie passiert.

Die andere Alternative ist diese: Eine soziale Trägerschaft aus Südbayern ruft an und möchte mich buchen. Ich habe Zeit und freue mich. Da es sich aber „nur“ um einen Vortrag für eine Betriebsversammlung handelt, der in Anbetracht der beträchtlichen zu fahrenden Hin- und Rückkilometer für mich zur Ganztagesreise wird, scheitert es in bestem Einvernehmen am Geld.

Ich telefoniere Firmen hinterher und Kliniken. Und entweder es geht gar keiner ran oder es antwortet niemand auf meine Mail oder ich habe jemanden an der Strippe, der mir erklärt, die Planung sei soeben abgeschlossen.

Atmend vertraue ich in diesen Zeiten auf den Fluss des Lebens und denke an all die schicksalhaften Fügungen, die mich von jeher begleiteten. In diesem Jahr ist auch ohne das Nicht-Zustandegekommene genügend los, wahrlich.

Leicht sind verpasste Chancen trotzdem nicht zu ertragen. Ich finde sie gemein und frage mich, womit ich gerade in Resonanz gehe: will ich gefragt sein, aber kein Geld verdienen?!

Sicher ist, es werden wieder andere Zeiten kommen, in denen alles geschmeidiger läuft. In denen Themen und Termine passen, sich alle im Umfeld, die sich zu trennen gedenken, getrennt haben und heimisch werden in ihren neuen Leben. In denen die Kranken gesund geworden oder aber gestorben sind. In denen die Unzufriedenen umgezogen sind oder den Job gewechselt und neue Perspektiven erschlossen haben. In denen die Miesepeter und Stimmungskiller in meinem Umfeld wieder mit sich im Reinen sind - oder aber endlich mal merken wie bad ihre Vibes in Wirklichkeit sind. In denen sich die Wolken endlich verzogen haben und der unkalkulierbare Regen der Sonne gewichen ist. Weil, ja, auch das Wetter geht mir schleichend, aber stetig auf den Geist.

Und obwohl meine Hoffnung standhaft ist und meine Lebenslust in der Regel so schnell wieder aufklart wie eintrübt, habe ich jetzt, mit dem heutigen Tag, definitiv die Schnauze voll. Denn die Chance, die ich gerade verpasst habe, ist schier eine Unverschämtheit:

Der Hufpfleger meiner Stute zeigte mir vorhin auf seinem Smartphone das Foto eines soeben neugeborenen Kälbchens in seinem Rinder-Bestand. Er erzählte, er würde seine „Moggala“ (fränkisch: Tierbabys) immer nach den Pferdekunden benennen, bei denen er am Geburtstag als nächstes zu Besuch ist. Das Kälbchen würde also Andrea heißen und ich stolz wie Oskar eine glückliche Kuhpatin geworden sein. Hätte, hätte, Fahrradkette. Es ist ein Bulle. „I hob sofodd unter´s Schwänzla g´schaut“, sagte der Huf-Otto. „So ein verdammter Scheißdreck“, sagte ich.

25.02.2020


Gut, dass wir nicht ewig leben

Nein, ich bin nicht depressiv. Ich entdeckte sogar beim Spaziergang mit dem Gassihund heute, während ich von orkanartigen Böen aus dunklen Wolken gebeutelt wurde und von patschnassen Schneeschauern aus allen Richtungen Pandaaugen bekam, den Frühling im Detail. Das Leben kann trotz allem ziemlich schön sein.

Fragt sich nur, wie lange noch. Und das meine ich durchaus ernst. Wenn in nicht allzu ferner Zukunft  Avatare die Bahnauskunft erteilen (vorausgesetzt freilich, sie verstehen uns richtig) und Beratungsjobs übernehmen, dann bin ich doch irgendwie froh, dass ich das nicht mehr erleben werde.

Ich bin definitiv einer anderen Zeit entsprungen. Einer Zeit, in der man als Kind kaum den Weg nach Hause fand (also nicht heim wollte, weil es draußen und mit den anderen so viel schöner war), meterlange Telefonstrippen durch die ganze Wohnung zog, sobald man von den Freunden getrennt war und fortwährend Briefchen schrieb - sogar der Oma, die täglich mein Bett machte. Meine Eltern haben mit mir ganz ohne Navi fremde Länder bereist, Lagerfeuer am Strand entzündet und Lieder gesungen. Manchmal waren wir an die sechs Wochen ohne Telefon und TV unterwegs. Mit Zelt. Einfach nur so. Zum Sein.

Wissen wir heute noch wie das geht? Einfach nur sein? Langeweile genießen zum Selbstzweck Erholung? Seele baumeln lassen ohne Plan? Spontanen Ideen folgen? Tee trinken. Buch lesen. Einatmen. Ausatmen. Und ab und an in Zwei- oder Mehrsamkeit eintauchen, den Austausch toll finden, neugierig auf das sein, was den anderen umtreibt?

Es ist selbst für mich analoges Fossil schwer geworden. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass es mir auch mit denkbar wenig digitaler Ablenkung gelingen kann, mein Leben aufzuhübschen. Ich bin auf dem besten Wege seit ich immer seltener Whats App verschicke, Facebook nur früh mal kurz zum Scrollen öffne, E-Mails kompakt checke, wieder mehr telefoniere, mich mit Leuten treffe und weniger online shoppe.

Bevor ich mich mit Digital Detox beschäftigt habe - ich lese gerade viel darüber - war mir gar nicht bewusst gewesen, was für ein Schicksal den Jungen aufgebürdet ist, die in diese Zeiten hineingewachsen sind und das Leben von früher so gar nicht kennen. Ihr Tag und ihr Denken sind total fragmentiert, weil alle paar Minuten der Messenger quiekt, die Spielgier reizt oder der neueste Post auf Instagram lockt. Die Aufmerksamkeitsspanne wird immer kürzer - und ich las sogar von einer „kollektiven Verhaltensstörung“, sorry, Hirn baut ab, Sozialkompetenz sinkt.

Das ist das reale Leben der Generationen jetzt. Die Technologie bietet jederzeit und überall Zugang nach was immer du brauchst - klar, dass man da ständig in Kontakt sein und im Netz bleiben will. Deshalb schaltet kaum mehr jemand ab, weder tagsüber, noch nachts. Wie quälend muss es sein, wenn das Smartphone mal kaputt ist und du zwangsläufig entbunden bist. Oder wenn du schlicht mal kein W-LAN hast. Ist der herrlichste Traumstrand noch erholungswert ohne Status-Report an die Community? Und schmeckt das Essen so ganz ohne Foto-Story? Wenn die Sucht schon sehr ausgeprägt ist, können sogar Entzugssymptome - Ängste, Unruhe, depressive Verstimmung - in Erscheinung treten. Klar. Denn dann stellt sich die Frage und völlig zu Recht: Wer bist du dann im dir völlig unbekannten Offline-Modus? Was macht dich aus? Was bereitet dir Glück?

Und vor dem Hintergrund dieser meiner Gedanken stellt euch nun folgendes Szenario vor: Ich komme von einem Besuch bei meinen Eltern zurück und passiere mit meinem Auto das Ortsschild. Es ist bereits dunkel. Da sehe ich meinen Mann auf dem Gehsteig laufen. Ich kann so schnell nicht anhalten, ich bin viel zu überrascht und der Typ im Wagen hinter mir wäre es noch viel mehr. Also fahre ich verwundert nach Hause, wo mein Mann normalerweise um jene Zeit mit dem Tablet auf der Couch zu sitzen pflegt. Er ruft via Smart-Watch-Communicator bei mir am Handy an und fragt, ob ich auch mit spazieren gehen möchte. Ich stimme (wieder verwundert) zu und komme ihm entgegen. Wir laufen zügig, ja stramm, um nicht zu sagen echt sportlich durch das abendliche Dorf. An einer Kreuzung entscheidet er sich für einen Umweg. Weiter verwundert haste ich mit. In einer Stunde waren wir schließlich ziemlich weit gekommen.

Wieder zuhause, mit roten Bäckchen und hungrig, erklärt er mir, warum das Ganze: Er hatte von seinem „virtuellen Freund“ von der Smart Watch - einem Anousch aus dem Iran, der dort vielleicht auch tatsächlich existiert und ganz sicher unserer Zeit 3,5 Stunden voraus ist - eine Challenge über 10.000 Schritte angenommen. Nach Klick auf „O.k.“ sprang er deshalb aus dem Haus und spurtete los. Von wegen Laufen um des Bewegens Willen. Naja. Mir hat´s gepasst.

Daheim wurde jedenfalls offenbar, dass die Smart Watch aus Gründen, die mir unbekannt geblieben sind, weil sie in meinem Kichern untergingen, die Schritte nicht gezählt hatte.

Tja. Was soll ich sagen? Reales Pech für ihn, diebische Freude für mich und am Ende ein Workout für uns beide. Yeah.

18.02.2020


Mit guten Gedanken in den Wahnsinn

Ich persönlich finde ja Rituale überlebenswichtig. Sie geben dir Halt in miesen Zeiten und takten so manchen trüben Tag, was ziemlich komfortabel ist. Eines meiner wichtigsten Rituale ist mein Frühstück. Ein Müsli. Mit Früchten. Aus Nord, Süd, Ost und West. Das Blöde daran: Es steht meiner Plastik-Diät im Wege. Und macht mir deshalb jetzt schon früh um sechs ein schlechtes Gewissen.

So sehr ich mich auch bemühe, es mangelt mir momentan an kreativen Ersatzlösungen. Wahrscheinlich muss mein ökologisches Bewusstsein da noch reifen, weiter wachsen. Und freilich könnte ich in einen der wenigen Früchteläden gehen, einer befindet sich zufälliger Weise direkt gegenüber von unserem Büro. Auf diese Weise würde ich auf wirklich kürzestem Wege auf die Blaubeeren in ihrer unverzichtbaren Umverpackung verzichten und stattdessen auf etwas handlichere Ware, die sich dann in Papier transportieren lässt, umsteigen. Doch, so flexibel kann ich sein.

Also merke ich mir diese Möglichkeit schon mal vor und gelange - nachdem mein Mann und ich von Einweg-  auf Glasflaschen umstellen wollten, aber nicht konnten, weil der lokale Getränkehändler von Glas- auf Mehrwegflaschen umgestellt hat im Segment „Limo ohne Zucker“ - alsgleich zur nächsten Problematik: Mayonnaise und Ketchup, die unbedingt zu meinem wöchentlichen Pommes-Rot-Weiß-Ritual gehören. Ich instruiere mich und meinen Mann, künftig bitte nur noch die vor Jahren aus Bequemlichkeitsgründen (no squeeze!) abgeschafften Glasgefäße zu kaufen. So weit, so gut.

Dann erzählt mir mein Freund Öko-Oli neulich, seines Zeichens stolzer Tesla-Besitzer und kategorischer Flüge-Ablehner, dass er von nun an sein Putz- und Spülmittel selbst erzeugen wird, mit Natron und was man auch sonst noch dafür brauchen mag.

Ich denke dazu: mal ehrlich, wie oft brauchen wir denn so einen Allzweckreiniger auf? Das für mich Alltägliche fängt doch bei Schokoküssen an (Verpackung: Alubeschichtete Pappe und zum Schutz der Küsse Plastikformteile als Inlay), geht über Skyr (Verpackung: Plastikbecher, zumindest der mit Vanille), Nuss-Mischung (weil reich an Vitamin B zum  Müsli, Verpackung: Plastiktüte) und Salami (fleischlos von Rügenwälder, Verpackung: Plastik), bis hin zu Pommes (selbst wenn ich frische Kartoffeln nähme, Verpackung: Plastiktüte oder -netz, bräuchte ich zum Frittieren (igitt!) Pflanzenöl, Verpackung: meist Plastikflasche) und Thunfisch-Steak (Verpackung: Pappe mit in Plastik eingeschweißtem Meerestier innen). Kosmetisch gesehen ist es nicht arg viel besser. Man denke nur an das stinknormale Toilettenpapier oder die Haartönung, die an sich jedes Mal einen kleinen Müllberg erzeugt. Da ist der Glastiegel Tagescreme ja noch ökologisch fein raus, während sich das gemeine Ohrenstäbchen schämen muss (was, der Haltung nach zu urteilen, eher die Neuen mit Papp-Stengel tun nach Anwendung).

Während ich noch über das für mich unlösbar anmutende Dilemma des Plastik-Verzichts ohne anschließenden Genuss-Abort, wenn nicht gar Hunger-Tod sinniere, weiß ich doch sicher, dass es für die mehrpfündigen Nahrungsmittelergänzungen meiner magensensiblen Stute keine adäquaten Alternativen gibt. Und so wandert leeres Eimerchen um Eimerchen in den Gelben Sack im Keller (Plastik in Plastik also), während ich mich wie ein Kind über das im REWE eben erst entdeckte Dreieckstütchen im Retrodesign freue, mit dem ich ausnahmsweise mal lose Tomaten kaufen konnte.

Es ist anstrengend. Das sagen alle, die sich mit derlei Dingen beschäftigen. Ökologisches Bewusstsein erfordert nämlich neben einer unkorrigierbaren Überzeugtheit, einem echten Wollen, auch ein anderes Einkaufsverhalten - und daneben neue, nicht so easy erreich- und beparkbare Einkaufsstätten und vielleicht sogar den Verzicht auf Schokoküsse.

Und das geht dann definitiv zu weit. Das wäre dann der Wahnsinn.

28.01.2020


Digital Detox? Mehr als gefällig!

Ich wundere mich ja gelegentlich über Menschen, die an der Bushaltestelle stehen oder mit ihrem Baby im Wagen spazieren gehen oder mit ihrem Hund Gassi - und sogar über meinen Mann: Wenn wir beide am Wochenende in unserer Wohnküche stehen, fragt er sich manchmal laut und meint eigentlich seine Wetter-App, wie das Wetter wird. Sie kann ja (noch nicht) sprechen, deshalb antworte ich dann: „Schau halt aus dem Fenster!“ Und bei den anderen Leuten frage ich mich, warum sie mit dem ständigen Blick aufs Handy freiwillig so viel Gegenwart verpassen.

Tatsächlich gibt es im Smart Phone kein einziges Tool, das dich dabei unterstützen könnte, im Hier und Jetzt zu leben. Die Menschen, mit denen du kommunizierst, befinden sich woanders. Und manchmal magst du sie nicht einmal besonders gut zu kennen. Womöglich sogar noch nie gesehen haben. Aber dank Whats App-Status weißt du, dass sie derzeit jeden Tag Spaghetti essen. Warum postet man sein Futter? Urlaubsbilder lasse ich mir ja noch eingehen, da sehe ich den Status als Postkartenersatz. Aber wenig ausgeleuchtete Food-Fotos, die noch nicht einmal appetitlich aussehen? Oder Selbstporträts - zu Neudeutsch Selfies - in den Spiegel hinein mit Kuss-/Schmollmund aufgenommen, die ehrlich total albern aussehen?

Ich verstehe es nicht. Vermutlich werde ich es auch in diesem Leben nicht mehr verstehen. Gelesen habe ich allerdings, dass dies in diesen digitalen Zeiten, in denen Menschen übrigens nach wie vor nach Erfüllung ihrer Urbedürfnisse Wertschätzung, Zugehörigkeit und Kooperation streben, eine Methode ist, Eindruck zu schinden.

Mit Spaghetti Carbonara und Schmollmund! Das macht schon auch Eindruck, besonders auf mich analoges Fossil. Welchen, das könnt ihr euch denken. M i c h will man als Homo Digitalis sicher auch gar nicht beeindrucken. Ich bin hier nicht Teil der Zielgruppe, vermute ich.

Apropos: Schätzungen zufolge erlebt ein Artgenosse besagter Spezies seinen durchschnittlichen Tag (960 Wachminuten) mit dem Blick aufs Handy (150 Minuten), außerdem mit Chatten (35 Minuten) und Surfen (158 Minuten), Facebook (15 Minuten) und E-Mails (96 Minuten) und Fernsehen (220 Minuten), Besprechungen (analog!!! 250 Minuten) und Intimität (4 Minuten). Der Rest der Zeit geht vermutlich für Wege (auch den zur Toilette) und Essen (sofern es nicht nebenher geht) drauf.

Und da klagt das Grand der Menschheit über Zeitnot? Kann nicht stimmen, muss eine Lüge sein! Denn demzufolge hätten ja die analogen Generationen zu viel davon gehabt, weil kein Handy und damit nicht diese zig Möglichkeiten, sozial zu verarmen und sich dennoch immer live am Puls des Geschehens, der hinter den Kulissen von den großen Konzernen eingetaktet wird, zu fühlen.

Ich verzichte nicht, nein. Mein Handy ist meist lautlos, weil ich mich sonst nicht konzentriert meiner Arbeit oder meinen Vergnügungen widmen könnte. Und ab 19 Uhr schläft es auf dem Küchentisch, nicht auf meinem Nachtkästchen. Wer mich weckt? Ein Wecker! Und den brauche ich auch. Denn ich kann diesbezüglich nicht über gestörte Nachtruhe klagen, ich habe es ja selbst in der Hand. Oder eben gerade nicht. Über alles andere wundere ich mich, aber das sagte ich ja schon.

21.01.2020


Können wir kontaktlos glücklich sein?

Neulich bekam ich von meinem Mann einen Herzenswunsch erfüllt. Ja, das Neue Jahr fing wirklich prima an: mit einer Alpaka-Wanderung am Rothsee. Nur hatte ich mir das Ganze etwas anders vorgestellt.

Habt ihr schon einmal Alpakas gesehen? Bestimmt! Die Tierchen aus den Anden, die dort als wollige Nutz-, aber auch Schlachttiere gehalten werden, sind wahrlich wonnig anzusehen und kuschelweich obendrein! Die für uns ausgesuchte Begegnungsstätte ist gleichzeitig eine Therapiestätte für Menschen mit psychischen Störungsbildern oder/und körperlichen Einschränkungen und Krankheiten. Die Besitzerin der Herde erklärte uns das damit, dass Unbeleckte mit den mächtigen Pferden, die sie auch am Hof hält, oft nichts anfangen können oder sogar Berührungsängste haben. Deshalb seien Alpakas als Therapiepartner in vielen Fällen die Begleiter der Wahl.

Das Alpaka, das ich mir aussuchte – was nicht ganz so stimmt, denn in Wahrheit blieb das Tier „übrig“ und ich schmolz vor Mitleid – stellte von vornherein klare Regeln auf. Der allererste Zuwendungskommentar, als ich es mit schmetterlingszarten Fingern am Hals und Körper streichelte, war ein kurzer, aber heftiger Austritt in meine Richtung. Ich konnte es nicht glauben: die Reaktion glich exakt der meiner Haflinger-Stute, wenn sie ihre „Tage“ hat (also dauernd). Ich versuchte es beherzt erneut. Der lange, weiche Hals bog sich unter meiner Hand Wirbel für Wirbel angewidert weg und als ich zur Flanke fuhr, kam wieder der Tritt, diesmal schon markant kerniger. Ich rief die Therapeutin herbei und führte ihr staunend mein erstes Kunststück vor: Streicheln am Hals und Körper = kerniger Tritt zur Seite. Sie meinte besonnen: „Ja, dem Novaris ist sein Körper heilig“. Aha. Und weil ich mich parallel mit dem psychologischen Erkenntnisgewinn meiner Alpaka-Premiere beschäftigte, überlegte ich gleich, was mir das jetzt sagen sollte. Auch meiner Stute ist demnach ihr Körper heilig, schon klar. Da lässt sie nicht jeden und schon gar kein treibendes Bein ran beim Reiten, das habe ich schon gewusst. Soll ich sie folglich in Ruhe lassen und nur noch füttern? Oder ist mir mein eigener Körper nicht heilig oder nicht heilig genug? Und wie sozial verträglich ist man denn, wenn einem der Körper so heilig ist, dass man nichts und niemanden ran lässt? Soll ich mir da jetzt ein Beispiel nehmen und überlegen, ob ich manchmal nicht genügend Grenzen setze? Emotional gesehen war die Deutung definitiv klarer. Ich war traurig, fühlte mich abgelehnt, abgewehrt. Dabei hatten wir uns doch eben erst kennen gelernt! Das Tier kann doch wirklich nicht m i c h gemeint haben.

Nach vorübergehender Verwirrung beschloss ich, diesen Austret-Automatismus von Novaris nicht so persönlich zu nehmen. Wir wanderten also los mit unserer Menschen-Tierherde und an jedem Alpaka-Strick hing ein Mensch, der mal vorausging und mal hinterherhechelte, wenn durch die Tiere ein nicht voraussehbarer Ruck ging und sich ein Mitläufer aus der letzten Reihe spontan entschloss, nun mal eben die Führung zu übernehmen – brüskiert bespuckt von einigen Tieren, die dem Rempler auf den Weg an die Front ihren feuchten Unwillen auf den Pelz patzten. Da wir instruiert waren, den Alpakas unbedingt Folge zu leisten, sie nicht zu zerren und zu ziehen oder sonstwie zu maßregeln, kam unsere Gruppe in sehr ungleichem, mal schleppendem, mal anspruchsvollem Tempo voran. Öfters standen wir auch still inmitten der sonnigen Pampa an diesem Wintertag. Dann drehten die Alpakas ihre langen Hälse nach hier und da, offenbar aufgeregt die Lage sondierend, während wir Menschen uns in Anbetracht des für uns unsichtbaren Auslösers nur Schulter zuckend anguckten. Irgendwann durchfuhr dann wieder ein Tier dieser impulsive Ruck und es galoppelte von hinten nach vorne, mit dem Mensch am Strick hinterher. Lustig war das schon!

Nach etwa einer Stunde hatte ich begriffen, dass die Alpakas in ihrer eigenen Welt leben und wir nur passiv Anteil haben durften: sie machen, was sie wollen und wann sie wollen und sie gewähren dir ihr Geleit, du bist ihnen aber total schnuppe. Sie reagieren nicht auf Zupfen am Strick und auch nicht auf sanfte Worte. Also unterhielt ich mich mit den jeweils kurz in meiner nähe befindlichen zweibeinigen Begleitern, was wirklich sehr nett war, bevor sie dann wieder von ihren Alpakas fortgerissen wurden.

Wie geht es einem Menschen, der so gerne interagieren will wie ich und keine Resonanz erfährt? Es wird ihm womöglich langweilig. Oder er findet es frustrierend, er resigniert und zweifelt an sich. Die Alpaka-Wanderung am Rothsee war wirklich ein Erlebnis, versteht mich nicht falsch. Wie mag es aber jemandem gehen, der eine Depression ausheilt? Oder eine Psychose? Oder eine Soziophobie (na, dem mag es vielleicht genau so recht sein). Ich habe den therapeutischen Nutzwert bis heute nicht durchdrungen, werde aber im Frühling nochmal hinfahren. Da wird sich dann zeigen, ob ich nicht helle genug bin. Oder zu logisch, ergebnisorientiert. Oder zu kindlich-verklärt, weil ich was niedlich daherkommt mit Unterbiss und Haarschöppel auch herzen will, statt nur einfach nur zu glotzen.

Es war ein außergewöhnliches Erlebnis, das allemal. Und was mir ebenfalls in Erinnerung bleiben wird ist die Brandblase meines Mannes, die er sich beim abschließenden Punschtrinken aus Tassen, die über dem offenen Feuer vorgeheizt worden waren, zugezogen hat. Diese führte nämlich seinerseits zu einer sichtlich schmerzvollen Heimfahrt, auf der er einzig darauf bedacht war, seinen malträtierten Daumen mit dem Handy als Behelfs-Icepack zu kühlen. Für mich hat sich das dann etwa genauso angefühlt wie das Wandern mit dem Alpaka Novaris: kontaktlos und resonanzfrei. War halt nicht wirklich ein Happy End. Aber zumindest ein stimmiger Abschluss dieses denkwürdigen Tages.

14.01.2020


2020 - eine echte Lachnummer!

Vorgestern war Silvester, in Fakten: zweithöchster Rang auf meiner persönlichen Skala der alljährlichen Tage des Grauens, gleich nach Weihnachten. Und weil ich der Melancholie mit dem Alter müde geworden bin und jetzt ein fröhlicheres Selbstbild schöner finde (mindert auch Fältchen und lockt nette Leute an), habe ich es mal anders angehen lassen - was für einen „Zwangi“ wie mich, der die Rituale braucht wie pflegt, eine reife, ja fast schon waghalsige Leistung ist!

Also habe ich diesmal KEINEN Nachmittagsspaziergang gemacht und mich folglich NICHT einsam gefühlt, weil ich mich alleine im Dunkeln fürchte. Ich habe mir KEINE Zeitschriften gekauft, aus denen ich die x-te Collage hätte basteln können, als ob sich das Leben auf diese Weise kontrollieren ließe. Außerdem war ich am Abend mit geliebtem Mann und guten alten Freundinnen bei Flic Flac ANSTATT beim eher suboptimal gastfreundlichen Griechen und das dann auch wie immer ohne Alkohol. Und an Mitternacht hatte ich schlicht zu wenig Zeit, um mir über die unmittelbar bevorstehende Zukunft Sorgen zu machen. Ich war nämlich Huf haltend bei meinem Pferd und habe es mit Engelszungen beflüstert. Damit war ich so gut beschäftigt, dass die Mordgelüste gegenüber dem einen Nachbarn, der offenbar so besoffen war, dass er die 50 Meter weiter wohnenden Fluchttiere vergaß, nur in einer groben Tatskizze mündeten.

Was vorher geschah: In diversen Medien war mir gehäuft die Frage nach dem „Glücksmoment 2019“ begegnet. Das hat mich beschäftigt. Ich hörte beispielsweise Barbara Schöneberger antworten: „Mein Duett mit Robby Williams“. Und merkte so für mich - …, dass mir nichts einfallen wollte. Tagelang nicht. Zumindest nichts Positives.

Ich ging das alte Jahr gedanklich durch. Monat für Monat. Ich durchlebte in meiner Erinnerung wie ich von der Krebserkrankung meiner Cousine und der einer lieben Freundin erfuhr, hatte nochmal den Hauch der Angst vor einem ähnliches Schicksal durch ein komisches „Etwas“ am eigenen Leibe. Ich war wiederholt geschockt über zwei Todesfälle in nächster Nähe, traurig über eine Trennung, frustriert über ein fachliches Fehlurteil, panisch wegen der Krankheit meines Pferdes. Und dann habe ich es gut sein lassen.

Auf der positiven Seite ist mir zwar zunächst nichts eingefallen, wohl aber aufgefallen, dass ich ganze Wegstrecken, ja Wochen, wenn nicht gar (wenige) Monate (am Stück) als glücklich bezeichnen möchte. Wir haben ganz tolle Reisen gemacht, sind an Malagas Stränden Fahrrad gefahren, in Brixen gewandert, im Gardasee geschwommen und zuletzt auf Fuerteventura abgehangen. Und wo auch immer ich war, da war auch die Sonne.

Ich habe vom Guten reichlich bekommen in 2019: liebe Worte von einem Team, die mir Tränen der Dankbarkeit in die Augen trieben, ein Parfum aus dem Bordshop, das mir mein Mann spontan geschenkt hat, das Wiedersehen mit einem Freund nach über 25 Jahren und der Augenblick, als mein Pferd nach der blöden Krankheit ganz von selbst wieder traben (= sich bewegen) wollte - das und noch etliches mehr kommt mir jetzt in den Sinn.

Und weil ich eben ein Glückkind bin und bleiben möchte, wird dieses Jahr eine echte Lachnummer. Wetten?

02.01.2020


Schöne Bescherung

Ich war heute bei einer Freundin zum Geburtstags-Brunch. Dort sehe ich alle Jahre wieder ihre anderen Freundinnen. Wir begleiten uns also in losen Abständen durch´s Leben, wissen nicht viel, aber genug voneinander, um uns zu mögen und die gegenseitige Gesellschaft zu genießen.

Leider ist das gewohnte Kaffeekränzchen bereits um eine Dame kleiner geworden. Ich nenne das mittlerweile „Altersbegleiterscheinung“. Wenn Menschen sterben. Und trotzdem ich mir heute des schmerzlichen Verlustes bewusst war, so ist es (auch) mit dieser Lücke irgendwie, als schwappe das Leben darüber. Ihre Tochter war statt ihrer geladen. Eine reizende und kultivierte und wahnsinnig hübsche Hinterlassenschaft auf Erden, auf die sie bestimmt auch in Zukunft ganz doll stolz gewesen wäre.

Während die Tochter der Verstorbenen mit ihrer großen Liebe zusammenzieht, haben sich zwei andere aus dem Kreise aus der Zweisamkeit verabschiedet. Einmal ganz bewusst, aber nicht ohne Reue, da der Verlassene bis heute keinen Frieden mit der Situation findet und das allseits, also auch bei den beteiligten Kindern, zu immer wiederkehrenden Beziehungsstörungen und kriegsähnlichen Belastungen führt.

Die andere unserer trauten Runde wurde wiederum verlassen, es mag sogar treffender sein zu sagen, vor die Türe gesetzt. Und zwar ohne Begründung und von jetzt auf gleich. Was für eine traumatische Angelegenheit!

Beide sind jetzt auf Parship und die eine tindert. Also haben wir uns mal in das aktuelle Suchgeschehen involvieren lassen und gemeinsam begutachtet, bewertet, für möglicherweise passend befunden und weggeswitcht. Ganz schön effizient, dieses Tinder.

Mal suchen Männer ganz ohne Umschweife nach sexuellen Begegnungen. Mal ist unklar, wer hier wen und für was sucht. Und manchmal hatte ich auch den Eindruck, die abgebildeten Personen haben sich selbst noch nicht gefunden.

Warum in aller Welt postet man Fotos mit Sonnenbrillen, die das halbe Gesicht verdecken? Weshalb offensichtliche Versionen einen jüngeren Ichs? Und aus welchem Grunde grottenschlechte Selfies, auf denen man die jüngst erkundete Sehenswürdigkeit besser erkennen kann als das angeschnittene Porträt, um das es eigentlich geht?

Warum Männer ihre Oberkörper ablichten – also nur den Torso, ohne Kopf und Beine – und zwar vor dem heimischen (ziemlich stilfreien) Badezimmerspiegel, an dessen unteren Rand man noch die Garnier-Produkte der vermutlich nichts ahnenden, einstweilen im Wohnzimmer TV guckenden Partnerin erkennen kann, das habe ich nun unter den zugrundeliegenden rein physischen Suchaspekten verstanden. Die Ambitionen anderer Kandidaten, die auf jedem ihrer Fotos anders und insgesamt so aussehen, als ob die jeweiligen Aspekte ihrer Persönlichkeit nichts miteinander zu tun haben, bleibt mir wohl auf ewig ein Rätsel.

Zum Glück haben wir jetzt eine Whats App-Gruppe gegründet, die uns auch unter der Zeit, also zwischen den Geburtstagen der Zentralfreundin, auf dem Laufenden hält. Dort haben wir gleich noch heute erfahren, dass das nachmittägliche Treffen mit einem Naturfreund, den wir für die betreffende Daterin bereits im Vorfeld für ungeeignet befunden hatten, zwar nett, aber für mehr irrelevant war.

Schöne Bescherung: Da sitzen wir nun in der oberen Mitte unseres Lebens in der vorweihnachtlichen Zeit vertraut beieinander und lachen uns den Ast ab, weil die Daterin selbst bei Parship einen Adventskranz gepostet hat, von dem sie sagt, er sei Kunst. Alle dachten und manche denken das bis heute, bereits „angekommen“ zu sein. Also mit Partner (immer dem gleichen) an seiner Seite. Und dann treiben wir es da heute unverhofft miteinander wie Carrie & Friends bei Sex and the City vor 20 Jahren. Eigentlich ist es nicht lustig, wenn man sich plötzlich einen Plan B überlegen muss, weil man spontan nicht mehr das Zuhause hat, von dem man dachte, es sei einem sicher. Da sieht man mal wieder, welche Päckchen das Leben so bereithält. Und gerade vor Weihnachten ist so etwas noch eine Herausforderung mehr als sowieso schon.

Für alle diejenigen unter uns und euch, die (mal wieder) Single sind oder sein müssen, weil der Partner auf welche Weise auch immer aus dem gemeinsamen Leben geschieden ist, und alle anderen, die sich bei dem Gedanken an das Alleinesein mit Ängsten und Unzulänglichkeitsgrübeleien plagen: Macht euch selbst ein Geschenk und seid lieb mit euch und großherzig, gönnt euch Gutes und hüllt euch in die Gewissheit, dass in all der ungewollten Endlichkeit und in ebenso unvorhergesehener Weise etwas Neues geschehen kann, das euren Weg mit seinem Zauber auch mal wieder geschmeidiger macht. Glaubt an euch und das Leben, das Glück, das Lachen und die Liebe! Was auch geschieht. Eure neue Hoch-Zeit steht vielleicht schon bald bevor. Oder sie lugt bereits unbemerkt ums Eck. Also haltet Ausschau!

07.12.2019


Ver-rückt

Heute war wieder die ärztliche Osteopathin bei meiner Stute. Während ich sie so am Strick hielt und dabei beobachtete, wie ihre Augen allmählich müde wurden und sie den Kopf entspannt baumeln ließ, während der strömende Regen alle meine Kleidungsschichten durchdrang und ich das Bibbern anfing, habe ich mich gefragt, wann ich das letzte Mal 50 Euro in eine Wellnessbehandlung investiert habe. Also ich meine jetzt für mich.

Da ich mich alltäglich in einer Balance aus An- und Entspannung zu bewegen versuche (manchmal döse ich wohl bei meinen Fernfahrten, denn gewöhnlich leide nach Ankunft an einer retrograden Amnesie), habe ich es wohl auch nicht so nötig. Oder meine Taktung lässt mir einfach keine Zeit dafür. Aber es ist schon irre im wahrsten Sinne, was wir alles für unsere Tiere (und Eltern für ihre Kinder) tun, während wir selbst gerade noch zu den allerallernotwendigsten Vorsorgeuntersuchungen gehen und uns jedes Zipperlein außerhalb der Reihe schon deshalb auf den Keks geht, weil es Extraaufwand bedeutet.

Erst vor einer Woche habe ich meine Kollegin Julia als Sekretärin unterstützt und ihr einen Orthopädie-Termin aufs Auge gedrückt, den sie genötigter Weise und weil es schon auch nötig war, dankend annahm. Der Orthopäde hat zwar keine Wunder vollbracht, aber mir geht es damit einfach besser, dass ich weiß, Julia geht es gut.

Auch Julia kümmert sich hingebungsvoll um ihren sehnenkranken Wallach und tut, was sie kann, um ihm eine nachhaltige Genesung zu ermöglichen. Seit Monaten.

Doch zurück zum Thema.

Was ich heute Morgen in der Zeitung las, machte mir Gänsehaut. Mal sehen, wie ihr das findet: In einer russischen Provinz, in der wohl klimabedingt und nicht erst seit den Fridays for Future wenig Gras wächst, werden jetzt Rinder mit virtuellen Brillen ausgestattet. In dieser künstlich erzeugten Welt, die dem Fleckvieh vor Augen geführt wird, gibt es die Illusion saftiger Weiden. Das trägt - so weisen es erste Studienergebnisse nach - zur Entspannung der gemeinen Kuh bei und es erhöht die Milchproduktion.

Dazu fällt mir jetzt wirklich nichts mehr ein, außer: ver-rückte Welt. Euch?

03.12.2019


Hinter meinem Horizont

Ich habe in meinen 51 Jahren schon immer mal vereinzelte Phasen, in denen ich nicht ganz sicher war, ob ich das Leben schön finden sollte oder ganz schön schrecklich. Häufig finde ich es noch heute furchtbar lebhaft und anstrengend. Jetzt bin ich wirklich glücklich darüber, dass ich meine Meinung nachhaltig geändert habe. Oder dass ich geändert wurde. Was weiß ich.

Letzte Woche bekam eine Freundin von mir, die ich wirklich sehr mag und schätze, eine schlimme Diagnose. Zeitgleich war ich in München, um dort ein mehrtägiges Seminar zu halten. Ihre What´s App ereilte mich völlig überraschend, gleich am frühen Morgen. Es ist Krebs. Einer, der sofort zur Behandlung zwingt. Ich bin erschüttert gewesen und es noch immer.

Meine Freundin wirkte immer mental stark und ausgeglichen. Sie ist für mich jemand, den ich als „gesunden Charakter“ beschreiben würde. Zudem ernährt sie sich achtsam, raucht und trinkt nicht. Sie sieht gut aus. Ich kann es nicht fassen und es tut mir unendlich leid für sie und ihre ganze Familie.

Zeitgleich zu dieser Hiobsbotschaft wartete auf mich selbst ein Befund. Blöderweise hatte ich gegoogelt. Das hätte ich besser bleiben lassen. Wann immer ich nicht wirklich beschäftigt war, befiel mich genau aufgrund meines neuen Wissens neben massiver Angst auch ein Sammelsurium diverser Symptome. Natürlich waren es genau die, über die ich gelesen hatte und allen voran bemächtigte sich Appetitlosigkeit meiner und verstärkter Speichelfluss, was sich im Seminar nicht allzu gut machte. Dass mich „die Sache“ nicht schmerzte, obwohl sie aber so aussieht als sollte sie das tun, heizte meine innere Unruhe noch zusätzlich an.

In diesen eineinhalb Wochen zwischen Arztbesuch und Laborauswertung wurde mir deutlich, wie sehr ich am Leben hänge. Also nicht in Form von „oh, alles ist so toll und ich kann mich vor täglicher Lebenslust kaum retten“, sondern eher in der Art „mir passt es gerade, ich will einfach weiterarbeiten an meinen Seminaren und Projekten, weiterreiten über die Felder und mit der wieder zahm gewordenen Fee die Runden vergrößern, weiterlesen in meinen Romanen und Fachbüchern, weiterreden mit meinen Freunden, weiter sein mit meinem Mann, chillen, reisen, lachen, schweigen, joggen und gehen, shoppen und backen und immer noch hoffen, dass auch aus unserer Familie wieder e i n e Familie wird“. Es soll noch nicht vorbei sein und ich will nicht, dass sich mein Dasein um eine Krankheit drehen muss.

Wer will das schon.

Könnte ich das überhaupt?

Als ich gestern mit meiner Uraltfreundin Heike darüber geredet habe, waren wir uns einig: wir würden das nicht aushalten und ich könnte es in arbeitsloser Weise nur finanzieren, wenn ich durch die Krankheit früher sterben würde. Zumindest Stand heute.

Was für schrecklich realistische Gedanken.

Jedenfalls hat der Befund nichts Klares, aber mit höchster Wahrscheinlichkeit auch nichts Böses ergeben. Ich war im Anschluss nicht so erleichtert wie ich glaubte sein zu müssen. Die Sache ist erstens noch nicht ganz durch und zweitens hat sie in mir einen bleibenden Eindruck vom möglichen Ende vor der Zeit erzeugt.

Nachdem ich mir unmittelbar nach dem negativen Befund erst einmal beim Beck eine Spinatschnecke reingezogen hatte, die ich in Sekundenschnelle superhungrig verschlang, habe ich Bilanz gezogen, eine positive: Hinter meinem teils vernebelten Horizont scheint ein stärkerer Lebenswille zu weilen, als ich mir in meinen maulig-melancholischen Phasen eingestehen wollte. Jetzt weiß ich, ich sollte, statt über Alltagsschrott zu stolpern und zu jammern, immer wieder den Blick auf den unermesslichen Reichtum lenken, der mir alleine dadurch beschieden ist, dass ich gesund bin.

Danke für diese einzig wahre Erkenntnis. Vielleicht möchtet ihr sie teilen.

19.11.2019


Handy macht hohl

Sagte ich es nicht schon vor Jahren? Zu viel Handy macht hohl in der Birne und Mattscheibe in zwischenmenschlichen Beziehungen. Wenn ihr den Beweis haben wollt, dann seht euch doch einfach in Ruhe um. Egal, wo.

Vor einigen Tagen war ich mit meiner Stute ausreiten. Wer schon mehr von mir gelesen hat, der weiß, das Tierchen ist ein Tolles und jeden Tag ein Neues. Mal stört sie nichts und niemand, mal alles und jeder. An diesem besagten Tag war sie wieder im Diven-Modus und so sprach ich das mir mit Mini-Hund entgegenkommende Mädel beherzt bereits von Weitem an, ob sie nicht vielleicht ihren Pinscher sicherheitshalber an die Leine nehmen wolle. Ihre Augen starrten ins Leere und Antwort bekam ich keine. Also sah ich genauer hin und entdeckte - na, was wohl - Stöpsel im Ohr. Diesmal waren es nicht diese beknackten, mit denen die überwiegend männliche Menschheit aussieht wie Abkömmlinge extraterrestrischer Herkunft. Es waren unscheinbaren, die man in der Natur und vor allem, wenn man mit Hund unterwegs ist, dringend braucht, weil es ja reizlos ist da draußen. Schließlich gelang es mir durch Winken, die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen und wir konnten uns schlussendlich noch verständigen, bevor die unter dem Sattel befindliche Bombe zu platzen drohte. Der Hund war übrigens echt putzig, es wäre schade um ihn gewesen.

Neulich im Mc Donald´s in der Nürnberger Südstadt ist mir das Mitgefühl dann aber doch deutlich schwerer gefallen. Während ich mit meinem Mann freudig auf die Ankunft meines Veggie-Burgers wartete (die Definition von „Schnell-Restaurant“ sollte dringend überdacht werden), beobachtete ich zwei furchtbar kreischende etwa dreijährige Burschen an einem der Nebentische. Sie litten zumindest offensichtlich keine Not, einmal abgesehen davon, dass sich beide Elternteile mit Migrationshintergrund ausgiebig um ihre Mobiltelefone kümmerten. Kurz bevor mein Burger kam, überlegte ich, ob ich nicht einfach mal fragen sollte, ob sie irgendwie Hilfe bräuchten. Sie kamen mir zuvor, in dem sie die ihnen offenbar auf die Nerven gehenden Knirpse flugs vor der Mc Donald´s-Daddelstation für Minderjährige parkten. Mit praktischem Burger und sausüßem Fruchtsaftgetränk, versteht sich. Damit die Energie im Nachwuchs nur ja nicht nachlässt.

Ausführen konnte ich meinen Plan mit dem Nachfragen letztes Wochenende im C & A in Nürnberg. Da beobachtete ich einen vor seinem vielleicht sechsjährigen Mädchen flüchtenden Vater. Da das Kind hysterisch kreischte, während es den aschfahlen Vater verfolgte, konnte ich meinen Blick einfach nicht abwenden. Ich suchte die Mutter und fand sie geduckt bei einem Kleiderständer, ebenfalls die Szene verfolgend. Schließlich flüchteten beide Eltern in die Fußgängerzone. Das Mädchen war ganz rot im Gesicht und es schrie, schrie, schrie. Die Schreie wurden nur kurz unterbrochen, wenn das Mädchen den Vater in den Arm biss. Ich ging hin und fragte die verzweifelte Frau, ob ich irgendwie helfen könnte. Dabei sah ich dem Mädchen in die Augen. Es war nicht mehr zugänglich. Die Frau winkte resigniert ab und antwortete mir in einer fremden Sprache. Der Vater lief voraus und zückte sein Handy.

Vorgestern im Reitstall kam eine Reitbeteiligung. Mit Kopfhörern, diesmal diesen riesigen. Sie schob eine Muschel kurz zur Seite, während sie mir einen leisen Gruß zuhauchte. Danach rührte sie mit Kopfhörern das Futter, verabreichte es dem Pony mit Kopfhörern und ging vermutlich mit Kopfhörern wieder nach Hause.

Und weil ich am heutigen Morgen laufen ging und im Halbdunkeln wieder einmal freundlich lächelnd eine menschliche Hülle mit aus den Gehörgängen quellenden Kabeln grüßte und anschließend zum Müsli las, das mir Wissenschaftler aus der Seele sprechen, dachte ich, ihr solltet all das auch wissen. Und euer Wissen womöglich teilen, am besten per What´s App oder Facebook: Zu viel Handynutzung macht hohl in der Birne!

Wortwörtlich stand in dem Zeitungsartikel:

„Medialen Dauerbeschuss macht das beste Hirn nicht mit“

„Kein Handy vor elf Jahren“

„Höchstens zwei Stunden am Tag“.

Ziemlich sicher ist, dass unser Hirn früher oder später nicht mehr in der Lage ist, zu fokussieren und sich zu konzentrieren, was die Leistungs- und Kontaktfähigkeit mindert. Vermutet wird außerdem, der Handy-Wahn könnte positiv mit psychischen Erkrankungen und Störungsbildern korrelieren.

Nein. Ich stelle heute am besten keine Bonbons raus. Ich werde das Licht abschalten und die Türe verriegeln. Heute ist nämlich Halloween. Und ich bekomme langsam Angst vor der Welt da draußen. Ich weiß nur noch nicht genau, ob ich mich mehr vor den Eltern oder vor den Kindern fürchten muss.

04.11.2019


Jammern macht hässlich

Letzte Woche habe ich mit Julia einen Vortrag in Nürnberg besucht. Da wir ja viel für belastetes Publikum wie die Pflege in Krankenhäusern arbeiten, hat uns das Thema Jammern natürlich in besonderem Maße interessiert.

Unter dem Strich haben wir allerdings nichts erfahren, was wir nicht schon wussten: Jammern macht einsam, weil niemand auf lange Sicht Miesepeter um sich haben mag. Jammern macht krank, denn unser seit Urzeiten auf Gefahren geeichtes Gehirn ortet dank „Training“ bevorzugt das Negative um uns herum und schickt von daher ständig Stresshormone in den körperlichen Umlauf. Und schließlich kostet Jammern nicht nur die Kläger Kraft, sondern auch die Jammertäler - also die Arbeitgeber - kräftig Kohle.

Hinter diesem Postulat steckt die äußerst relevante Vermutung, dass jeder, der sich entschieden hat, auf seinem Leidensweg zu bleiben und damit aber keinen inneren Frieden findet, täglich viele Minuten missmutige Worte darüber verliert. Sagen wir mal, es sind rund 12 Minuten pro Tag. Mal fünf Werktage, macht das eine (verlorene) Arbeitsstunde pro Woche. Mal rund 46 Arbeitswochen im Jahr, erschließt sich daraus, dass etwa eine ganze Woche jährlich nur gejammert wird, anstatt gearbeitet.

Jetzt fragt sich noch, von wie vielen Personen. Aus einem Artikel der Wirtschaftswoche geht hervor, dass in Deutschland nur 65 % der Arbeitnehmer zufrieden sind. Also werden 35 % der gesamt rund 43 Millionen deutschen Erwerbspersonen Anlass zur Klage haben.

Das sind folglich etwa 15 Millionen, die jedes Jahr eine Woche leiden, lästern, diskutieren, blockieren und Koalitionen gründen gegen das arbeitgebende System.

Heftig, oder?! Wenn das nicht Grund genug ist, inspirierende Trainerinnen zu engagieren, weiß ich auch nicht. Aber sei es drum, wir haben ja ziemlich gut zu tun und wenn das alles so unschön weitergeht in den Unternehmen da draußen, wird uns bis auf Weiteres auch nicht langweilig werden.

Aber weil Jammern ja auch hängende Mundwinkel erzeugt, haben wir noch einen Extra-Tipp. Gewissermaßen für all diejenigen, die am Arbeitsplatz innerlich schön bleibend gesund alt werden möchten: Ihr seid uns auch im Coaching recht herzlich willkommen. Die biologische Uhr tickt! Am besten, keine Zeit mehr für Jammern investieren und verlieren!

15.10.2019


Schöner Shoppen

In Auckland gibt es jetzt bei einer bestimmten Supermarktkette eine „Quiet Hour“. Das finde ich mal eine super Sache: das Schweigen im Walde beim Einkaufen. Gemacht für Autisten. Und genau richtig für mich.

Ich war heute mit meinem Mann wieder unterwegs. Was als gemütlicher Drahteselritt in die City geplant war, glich dann eher einem Abenteuertrip in den Großstadtdschungel. Langsam denke ich ja, wir sind beide masochistisch veranlagt. Doch vor gar nicht allzu langer Zeit fand ich es noch richtig toll, am Wochenende bummeln zu gehen. In den Arcaden, es gibt schließlich nichts Näherliegendes von Uttenreuth aus gesehen. Vor allem, wenn die Tage kürzer und grauer werden.

Doch heute, am verkaufsoffenen Sonntag bei sommerlichen Herbsttemperaturen und Sonnenschein wie im Juli, waren nicht nur die Schlangen in den Eiscafes lang und kurvig, sondern auch die Menschen viele und nervig. Dabei hatte ich heute Mittag extra wenig gegessen in weiser Voraussicht meiner kulinarischen Gelüste und mich vorgefreut auf ausgeruhtes Bummeln mit Lust und Zeit.

Wenn mein im Alltag schlummernder Jagdinstinkt beim heutigen Erwachen auch sonst nicht zu Potte kam, so weiß ich jetzt wenigstens, was beim passierenden Volk aus aller Herren Ländern en vogue ist: Handy-Tasche. Für all die anderen, die ihr Handy sowieso ständig in der Hand oder so halten, als ob sie jeden Moment reinbeißen wollen, macht das zwar leider keinen Sinn, dafür finden einige derer käsebleiche Beine in lichten Blusenkleidern, die kurz unter dem Hintern münden und fröhlich im fönigen Wind schaukeln angesagt. Oder finden auch hechelnde Hund mit eingeklemmten Ruten in der Menschenmenge schön. Wenn nicht gar schwitzende Kaltblüter, die vermeintlich tierliebe Faulpelze durch die überfrachtete Fußgängerzone karren (wozu? wohin?) nett anzusehen.

Gepeinigt traten wir bald den Rückzug Richtung Heimat an. Natürlich nicht, ohne vorher noch ein paar Läden zu besichtigen. Da dröhnte die so genannte Musik aus den Boxen, dass es nur so schepperte, weil ja der allgemeine Lärmpegel noch nicht gereicht hat, um den bei uns allen bereits um die Ecke wartenden Tinnitus zu nähren. Nicht selten tätigte ich bereits reflexartige Spontankäufe, um so schnell wie möglich wieder ins Freie zu gelangen. Heute nicht. Ich hielt inne und träumte mich nach Neuseeland, wo eine meiner nächsten Reisen fraglos hingehen wird. Doch viel lieber als deren Quiet Hour, in deren Rahmen quasi nur noch präsent sein und atmen erwünscht ist, wären mir Quiet Days, wenn nicht gar gleich ganze Years. Auckland ist also das Ziel meiner Träume. Das soll mir Schöner Shoppen wert sein. Und menschenleerer ist es da wahrscheinlich auch.

15.10.2019


Bälle flach halten

Ich kann mich noch gut erinnern: Als mich vor rund zehn Jahren das erste Mal eine Seminaranfrage zum Thema „Zeitmanagement“ erreichte, war ich total irritiert. Kopf schüttelnd lehnte ich ab und platzierte stattdessen etwas Gehaltsvolleres.

Entscheidender Hintergrund war damals, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, ein Seminar zu so einem simplen Sachverhalt mit interessanten Inhalten zu füllen. Nicht für einen erwachsenen Teilnehmerkreis, der seines Hirns zum Denken, seiner Beine für den potenziellen Buchkauf und seiner sonstigen Sinne zum Googeln mächtig ist.

Außerdem dachte ich mir, dass für uns alle die Zeit ja jeden Tag gleich ist. Jeder Tag hat 24 Stunden. Wie kann da Not an der Zeit entstehen? Wo sie doch nicht knapp, sondern immer gleich ist?

Unwohlsein kann sich einstellen, weil Zeit flüchtig und Eile, weil das Leben endlich ist. Das schon. Aber 24-Stunden-Zyklen und Hell-/Dunkelrhythmen sind ja nicht erst gestern erfunden worden, so dass wir spontan herausfinden müssten, mit so etwas Revolutionärem umzugehen.

Ich bin noch immer der Meinung, dass - wenn ein Zeitmanagement-Seminar in einem Unternehmen gefordert wird (von den MitarbeiterInnen) - ein anderes Problem ursächlich ist. Ich spreche dann gerne vom „Wurm im System“. Wenn Menschen sich in Bedarfsanalysen vehement für Ihre Zeitnot stark machen, heißt das übersetzt: Ihr da oben, schaut auf uns, wir reißen uns alle Beine aus und wissen nicht mehr weiter! Ein Zeitmanagement-Trainer, der es noch so gut meint - vorausgesetzt das gewünschte Seminar würde überhaupt stattfinden, weil genügend Leute erscheinen, was sie meist nicht tun - kann hier nur verlieren. Das ist, als ob der Dentist eine golden glänzende Krone über einen an der Wurzel eitrigen Zahn stülpt. Igitt.

Im Moment erreichen mich seitens der Planer wieder öfter mal Wünsche aus der Ecke und in meinen Seminaren komme ich manchmal auch ohne das in meiner Argumentation dahin - und ich habe zwischenzeitlich gelernt: es gibt Menschen, die denken wirklich, sie könnten ihr alltägliches Fassungsvermögen (= menschliche, nicht übermenschliche Kapazität, die sich aus der Anzahl täglicher verfügbarer Wachzeit und energetisch-gesundheitlichem Ist-Zustand ergibt) routinemäßig überstrapazieren. Wenn ich denen dann sage, dass sie auch die möglicherweise abnehmende Belastbarkeit im Laufe des Alterns, die Notwendigkeit zu mehr Langsamkeit und der häufigeren Pausen in das einkalkulieren müssen, was sie sich selbst täglich zumuten aufgrund ihrer in Stein gemeißelten Ansprüche an sich selbst, ernte ich Staunen.

Leute, wir sind doch keine Maschinen!

Und deshalb merke ich, dass es vielleicht doch gut ist, hier nochmal klarzustellen:

Stellt euch vor, ihr habt täglich einen Eimer zur Verfügung. In diesen Eimer passen nur x Bälle verschiedener Größe. Wenn ihr krank seid oder sonstwie angeschlagen, ist das, als ob auf dem Boden eures Eimers bereits eine Schicht Schotter liegt. Der Platz steht euch dann für eure täglichen Aufgaben-, Pflichten-, Spiele- und Späße-Bälle nicht mehr zur Verfügung. Der Eimer ist dann so gesehen situativ kleiner.

Wenn ihr jetzt sagt, ihr könnt euch von bestimmten Aufgaben nicht lösen (= sie nicht vertagen oder jemand anderen machen lassen), dann versucht wenigstens, manche Bälle temporär von Medizinball- auf Tennisball- oder sogar Murmelniveau zu reduzieren. Probiert einmal, ganz flexibel zu agieren, angepasst an eure Tagesform und das, was womöglich spontan an nicht absehbaren Bällen hinzugekommen ist (z. B. Kind krank, neues Projekt).

Haushaltet gut mit euren Ansprüchen an euch selbst und haltet die Bälle auch mal flach! Das ist gesund und womöglich der Beginn einer neuen Zeitrechnung für alle diejenigen, die bisher unter quantitativer Überforderung (durch sich selbst) litten. Zeit achtsam investieren, statt verschwenden lautet die Devise. Einfach mal jonglieren!

26.09.2019


Macht alt autistisch?

Ich weiß jetzt nicht, ob ihr das auch kennt: Ich habe manchmal das beklemmende Gefühl, von meinem eigenen Leben überholt zu werden. Keine Ahnung, wie ich dem Herr werden soll. Also habe ich mir erst einmal als Notfallmaßnahme ein neues Auto gekauft.

Über Langeweile kann ich mich jetzt schon eine ganze Weile nicht mehr beklagen. Ja, ich weiß. Diejenigen unter euch, die Kinder haben, kennen das Phänomen, das für unser Hirn übrigens ebenso wichtig ist wie Anregung, ohnehin nicht. Ich schon. Langeweile nicht im Sinne von es gäbe nichts zu tun. Sondern in Form von zu viel Gleichmaß.

Laaaaangweilig!

Ich bin schon jemand, der ab und an ein bisschen Abwechslung, Vielfalt und Inspiration braucht. Sonst schlafen mir die Füße ein. In den letzten Monaten bin ich auf denen zwar gefühlt Marathon gelaufen zwischen Pferdestall, Büro, Zuhause und illustren Seminareinsätzen, die mir im Vergleich zum Alltäglichen meist wie Urlaub vorkamen: einfach mal wegfahren, CDs im Auto hören, den ein oder anderen Iced Macchiato dazu und sich irgendwo in der Fremde hotelseits zur Ruhe betten, ohne sich um irgendwen (Pferd) oder irgendwas (Magengeschwür) oder andere Sorgen (Todesfälle, Krankheiten, Nöte anderer) zu scheren. Was haben mir diese kleinen Auszeiten gefallen (und wer braucht da noch Strand und Meer, um Land zu gewinnen)?

Aber zurück zu den Füßen… es ging mir auch mal eben die Puste aus, neulich, natürlich in meinen Ferien zuhause. Mentale Durststrecke wurde mit Erkältung geahndet.

Die ist immer noch nicht ganz vorbei. Und schon nimmt das Leben wieder Fahrt auf. Mittlerweile bin ich so im Information-Overload, dass ich ständig schlafen will. Das hilft bei mir total: quasselt mir eine Freundin das Ohr beim gemeinsamen Brunch ab, muss ich nur mittags ein Nickerchen machen und die Informationen sind verarbeitet. Findet der rege Austausch am Abend statt, kann ich nachts nicht schlafen. Am nächsten Morgen bin ich völlig gerädert und überfordert vom Tag, der noch vor mir liegt. Schön, wenn es dann „nur“ ein Seminar ist, das ich halten muss oder ein Team im Aufbruch, das ich betreuen darf. Diese Dinge beruhigen mich ungemein. Die kann ich wie aus dem FF. Doch wehe, das Leben schlägt wieder zu und hier ist was Interessantes geschehen und dort ein Drama, da will jemand ein Angebot und siehe, da hinten kommt noch jemand mit einem neuen Fliegen-Deo für die Stute ums Eck. Mein Mann wartet jeden Tag mit News auf, weil er sich gerade beruflich verändert. Sein Auto ist verendet, deshalb fährt er mit den Öffentlichen und alleine die Darstellung dieser völlig neuen Lebenserfahrung kostet uns am Abend mindestens eine halbe Stunde Staunen im Kollektiv.

Er hat sich ein neues Auto gekauft, auf die Schnelle. Weil er keine Lust mehr auf ÖPNV nach Nürnberg-Süd hatte. So etwas Großes geschieht bei uns aber nicht wohlüberlegt und nach monatelanger Recherche. Sondern während seines morgendlichen Fahrrad-Workouts am Samstag. Und wenn ich später aus dem Stall nach Hause komme von wieder genesender Stute, die ich seit ihrer Erkrankung sekündlich micro-manage, weil ich jeden Wimpernschlag und Ohrenwisch beobachte, zieht er den Vertrag aus der Tasche. Wieder was Neues. Peng.

Wenn ich am Abend im Sessel sitze, mindestens eine halbe Tafel Milka mit ganzen Haselnüssen intus habe und mir allmählich die Augen zufallen, frage ich mich, wo die Zeit geblieben ist. Warum rennt sie so? Was ist das nur? Und warum brauche ich zur Verarbeitung ständig noch mehr Denk-Raum, den das Leben mir nicht lässt?

Ich habe Kopfschmerzen. Mir reicht es jetzt. Weil mich das Leben dauernd überholt, habe ich mir vorgestern auch ein neues Auto geholt. Es kann vor allem eines: Fahren. Und das dank aller möglichen Zusatzsachen, von denen ich noch nie vorher gehört habe, fast wie von selbst (und wenn mir dann wieder vor lauter Langeweile die Augen zufallen, weckt es mich sogar auf - wie irrational!).

Meine CDs sind beim Spontankauf leider auf der Strecke geblieben. Das, was mir unterwegs echt Laune gemacht hat, die Songs von Abba (alle!), Modern Talking (viele!) und „Summer Nights“ von Olivia Newton-John, ist definitiv von gestern. Wie ich halt auch. Vielleicht muss ich jetzt dann doch moderner werden, schneller, flexibler, wendiger und darf nicht immer die Telekom anmaulen, wenn sie mir am Telefon irgendeinen Space verkaufen will. Den werde ich im neuen Auto vermutlich brauchen. Wieder was Neues. Peng. Ich muss googeln, wie ich meine Musik mobil kriege. Und endlich mal wieder mittags schlafen...

12.09.2019


Schön für einen Abend

Ich kann mich noch gut erinnern an die roséfarbenen Stiefeletten. Sie waren aus weichem Wildleder, das sich locker um die Knöchel fallen ließ und hatten eine Lochstruktur, kaum Absatz. Ich habe sie geliebt und mit Bedacht getragen. Ewig. Damals, als ich 17 war.

Meine Mama und ich, wir fanden die schicken Stücke in Nürnberg, wo wir höchstens einmal pro Jahr hingefahren sind zum Bummeln. Heute heizt man ja tagtäglich nach hier und da – und das merkt an den überfüllten Autobahnen. Früher hat man sich hingegen gut überlegt, ob ein schnöder Shopping-Trip 30 Kilometer einfache Wegstrecke wert sein könnte. Insgesamt war in meiner Jugend Sparsamkeit Alltag und der sorglose Umgang mit Ressourcen aller Art selten. Sowohl im Umgang mit Benzin, als auch beim täglichen Essen („Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt!“ und „Es wird aufgegessen!“). Und natürlich beim Thema Bekleidung. Dass innerhalb von Familien bzw. unter Geschwistern Teile weitergegeben und „aufgetragen“ wurden, das war seinerzeit völlig normal.

Warum ich das hier denke und schreibe: Ich habe vor einigen Tagen wenige Minuten einer TV-Dokumentation aufgeschnappt, die mir schon gereicht haben, um ins Grübeln zu kommen: Wer heute in den Billigketten wie H & M oder Primark ein „Party-Top“ ersteht, das übrigens oft nur 3 Euro kostet, der trägt es im Schnitt 1,7 Male, bevor es in der Altkleidersammlung landet. Ist das nicht entsetzlich? Um hier für einen Abend schön zu sein, muss vermutlich irgendwo in Asien ein Kind ranklotzen, um dort seiner Familie beim Überleben zu helfen und die Wertschätzung für die Ware ist gleich Null, weil sie ja in Wahrheit für den Müll produziert wird. Ja, wirklich! Die Billigklamotten sind aus so minderwertigen Stoffen gemacht, dass sie häufig nach 1,7 Mal Tragen nicht mal mehr zum Recycling durch Soziale Organisationen taugen. Diese müssen dann ihren ursprünglichen Geschäftszweck verlassen und die Shirts thermisch entsorgen, was so viel heißt wie verbrennen. Das kostet richtig viel Geld. Wahrscheinlich sogar mehr pro Teil, als es ursprünglich gekostet hat.

Und aus diesem Grunde habe ich mich erinnert wie schön es früher war, etwas von meiner Oma (nach Wunsch und Maß) genäht zu bekommen und wie sehr ich es genossen habe, mit meiner modebewussten Mama – weil wir ja eine Schneiderin im Haus hatten und zudem noch einen Textilfachmann, der mein Vater war – in der Stadt hübsche Sachen zu ergattern. Preiswert, aber nicht billig, versteht sich. Ausgesuchte Einzelstücke, an denen wir uns riesig und lange freuen konnten.

Ich bin vor einiger Zeit zu genau diesem Verhalten und zu dieser Haltung zurückgekehrt. Ich möchte mich an meinen Anziehsachen wieder freuen können. Deshalb meide ich billigen Schrott und suche mir ganz gezielt Stücke aus, die mein Herz irgendwie berühren, weil ich die Muster mag, die Farben fein und die Stoffe schön finde. Ich möchte mich gerne wieder in Achtsamkeit kleiden und das immer mehr. Deshalb kaufe ich deutlich weniger und die Einzelteile in meinem Schrank passen auch oft zusammen, was vorher nicht immer der Fall war. Zitat einer Freundin: „Bei mir im Schrank ist es wie in meinem Leben - nichts passt mehr zusammen.“

Jedenfalls kommen wir über die fadenscheinigen Hintergründe der Textilindustrie eh nicht ganz drum herum – wenn wir mangels Budget nicht in Designerläden kaufen können und uns andererseits sozial gefälliger Öko-Style optisch nicht taugt. Trotzdem können wir ja wenigstens auf unser Herz und unser Hirn hören. Und für einen Abend schön sein, das muss zumindest ich ja sowieso nicht mehr. Ich gehe schließlich um kurz nach 9 ins Bett. Auch eine Lösung.

27.08.2019


Morgengrauen

Bei der Hitze schlafe ich gefühlt gar nicht mehr. Nachts fehlt mir der gletscherfrische Luftzug und am Tag definitiv das Meer. Ich träume mal wieder vom Süden und stehe ernüchtert immer früher auf der fränkischen Matte, um wenigstens einen Teil meines gewöhnlichen Tagwerks bewältigen zu können, ohne gleich Magnesium nachlegen zu müssen, weil ich ausdünste wie ein Ferkel. 

Der sommerliche Morgen kann wahrlich ein Segen sein. Ich summe „Nachts, wenn alles schläft“ von Howard Carpendale vor mich hin, während ich im Garten verwelkte Blüten abzupfe, mein Müsli zubereite, Fenster putze und sobald mein Mann das Bett verlässt den Staubsauger zücke (zwecks Lärm auf halbe Saugleistung reduziert), bevor ich joggen gehe, die Zeitung lese und dabei mein Frühstück esse, um nach dem Duschen ins Büro oder sonstwohin zu fahren.

Gerade das Joggen oder Walken kann ich euch, liebe Leser, in der morgendlichen Stille nur ans Herz legen: die bereits sonnengegilbten Felder liegen frei von Menschen vor dir, auf deinen Wegen duftet es nach Heu, Erdbeeren, feuchtem Waldboden und Harz, nicht ein Hund kläfft dich an, keiner sieht deinen Schweiß rinnen und niemand stört deine Gedanken beim Fließen. Die Straßen erfüllen lediglich ihren Selbstzweck. Als wärst du ganz alleine auf der Welt. Ganz für dich.

Das ist die eine Variante des Themas.

Eine andere aus der Gattung „lebhaftes Leben“, besser bekannt als Morgengrauen, gibt es auch. Die sieht dann so aus: Ich gebe um 4.10 h das Schlafen auf nach einer Nacht, in der mein Mann gefühlt ständig die knarzenden alten Treppenstufen stieg und den Ventilator in verschiedenen Positionen auf uns lenkte, wobei dieser auch umfiel und Boden, Wand oder Decke kühlte. Ich habe von Krebs geträumt, weil wir gestern eine schlimme Nachricht erhalten haben aus dem Bekanntenkreis. Ich bin gerädert. Montagmorgen und mir reicht es jetzt schon. Ich gehe in die Küche und schalte (bereits latent gereizt nach dieser Nacht) das Handy ein. Dort finde ich eine Todesbotschaft aus dem engsten Kreise. Ich weine und frage mich, was ich eigentlich für ein Pippi-Problem habe - der Groll auf die Nacht und speziell auf meinen ruhelosen Hausgeist verfliegt im Nu. Ich versuche, mich zu arretieren. Es gelingt nur schlecht. Ich hadere mit dem Leben und dem Schicksal und möchte gerne zuhause bleiben, wenn es da nur nicht so unerträglich heiß wäre. Ich zupfe welke Blüten im Garten und denke an die Vergänglichkeit aller Blumen und Zeiten. Ich schleppe mich schnaubend eine Minirunde durch den Ort und merke, dass ich den Hallux so auch nicht mehr lange lassen kann. Dabei denke ich an den langen Stillstand, den das bedeutet, und frage mich, wer sich um mein Pferd kümmert während der Genesung. Ich denke an die diffusen Krankheitssymptome meines Pferdes und hoffe, dass das Rätselraten in dieser Woche beendet sein möge. Danach schicke ich noch ein Stoßgebet zum Himmel, dass ich mir die Hallux-bedingte berufliche Auszeit leisten können werde und - weil ich gerade schon dabei bin - bitte ich auch noch gen Himmel, dass meinem Mann nichts passiert auf der täglichen Autobahnfahrt.

Ich denke an meine Eltern und frage mich wie lange ich sie noch habe.

Ich denke an Julia und bin gerade heute sehr bei ihr.

Ich denke und denke und denke.

Und als ich erschöpft im Garten stehe, schweißgebadet und um kurz nach 6 Uhr schon total matt in der Birne, kommt eine Bekannte des Weges und klagt völlig frustriert ihr erhebliches Leid. Ich kann mich nicht lösen, fühle mit, gebe Ratschläge, die keiner will, entschuldige mich schließlich aus Zeitnot, stopfe mein Müsli rein, hüpfe unter die Dusche und erhitzt wieder raus, komme zu spät zum Gassihund und gerade noch rechtzeitig ins Büro. Um 8.10 h und genau vier Stunden nach dem Aufstehen finde ich meinen Tag jetzt schon zu lange.

Gleich nach diesem Blog hier gehe ich. Wohin, das weiß ich noch nicht. Am liebsten ans Meer. Ganz und gar, mit Hof und Hütte. Irgendwann. Vielleicht. Wahrscheinlich aber nicht. Für diese Entscheidung ist es jetzt definitiv noch zu früh.

09.07.2019


Unglücklich ungebraucht

Ich bin momentan in einer Situation, in der ich ständig irgendwen um irgendwas bitten muss. Und ich merke, dass das etwas ganz Neues für mich ist. Um mein Gewissen zu entlasten, frage ich mich ständig: „Würdest du das (die jeweilige Bitte) auch für den/die andere tun?“ Freimütig sage ich „ja“. Von Herzen gerne. Wenn ich kann.

Ich mag es, auch mal gebraucht zu werden. Ich sage `auch mal`, weil es Lust wie Last sein kann, letzteres vor allem, wenn ohne mich gar nichts zu gehen scheint. Doch darüber muss ich mir im Augenblick zum Glück keine Sorgen machen: meine Eltern sind fit wie Turnschuhe, unkaputtbar und erlebnishungrig. Mein Mann war schon selbstständig, bevor wir uns kennen lernten. Meine Tante musste ich gestern erst nachdrücklich darauf hinweisen, meine Hilfe in Anspruch zu nehmen, wenn körperliche Arbeiten zu verrichten sind. Freunde benötigen meine Hilfe gelegentlich, aber eher selten.

Manchmal leide ich sogar in Ermangelung des Nützlichseins für andere – einmal ausgenommen die Tatsachen, dass ich gelegentlich Gärten gieße, die Wohnungsblumen meiner Freundin versorge, Kuchen an die Nachbarn verteile und dem aus der Obdachlosigkeit stammenden Stallhelfer Klamotten und Bettwäsche gebe. Ich werde gelegentlich unglücklich, wenn mich niemand zu brauchen scheint und mein Bedürfnis nach einem Platz in der Herde nicht vollends befriedigt ist. Jemand zieht um, aber managt das Unternehmen komplett mit dem inneren Familienkreis – das macht mich phasenweise richtig traurig (obwohl ich mich nicht wirklich darum reiße, Möbel zu schleppen)! Ebenso geht es bestimmt auch meiner Mama dann und wann: früher fütterte sie die Katzen in unserer Abwesenheit. Heute erspare ich ihr das tägliche Kommen, nur um die Blumen zu wässern, die Katzen sind längst mausetot.

Das Nützlichsein-Wollen ist angeboren, ein soziales Grundbedürfnis. Tatsächlich fließt mit dem Geben und Nehmen Wertschätzung in beide Richtungen: Als Wunscherfüller bilde ich mir ein, der andere fragt nicht zufällig mich – sondern ausgerechnet mich, weil wir eine besondere Beziehung haben. Und der Bittsteller empfindet es hoffentlich auch als anerkennende Geste, dass ich ihm, ausgerechnet ihm, diesen Gefallen erweise. Ihm gefällig sein will.

Derzeit ist es also mal umgekehrt. Ich muss dauernd jemanden fragen, ob er mein Pferd von A nach B bringen, das Futter bereit stellen, Heu nachlegen, Wasser überprüfen oder sogar die störrische Stute bewegen kann. Meine an der Hüfte operierte Pferdepartnerin fehlt gerade jetzt, im arbeitsreichen Sommer, sehr.

Während ich mich auf dem Neuland des Bittens bewege, lässt meine Scheu langsam nach. Denn ich verlange wahrlich nichts, was ich nicht auch selbst zu geben bereit wäre. Als Beweis möchte ich anführen, dass ich in Kooperation mit ein paar anderen und ausgerechnet in den wettermäßig drei hässlichsten Wintermonaten Shetty Herby bespaßt und bewegt habe, weil sich die Besitzerin den Knöchel gebrochen hatte. War auch nicht immer lustig.

Was ich gerade jetzt ebenfalls bemerke ist, dass es den wenigsten an Hilfsbereitschaft mangelt, manchen aber an der Umsetzungsbereitschaft. So bietet sich eine Bekannte zwar regelmäßig an, schafft aber dann den Mehraufwand nicht und grenzt sich im Zweifelsfall, bevor es ihr selbst zu viel wird, rigoros ab. Auch interessant und psychologisch kein Wunder: Stress verhindert eben Empathie.

Da bleibt mir nur zu hoffen, dass es in meinem Umkreis nicht so viele Gestresste gibt, so lange ich Hilfe brauche. Der übrig bleibende Alternativweg wäre nämlich, meine eigenen Ansprüche herunterzuschrauben. Das mache ich aber nur, wenn mir gar nichts mehr anderes oder kein anderer zum Ansprechen mehr übrig bleibt. Ist schließlich eine der härtesten Übungen – die Arbeit an sich selbst.

25.06.2019


Mission fertig, Publikum weg?

Julia und ich, wir haben ja in unserem Schaffen als Trainerinnen eine Mission. Wir wollen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung so positiv beeinflussen, dass es ihnen besser gelingen kann, gesund leistungsfähig zu bleiben. Und dann kam mir beim Wandern in Brixen plötzlich ein beunruhigender Gedanke. Was, wenn uns das Publikum allmählich ausstirbt?

Das mag jetzt ein wenig seltsam klingen und womöglich wiederhole ich mich auch. Aber die Sache ist doch die: Unsere Generation – und damit meine ich die ältere, von den Kriegskindern in die Welt gesetzte – wurde, sofern man einen gemeinsamen Erziehungsnenner finden mag, eher auf „Durchhalten“, statt auf „Durchsetzen“ getrimmt. Wenn wir etwas angefangen hatten, musste das auch zu Ende gebracht werden. Sei es eine Ausbildung, das Lesen eines Buches und sogar am Teller durfte nichts übrig bleiben.

Die Frage, wie es uns bei oder mit irgendwas gerade geht, emotional gesehen, wurde in der Regel nicht gestellt. Und auch die Option, etwas abstellen oder unterlassen zu können, einfach, weil wir es so wollen, wurde nur rudimentär im Denkhorizont verankert.

Der jüngere Generation, erzogen von der unsrigen, blieb hingegen autoritäres Erziehungsgebaren gerne erspart. In Kombination mit allen erdenklichen Wahlmöglichkeiten, auch, weil die finanziellen Mittel gegeben waren und sind, muss diese Generation nun nicht mehr lernen, ihren Willen durchzusetzen oder auch einmal über die eigene Komfortzone bzw. Befindlichkeit hinwegzugehen. Das können diese Youngsters bereits, haben sie von Kindheit an gelernt. Die meisten wurden sogar viel zu früh als familiäre Entscheidungsträger eingesetzt („Magst du heute Bratwurst oder Weißwurst?“, „Sollen wir heute in den Tiergarten gehen oder magst du lieber an den See fahren?“). Das zieht andere Probleme nach sich, deren Betrachtung würde jetzt zu weit führen.

Zurück zu meiner Wanderung in Brixen. Mir fiel beim Laufen folgendes ein: Mit meiner Botschaft „traut euch auch einmal für euch einzustehen, `nein` zu sagen und Grenzen zu setzen – seid es euch wert!“ komme ich in jedem Seminar gut an. Es sei denn, es befinden sich Zwanzigjährige im Publikum. Die schauen mich dann staunend, oft Stirn runzelnd an. Weil? Na, klar! Weil sie sich fragen, wozu man für diese Botschaft eine Trainerin braucht. So leben die Jungen ja eh schon. Leider bleiben sie auch oft wegen eines Nasenflügelzuckens, der sich zum grippalen Infekt auswachsen könnte, zuhause und lassen ihr Team wegen (von außen betrachtet) gefühlter Nichtigkeiten im Stich.

Doch genau diese Jüngeren aus den 1990er und 2000er-Jahrgängen begegnen mir immer öfter, während sich die in den 1960ern Geborenen langsam rarmachen in den Seminaren. Entweder, weil sie schon so vieles gehört haben in Sachen Soft Skills. Oder weil sie gerade jetzt ihr Team besonders unterstützen möchten und keine Zeit haben, zum Workshop zu kommen. Oder weil sie längst gefrustet von mangelnder Wertschätzung im Job die Tage bis zum (Vor-) Ruhestand zählen und keine Lust mehr haben auf Fortbildung.

Hat also jemand eine Idee, welche Botschaft ich den Jüngeren vermitteln könnte? Es lohnt sich, seine eigenen Bedürfnisse auch einmal hintan zu stellen, vor allem, wenn man in einem Team arbeitet? Es ist eine total spannende Erfahrung, hart zu sich selbst zu sein und sich zu beweisen, dass man sich durchbeißen kann? Die eigenen Grenzen zu spüren, das kann richtig Laune machen – und erspart die ein oder andere sportive Grenzerfahrung wie Bungee Jumping, für die man auch noch teuer bezahlen müsste?

Ich weiß es nicht. Aber ich hoffe, ich werde nicht arbeitsloser, bevor ich das Arbeiten aufhören will. Schließlich bin ich hart im Nehmen.

14.06.2019


Freundschaft braucht Nähe

Nach Aristoteles gibt es drei Arten von Freundschaft: die des Nutzens, die der Lust und die vollkommene. Also ist die Unterscheidung zwischen „Freundin“ und „Bekannte“, die ich gewöhnlich wähle, philosophisch nicht ganz stimmig.

Ist jemand, mit dem ich mich regelmäßig zum Reiten treffe, automatisch eine Freundin? Oder eine Kollegin, bei der ich den Alltagsmüll entlade und sie ihren Mist bei mir kompostiert? Wie viel muss man voneinander wissen und welche Geheimnisse teilen, um jemanden eine Vertraute zu nennen – und entsteht Freundschaft erst, wenn dieses Vertrautsein da ist?

Ich merke, dass ich jemanden, den ich nur ganz gelegentlich treffe, wenn das Wetter mal gut ist und wir es zeitlich gleich nach unserer beider Arbeit in einem Café ums Eck hinkriegen, höchstens „Bekannte“ nennen kann. Der Kontakt ist nett. Wir haben uns immer etwas zu erzählen (was kein Wunder ist, in einem Jahr passiert ja so manches). Und wenn wir uns nicht sehen, ist es auch nicht weiter schlimm. Würde diese Bekannte woanders hinziehen, ich würde es vermutlich gar nicht merken.

Im Inneren meines Circles of Life befinden sich ausschließlich Menschen, die etwas mit mir teilen und denen ich etwas mitteilen will. Diese Menschen sollen meine „Meilensteine“ mitbekommen und ich will ihre wissen. Also eine Freundin aus Jugendtagen neulich und quasi Wochen später von einer längeren Krankheitsepisode berichtete, habe ich mit ihr darüber gesprochen. Ich habe ihr gesagt, dass ich mir wünsche, dass sie Last und Lust mit mir teilt. Zeitnah. Von mir aus auch per Whats App.

In der heutigen Zeit der zunehmenden Singlehaushalte und kinderlosen Ehepaare werden Freundschaften zu Wahlverwandtschaften und dadurch immer wichtiger. Wo soll man denn sonst Zugehörigkeit herbekommen? 95 % aller Alleinlebenden empfinden, Studien zufolge, Freunde als unverzichtbar. Frauen allerdings fällt es leichter, Freundschaften zu knüpfen – zwei Drittel geben an, eine beste Freundin zu besitzen. Männer mögen sich wohl nicht so gerne über Gefühlstiefen austauschen und darauf ist es zurückzuführen, dass nur ein Drittel des starken Geschlechts angibt, einen engen Vertrauten zu haben.

Ich persönlich finde ja und fand das schon immer, dass Nähe eine große Rolle spielt bei der Pflege und beim Erhalt von Freundschaften. Ich habe schnell den Eindruck, für jemanden nicht interessant zu sein, wenn ich nicht ab und an auch ein Signal bekomme. Was mir in diesem Kontext aufgefallen ist: Whats App ist optimal, um sich auf die Schnelle zu verabreden – für einen echten Austausch ist dieser Kommunikationskanal einfach kein Ersatz. Wo keine Nähe ist, weder ein Gedankenaustausch, noch ein gelegentlicher Erlebnisreport, da wächst irgendwann kein Gras mehr. Da keimen mittelfristig gerne auch mal Störgedanken (á la „kreist sie nur noch um ihre eigenen Probleme?“ oder „warum schreibe ich eigentlich immer als erste?“).

Und das Gleiche gilt auch für räumliche Nähe, die laut Wissenschaft Freundschaften protegiert: Studenten, denen in der ersten Vorlesung Plätze in einem Hörsaal und damit auch bestimmte Banknachbarn zugewiesen wurden, befreundeten sich deutlich häufiger miteinander als Kommilitonen, die entfernt voneinander gesessen hatten.

Ich schließe daraus: Keine emotionale Nähe, keine Freundschaft und auf Distanz ist Freundschaft schwierig. Je mehr räumliche Distanz, desto mehr emotionale Nähe muss her, desto reger muss der kommunikative Austausch sein. Sonst sind wir am Ende nur noch Bekannte, die sich schon lange kennen. Denn die Verantwortung für die Pflege liegt partnerschaftlich auf beiden Seiten. Und wenn Freundschaften verkümmern, dann hatten sie vielleicht auch einfach ihre Zeit und haben jetzt als gegenseitige Lebensabschnittsverbünde ausgedient. Das soll es geben...

21.05.2019


Hochstapler sind erfolgreicher!

Daran scheiden sich die Geister, auch die von meinem Mann und mir. Mein Mann kann aufgeblasenes Getue – vor allem bei Männern – so ganz und gar nicht leiden. Ich bin auch eher abgeneigt, gucke aber ja gerne hinter die Kulissen und finde da oft ganz normale Leute vor. Die auch nur mit Wasser kochen. Aber jetzt das: Prahlhähne haben unter anderen tatsächlich die besseren Karten.

Letzte Woche war ich bei einem Vortrag von Prof. Dr. Jack Nasher, einem Wirtschaftspsychologen. Der smarte Typ – auf den ersten Blick gegelter Banker, nach eigenen Worten in der Welt zuhause – präsentierte einige Forschungsergebnisse, um seine These zu bestätigen: Wer im Gegenüber hohe Erwartungen weckt, macht im Wettbewerb regelmäßig das Rennen. Kompetenz ist nämlich unsichtbar und überzeugt nicht per se.

Der Hintergrund ist im Endeffekt total nachvollziehbar. Als Nachfahren der „größten menschheitsgeschichtlichen Feiglinge“ ist uns in Entscheidungssituationen, in denen es tricky wird, die Angstreduktion das Allerwichtigste. Es geht also darum, den Menschen Sicherheiten zu verkaufen, genau wie ich es ständig in meinen Seminaren predige. Ob man mit Patienten, Eltern, Consumern oder B2B-Kunden arbeitet, spielt dabei keine Rolle. Wer sich und sein Produkt, seine Dienstleistung, gut verkaufen will, darf sich nicht zu bescheiden geben. Denn das sät in den Hirnen derer, die dir das abkaufen sollen, was du versprichst, eher Unsicherheit.

Warum wir Nachfahren von Feiglingen sind? Hinter der ebenso provokativen wie ulkigen Aussage steckt Logik: Nur die Ururururahnen, die Gefahren am cleversten umgangen haben und am vorsichtigsten waren, konnten überhaupt überleben und sich fortpflanzen. Folglich sind wir als Nachfahren mit einem optimierten Arterhaltungstrieb namens Risikoreduktion ausgestattet. Man könnte auch sagen mit Angst, Schiss, Panik, Bedenken, und Negativismus. Alles Sachen, die uns gerettet haben – einst. Und heute? Suchen wir Sicherheiten und halten selbst dann noch gerne an großspurigen Versprechungen fest, wenn sie in Wahrheit nicht gehalten wurden. Weil das Hirn nicht nur Sicherheiten, sondern zudem auch Selbstbestätigung sucht.

Laut Studienergebnissen kamen in einer Bewerbungssituation die Personen am überzeugendsten rüber, was mit einem Punktesystem gemessen wurde, die die höchsten Erwartungen im Gegenüber schürten und am selbstsichersten wirkten. Die Tiefstapler, die wenig überzeugend wirkten, konnten selbst dann nicht an Punkten gewinnen, wenn sie die Hochstapler am Ende durch Leistung übertrafen. Will heißen: Wenn der Schnösel am Ende kompetenzmäßig der Loser ist, finden wir ihn noch immer überzeugender als den unsicheren, womöglich sympathischeren Winner.

Verrückt.

Aber wahr.

Und deshalb finden wir auch Superlative in der Werbung spitze und schenken den Löwen, die am lautesten brüllen, Be-Achtung. Zumindest unser Hirn. Und zumindest in prekären Entscheidungssituationen.

Also sollten wir wieder mutiger werden, oder wollt ihr wirklich so sein?!

15.05.2019


Sind wir seelisch am Ende?

Es ist so weit. Die Entwicklung, die sich in den Krankenkassenstatistiken seit Jahren ankündigte, hat ihre Vollendung erreicht. Zumindest der Studie eines bedeutenden Versicherers zufolge, sind die seelischen Erkrankungen nun auf Platz eins der Berufsunfähigkeitsursachen.

Zu den heute häufigsten psychischen Störungsbildern gehören, neben Depressionen und Burnout, auch Angsterkrankungen. Wundern tut es mich nicht in Anbetracht der Arbeitsbedingungen, von denen wir als Trainerinnen und Coaches ja in Auszügen etwas mitbekommen, überhaupt nicht: Personalknappheit bei Arbeitsfülle, Druck von oben und Druck von innen, von den eigenen Ansprüchen her, fehlende Wertschätzung und die mangelhafte Möglichkeit, arbeitsbedingte Belastungen in der Freizeit zu regenerieren, sorgen im Bewertungssystem unseres Gehirns für Alarm. Dauerstress.

Bei manchem manifestiert sich dieser pausenlose Ausnahmezustand – denn als solcher ist Stress ja eigentlich gedacht – in Form körperlicher Krankheiten. Und bei manch anderem streikt die Psyche.

Zusätzlich habe ich bei meiner Recherche herausgefunden, dass besonders häufig Menschen in Call Centern betroffen sind, ebenso gefährdet sind Dienstleister, Mitarbeiter in Öffentlichen Verwaltungen sowie – natürlich – das Personal in Sozial- und Gesundheitsberufen; auch Lehrer und Polizisten.

Das endgültige berufliche Aus bedeutet eine seelische Krankheit mit einem Anteil von rund 40% eher für Frauen, während etwa 28% der Berufsunfähigkeit bei Männern auf das Konto der Psyche geht und das in späteren Lebensjahren. Menschen, die alleine leben, scheinen allgemein störungsanfälliger, wurde gestern im Radio berichtet. Und da ja die Anzahl der Singlehaushalte in Deutschland ständig steigt und außerdem neben der Arbeit immer weniger Zeit und Kraft für die Ent-Gewichtung der „elementaren Lebenssäule Job“ durch soziale Kontakte oder Hobbys bleibt – Prost, Mahlzeit!

Es ist übrigens strittig, ob die seelischen Erkrankungen tatsächlich gestiegen sind. Oder ob man sie heute nicht nur besser erkennt und diagnostiziert. Ich persönlich denke, an beiden Sichtweisen ist etwas Wahres dran.

Im Vergleich zu den Nachkriegsjahren, in denen alles gen Aufbau ausgerichtet war, um Sicherheiten zu schaffen und ein neues Vermögen zu machen, sind die Belastungen heute anders geworden. Vermeintlich nicht lebensbedrohlich. Aber irgendwie eben trotzdem existenziell gefährlich. Das meldet unsere Hirnbewertung, das zeigt uns der Stresspegel.

Wir wissen heute immer weniger, wohin wir gehören und was uns wirklich wichtig ist, sozialer Halt und Ziele fehlen ebenso wie der Glaube an sich selbst. Vielleicht mangelt es stellenweise sogar an Lebenswille. Damit meine ich die tief in uns wohnende Lust, nicht den anerzogenen Kampfgeist. Würde man sonst so lange in Umständen durchhalten, die uns ein Drittel der täglichen Lebenszeit bis aufs Äußerste strapazieren? Sich nicht früher einen anderen Arbeitsplatz suchen, wenn es „nur“ das wäre, was uns quält?

Und wie kann man Lebenslust kultivieren?

Das wird eine längere Geschichte! Mitwirkende werden auf alle Fälle der alte Freund Selbstwert und transgenerationale Ge- bzw. Verbote sein. Ich bleibe dran und versuche als Menschen- und Motivforscherin weiterhin kleine bis kuchenstückgroße Einsichten zu gewinnen. Was genau mich da antreibt? Ursprünglich einmal wollte ich die Welt zu einem besseren Ort machen! Das ist mir aber nicht geglückt. Deshalb begnüge ich mich jetzt damit, Menschen zu motivieren, aus ihrer Welt einen besseren Ort zu machen. Das geht ganz gut, wenn sie mich lassen.

07.05.2019


Dem Bauch sei dank

Nein, das wird keine Lobarie auf meinen Speck, sondern eine Danksagung an meine Intuition! Es ist unermesslich wertvoll, wenn man mal die Fakten außer Acht lässt, um auf Fake aufmerksam zu werden. Sonst wäre ich um ein Haar über den Tisch gezogen worden. Virtuell.

Vor einigen Wochen begann meine Suche nach einem neuen Sattel für mein Pferd. Ich habe einen gebrauchten vor Ort angeboten bekommen, der mir aber für sein Alter zu teuer schien. Verliebt in genau dieses Modell einer italienischen Nobelmarke begab ich mich – zunächst ganz locker – im Internet auf die Suche nach Gebrauchtware. Ich verglich Preise und studierte Begleittexte. Und das immer öfter. Schließlich fragte ich mich, ob ich wirklich bereit sein würde einen für mich ziemlich hohen Betrag auf diesem anonymen Wege zu investieren. Doch die Anzeigen im Web wirkten auf mich ganz authentisch. Die Texte hätte ich auch selbst verfasst haben können. Und schließlich wurde ich fündig. Ein Mädel hatte genau diesen meinen Lieblingssattel auf quoka inseriert. Neuwertig. Zum Schnäppchenpreis. Weil altes Pferd viel krank und schließlich verstorben, kaum benutzt.

Ich antwortete und stellte ein paar wesentliche Fragen. Retour kam eine Mail, die keine meiner Fragen beantwortete, mir jedoch offenbarte, die Anbieterin sei derweil in Norwegen wohnhaft und habe den Sattel bei DHL eingelagert, sei nach wie vor sehr am Verkauf interessiert und auch noch so entgegenkommend, dass sie die Versandgebühr für mich übernehmen werde.

Ich zeigte das Schreiben meinem Mann mit den Worten: „Klingt für mich, als ob eine andere Person die Mail geschrieben hat. Da stimmt was nicht.“ Woraufhin mein internetshoppender Mann meinte: „Na, das kann schon noch stimmen. Warte doch mal ab.“ Also setzte ich die Konversation mit meinen immer gleichen wesentlichen Fragen fort. Wenn ich die Größe des Sattels nicht genau kenne, weiß ich ja nicht, ob er meinem Pferd passt. Letztlich bekam ich die Kammerweite genannt und auch noch einen Passus dazu, der mich über die Versand- und Zahlungsprozesse aufklärte. Ich begann zu googeln und fand meterweise Links, in denen genau dieser Passus mit dem Prozedere zitiert war. Als Betrug. Allerdings ging es – statt um Sättel – um Imbisswagen, Alugerüste und Mountainbikes und der Verkäufer war wahlweise nach Italien oder woanders hin verzogen.

Ich guckte mir die Fotos vom Sattel noch einmal an und bemerkte, dass diese mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem Reitsportfachgeschäft aufgenommen bzw. irgendwo im Web gezogen worden waren. Ich verständigte quoka.

Tatsächlich habe ich noch überlegt, ob ich das Ganze als „Spiel“ noch ein wenig am Leben halten sollte. Nach dem Motto, ich wäre demnächst eh nähe DHL-Lager und könnte den Sattel vor Ort abholen. Oder mir noch einmal Details ausbitten – etwa zu den Teilen, denen man Gebrauchsspuren immer ansieht. Zum Alter des verstorbenen Pferdes. Oder zum neuen Pferd, ob das jetzt wohl mit nach Norwegen ausgewandert ist. Ich habe es dann lieber unterlassen.

Im Internet steht auch, dass die Aussagen bedrohlicher werden, wenn man auf blöd macht. Und die haben ja jetzt meine Geschäftsadresse. Im neuen stern hat sich ein Redakteur einen Spaß daraus gemacht, auf eine Spam-Mail von der angeblich letzten noch lebenden Gaddhafi-Tochter, die es auch wirklich gibt, zu antworten. Sie suchte einen Strohmann, um das stattliche geheime Restvermögen des gestorbenen Vaters anzulegen. Der Redakteur gab sich geschmeichelt, dass gerade er der Auserwählte sei und noch dazu eine beträchtliche Prämie zu erwarten habe. Doch er tat das natürlich unter falschem Account, amüsierte sich teils, weil er die Geschichte, in der es immer mehr um Transferkonten, Verträge und Unterschriften ging, in eine Love-Story verwandeln wollte. Teils war er selbst über sich erstaunt, weil er merkte, wie das menschliche Gehirn immer nach Beziehung strebt. Wie er anfing, auf Antworten von Mrs. Gaddhafi zu warten. Wissend, dass eine Bande so genannter yahoo-Boys in irgendeiner verräucherten afrikanischen Internet-Klitsche ihm als vermeintlich vermögenden und liebestollen Deutschen sich unter tosendem Gelächter verführerische Antworten ausdachte, während gleichzeitig beauftragte Advokaten und Banker Druck auf ihn auszuüben begannen. Als er den Spieß umdrehen wollte und selbst um Geld bat, damit sein angeblich gehackter Rechner wieder freigegeben wurde, riss die Konversation schlagartig ab. 

Auch ich bin noch immer irritiert. Ich schreibe einer Iris, die ihr Pferd im Sommer 2017 verloren und jetzt einen fast neuen Sattel übrig hat. Und bekomme Antworten, die mir Sicherheit suggerieren sollten und die mich genau deshalb skeptisch werden ließen, weil der Ton zu professionell wurde. Mein Beileid zum Pferdetod wurde ignoriert. Das war es. Keine Spiegelneuronen im Spiel. Da kann doch was nicht stimmen, wie schon vielfach beschrieben, hier im Blog. Also passt bitte gut auf euch auf und gebt euer Geld lieber vor Ort aus. Oder gar nicht.

30.04.2019


Vielfalt verstört

Am Ostersonntag unterhielt ich mich mit meinen Eltern über die neue Nachbarschaft. Wie in vielen Vororten größerer Städte verändern sich die Wohnqualitäten. Ältere Menschen versterben, junge Familien kommen nach. Und das ist nicht immer nur „nett“.

Während wir uns selbst lautstark in ein Gespräch vertieften – wir mussten, da in nächster Nähe mehrere Großfamilien das Osterfest auf ihre Weise zelebrierten, in Badehosen, mit Hollywoodschaukel, Fußball und Tor, Hund und Getöse – blickte ich von den 530 Ostereiern des dekoverliebten einen Nachbarn verblüfft zu einem sprühenden Fantasiewesen im anderen Garten. Da stand doch tatsächlich ein gut vier Meter messendes, aufblasbares Einhorn, das aus seinem einem Horn Wasser spie. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Lustig sah es aus! Und meine Eltern beflügelte es zu einer anderen Geschichte der gleichen lokalen Herkunft. Direkt vor dem Küchenfenster meiner Mutter befindet sich nun ein trocken gelegter Swimmingpool beträchtlicher Größe. Dieser wurde mit Hilfe der Pumpe meines Vaters um mehrere Hundert Kubikliter Wasser erleichtert, da er im Erdreich zu versinken drohte. Einfach aufstellen und schwimmen, so einfach ist das halt dann doch nicht auf schwammigem Grund. Man munkelt, dass die betreffende Familie im vorherigen Wohnort nicht wirklich wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. Möglich wäre es. So viel Umtrieb ist schwer aushaltbar für die, die es lieber ruhiger mögen.

Angrenzend zur anderen Seite hat auch eine junge Familie gebaut. Dem ganztägig jaulenden Sohn geht die Mutter wohl rauchend aus dem Weg, während der Vater in der Geschichte gar nicht vorkam.

Das brachte uns auf Nils, den Nachbarjungen bei uns, der mir regelmäßig auf den Keks geht. Doch leider nützt Reden nicht wirklich. Nach Fußball, der gerne in den Abendstunden donnernd in den Carport gedroschen wurde und Stelzen (die waren wenigstens leise), Snakeboard und Fahrrad, sind es jetzt Hockey-Klack-Klacks, die mir auf den Geist gehen. Man kann Nils dabei beobachten, dass er – wenn er sich unbeobachtet glaubt – weit ausholt und den Puck mit voller Gewalt gegen den nächstgelegenen Gartenzaun donnert. Vorgestern habe ich stillschweigend meinen portablen CD-Player platziert und mit Radio gegengesteuert. Das hatte zumindest den Effekt, dass ich Musik statt Klack hörte und die sonst kaum sichtbaren Eltern reagierten und Nils ins Haus geholt haben. Soeben aus dem leider sehr kurzen Osterurlaub zurück, wurde der Hockeyschläger alsgleich aufs Neue bemüht und – was soll ich sagen – der Nachbarzaun litt sehr, während die zugehörige Besitzerin für Monate auf den Kanaren weilt, sie wird wissen, warum. Also hob ich mal ausnahmsweise meine Stimme, was die Mutter bemüßigte, Nils einzusteuern. Geht doch.

Aber ist das die Zukunft?

Neulich habe ich beim Einbiegen in unsere Straße fast ein Pylon überfahren, das mittig in der Kurve platziert war. Beim Ausweichen hätte ich dann beinahe einen der beiden Thai-Jungs umgenietet, deren Vater die Pylone an verkehrstechnisch günstigen Stellen aufgestellt hatte, damit die beiden das Inlineskaten üben können. In Ruhe. Am nächsten Tag war es das Fahren auf einem Tandem.

Meine Freundin Heike bat neulich an einem Sonntag um 8 Uhr das vor ihrem Schlafzimmerfenster stattfindende Fußballspiel doch gerne vor das elterliche Haus zu verlegen. Woraufhin die Großmutter das Spiel eifrig anfeuerte. Weil Kinderspiel hat doch gefälligst niemanden zu stören.

Meine Freundin Eva, die der Unterhaltung mit Heike beiwohnte, gab zu, nach ihrem Umzug aus München eigentlich ein wenig traurig darüber gewesen zu sein, dass in ihrem Mietshaus lauter ältere Menschen wohnen. Wir blickten sie schweigend an. Sie hat tatsächlich keine Ahnung, was ihr da entgeht.

Nach dem Einhorn heute weiß ich aber, dass wir es noch verhältnismäßig gut getroffen haben. Uns können keine Trampoline die Sicht versperren, denn Trampoline passen nicht in die kleinen Gärten und auf die Straße vor den Häusern, die zum Spielplatz umfunktioniert wurde, natürlich auch nicht. Wenn Kinder Kästchenhüpfen finde ich das entzückend. Auch mit laut über den Asphalt ratternden Bobbycars habe ich mich angefreundet – die haben mich einst um Schlaf und Verstand gebracht, als ich noch in Nürnbergs Süden zur Miete wohnte, mit Innenhof, wo es so richtig schön schallt.

Manchmal frage ich mich, ob es nicht im Alter auch ein Segen sein kann, ein wenig Gehör einzubüßen. Denn in die Einöde abwandern, das ist ja bei zunehmender körperlicher Gebrechlichkeit auch keine wahre Option.

Wie auch immer. Ich hätte euch auch von meinen vielen hübschen Lindt-Schokohasen erzählen können. Wäre aber zu langweilig gewesen. Mindestens einen dieser werde ich mir heute Abend noch einverleiben. Schokolade hebt ja den Serotoninspiegel. Kann man bei dieser verstörenden Vielfalt an Spielmöglichkeiten – und wer weiß, was bei Nils & Co. im Osternest lag! - nur zu gut brauchen.

23.04.2019


Wettleiden als Krisenherd

Mir ist mal wieder etwas noch klarer geworden: Das offensichtliche Problem zwischen Kollegen, Partnern, Freunden ist oft gar nicht das Problem. Die eigentliche Wurzel allen Übels, aus der sich Konflikten nähren, ist der Vergleich des Elends zwischen Menschen. Und wer am lautesten klagt, gewinnt eben nicht. Er entzündet den Krisenherd.

Neulich schrieb mir eine Freundin, dass es doch wohl Öl im stressbedingt brenzligen Team-Gefecht sei, wenn ein Mitarbeiter bedürftig ist und die Kollegen sehen und unterstützen ihn nicht. Da wurde mir klar, dass ja jeder seine Bedürfnisse hat und je intensiver diese unter den persönlichen Nägeln brennen, desto weniger Empathie bleibt für den „noch bedürftigeren“ Team-Mitspieler eben übrig.

Und es stimmt. Ich erlebe es seitdem häufiger und somit wird mir einiges noch deutlicher: die Menschen arbeiten in Wahrheit gar nicht gegeneinander, sondern sie arbeiten in Wahrheit für sich. Jeder strebt nach individueller Bedürfnisbefriedigung und das ist erst einmal ganz natürlich und gar nicht verwerflich. Blöd wird es erst dann, wenn die Strategien zur Bedürfnisbefriedigung (womöglich mangels Blick über den eigenen Tellerrand) dem Nächsten schaden. Das ist sozusagen eine Kriegserklärung, denn die eine Freiheit endet ja da, wo ein anderer Schaden nimmt. Das ist mit Handlungsweisen und Verhaltensstrategien in Teams nicht anders.

Wenn also Kollegen im Team, die eher anspruchsvollen, strebsamen, im Wirtschaftsdeutsch Leistungsträger genannt, eine Weile ihr Fähnchen (zu) hoch gehalten haben, während andere die Füße eher still halten, dann kann es passieren, dass die Streber irgendwann keine Lust mehr haben. Frei nach dem Motto „interessiert hier eh keinen, wie fleißig wir sind“, holen sie ihr Fähnchen ein und machen auf beleidigt. Glücklich sind sie damit zwar nicht, nachvollziehbar finde ich diese persönliche Konsequenz, die gequälte Zurückhaltung, aber sehr.

Das Interessante ist, dass sowohl die Streber, als auch die Lahmfüßler womöglich das gleiche Bedürfnis haben: beispielsweise streben beide Parteien nach Anerkennung – die einen erfüllen sich dies mit der Strategie Leistung, die anderen mit der Strategie Herzlichkeit.

Wer hat jetzt Recht und wer hat Anerkennung nötiger?

Gefragt ist hier Führung. Es geht nicht darum, wer welche Bedürfnisse hat, sondern welche Strategien er zu Befriedung wählt und ob diese zum Arbeitsziel/-inhalt passen. Wenn jetzt Führung fehlt und die allgemeine Belastungslage zunimmt, knallt´s im Karton. Fanclubs gründen sich. Kollegen distanzieren sich voneinander und – wenn keine Intervention erfolgt – arbeiten sie irgendwann ganz gezielt gegeneinander.

Not und Bedürftigkeit zu vergleichen, das ist ein sinnloses Unterfangen. Nur selten finde ich in meinen Seminaren und Team-Coachings Bedarfslagen vor, von denen ich denke, der Arbeitsplatz sei eigentlich nicht der zentrale Erfüllungsort (z. B. das Bedürfnis nach Freundschaft, Liebe, Harmonie).

Weitaus wichtiger ist, sich die Frage zu stellen, welche Verhaltensweisen dem Teamgeist förderlich und welche ihm eher abträglich sind. Dazu muss man aber führen wollen. Wenn man führen will, als Hirte seiner Schäfchen agieren möchte, dann kann man das in der Regel auch. Das Argument „keine Zeit“ ist mir hier zu lasch. Wenn ich eine Verhaltensweise eines Team-Mitglieds – etwa das dauernde Jammern, das ständige Kritisieren, die Angriffslust oder Arbeitsunlust – korrigieren möchte, schaffe ich das und sogar diplomatisch zwischen Tür und Angel in etwa zehn Sekunden: „Du, ich höre in der letzten Woche viele Klagen von dir. Das frustriert mich, denn ich finde, wir haben uns ein angenehmes Miteinander im Team mehr als verdient. Könntest du bitte das Klagen über Unveränderliches einstellen – um deiner selbst Willen, für mich, für uns?“

Ich denke, wir scheuen Konfrontationen und vor allem deuten wir alles als solche, was uns nicht in den Kram passt. Dabei muss das doch möglich sein, dass man in wohlgewählten Worten für seine Bedürfnisse einsteht – auch, wenn es dem anderen nicht gefällt. Es muss und kann doch nur darum gehen, in einem beidseitigen „und was machen wir jetzt?“ zu münden und zusammen kooperative Lösungen auf Augenhöhe zu entwickeln, die frei sind von den Unterstellungen böser Absichten oder gegenseitiger Übervorteilungsgedanken.

Stimmt´s?

09.04.2019


Sympathie in Sekunden

Kennt ihr das: Ihr lernt jemand Neuen kennen – Mann oder Frau – und in wenigen Sekunden wisst ihr bereits, ob ihr ihn bzw. sie potenziell mögen könntet oder nicht. Wie kann das gehen und dürfen wir diesem ersten Eindruck überhaupt trauen?

Ich komme auf diese Kurzgeschichte, weil meine schon häufiger erwähnte Charakterstute Felina vorgestern eine neue Pferdenachbarin bekommen hat. Da ich meine Zicke ja ganz gut zu kennen glaube, habe ich vorsorglich veranlasst, dass das Paddock mittig abgetrennt wird. Ich habe weder die Nerven, noch das Geld, den Tierarzt dauerzusubventionieren, weil die beiden Stuten sich die hübschen Nasen blutig schlagen. Oder sich in die wohlgeformten Hinterteile treten. 

Jedenfalls sah ich dem Tag des Einzugs von Ina – so heißt das neue Pferd – etwas skeptisch entgegen. Sie wurde mir bereits als dominant angekündigt und ich dachte mir, das könne ja heiter werden bei meinem Alphatier. Also Zaun dazwischen, fertig.

Und siehe da: Es hat keine halbe Minute gedauert, da war zu sehen, wie die beiden sich freundlich beschnüffeln und ganz harmonisch miteinander chillen, jede auf ihrer Seite des Zauns. Ich warte noch ein wenig, bevor ich dem vermeintlichen Frieden wirklich traue. Doch bin ich schon erstaunt über das, was ich Stand heute sehe. So schnell entscheidet sich also die Sympathie zwischen Tieren. Und die müssen es ja von Natur aus wissen wie oder ob man Kontakte knüpft, ganz unverfälscht und ehrlich, oder?

Die Psychologie sagt, auch beim Menschen sei das so. In wenigen Sekunden wissen wir, ob wir jemanden als Freund oder Feind betrachten und das ist urgeschichtlich richtig wichtig gewesen. Sonst hätten wir ja, umgeben von wilden Tieren einst – und man bedenke die Rückkehr der Wölfe in Bayern – nicht überleben können. Kann also schon einmal nicht schädlich sein.

Unser Hirn sammelt also in Windeseile Sinneseindrücke. Dazu gehören Äußerlichkeiten wie nonverbale Signale, aber natürlich auch Klamotten, Frisur, Gepflegtheitszustände allgemein. Wird unser Gegenüber als uns ähnlich eingestuft – was auch eine Frage des Styling oder Stils sein kann – gibt es mehr Sympathiepunkte als im konträren Falle. Außerdem hören wir auf die Stimme und freilich den Inhalt des Gesagten, der uns gefallen bzw. entsprechen oder eben missfallen kann.

Menschen, die mit ihrem Lächeln und ihrer Wesensart freundlich und liebenswürdig rüberkommen, interessiert an uns sind und fürsorglich scheinen, noch dazu authentisch wirken, sind uns grundsätzlich eher Freund. Wird der Eindruck durch eine unschöne Begegnung später getrübt, sehen wir uns dem „Bauchgefühl“ vom ersten Mal verpflichtet und neigen dazu, die Ursache des ungünstigen zweiten Auftritts einem Lebensumstand zuschreiben.

Ist der Ersteindruck allerdings schon mau, verhalten wir uns eher vorsichtig und distanziert, denn wir glauben dann, was wir wahrnehmen, sei schlicht ein mieser Charakter.

Freund oder Feind, das geht also auch bei uns in Sekundenschnelle. Genau wie bei den beiden Stuten, die übrigens – keine zwei Tage später – bereits wettrossen und alle umstehenden Wallache narrisch machen. Frauenpower in Dormitz. Ganz unkompliziert. So sollten wir auch sein, oder? Nicht so viel denken und uns einfach vertrauen lernen. Vielleicht macht das das Leben ja einfacher.

03.04.2019


Aufstieg aus dem Jammertal

Heute mal was Einfaches. Für die Seele. Für den Körper. Für die regen Geister unter euch. Wir werden in unseren Seminaren für Firmen und Gesundheitsunternehmen immer wieder mit dem Jammertal konfrontiert – und der Frage, wie man sich zum Aufstieg rüsten kann.

Hören wir als Trainerinnen in Unternehmen rein, so scheint das Phänomen des Miesepetertums untrennbar mit der heutigen Zeit verwoben. Es könnte allerdings auch sein, dass es schon immer Menschen unter den MitarbeiterInnen gab, die zum Negativismus neigten. Und heute, in unserer luxusverwöhnten und komfortzonenreichen Gegenwartsgesellschaft, finden sich – auch das mag sein – noch zusätzlich immer wieder neue und zahlreiche Gründe zur Klage.

Dabei sind auf Arbeitgeberseite schon viele Dinge möglich gemacht worden. Uns begegnen etwa Angebote zur Gesundheitsprävention, Fortbildungsmöglichkeiten und duale Studiengänge, gesponserte Kinderbetreuungsstätten und Arbeitszeitmodelle, die sich an die individuellen Lebensphasen anpassen lassen und sogar Sabbaticals. Für jemanden, der selbständig ist und selber Sorge tragen muss, ist das nahezu paradiesisch fern von Jammertal.

Es ist ja alles immer eine Frage der Sicht. Und so verstehen wir freilich auch, wenn der Blick von MitarbeiterInnen in einem gewohnten Umfeld aus oben dargestellten Pluspunkten eher auf das fällt, was nicht passt.

Unser Hirn funktioniert so: Erfreut und gefällt uns etwas, wird es schnell adaptiert gen „normal“. Gefällt etwas nicht oder stört uns etwas, dann lenkt unser urzeitlich geprägtes Rechenzentrum unsere Aufmerksamkeit verstärkt in die Richtung, aus der Gefahr zu drohen scheint.

Man muss damit und so aber nicht leben. Wenn uns also arbeitsbedingte Widrigkeiten Kraft und Nerven kosten, zumal sie eventuell gar nicht individuell-arbeitsgeberbezogene Relevanz haben, sondern übergreifend oder branchenweit so sind wie sie sind, dann können wir immer noch eines tun: uns für den positiven Blick und ein gutes Leben entscheiden.

Das würde bedeuten, wir polen uns auf alles Günstige, das uns umgibt, unsere Halt bietenden Faktoren bei der Arbeit, anstatt dem Negativen so viel (Denk-) Raum zu geben. Das setzt wirklich eine aktive Entscheidung und jede Menge Bewusstsein voraus. Wenn jemand schon seit Jahren am Arbeitsplatz unter den Reibungspunkten leidet, aber nichts geändert hat und auch nicht sich und seine Bewertungsmuster hinterfragt und optimiert hat, dann wird es wohl gute Gründe geben, die einen bei der Stange halten.

Oft liegen diese Gründe auch außerhalb der finanziellen Not: Der Arbeitsplatz ist praktisch erreichbar, die Wohnstätte liegt in nächster Nähe, die Kollegen sind nett, man erhält ordentlich Lohn für den behandelten Arbeitsinhalt, hat Aufstiegsmöglichkeiten und/oder auch die Sicherheit, dass sich von diesem Arbeitsplatz aus die eigenen Lebensziele (z. B. Kinder, Hausbau) verwirklichen lassen. Ist doch was wert!

Andernfalls könnten wir gerade in unbequemen Momenten auch einmal umdenken und unsere Belastbarkeit steigern, statt über die Belastungen nachzugrübeln. Was macht ihr denn so in diesen Situationen, wo die Arbeit immens Kraft kostet? In der Freizeit immer heiter munter weiter wie bisher? Oder reduziert ihr hier einmal etwas zu eurem Wohle, beispielsweise die Anzahl der Fenster, die ihr putzen wolltet, die Kilometer eurer Laufstrecke, die familiäre Outdoor-Aktivität, die eure ganztägige Fitness voraussetzt oder den Alkohol am Abend?

Wo ist denn eure Ich-Zeit, wenn ihr sie am nötigsten braucht?

Weg? Oder: Welche Ich-Zeit?

Dann ist das ist wirklich ein Jammer!

26.03.2019


Arbeitslose Spiegelneuronen

Bei uns im Hirn ist ganz schon was geboten. Da ist Party. Da britzelt und blitzt es. Da wirbeln Gedanken und keimen Einsichten. So ist es zumindest seit Urzeiten gewollt gewesen, denn wir sollten ja überleben in den Dschungeln da draußen. Manchmal glaube ich allerdings, Mutter Natur hat jetzt einen anderen Plan mit uns. Womöglich hat der gute Geist ausgedient und der intellektuelle Rückbau hat begonnen. Was weiß denn ich.

Mir scheint es gerade mal wieder so, als ob wir keine Herde mehr sind. Herdentiere sind sich nämlich grundsätzlich darüber im Klaren, dass sie unter ihresgleichen gut aufgehoben, geschützt und geschätzt sind. Sie würden sich doch nicht gegenseitig bedrohen, bedrängen, erniedrigen oder? Mal von den Rangeleien, die aus einem Geltungsstreben heraus entstehen, abgesehen. Warum pinkeln sich Menschen immer wieder gegenseitig ans Bein und Begegnungen sind so unschön?

Neulich bei OBI, treffender Weise auch noch am internationalen Tag der Frau: Ich muss zwei blöde Schrauben besorgen für zwei Fressreifen unserer Pferde. Ich hatte eh schon keine Lust, wurde aber von unserer oberen Stallinstanz genötigt und als funktionierendes Herdentier, das auf Kooperation geeicht ist, gehe ich energie- und willenlos am Freitagsnachmittag zum nächstgelegenen Heimwerkermarkt. Ich fühle mich ebenso fehlplatziert wie es offensichtlich der Kundenberater in der Schraubenabteilung tut. Auch ich würde, hätte ich eines auf, am liebsten mein Cappy tief ins Gesicht ziehen und so tun, als ob ich an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit geboren wäre. Auch mir ist danach, weder rechts, noch links zu schauen und mich um die Bedürfnisse anderer zu kümmern in diesem Moment. Ich fokussiere, genau wie der OBI-Kundenberater, nur auf mich und meine Mission, die blöden Schrauben zu finden. Seine Mission kenne ich nicht genau. Aber sie interessiert mich, als ich mich vorsichtig nähere und mich zwinge, höflichst zu fragen (obwohl mir der Kamm längst geschwollen war): „Entschuldigen Sie bitte, darf ich Sie kurz stören oder sind Sie bereits im Kundengespräch (kleiner Witz)?“ Woraufhin er mir einen Rüffel erteilt: „Sagen Sie doch einfach, was Sie wollen!“ Mein Kamm schwoll stärker, während ich von den blöden Schrauben für die verdreckten Fressreifen erzählte und er mir sofort nach meiner den Satz beendenden Frage: „Wissen Sie, was ich meine?“ zugrunzte: „Nein, weiß ich nicht.“ Mein Kamm war glutrot und pulsierte, als ich ihn fragte: „Hat Sie schon mal jemand auf Ihren Ton angesprochen?“ – und den Rest erspare ich euch. Ich nahm die mir lustlos aufgezeigten blöden Schrauben mit ihren dummen Beilegscheiben und den arglosen Muttern, wurde noch einmal angemault, weil ich offenbar der einzige Mensch überhaupt und ganz bestimmt auch die erste Frau auf Erden war, die nicht wusste, dass man zu jedem Kleinstteil auch noch einen Zettel für die Kasse braucht und klagte der weiblichen Artgenossin an derselben mein Leid. Sie schloss die Kasse sogleich, sagte, sie fühle sich durch mein Aufbegehren enorm gestärkt, und freute sich sichtlich über mein Elend. Der herbeigeholte Chef erklärte mir, dass im Obi gerade Land unter herrsche und ich doch bitte Verständnis haben solle. Aha. Ich soll also Verständnis dafür haben, dass andere für mich kein Verständnis haben. Interessante Denke. Meine Spiegelneuronen sind, wie immer, angesprungen. Und der Rest in den anderen Hirnen? Wo seid ihr? Arbeitslos oder was?

In München, wenige Tage später, war ich Zeuge als ein junges Mädel an der Theke, beim Getränkeausschank, ihr Unwesen trieb. Alles sprudelte und spratzelte überall hin, nur am wenigsten in die unter den Zapfhähnen weilenden Gläser. Meine Spiegelneuronen guckten mitleidig – das Mädel war so überfordert wie auch schon ziemlich nass von der ganzen Pantscherei. Die Dame hinter mir, in deren Hirn die Spiegelneuronen wahrscheinlich ihren Dienst trotzig versagten, weil es über Jahre hinweg ohnehin keinen Sinn gehabt hatte ein Herdentier aus ihr zu machen, brüllte förmlich: „Vielleicht kümmern Sie sich jetzt endlich mal um uns Gäste!“ Und als ich mich erschrocken umdrehte, zumal ich gerade aus meinem Seminar „Emotionale Intelligenz“ kam und noch mehr auf Empathie getrimmt war als sonst schon, fügte Sie hochmütig hinzu: „Da bin ich ja beinhart, bei sowas!“

Oh. Mein. Gott.

Eigene Stress- und Belastungszustände verhindern Empathie. Außerdem emotionale Wertungen. Wenn ich mir beispielsweise selbst keine Traurigkeit zugestehe, kann ich sie auch bei anderen nicht abhaben. Ebenfalls als Ursache für arbeitslose Spiegelneuronen, deren Daseinszweck eigentlich das mentale Nachvollziehen des Verhaltens anderer Herdentiere ist, kommt in Frage eine gestörte Persönlichkeits- oder Hirnentwicklung. Wenn ich also heute wieder angepflaumt werde, weil ich jemanden einfach eine Verständnisfrage stelle und mein Gegenüber sich sofort in seiner Kompetenz in Frage gestellt fühlt, dann kann ich nur eines dazu sagen: MEIN PROBLEM IST ES NICHT, wenn deine Spiegelneuronen abgestorben sind. Es ist dein Problem und mir fällt nichts anderes mehr ein als die allseits verfügbare frohe Botschaft meiner lebenslustigen Spiegelneuronen. Sie lautet: „Du tust mir leid“. 

19.03.2019


Wie wir ungewollt Eltern werden

Nein, es handelt sich hierbei nicht um einen Aufruf, ungeschützt zu schnackseln. Ich möchte euch heute zeigen, wie ihr mit oder trotz Verhütung zu Eltern werden könnt bzw. bereits als Minderjährige wurdet. Nennt sich Parentifizierung und ist hochinteressant.

Neulich habe ich ja Gedankengut zum Buch „Kriegsenkel“ gebloggt und einige Impulse geben wollen, wohin uns der ein oder andere missglückte Einfluss unserer traumatisierten Erziehungsberechtigten geführt haben mag. Ich drücke mich hier so vorsichtig aus, weil es keine Monokausalität gibt, frei nach dem Motto „Mutter ist als Kleinkind etwas Schlimmes widerfahren, deshalb bin ich heute so depressiv“. Es spielen bei der Erklärung psychischer Störungsbilder viele Variable eine Rolle. Ein Faktor aber und das ist nun einmal Fakt, ist der direkte Einfluss der Eltern.

Im selbigen Buch kommt auch der Begriff der Parentifizierung vor, also habe ich mich schlauer gemacht und bin mir jetzt ziemlich sicher, dass ganz bestimmt viele von uns genau daran leiden oder zumindest früher unerkannt darunter gelitten haben.

Man spricht von Parentifizierung, wenn ein Kind im Gefüge der Herkunftsfamilie unmerklich in eine Rolle verschoben wird, die alles andere beinhaltet als kindliche Aufgaben und Pflichten. Das können tatsächlich Tätigkeiten sein wie das regelmäßige Kochen oder Geld verdienen, was ja eigentlich Erwachsenenaufgabe wäre. Oder aber, wenn es sich um eine emotionale Parentifizierung handelt, sind damit auch ausgleichende oder das System stabilisierende Verhaltensweisen gemeint wie die ständige Konfliktschlichtung zwischen Mutter und Vater oder die Übernahme der Partnerrolle für ein Elternteil, das bedürftig erscheint.

Glimpflich könnte das Kuddelmuddel dann ausgehen, wenn das Kind für seine unangemessene Rollenübernahme wenigstens noch familiäre Wertschätzung erfährt. Das bedeutet, die Familie „sieht“ diese Mehrleistung des Kindes und würdigt sie entsprechend. Pathogen, also krankhaft, kann es werden, wenn die Wertschätzung der Familie fehlt oder das Kind durch die ihm nicht zustehende Rolle immer einmal wieder bei einem Elternteil oder bei beiden Elternteilen aneckt.

Die Folgen dieser missdeuteten Familienform, für die es freilich auch Gründe gibt – etwa, wenn ein Elternteil ohne Mutter oder Vater aufgewachsen ist und selbst schon die Partnerrolle in der Herkunftsfamilie übernommen hatte oder wenn beide Elternteile traumatisierte Kriegskinder sind: Das Kind zieht sich, bildhaft ausgedrückt, einen Schuh an, der ihm viel zu groß ist. Dieser Schuh führt dazu, dass das Kind sich in seiner Rolle „überhebt“. Es wird überheblich, agiert „von oben herab“ mit den Eltern – was ja gut gemeint ist, weil es aus Liebe geschieht. Und fraglich ohnehin, inwieweit wir als Kinder in dem Rollenschlamassel willentlich mitentscheiden. Hatten wir denn wirklich die Wahl und haben wir sie aktiv getroffen? Für uns, für die Eltern?

Im fortfolgenden, so genannten Erwachsenenleben kann es nun vorkommen, dass sich das vollkommen verkehrte Generationenverhältnis und die bereits im Kindesalter dadurch abhanden gekommenen Ressourcen wie Spontaneität, Lebhaftigkeit und Sorglosigkeit nachhaltig bemerkbar machen. Man spricht von einer gestörten emotionalen Entwicklung. Selbstwert-Komplexe, Ablösungs- und Identitätsprobleme, Depressionen und Suizidtendenzen können daraus resultieren.

Doch bei dieser Weichenstellung für das spätere Leben, für die einst euer innerfamiliäres Stellwerk gesorgt hat, müsst ihr es natürlich nicht bewenden lassen; die Eltern wussten es wahrscheinlich auch nicht besser und waren in Sachen Psychologie bestimmt nicht einmal halb so interessiert und belesen wir ihr es heute seid.

Übt euch weiter in Milde, macht euch auf den (Ab-) Lösungsweg und traut euch ruhig auch Abgrenzung zu, wenn sie heilsam ist. Ihr seid das Kind im Körper des Erwachsenen und sollt es für eure Eltern immer bleiben. Ihre psychischen Probleme, Mutter- oder Vaterverluste, Partnerkonflikte oder Nähewünsche müssen sie selbst anschauen und heilen – wie wir unsere im Hier und Heute, als ManagerInnen unseres eigenen Lebens.

12.03.2019


Vergiftete Beziehungen

Immer wieder werde ich konfrontiert. Dabei trinke ich selbst seit Jahren keinen Alkohol mehr. Aber ich leide an den Spätfolgen – und zwar nicht bei mir selbst, sondern in Form von Begegnungen, die mich auch mal Gift und Galle spucken lassen. Mental.

Gestern erzählte mir eine Bekannte, was ihr kürzlich in einem fränkischen Reitstall passiert ist: der Besitzer habe sie nachts „gestellt“, sich vor ihr aufgebaut und ihr mit Rausschmiss gedroht, wobei er die seinen Stress auslösende Situation völlig falsch gedeutet hatte. Da letzteres ja öfters mal vorkommt zwischen Menschen, interessierte ich mich vor allem für das aggressive Gebaren im geschilderten Kontext. Meine Bekannte zuckte nur mit den Schultern und meinte resigniert: „Na, der trinkt doch!“ Da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt. Denn ich kenne solche Sitten aus eigener Erfahrung, wenn vielleicht auch nicht ganz so Furcht einflößend. Und ich frage mich, warum kuschen wir alle so? Verdammt.

Dass Alkohol eine Volksdroge ist und vor allem bei uns in Bayern total gesellschaftsfähig – hier trinkt man Bier bei gegebenem Anlass auch schon zum Weißwurstfrühstück oder zum Frühschoppen den ersten Kurzen – das wissen wir ja. Bereits bei minimaler Beschäftigung mit Alkoholismus haben wir vielleicht auch schon mal etwas davon gehört, dass das regelmäßige Trinken über den Durst und über einen längeren Zeitraum zu Leberschäden, Bauchspeicheldrüsenerkrankungen, Magengeschwüren, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Osteoporose und zum Nervenleiden Polyneuropathie, das sich etwa an der Gangunsicherheit zeigt, führen kann. Vielleicht haben wir die verhältnismäßig hohe Beteiligung von Alkohol an tödlich verlaufenden Verkehrsunfällen oder an kriminellen Delikten auf dem Schirm. Aber wer hat denn schon einmal intensiv darüber nachgedacht, in welchem verheerenden Ausmaß Alkohol das Gehirn schädigt?

Alkohol wirkt auf unser Belohnungssystem wie Dauererfolg. Durch Saufen hat man quasi ständig das Gefühl von Glück und Zufriedenheit. Vielleicht bleibt der Applaus der Familie aus, das mag sein. Aber dem Betroffenen selber geht es mit seiner Flasche regelmäßig relativ gut. Zu allem Überfluss glaubt er auch noch, er könne die Häufigkeit und das Maß selbst entscheiden. Die Sucht sehen meist die anderen. Der Trinkende hingegen hat ein gestörtes Bild von sich. Er denkt womöglich, er hätte alles unter Kontrolle und sei „normal“, wenn nicht gar ein Vorbild für uns Rest-Menschheit – die wurmgleichen Geschöpfe, die keine Saufkumpanen sind und deshalb in niederen Sphären dümpeln. So ein gezielt herbeigetrunkener Mangel an gesundem Menschenverstand kann schon auch sehr hilfreich sein. Dann muss man jedweden Makel jedenfalls nicht bei sich suchen. Schön.

Jedenfalls verändert Alkohol die Persönlichkeit. Die Menschen lachen beispielsweise lauter und über Sachen, die uns keine Freunde machen. Oder sie werden aggressiv und vergreifen sich im Ton, für den sie sich nie im Leben entschuldigen. Sie verletzten und verhöhnen, halten andere klein. An anderen Tagen aber werden die Kranken klein und rückzugig, lassen sich kaum mehr blicken. Und durch den spezifischen Stimmungs- und Lebenswandel nach einer Weile auch zu nichts mehr gebrauchen. Jedenfalls nicht für einen Job, der Zuverlässigkeit und Gepflegtheit und kognitives Leistungsvermögen sowie Beziehungsmanagement erfordert.

Und falls ihr, liebe Leser, jetzt denkt „arme Angehörige“, dann setze ich noch eins drauf mit „arme Kinder“, sofern vorhanden.

Kleinkinder möchten naturgemäß, dass es ihren Eltern gut (mit ihnen) geht und beziehen fehlende Stabilität in der Stimmung und in der Beziehung, bis hin zur temporären Ablehnung, ganz schnell auf sich. Was herauskommen kann, sind depressive oder angstgestörte Heranwachsende, die sich selbst nicht finden und binden können. Toll.

Sagte ich ja bereits: Ich habe ein Problem mit Alkohol. Es ist wirklich schwer, die Sucht als Krankheit zu begreifen, wenn man immer mal wieder damit konfrontiert wird, schräg angeredet oder zu Unrecht angeklagt wird. Wenn man sieht, wie Angehörige emotional verhungern und selbst als Co-Abhängige keinen Weg weg vom Kranken finden. Wenn man den Respekt verliert vor dem Säufer und seiner Familie – gefangen ist zwischen herzlichem Mitgefühl und schärfster Verurteilung.

Die Momentaufnahme meiner Lösung, nach mehreren gescheiterten Versuchen soft ins Gespräch zu gehen: Grenze dich ab und lebe mit dem Blick nach vorne weiter, atme die Verletzungen weg und höre endlich auf, dich zu erklären. Auf Verständnis darf man in Anbetracht des Massensterbens im Oberstübchen leider nicht hoffen. Mist.

05.03.2019


Von Tätern und Opfern

Neulich hat sich während eines Kaffeekränzchens ein irritierendes Gespräch ergeben. Ich erzählte etwas von den Kriegsgräueln, die meiner Oma zuteilwurden, und jemand anderes brachte den Begriff der Schuld ins Spiel: Alle würden immer nur über ihr eigenes Schicksal klagen, nie ihre Schuld reflektieren. Es herrschte beklommenes Schweigen.

Ich war zunächst mundtot, weil ich die überlieferten Schrecken noch nie von einer anderen Seite betrachtet hatte als eben von dieser: Ganz klar, meine Familienangehörigen waren Opfer, ihnen wurde viel Leid angetan. Und wenn ich an meine Oma denke, dann sehe ich sie in keinem anderen Licht als in dem der sanften Kämpferin, die ihre beiden kleinen Kinder mannlos – mein Opa starb irgendwo im Nirgendwo des ehemaligen Jugoslawiens durch die Hand eines Partisanen – und heimatlos, weil vertrieben, entschlossen durchgebracht hat.

Dass es da draußen außer Opfern auch Täter geben könnte, das habe ich wohl bislang verdrängt. Für diejenige, die den Begriff der Schuld zur Diskussion stellte, waren schon diejenigen an den Naziverbrechen beteiligt, die nicht in den Widerstand gegangen sind als etwa jüdischstämmige Nachbarn deportiert wurden. Mein Einwand, sie hätten womöglich selbst um Leib und Leben gebangt, kam schwach rüber. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen wie das hätte gehen können. Doch ein Teil der Schulddarstellung hat schon was Wahres. Großartiges Mitleid mit den vielen hingerichteten Juden wurde in meiner Familie auch nicht verbreitet. Das Elend wurde eher rational und – wie alles Kriegsbedingte – knapp behandelt. Meine vermutlich wie ich politisch eher suboptimal informierte Oma fand es noch später sehr richtig, dass Hitler Beschäftigung gebracht hatte, die Aussicht auf ein sicheres Auskommen, womöglich sogar auf ein bisschen Wohlstand. Von all den anderen „Auswirkungen“ der Nazi-Herrschaft sprach sie nicht.

Mein Vater hält seinen Vater noch heute für einen Helden, weil er es geschafft hat, fünf Kinder in einer neuen Heimat durchzubringen, in der sie gerade eben geduldet, aber nicht erwünscht waren. Neulich in einer Unterhaltung wurde mir erst bewusst, wie sehr es ausschließlich um Nahrung und eine Bleibe ging. Für emotionale Versorgungsqualitäten war einfach keine Zeit. Also auch Opfer.

Und da ich gerade das Buch „Kriegsenkel“ von Sabine Bode absorbiere, ich habe es mir gekauft, weil ich mich von der beschriebenen Wurzellosigkeit unserer Generation im Kladdentext angezogen fühlte, möchte ich auch hier die Frage in den Raum stellen, die mich sehr beschäftigt: Wie sollen Eltern – Kriegskinder – die schon in ihren ersten Lebensjahren extrem viel Grauen und Schrecken in Form von Hunger, Vertreibung, Mord und Vergewaltigung erlebt haben, den eigenen Kindern (uns!) emotionale Stabilität vermitteln oder das Vertrauen in die Welt?

Glaubenssätze wie „Wissen kann man dir nicht mehr nehmen“, „Lerne etwas Vernünftiges, dann bist du auf der sicheren Seite“ und „Nur die Familie zählt“ haben plötzlich eine ganz neue Bedeutung für mich. Auch wird mir klarer, warum wir, die wir in den 60ern und 70ern zur Welt kamen, gnadenlos auf Leistung getrimmt wurden, weshalb für Kultur und Theater kein Geld da war und wir krank in die Schule mussten, solange wir kein hohes Fieber hatten. Wer selbst mit dem Schlimmsten vom Schlimmen konfrontiert war – Flucht bei Kälte, unter den Armen das, was man eben in der Lage war zu tragen, Hunger, verängstigte und ratlose Eltern, Tod und Teufel – ohne jemals eine Form der Heilung von diesen Traumatisierungen erfahren zu haben, wie soll der Empathie empfinden bei depressiven Episoden, Sinnkrisen, sonstigem Missbefinden? Luxusproblemen? „Ihr wisst gar nicht wie gut es euch geht!“ Wahrscheinlich müssten wir alle singend durchs Leben hüpfen. Doch stattdessen kenne ich viele in meiner Generation, die sich selbst nicht finden, im Leben nicht ankommen, zwar nicht vertrieben, aber getrieben sind. Rastlose und ruhelose Seelen mit Schlafstörungen, diffusen Ängsten ohne Bezug und Dauerstress, der unhinterfragt hingenommen wird. Wenn diese Kriegsenkel Kinder haben, wird ihnen alles erdenklich Mögliche gegeben. In solchem Übermaß, das man an der Nützlichkeit in Sachen solider Selbstwertbildung wiederum zweifeln möchte. Sind sie kinderlos geblieben, werden sie schon wissen, warum. Womöglich aufgrund ihrer späten Reife. Was kein Wunder wäre. Sondern vielleicht eine Folge der unbewältigten Kriegstraumata, über die in den Familien so gut wie nicht gesprochen wird und falls doch, dann in seltsam rationalisierter, distanzierter, dissoziierter Weise. „Es musste ja weitergehen“. „Es waren eben schlimme Zeiten“.

Nach all den Schrecken der Vergangenheit ist unsere Generation offenbar die erste, die sich auch einmal der Psychotherapie bedient oder Coaching als Unterstützung in Erwägung zieht, etwa, wenn das Verhältnis zu den eigenen Eltern spannungsreich ist und zwar schon immer. Oder weil sich ungesunde Muster im Job permanent wiederholen, so dass man sich trotz Ablehnung in der Haltung eines Elternteils wiedererkennt. Immer öfter. Auch psychosomatische Störungen sollen mit unbewältigten Kriegstraumata zu tun haben können, schreibt Sabine Bode. So wie bei einer Kriegsenkelin, deren fürchterliche Genickschmerzen schlagartig verschwanden, als sie sich mit der SS-Vergangenheit ihres Großvaters, der in Buchenwald Juden durch Genickschuss exekutierte, auseinandersetzte. Das transgenerationale Erbe liest sich stellenweise in Bodes Berichten wie ein Krimi. Unglaublich, aber gleichzeitig glaubwürdig und vor allem nachvollziehbar.

Wenn uns womöglich bereits die flüchtige Bereitschaft, die Traumata und Schulden unserer Eltern und Großeltern auch nur in Erwägung zu ziehen, milder ihnen und uns gegenüber macht, selbst wenn wir keine Details erfahren können oder wollen, dann hat sich diese und jede andere Lektüre doch schon gelohnt, oder?

26.02.2019


Wehmut statt Narzissmus

Eigentlich wollte ich heute über Narzissmus schreiben. Da lese ich nämlich gerade ein Buch drüber. Doch dann kam etwas dazwischen, das mich um mein Gleichgewicht ringen lässt. Es geht – mal wieder – um Leben und Tod.

Wobei ich den Tod allmählich akzeptieren lerne. Kognitiv weiß ich längst, dass das Leben endlich ist und zwar für jeden von uns. Das ist hart und vor allem finde ich es grauenvoll, Verluste nicht verhindern zu können, die unweigerlich drohen. Jedem von uns. So gesehen ist das Leben eine Aneinanderreihung von Verlusten. Je älter wir werden dürfen, desto mehr dieser „Perlen“ zieren unsere ganz persönliche Kette, die sich wie ein roter Faden durch unser Dasein zieht.

Womit ich wirklich hadere, sind die schweren Schicksale, die dem Tod voraus gehen. Meine Freundin Heike hat es heute treffend formuliert: Wer hat denn so etwas verdient? Wir wollen doch alle nur leben, unseren Alltag bewältigen. Ein bisschen was Schönes haben, hier und da. Kurz auch mal glücklich sein. Wer braucht mit fünfzig Jahren Krebs in verschiedenen Variationen? Null Panorama? Schluss mit lustig auf der ganzen Linie? Und Schmerzen. Was soll das?

Womit wir wieder bei der Sinnfrage wären. Wer vorbelastete Gene hat, der kann entweder gleich aufhören zu lachen und superwachsam, vielleicht sogar hypochondrisch seinen Terminkalender mit Arztbesuchen speisen. Oder aber er schaut weg und verdrängt und lebt eben vor sich hin bis zum Tag X. Wozu sich Sorgen machen, bevor das Ereignis eingetreten ist? Auch eine Möglichkeit, falls es so etwas wie Schicksal gibt und wir dem sowieso nicht entgehen können. Was ich ja aber nicht weiß. Dann wären die Ärzte arbeitslos, bis jemand konkrete Fakten vorweisen kann. Dann würde uns wohl Palliativmedizin reichen. 

Wie geht ihr mit so etwas um?

Ich bin traurig. Geschockt. Fassungslos.

Vor allem aber auch unglaublich wütend.

An die, die sich hierbei erkennt, die Begleiterin meiner Kindheit: Es tut mir leid. Aus ganzem Herzen für dich und auch ein ganz klein wenig für uns, die wir in den letzten Jahren einfach keinen Weg mehr zueinander fanden.

Ich sage für heute leise Servus. Und hoffe auf unser Wiedersehen.

19.02.2019


Erdbeeren im Winter

Mein Mann hat mir den Satz gerade eingespeist. Er sollte mir einen Blog-Impuls liefern und sah dabei aus wie Neil Armstrong vor dem ersten Mondgassi. Allerdings in moderner, irdischer Version, mit Knopf im Ohr und schwerkräftig. Wie immer, wenn er am Wochenende zum Walken geht. Gestern früh traf ich ihn übrigens nähe LIDL als ich joggen war. Er hatte die Stöcke unter den Arm geklemmt und trank im Gehen Kaffee.

Was irgendwie genauso absurd ist wie Erdbeeren im Winter im Wesentlichen. Ehrlich gesagt habe ich gerade welche im Kühlschrank. Sie sehen gesund und lecker aus und darüber hinaus sind sie supersüß zu meiner Zuckersucht. Mein Mann hat sie mir mitgebracht. Von LIDL. Für mein Morgenmüsli. Und natürlich erinnern sie mich, so kurz nach dem letzten Kabarettprogramm mit Martin Frank, der als niederbayerischer Bauernsohn freilich das topmoderne Thema Ökobilanz feilbot, an mein unambitioniertes Umweltbewusstsein.

Ich finde es im Alltag schlicht anstrengend, überhaupt eigenständig für eine einigermaßen ausgewogene Ernährung zu sorgen, die mehr als Fischstäbchen und Pommes rotweiß umfasst. Folglich würde ich mich völlig überfordert fühlen, wenn ich den täglich auf den Tisch kommenden Alibisalat auch noch im Bioladen kaufen oder auf dem naheliegenden Feld frisch pflücken müsste. Und obwohl wir einen Garten haben – bei uns haben selbst die lebensfreudig kultivierten Setzlinge meiner mit grünem Daumen bestückten Eltern keine Chancen, es bis zum Verzehr zu schaffen.

Leider produziert mein Anspruch, alltäglich für Vielfalt auf dem Teller zu sorgen und dabei den Aufwand in Grenzen zu halten, extrem viele gelbe Säcke im heimischen Keller und – wie bereits erwähnt – exorbitant miese Beiträge zur innerdeutschen Ökobilanz.

Mit diesem inneren Konflikt zu leben, das ist nicht gerade einfach in Zeiten, in denen einem bereits zum Frühstück frustrierende Meldung aus der Umweltecke zum Fraß vorgeworfen werden. Mittels Tageszeitung.

Ich reagiere aber schon auch. Und zwar, indem ich meinen Mann engagiere: Während ich ihm Vorträge über unseren verheerenden Plastikkonsum halte, sucht er sofort im Web nach Alternativen, trägt mir Infos zusammen über Wassersprudler, die wir dann aus Platzgründen nicht für kompatibel mit unserer eher kleinvolumigen Küche befinden oder für abwegig erklären, weil uns eine Freundin von überschäumenden Erlebnissen berichtete. Mein Mann ordert dann online alternativ etwa Low Carb-Pülverchen, die er konsequent verkostet. Und ich wundere mich über das vor allem farbige Spektrum der neuen Getränkesorten in unserem Haushalt, für die er extra angeschaffte Glasflaschen benutzt – und trinke weiterhin Limo aus Plastik in Gelb.

Ich bin ein Schwein. Schon alleine, weil ich immer noch ein Elektroauto in Betracht ziehe, während andere, aufgeklärtere Zeitgenossen mir den Vogel zeigen wegen des Akkus, der drin ist. Ach, Mensch. Oh, Menschheit! Da haben wir alle auf Fortschritt gesetzt und den Lebensstandard im 21. Jahrhundert genossen und jetzt hat er überall Ecken, Kanten und ökologische Stolperfallen, die man manchmal auch gar nicht mehr versteht.

Ich denke darüber nach und der Weisheit letzter Schluss ist für mich noch lange nicht gefunden. Zum Glück habe ich ja meinen Mann, der unsere hausinterne Ökobilanz irgendwie ausgleicht, während er aber andererseits unanständig reduzierte Markenschnäppchen im Internet kauft und sich bei uns die armen, ausgebeuteten DHL- und Hermesboten die Klinke in die Hand geben (und vermutlich die ganze Straße denkt, ich sei die dem Shoppingwahn Erlegene).

Ich muss dem hier jetzt erst mal ein Ende machen. Heute komme ich da zu keinem Ergebnis mehr. Außerdem locken die prallen Beeren mit Herkunftsort LIDL Uttenreuth. Die lasse ich mir jetzt trotz allem oder vielleicht auch gerade deshalb, weil sie so eine lange und bestimmt beschwerliche Reise hinter sich haben, in Bio-Milch gebadet und von Müsli aus der etwa acht Kilometer entfernten Minderleinsmühle verwöhnt, so richtig gut schmecken.

12.02.2019


Ein traumatisches Erbe

Bei vielen psychischen Störungsbildern, beispielsweise Depressionen, Ängsten und Panikattacken oder selbstredend Anpassungs- und Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), gibt es ein auslösendes oder sogar verursachendes Ereignis. Dies kann der Verlust des Arbeitsplatzes, eine schmerzliche Trennung, der Tod eines Menschen, ein schwerer Unfall oder auch ein innerpsychischer Konflikt sein. Doch was, wenn sich beim besten Willen nichts findet?

Ein möglicher Schlüssel zu diesem Rätsel könnte die noch relativ junge Wissenschaft der Epigenitik sein. „Epi“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet so viel wie „oberhalb“ der Gene. Die Forscher gehen bislang davon aus, dass es Erkrankungen gibt, für deren Entstehung die Erlebnisse unserer Eltern oder Großeltern – und vielleicht noch die der Generationen davor – schlüssige Hinweise liefern könnten.

Zur Beweisführung wird hier der Hungerwinter der Kriegsjahre 1944/45 zitiert, als die Nazis die Niederlande besetzt hielten und Nahrungsmittellieferungen blockierten: Damals schwangere Frauen brachten aufgrund der Notlage untergewichtige Kinder zur Welt. Ein Geniestreich der Natur, denn diese von Geburt an kleineren Kinder benötigen weniger Nahrung und Energie und ihr Körper verwertet die Lebensmittel besser.

Ein zwar komischer Vergleich – ich möchte ihn dennoch bringen, weil ihr dadurch ersehen könnt, wie gut der Organismus in der Lage ist, sich spezifischen Rahmenbedingungen anzupassen – ist das Haflinger-Pferd. Es wurde ursprünglich in kargen Gebirgslandschaften gezüchtet und ist deshalb von Haus aus ein guter Futterverwerter, zieht also aus wenig Nahrung das Maximale zum Leben. Wird es „normal“ gefüttert, setzt es schnell an und wird zur blonden Wuchtbrumme. Oder neurotisch.

Bei den Nachkriegskindern des Hungerwinters verhielt es sich offenbar ähnlich. Ihre Körper waren per se auf „optimale Energiegewinnung“ ausgerichtet und mit dem „normalen“ Angebot an Nahrung später entwickelten sich Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in überdurchschnittlicher Häufung. Die Forschung interpretiert das so, dass der Organismus selbst umweltbedingt eine Korrektur an den Genen vorgenommen hatte, die unter anderen Lebensbedingungen keinen Zweck mehr hatte und zu Krankheiten führte.

Die Epigenetik schreibt auch schweren Vernachlässigungen und Missbrauch in den für die Ausprägung menschlicher Bindungsfähigkeit prägenden frühen Kindheitsjahren solche Korrekturprozesse zu: Der Körper eines Kindes, das ständig bedrohlichen Situationen ausgesetzt war, könnte eine verstärkte Cortisolausschüttung als Dauermechanismus etabliert haben. Cortisol ist das Hormon, das uns in existenziellen Notmomenten besonders wachsam und kampfbereit macht, um unser Leben zu sichern. Dieser Mechanismus wird für Hirn und Körper gewissermaßen zur Normalität. Infolgedessen wird u. a. die Amygdala größer (Hirnareal, das Gefahren erkennt) und der Betroffene reagiert in nicht mehr angemessener Weise auf Umwelteindrücke mit Angst, ist insgesamt erregbarer, furchtsamer als andere Menschen.

Nun ist es ebenfalls denkbar, dass derartige psychische Traumata zwar nicht die DNS an sich verändern, wohl aber etwas „oberhalb“ der Gene, das noch Forschungsgegenstand ist – man spricht von chemischen Veränderungen, die die Aktivität von Genen beeinflussen, etwa jener, die für die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol verantwortlich sind.

Und so wäre es doch auch schlüssig, dass wir selbst an uns „Seltsames“ wahrnehmen, für das wir in unserem Daseinsstrang keine Erklärung finden werden. Sondern in den Kriegstraumata unserer verstörten Ahnen, auch wenn sie eigenen Schrecken verdrängt haben – laut Freud ein innerpsychischer Überlebensmechanismus.

Meine Oma hat mir einmal erzählt, quasi nebenbei, wie ihre beste Freundin von Russen erschossen wurde: sie wollte die weiße Fahne hissen als Zeichen für „wir ergeben uns“, was wohl falsch verstanden wurde. Und später, als meine Oma schon gebrechlich war und alt, rang sie noch immer und manchmal lautstark mit „Angreifern“ in unruhigen Nächten. Wer weiß, was ihr noch alles widerfahren ist, das sie nicht erzählen konnte oder wollte.

Wir müssen theoretisch auch nicht länger grübeln und uns den Kopf über unsere eigenen fragilen Wurzeln zerbrechen, oder? Es reicht völlig, wenn wir uns in Anbetracht der Gräueltaten und Schreckenserlebnisse der Generationen vor uns respektvoll verneigen und ihnen danken für ihren Lebenswillen, ohne den wir nicht auf der Welt wären. Wir sollten lieber lernen, an unsere Seele und unseren Körper zu glauben, der absolut auf Überleben getrimmt ist. Und an uns, die wir jede Menge Chancen haben, mit den Auswirkungen der vielleicht auf immer unbekannten Ursachen umzugehen.

05.02.2019


Morgens in Weiden

Letzte Woche war ich zwei Nächte und Workshoptage in Weiden/Oberpfalz. Wer das kleine Städtchen kennt weiß, dass man hier nicht viel zu befürchten hat. Und für gewöhnlich auch nicht viel zu erwarten, zumal im Winter, wenn die Gehsteige um 18 Uhr selbst im Zentrum hochgeklappt werden. Denkste!

Ich starte ja seit zig Jahren mit Joggen in den Tag. Das mache ich zuhause und in München und in Bonn und auch sonstwo ich seminartechnisch halt gerade gebucht bin. Um mich nicht zu verirrren und zu sehr auf die Strecke konzentrieren zu müssen, laufe ich in Städten oft nur die Straßen für ein paar Kilometer rauf und runter. Mein internes Navi ist nicht so ausgeprägt und frühmorgens, im Dunkeln, quasi nicht vorhanden. Also zog ich mich am Mittwoch in Weiden warm an. Über die Thermomütze wurde die Kapuze gestülpt und das Headsetting zusätzlich mit einem Schal luftdicht verschnürt. Ich verließ das im Stadtrandgebiet gelegene Hotel, wo sich Bowlingcenter an Mac Donald´s und Burger King reiht, und lief müde los. Nach wenigen Metern fuhr ein Auto langsam an mir vorbei und der Fahrer brüllte etwas aus dem Fenster, das wie „Allah!“ (ich schwöre!) klang. Irritiert und etwas verunsichert lief ich weiter. Bereits an dieser Stelle fragte ich mich, ob ich nicht doch zu oft Tagesschau und Aktenzeichen gucke. Aber ein anderes, ähnlich klingendes Wort fiel mir auf die Schnelle auch nicht ein (alaaf in der Oberpfalz?). Ich machte an der nächsten Litfasssäule kehrt und lief wieder Richtung Hotel und die gleiche Straße in die andere Richtung. Da hörte ich, es war ja erst 5.40 Uhr und daher kaum Verkehr, dass hinter mir ein Auto nahte und langsamer wurde. Da es das merkwürdige Kennzeichen „OVE“ trug, erkannte ich, dass es wieder d a s Fahrzeug war mit den vermeintlichen Gottesanbetern. Der PKW überholte mich und fuhr rechts an. Also machte ich geschwind kehrt und lief wieder zurück, Richtung Hotel. Ich kam mir vor wie ein Kaninchen auf der Flucht und hatte richtig Angst. Als ich mich vor der nächsten Linksstraße noch einmal umblickte, war das Auto verschwunden und ich bog erleichtert ab. Meine Kreise wurden kleiner und ich traute mich kaum mehr auf diese Hauptverkehrsstraße, die in der morgendlichen Stille schließlich gespenstisch wirkte. Als ich es gut sein lassen wollte und meinen Hotelschlüssel zog, war das Auto wieder auf meiner Höhe. Es hielt an auf der Gegenfahrbahn und zwei Gestalten, das eine möglicherweise eine Frau, glotzten mich an. Ich konnte nicht mal etwas sagen. Ich dachte mir: nur weg jetzt.

Ich hatte immer geglaubt, das passiert nur anderen. Was es auch war. Dachten die, ich sei aufgrund meiner Verhüllung eine Muslima, haben die mich verwechselt? Oder war es mein lahmer Schritt, der die anderen glauben machte, ich sei leichte Beute? Oder haben die sich durch meine Frühevogelmentalität herausgefordert gefühlt?

Wie auch immer. Einmal ist wohl immer das erste Mal, bedrohliche Situationen geschehen eben nicht nur im Fernsehen und rückblickend habe ich nicht die leiseste Ahnung, warum ich bislang den von meinem Mann beherzt gekauften superlauten Taschenalarm bislang belächelt habe. In Zukunft habe ich jedenfalls meinen neuen Begleiter auf Abzug und an alle da draußen, die nicht wissen, wem sie als nächstes auf die Nerven gehen sollen: geht joggen, das macht blöde Gedanken weg!

30.01.2019


Botox für fossile Freundschaften

Ich bin ja vor einiger Zeit selbst fünfzig geworden und das ist schon eine mächtige Zahl. Nicht nur, dass die Jahre mit zunehmendem Alter schneller zu vergehen scheinen – ein Eindruck, der übrigens wissenschaftlich erwiesen ist –, sondern auch, dass das Denken kippt von „ich habe ja noch alles vor mir“ zu „was mache ich mit den nächsten/letzten Jahren“. Spannend ist aber auch die Betrachtung fossiler Freundschaften im Laufe der Zeit...

Heute war ich bei meiner Freundin  Anja zum fünfzigsten Geburtstag eingeladen und wir kennen uns schon seit etwa vierzig Jahren. Genauso wie Heike und Lindi gehört Anja zu meinen „ältesten“ Freundinnen i. S. v. Langstreckenbegleiterinnen. Bei den kalorienreichen Kaffeekränzchen, die meist nur Frauen umfassen und alljährlich stattfinden, kann man ganz gut sehen, was im Zug des Lebens gewöhnlich geschieht: es gibt die Fossilien und es gibt neuere und ganz aktuelle Wegbegleiter. Letztere sind entweder Kollegen bzw. Menschen, die man im Arbeitskontext kennen und lieben gelernt hat. Oder auch Schicksalsgefährten, Leidensgenossen und Interessenteiler.

Manche von den Neuen sieht man nur wenige Male. Dann verschwinden sie grußlos, gehen von Bord des Zugs. Die Wege trennen sich wieder. Andere checken ein und werden auch irgendwann zu den Alten. Und wieder andere gehören zum Inventar und drücken sich ihren Hintern schon ewig nebeneinander platt. Wie Anja, Heike, Lindi und ich.

Wir haben heute ein Album angesehen, das wir Anja vor fünfundzwanzig Jahren zum Geburtstag geschenkt haben. Dort sind all unsere einschneidenden Jugenderlebnisse (und -sünden) dokumentiert. Zwei der damaligen männlichen Lebensgefährten haben bereits das Zeitliche gesegnet. Mir hat es das nostalgische Schmunzeln kurzzeitig vergällt. Traurig ist das. Der eine kam während eines ärztlichen Einsatzes mit dem Hubschrauber ums Leben. Der andere starb an Krebs. Beide sind jung ausgestiegen aus dem Zug des Lebens. Was für ein schreckliches Schicksal.

Unsere Freundschaft, die betreffende Whats App-Gruppe trägt den optimistischen Namen „Mädels-Treff“, ist geblieben. Und hat vieles überdauert. Man könnte auch sagen überlebt.

Die vielen Events, die wir früher initiiert haben, gefühlt haben wir nur gefeiert und fassweise Alkohol konsumiert, sind längst passé. Heute muss man sich sorgfältig absprechen und perspektivisch planen, wenn man sich drei bis vier Mal im Jahr sehen will. Zwei von uns gründeten eine Familie, zwei von uns waren länger Single und kamen in wechselnden Beziehungen nicht oder später erst an und blieben definitiv kinderlos.

Als die Kinder der einen klein waren und im Fokus standen, haben wir Kinderlosen überwiegend mit anderen Alleinstehenden überbrückt. Man hätte meinen können, das Interesse aneinander sei verloren gegangen – und vielleicht war es das auch. Beidseitig. Bedürfnisse, Wünsche und Erwartungen standen allseits jedenfalls nicht mehr im Einklang. Hinzu kommt noch die individuelle Persönlichkeitsentwicklung und Reife der Menschen, die zu neuen Interessen und Leuten führt, während die anderen in dieser Zeit an Relevanz verlieren.

Auch aus meinen Coaching-Prozessen weiß ich, dass die unerfüllten Erwartungen gerade bei langjährigen Freundschaften eine große Rolle spielen. Der Ärger führt teils so weit, dass man sich fragt, ob man mit diesem oder jenem Menschen in der Jetztzeit überhaupt noch eine Verbindung aufnehmen würde – ob es denn vielleicht gar nichts Gemeinsames gäbe. Dann ist der Zusammenhalt, sofern das die Betreffenden gleichermaßen als bedeutungsvoll definieren, nur noch den gemeinsamen Jahren und somit der Vergangenheit geschuldet.

Erwartungen spielen bei neueren Freundschaften oftmals eine geringe Rolle. Vielleicht hat man schlichtweg keine. Möglicherweise werden sie auch automatisch erfüllt, da man sich ja so wie man gerade ist erst über den Weg gelaufen ist und für attraktiv befunden hat.

Zu akzeptieren, dass sich Menschen verändern, sich erneuern, an ihren Erfahrungen wachsen und auch aus ihren Lebensphasen herauswachsen, ist manchmal eine echte Herausforderung. Meiner Meinung nach lohnt es sich, bei Enttäuschung, Frust und Wut einmal dahinter zu blicken, aus welcher Bewertung diese Gefühlslagen resultieren. Sehr häufig handelt es sich um regressive (kindliche) Haltungen oder auch um Projektionen. Man wünscht sich ein Kümmern vom anderen oder macht ihn zuständig für ein Mangelbedürfnis, für das er eigentlich nicht zuständig ist. Oder man schreibt jemandem Verhaltensversäumnisse zu und glaubt, selbst noch niemals so gehandelt zu haben. Was häufig unwahr ist.

Erwachsen ist jedenfalls anders. Auf Augenhöhe. Eigenverantwortlich. Zugewandt. Mit einem ausgewogenen Verhältnis aus Nähe und Distanz und einer realistischen Einschätzung, welche Positionen im Leben des anderen überhaupt für die Freunde denkbar und bezugsfähig sind. Hat jemand Kinder, wird man in der Regel nicht im „Inner Circle“ landen. Aber vielleicht reicht es ja auch, überhaupt im Lebensradius einer Person – auf dem Schirm, wie man heute sagt – zu bleiben.

Schlussendlich bin ich froh, im Zug meines Lebens so treue Begleiterinnen zu haben. Auch, wenn ich sicher bin, jeder von uns hätte schon einmal eine der anderen an die Wand klatschen und nie mehr sehen mögen – auch das ist Leben. Alles andere als Stillstand. Fortwährende Veränderung. Ich kenne augenblicklich niemanden, der darauf wirklich abfährt. Aber ich weiß, dass wir alle mit diesem Bewusstsein besser fahren, zumal, wenn wir noch einige Kilometer vor uns haben. Da zählt bestimmt jede gute Seele neben uns. Jede gemeinsame Erinnerung, die uns womöglich in später einsameren Zeiten das Dasein erhellt. Und alles, woran wir wachsen konnten, auch die Reibereien, sind und waren dann für uns wichtig, haben uns dann zu dem gemacht, der wir am Ende geworden sind. Lassen wir es doch einfach zu und fahren weiter. Mit der Nase im Wind und lichter werdenden, wehenden Haaren. Unserem ganz persönlichen Sonnenuntergang entgegen.

22.01.2019


Bitte treibt es bunt

Neulich war ich auf einer Beerdigung und wider Erwarten war der Pfarrer eine wahre Wucht. Er hat sich zur Erhebung des Psychogramms im Vorfeld ganz viel Zeit genommen, und schließlich Wesensarten des Verstorbenen zum Besten gegeben, die mir bislang unbekannt geblieben waren. Daraus habe ich relevantes Gedankengarn gesponnen…

Und wie das bei mir immer so ist (Resonanz!), blies der Mann meiner Tante dann wenige Wochen später während einer Unterhaltung in ein ähnliches Horn wie ich: Wie viel Individualität tragen wir eigentlich nach außen und wenn wir heute sterben würden, wer wüsste denn wirklich, wer wir waren?

In der Regel werden am Grab die karriere- und lebensgeschichtlichen Meilensteine zur Sprache gebracht. Wo und was hat der Mensch gelernt, wo war er mit wie viel Erfolg beschäftigt und in welchen Ländern hat er gegebenenfalls gelebt, wie viele Geschwister gesamt gehabt, wann und wer wurde geheiratet, wie viele Kinder sind gesamt vorhanden und  wenn man Glück hat erinnert sich noch jemand, welche Hobbys oder Ehrenämter man hatte.

Und das soll dann alles gewesen sein?

Wo ist unsere Buntheit, unser ureigenes Ich dann geblieben?

Haben wir nur einen Eindruck hinterlassen, wenn wir etwas sozial Anerkanntes hinterlassen haben? Karriere, Kinder, Konten?

Wer weiß denn, auf welcher Seite ihr am liebsten einschlaft, wie ihr euren Kaffee gerne trinkt, ob und wie oft ihr Zähne putzt, ob ihr euch heimlich Haare im Gesicht entfernt (als Frau – die Frage stellte neulich ein Freund seiner Freundin: „machst du das auch?“), dass ihr statt dem Kirschkernkissen zu Weihnachten ein gemeinsames Erlebnis gewollt hättet (als Mann – bitte zuhören, nachfragen!)?

Hat euch schon mal jemand gefragt, warum ihr so gerne Biographien lest oder erkennt einer, dass euer Herz hüpft, wenn ihr Abba hört? Habt ihr jemals jemandem erzählt, dass ihr im nächsten Leben total gerne lange Haare hättet und in diesem so gerne Schauspieler geworden wät? Kennt euch jemand so gut, dass er erkennt, welche Talente in euch schlummern – oder welche Werte euch zeitlebens beseelt haben?

Denkt mal darüber nach, wer ihr eigentlich seid und welche Eigenarten ihr so habt! Es geht nicht darum, besonnene Argumente aus der Leistungsliste abzusondern, sondern das Besondere, Einzigartige, Einmalige zu finden!

Weil es andersrum immer leichter ist, finde zumindest ich, habe ich jetzt spaßeshalber schon mal angefangen, meinem Mann alles zu erzählen, was ich hasse. Muss ja auch mal gesagt sein und zeichnet mich durchaus als Charaktertier aus. Hier ein kleiner Auszug:

Ich kann es überhaupt nicht leiden, wenn jemand

  • … parfümiert ins Bett geht (neben mir)
  • …ungewaschene, nach Nest riechende Haare hat (z. B. an der REWE-Kasse)
  • …Fremdes beim Spazierengehen oder Wandern hinter mir läuft (nah)

  • …Fleisch nicht schneidet, sondern aufgegabelt abzutzelt (igitt!)

  • …unterwegs Kopfhörer trägt und damit offline ist (viele da draußen)

  • …beim Überqueren der Straße nicht rechts und links schaut (bevorzugt Senioren, die sich ggf. auch auf der Kühlerhaube abstützen, dir aber nicht in die Augen sehen)

  • …hinter mir zu dicht auffährt (Vorsicht: Ich schlafe!)

  • …glaubt, schuld seien immer nur die anderen (98 % der Menschheit)

  • …schwingungsfrei im Gespräch keine Miene verzieht (das höre ich sogar am Telefon raus)

  • …bei stabil verlaufender Glutenunverträglichkeit jeden Abend verlässlich den Koch aus der Hotelküche zum Rapport zitiert (jüngst live erlebt, auf Madeira)

  • …Winterreifen falsch rum aufzieht (meine und ja, das geht!)

  • ...statt Bücher zu lesen oder sich zu bewegen nur noch Tablets bedient (meist Männer) …sich in einem meiner Vorträge persönlich angesprochen und angegriffen fühlt, obwohl ich ihn nicht kennen kann (neulich erst wieder)

  • …Hundehorden frei laufen lässt, während ich mich nähere (jederzeit, überall)

  • …glaubt, ich sei Mutter Theresa – selbstlos, lächelnd, immer verständnisvoll, nie fordernd –  und dann überrascht ist, dass auch ich mal auf den Tisch hauen kann und glaubt, er wisse besser als ich, was ich brauche (…)

Außerdem hasse ich seit neuestem den Geruch von Zwiebeln, die fiesen Facebook-Kommentare zu Barbara Schönebergers eben errungenen, angeblichen Traummaßen und verschiedene so genannte Hits, die ständig im Radio kommen. Pauschal geht mir alles empathiearme, gesichtslose und talentfreie in Tönen, Worten oder Taten auf den Keks. Lieber höre ich mir dann doch selber beim Denken zu. Das ist wenigstens nicht eintönig. Und bevor es mal zu verstörend wird, schreibe ich meine Gedanken nieder, damit ihr euch montägliches Lesefutter einverleiben könnt. Fortsetzung folgt.

11.01.2019


Mit Vorsatz zum Glück

Schön, so ein Jahresanfang, oder etwa nicht? Es ist, als ob man ein unbeschriebenes Blatt vor sich hat. Noch kein Wort geschrieben, alles noch offen und wenn man gerade in seiner Mitte ist, hängt auch nichts vom alten Jahr nach. Mal sehen, welche Geschichten wir in 2019 als Regisseure unserer Leben zum Besten geben werden. Ich habe hier schon einmal eine für euch...

Vor ein paar Wochen fuhr ich an einem Donnerstag im Dunkeln auf der eingenässten Autobahn von einem Workshop aus München nach Hause. Wie das bei mir immer so ist, musste ich während der ersten 30 Kilometer inständig hoffen und bangen, um es noch  rechtzeitig nach Fürholzen zu schaffen im Berufsverkehr. Da ist dann das erste Sanifair-Drive-In. Gewohnheitsgetreu stattete ich mich dort mit einem Cappuccino aus, mit dem ich es wie gehabt bis Gelbelsee aushielt. Kurz nach dem Kindinger Berg hielt mich nur die schlechte Sicht vom monotoniebedingten Wachkoma ab. Radio an, Bayern 3, Antenne Bayern, Bayern 1, Radio aus. Ich komme mir jedes Mal vor wie ein ADHSler auf Ritalin-Entzug. Beim nächsten Radio an wurde meine Aufmerksamkeit mittels signifikanter Sprachbotschaften statt seelenlosem Singsang gefesselt. Ich hörte zufällig bei „Mensch Otto“ rein, der die Teleshopping-Queen Judith Williams zu Gast hatte. Die hübsche Brünette ist auch bekannt aus der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“, die mich über Skalierbarkeiten von Geschäftsmodellen und Fehleinschätzungen von Unternehmenswerten aufklärte. Ihr werdet sie kennen.

Ich finde schon Judith Williams´ Stimme total genial, weil sie so einzigartig ist. Man erkennt sie mit ihrem amerikanischen Slang sofort und der ausdrucksstarke, bedacht eingesetzte Wortschatz, beeindruckt mich jedes Mal aufs Neue. Was inhaltlich besprochen wurde, kam mir bekannt vor. Viele der Botschaften erinnerten mich an meine eigenen: es gibt kein Scheitern, alles ist für etwas gut, das Leben ist lebenslängliches Lernen, wenn du hinfällst, steh´ wieder auf, etc. So wie man mir meine Botschaften in der Regel abnimmt, so habe ich ihr ihre abgenommen. Sie kam ganz authentisch und herzlich rüber. So was mag ich ja. Und deshalb war ich echt traurig, dass die restliche Autofahrt wie im Flug verging und ich habe extra vor Tennenlohe noch einmal kurz vor dem WC geparkt, weil ich die Fahrt und damit meinen Anteil an der Sendung verlängern wollte.

Doch es kam wie es kommen musste: Ich war dann irgendwann doch zuhause, mein Mann hatte das Essen schon parat und statt Radio lief der Fernseher. Also bestellte ich mir Judith Williams´ erstes biographisches Buch „Stolpersteine ins Glück“ bei Amazon. Und ich habe damit sehr intensive Erfahrungen gemacht. Zum einen hatte ich im Flugzeug nach Madeira das große Vergnügen neben einer Frau, Unternehmerin aus Augsburg, zu sitzen, die das gleiche Buch in Händen hielt. Wir quatschten ganze vier Stunden über dies und alles Wesentliche: The Big Five for Life, unsere Lebensgeschichten, unsere Weltanschauung, die Sinnsuche und weil noch lange nicht alles gesagt ist, haben wir sicherheitshalber Visitenkarten ausgetauscht. Was für ein schöner Zufall! Zum anderen habe ich herausgefunden, dass es sich so wie von Williams beschrieben anfühlen muss, wenn man an den kindheitlichen Wurzeln solide und gesund ist. Diese Erkenntnis kam während des Lesens der Biographie, die keineswegs eine reine Erfolgsgeschichte ist. Doch obgleich die Familie materiell wenig hatte und es nach unserem klassisch-deutschen Nachkriegsverständnis an Sicherheiten nur so mangelte, gab es immer reichlich Spaß, Kreativität, Geborgenheit, Zusammenhalt, Gastfreundschaft und Geben, den flexiblen, lächelnden Umgang mit Unwägbarkeiten sowie die Übernahme von Verantwortung und den eigenen Neigungen und Talenten wurde Raum gegeben, ganz unabhängig von deren Zweckmäßigkeit. Leben und leben lassen, herzlich und manchmal auch chaotisch – so ging es in der Familie offenbar zu. Während die Väter unserer Generation, das weiß ich aus vielen Gesprächen, eher für Sicherheiten sorgten und uns Leistungsorientierung mit auf den Weg gaben, was ja auch was für sich hat, so wurde bei der Familie Williams in Menschlichkeit investiert und das Geld musste schon zum Leben reichen, war aber zweitrangig.

Nach dem ausnahmslosen Lesevergnügen bin ich deshalb überzeugt, dass unsere emotional verarmten oder verwirrten oder noch immer frustrierten inneren Kinder – oder auch Erziehungsberechtigte, die nach Orientierung suchen – wesentliche Inspirationen in den Texten finden können. Und weil wir ja am Beginn der diesjährigen Zeitrechnung stehen, habe ich mir für mein 2019 und in Anlehnung an das, was mir zeitlebens als globale Haltung öfter mal fehlte, Glück auf die Fahnen geschrieben. Ich werde in diesem Jahr ausnahmslos Sachen machen, die mir Spaß bereiten und notfalls mache ich mir eben einen Spaß daraus, wenn es mal ernst wird. An Ideen bin ich reich. Außerdem habe ich ja noch Disziplin in petto und Positivismus als Joker im Ärmel. Was noch nicht passt, wird eben passend gemacht. Kann also nur ein gutes Jahr werden. Und das wünsche ich euch auch.

08.01.2019


Alles gut

Nicht, dass ihr euch wundert: Ich will ja schreiben, doch mir fehlt es an Inhalt. Das mag jetzt auch wieder am Alter liegen: Nicht nur Fashion-Styles stehen auf Dauer-Repeat (für alle Kinder der 80er – Schulterpolster kommen wieder, Marlene-Dietrich-Hosen sind ziemlich angesagt und den betagten Glamour von Lurex sehe ich auch immer öfter), sondern auch Lebensthemen. Was also soll ich sagen. Alles gut soweit.

Bei mir läuft´s momentan einfach wie am Schnürchen. Es ist, was sein soll und es ist nicht, was ich nicht haben will. Neulich wollte ich dennoch mal Schicksal spielen bei der zugelaufenen Stallkatze „Punky“, die mir mit ihrer bewegenden Lebensgeschichte ans Herz ging und in den bereits mit Outdoor-Tigern besetzten Gefilden in Dauerstress zu geraten drohte. Doch ich wartete einfach ein Weilchen, beobachtend. Siehe da, jetzt ist sie „angekommen“ und wird von mir garantiert nicht schon wieder entwurzelt, weil ich ihr ein wärmeres Fleckchen Erde bieten könnte. Stattdessen besorge ich Futter, damit sie sich Fettpolster für den Winter anfressen kann.

Nur eingreifen, wo es Sinn macht und sein muss. Das ist doch eine gute Idee! Unsereins, der sich als Gestalter begreift, maßt sich ja manchmal an, alles gut und noch besser machen zu müssen. Verdächtiges Verhaltensmuster: Auch ganz ohne Smartwatch und jenseits vom Job finde ich mich immer mal wieder in der Optimierungspose wieder. Anstrengend ist das. Und wozu eigentlich, wenn es doch im Grunde passt. Die Steigerung von „passen“ gibt es ja schließlich nicht.

Machen wir uns doch das Leben einfach leichter!

Genau für diesen simplen Satz könnte sich dieser kurze Blog bereits gelohnt haben – zumal gerade wieder der vorweihnachtliche Konsum- und Terminkollaps vor der Türe wartet. Wir üben uns jetzt einfach täglich im Denksport „Lebenserleichterung“ und streichen unserem inneren Kritiker alles von seiner Liste, das bereits gut genug ist oder wo es von anmaßend, bis arrogant empfunden würde, wenn wir unseren Rüssel reinstecken.

Mir fällt zum Thema Auftanken gerade, auch aufgrund meines der Jahreszeit angepassten Energiepegels, immer was ein. Beispielsweise habe ich unser Bad vergangenen Freitag in  genau 15 Minuten rekordgeputzt, was durchaus genug war. Außerdem gibt es am Abend immer öfter Erbswurstsuppe mit (Veggie-) Wienerchen, weil´s schmeckt. Oder Pommes rot-weiß. Wer schon früh so viel Obst im Müsli badet wie ich, der kann am Abend ruhig ein bisschen Junk Food vertragen, finde ich. Und statt der caritativen Geschenkeaktion, die sich mir informativ im Web nicht schnell genug erschloss,  wurde eben der Gnadenhof in Pegnitz mit einer Zuwendung beglückt.  Fertig.

Was macht ihr so, um es euch außerhalb eurer Arbeit und sonstiger wirklicher Verpflichtungen so gemütlich es nur geht zu machen? Ich bin gespannt! Denn eines muss euch klar sein: Wenn ihr nur Disziplin, Drill und Durchhaltevermögen schult in eurer Lebensführung, zahlt ihr früher oder später definitiv drauf. Niemands Kraft reicht ewig und immer nur auf 200 km/h läuft kein Motor auf lange Distanz. Also – passt gut auf euch auf und seid euren Kindern ein erstrebenswertes Vorbild!

20.11.2018


Im Zug des Lebens

Neulich hat sich der Tag meiner Geburt zum fünfzigsten Mal gejährt. Dabei fühle ich mich in mir jung und ich glaube, das geht vielen Menschen so. Bis sie in den Spiegel sehen, merken, dass sie ohne Lesebrille nicht mal mehr ihre Augenbrauen zupfen können und dass sie mit einigen Dioptrien noch viel älter aussehen als sie es in Wirklichkeit sind.

Fünfzig. Das ist schon was. Wenn ich bedenke, dass wir – also die Menschen – vor hundert Jahren im Schnitt nur so alt geworden sind und dass es auch heute nicht alle schaffen, ein halbes Jahrhundert auf den Buckel zu bekommen, bleibt mir nichts als Dankbarkeit. Gesegnet bin ich mit all den Jahren, in denen ich leben und lernen durfte. Beispielsweise habe ich mich besser kennen gelernt. Und je inniger das Gefühl wird, in mir zuhause zu sein, desto weniger hadere ich mit Menschen und Umständen, die mir nicht gut tun. Ich lasse sie einfach los und befürchte dabei immer weniger Verluste. Früher war ich gut im Festhalten und Durchhalten. Heute werde ich fortlaufend besser im Loslassen und Ziehenlassen.

Im Zug des Lebens ist es nun mal so. Menschen kommen und bleiben. Menschen kommen und gehen. Manche davon leben mit anderen weiter. Andere leben in unseren Herzen weiter, weil sie endgültig auf eine andere Reise aufgebrochen sind. Ich denke liebevoll an alle und hoffe, wir finden uns wieder. Irgendwann.

Angeblich ist der Monat November deshalb ein zu Depressionen einladender, weil er uns das Sterben der Natur vor Augen führt und damit auch unsere eigene Vergänglichkeit bewusst macht. Nun, um mir meiner bewusst zu sein, brauche ich keinen einzelnen Monat. Mir reicht schon der Blick in den Spiegel. Mit Lesebrille. Doch ich denke, mit der Endlichkeit vor der Nase haben wir auch eine tolle Chance. Die Chance liegt darin, sich immer einmal wieder und ganz aufrichtig die Frage zu stellen, ob es gut ist wie wir leben und was wir tun und unterlassen: Wenn du etwa weißt oder ahnst, dass du nach deinen fünfzig Lebensjahren womöglich noch fünfzehn Jahre hast, in denen du dein Arbeitsleben aktiv und intensiv gestalten kannst, überlegst du dir schon genau, was du magst und was du dir nicht mehr gibst. Oder? Wer jetzt mental aufschreit und mir zurufen will „was soll ich denn noch Neues beginnen?“, dem kann ich nur hoffnungsfroh zurückbrüllen „erkenne dich selbst, stehe zu dir und gib um Himmels Willen nicht zu früh auf!“. Ihr wollt Beweise sehen? Hier kommt einer: eine Freundin von mir will mit Mitte Fünfzig ihren Wohnsitz von München zurück nach Nürnberg verlegen. Da könnten schon Unken lauthals unken, dass das eh nichts mehr werden kann. In dem Alter noch einmal den Job wechseln – und dazu noch einen mit Expertenstatus und gutem Gehalt? Was soll ich sagen. Das erste Vorstellungsgespräch war das letzte und die Wohnungssuche am Wunschort gestaltete sich kurz und schmerzlos. Innerhalb weniger Wochen war das Thema erledigt.

So kann es auch gehen. Wenn ihr es nur für möglich haltet, ihr euch gut kennt, wisst, wer ihr seid und was ihr wollt und braucht, könnte euch das Gleiche gelingen. Steigt nicht selbst aus dem Zug des Lebens, so lange ihr Passagier an Bord seid! Ich wünsche euch freie und zügige Fahrt voraus mit euch freundlich gesonnenen Begleitern, flüchtigen Erfüllungsgehilfen, die euch auch mal den Koffer tragen, damit ihr euch nicht anstrengen müsst und gelegntlichen Zufallsbekanntschaften, denen auch ihr mal nützlich sein könnt. Willkommen heißen und verabschieden, geben und nehmen, lieben und loslassen, weinen und lachen, aufstehen und verstehen, falls euch mal etwas oder jemand zu Fall gebracht hat – all das lehrt uns der Zug des Lebens. Was für ein Geschenk.

06.11.2018


Wann platzt die Bombe?

Ich hatte in letzter Zeit häufig mit Gesundheitsunternehmen zu tun. Und ganz egal, ob ich dort einen Workshop für Mitarbeiter halte, eine Führungsklausur moderiere oder einen Team-Entwicklungsprozess begleite – die Stimmung kippt immer irgendwann und ich habe Mühe, die Teilnehmer auf ein konstruktives Niveau zu lenken. Ich bin besorgt.

In vielerlei Hinsicht. Zum einen kann ich erkennen, welche alltägliche Anstrengung es die meisten Menschen kostet, die sich in Kliniken um Kranke bemühen, selbst gesund zu bleiben in sich verjüngenden Rahmenbedingungen, die überall gleich zu sein scheinen. Was ja klar ist, schließlich hängen Gesundheitsunternehmen am Tropf der Gesundheitspolitik und haben deshalb nicht viel Spielraum bei der individuellen Reaktion auf pauschale Erfordernisse. Da werden Stationen zu großen Einheiten zusammengelegt. Deren mindestens einen Kopf weniger messenden Führungskräfte haben von heute auf morgen das zwei- bis dreifache an Mannschaft zu managen und selbst kaum Zeit zum Steuern. Da werden Ärzte mit Handkuss genommen, denen es teils an Sozialkompetenzen ebenso mangelt wie an Deutschkenntnissen und Praxiserfahrung, was der pflegenden Berufsgruppe teils erheblich zu Lasten fällt, weil die Unterstützung der Medizinmänner erhebliche Mehrarbeit bedeutet. Oft fehlt es eben diesen auch an chef- oder oberärztlicher Führung, kann ich beobachten. Mancherorts, so wurde mir zugetragen, werden Patienten auf dem Gang geparkt und deren Intimitäten zur Schau gestellt, weil Plätze im Zimmer fehlen. Diesbezügliche Klagen der Pflege „nach oben“ werden missdeutet Richtung „ihr wollt euch ja nur Arbeit sparen“ - da ist es doch nur verständlich, dass man sich als externer Betrachter auch mal zwischendurch die Frage stellt, selbst wenn man Coach ist, ob man jemals alt und krank werden und womöglich ohne Fürsprecher in einem Hospital untergebracht sein will. Ich finde hierfür als Lösung nur ein stilles Gebet nach „ganz oben“, denn meine Vorfahren sind ziemlich betagt gestorben und ich werde keine Nachkommen haben.

Was ich für die Betroffenen an der Krankenhausfront genau tun kann und soll, das habe ich mir auch schon öfter durch den Kopf gehen lassen. Ich will ja Menschen dabei unterstützen, gesund leistungsfähig zu bleiben. In genau diesen Umständen und ihnen zum Trotz. Eine günstige Herangehensweise wäre da, sich im Kollektiv aus Ärzten und Pflegekräften damit zu beschäftigen, welche Strategien jetzt hilfreich wären, um die gemeinsamen Arbeitsprozesse effektiver, kooperativer, verbindlicher und gegenseitig wertschätzender zu gestalten. An einem Strang ziehen, das würde Sinn machen und bestimmt auch noch das ein oder andere Optimierungspotenzial erschließen. Leider merke ich, dass diese interdisziplinären Maßnahmen in der Regel Eintagsfliegen bleiben und ebenso kurzlebig in ihrer Wirkung sind. Nachhaltigkeit? Fehlanzeige! Da wird mal ein Coach engagiert, der sich für einige Stunden dem Frust und der Aggressivität, teils sogar der gestörten Loyalität zum Arbeitgeber und manchmal erheblicher Animosität annehmen darf. In Folge des Erlebten wird von mir ein umfassender Bericht erstellt. Diplomatisch, versteht sich. Ich will ja Vorbild sein und helfen. Aber ob den jemals jemand liest? Mir kommt es oft so vor, als ob diese Maßnahmen aus Hilflosigkeit heraus initiiert werden, was ja verständlich und o.k. ist. Ich glaube aber, es ließe sich wirklich etwas verändern. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Doch ohne die Compliance i. S. v. dem echtem Wollen und Glauben der Entscheider sind mir die Hände gebunden. Und ich habe verstanden, was denen, die bei mir in den Team-Maßnahmen, interdisziplinär oder auch nicht, schon lange klar geworden ist. Daher auch Aussagen wie „das bringt doch eh wieder nichts“. Weil keiner jemals irgendwelche Schlüsse gezogen hat oder weitere Maßnahmen abgeleitet hat. Traurig ist das. Aber durchaus veränderbar. Yes, we can!

Deshalb appelliere ich heute mal an die, die es betrifft: fordert Entwicklungsprozesse für euch ein, tauscht euch aus, findet gangbare Lösungen und findet zusammen einen Weg in genau diesen Rahmenbedingungen! Wenn „da oben“ die Botschaft ankommt, dass ihr mitarbeiten wollt im Wandel, statt dagegen zu arbeiten, dann wird auch etwas für euch getan werden. Dann lässt sich was machen. Ich bin bereit.

32.10.2018


Spar´ dich reich!

Wusstet ihr, dass Studien zufolge jeder fünfte Deutsche stirbt, bevor er das Rentenalter erreicht? Da nutzt es wohl auch nichts, wenn unsere Lebenserwartung steigt. Es gibt immer die, die sehr alt werden und die, die jung sterben. Aber lohnt es sich dann, wesentliche Ziele auf später zu verschieben?

Nein. Natürlich lohnt es sich nicht. Wir sollten im Hier und Jetzt leben (sofern es gerade annehmbar ist) und jeden Tag genießen (sofern es sonnig draußen ist). Im Idealfall sogar so sehr, als ob es unser letzter auf Erden ist. Doch wenn wir wüssten, dass wir bereits morgen in den Himmel kommen und folglich ziemlich bald unser irdisches Sein beenden werden, was würden wir denn dann heute anders machen als gewöhnlich?

O.k., ich würde am heutigen Sonntag nicht den Nachmittag im Büro verbringen wollen. Wenn ich noch lange leben könnte, würde ich gerne lesen und abhängen, vielleicht ein bisschen schlafen. Dazu wäre mir meine Lebenszeit dann auch nicht zu kostbar, weil ich es schlichtweg nötig habe. Stattdessen habe ich den Wetterbericht sondiert und der sagt, heute Nachmittag zieht es sich zu. Also gehe ich früh zu meinem Pferd und dann ins Büro, wenn Regen droht. Wenn aber in Kürze mein letztes Stündchen schlüge? Gut, dass ich dieses Rätsel nicht lösen muss. Ich habe nämlich keine Ahnung, was ich darauf antworten soll.

Und genau aus dieser intrapersonalen Unschlüssigkeit heraus sauge ich seit Jahren Infomaterial in mich auf, das sich mit dem Sinn des Seins beschäftigt. Gestern las ich diesbezüglich von einem mir neuen Begriff, der sich Frugalismus nennt. Das ist keine Erkrankung, auch wenn es sich so anhören mag. Es geht um eine Lebensphilosophie der überwiegend Generation Y, der zufolge Menschen es sich zum Ziel setzen, nur für das wirklich Nötigste Geld auszugeben, um bis in die 40er Jahre so viel zurückgelegt zu haben, dass sie nicht mehr arbeiten müssen.

Die Idee selbst finde ich verlockend, interessant und im ersten Schritt auch ganz einfach: Du kannst, wenn du mal magst, ein Haushaltsbuch führen wie es auch unsere Mütter und Omas geführt haben und gucken, welche Ausgaben dir wirklich zu einem besseren Lebensgefühl verhelfen und welche für dich persönlich in Wahrheit irrelevant sind. So lassen sich dann wohl Kostenfresser eruieren, die verzichtbar sind und auf diese Weise – etwa, weil du dann keine 120 qm-Wohnung mehr brauchst, sondern nur noch eine 60 qm messende und ein Fahrrad plus ÖPNV-Ticket, statt ein Auto und drei Hosen, statt 13 – sparst du dich schon in jüngeren Lebensjahren reich. Falls du dich dann auch noch gut mit Anlagen, Aktien, Fonds auskennst, legst du dein erspartes Geld gewinnbringend an, so dass du in absehbarer Zeit und noch weit vor offiziellem Rentenalter keine bezahlte Aufgabe mehr brauchst. Ein schlaues System.

Tatsächlich kenne ich jemanden, dessen Lebensphilosophie in etwa dem entspricht, was sich heute Frugalismus nennt. Dieser jemand hat ordentlich bei Siemens verdient und auch dann und wann mal im Ausland gewohnt und ist mit 50 in eine Vorruhestandsregelung gedriftet. Ich habe ihn mal gefragt, wie er das hinbekommen hat, dass seine Kohle für noch eventuell 50 Lebensjahre reichen kann. Er antwortete mir damals, dass er auf schnöden Mammon stets verzichtet habe, weil er ihm nichts bedeutete. Er fuhr immer nur alte Autos und legte auf die neueste Mode und teure Reisen weniger Wert. Dafür legte er sein Geld clever an und investierte in mehrere Immobilien, die er teils auch eigenhändig instand zu halten versteht. Heute ist er 60 und lebt mit Hund jeweils etwa ein halbes Jahr hier und ein halbes Jahr in Frankreich. Neulich fragte ich ihn nach seinem Glücksstand. Er ist zufrieden, ihm fehlt nichts, sagt er.

Ich finde solche Lebensmodelle spannend. Was die Frugalisten angeht, die es sich ja auf die Fahnen schreiben mit etwa 40 in Rente gehen zu wollen und zu können, merke ich aber, dass ich mit so viel Zeit gar nichts anzufangen wüsste. Gibt es wirklich so viele Menschen da draußen, die so viele Ideen im Kopf und ungenutztes Lebenspotenzial in der Seele haben, dass sie von nichts anderem träumen als endlich nicht mehr für Geld arbeiten zu müssen?

Da kommt mir Streleckys Buch „The Big Five for Life“ gerade recht. Darin geht es um die ähnliche Frage, mit welchen fünf zentralen Inhalten man das eigene Leben erfüllen möchte, so dass man in Frieden scheiden könnte. Zu meinen Big Five gehört auch mein Job, definitiv, weil ich innerlich erstrahle, wenn Menschen Inspirationen von mir nehmen. Dass ich dafür Geld bekomme, stört mich übrigens nicht weiter. Außerdem liebe ich es, mit Tieren zu sein, was ich ja oft bin. Und es ist erhebend, wenn ich Erlebnisse sammeln darf, etwa auf (Kurz-) Reisen und jedenfalls nicht zwingend solchen, die kräftig Kohle kosten, denn darum geht es mir nicht und einige Länder muss ich persönlich gar nicht gesehen haben. Die letzten beiden meiner Big Five sind noch am Dämmern. Ich glaube, es könnte das Schreiben sein, wobei es sein könnte, dass es „nur“ eine Strategie zum Thema Inspirationen ist. Außerdem möchte ich lieben und geliebt werden, und das alles zusammen am liebsten auch in meinem Griechenland.

Laut Strelecky könnten wir alles verbinden, um unseren Lebenszweck erfüllen und ultimativen Sinn zu finden und dafür darf man auch andere Menschen einbinden, sagt er. Also frage ich hier mal ganz unverblümt: Kennt ihr jemanden, der mir ein Haus in Nikti am Meer schenken möchte, in gutem Zustand, in dem ich auch Tieren Asyl geben kann (nebst meiner Pony-Stute), während ich ab und an für deutschsprachige Firmen, denen ihr mich empfehlt, hochdotierte Seminare halten und für renommierte deutsche Verlage, die mich noch nicht kennen, Bücher schreiben darf? Dann lasst es mich bitte wissen! Meinen Mann überzeuge ich dann selbst.

10.10.2018


Hallo erst Mal!

Heute hatte ich Anteil an einer lebhaften Unterhaltung bei uns im Stall. Es ging um eines meiner Lieblingsthemen – den Sagen umwobenen westeuropäischen Höflichkeitsstandard – und was mich wirklich gefreut hat: die sich Beklagende war Anfang 30.

Dass ich mich immer wieder darüber echauffieren kann, wenn Menschen nicht grüßen, bitte und danke sagen, sich wortlos vordrängeln oder schamfrei im Parkhaus entgegen der Einbahnstraße fahren, um den Frontalzusammenstoß mit dir einkalkulierend den avisierten Parkplatz wegzuschnappen, dürfte euch ja bekannt sein. Umso freudiger war ich heute ganz Ohr, als meine Anfang Dreißigjährige Stallkollegin schnaubend von der allgemeinen Verrohung der fränkischen Sitten sprach: sie war gestern als Bedienung auf einem Motocross-Event eingebunden und hatte nach dem gefühlt einhundertsten männlichen Wesen, das von ihr schlicht wie das Gemüt, aber freilich im befehlsbarschen Ton „a Bradworschd und a Bier“ verlangte, die Schnauze so gestrichen voll wie das Weckla den Senf. Sie schritt zur Tat und fügte jeder dieser ordinären Bestellungen ein „Sie möchten bitte ein Bier? Aber selbstverständlich, gerne!“ hinzu. Uns Zuhörerinnen fragte sie empört – wohlgemerkt selbst Fränkin: „Ist es vielleicht zu viel verlangt, `bitte´ und `danke´ zu sagen?“ Wir schüttelten mitfühlend unsere heute regennassen Häupter. Da meldete sich eine ehemalige Lehrerin zu Wort: „Auch den Grundschulkindern musste ich das beibringen. Das ging schon los, wenn ein Kind unpünktlich zum Unterricht kam. Die Tür zuknallen, die Tasche hinpfeffern, kein Gruß und keine Entschuldigung – das war Standard.“ Da dachte ich wieder an die Helikopter-Eltern und wohin dieser barrierelose Erziehungsstil wohl führen würde. Bis mir ein- und auffiel, dass die bald selbst Mutter werdende Tochter der Lehrerin selbst nie grüßt. Oder zumindest mich nicht. Leider dachte ich nicht laut, denn ich hätte schon gerne gewusst, was die Lehrerin dazu zu sagen gehabt hätte. Jetzt werde ich es – der Eintracht halber – vermutlich nie erfahren.

Neulich habe ich schon einmal unüberhörbar zu einer anderen Stallkollegin gebrüllt: „Lisa grüßt nie. Ich hasse das!“ Das letzte Mal kam dann ein widerwilliges „Hallo“ aus dem maulfaulen Mündlein.

Was soll´s. Die Steffi, die uns das mit den Motocross-Machos erzählt hatte, gab am Ende noch etwas zum Besten, das mir gefallen hat: In der Stadt gibt es ein Café, das eine Tafel vor dem Laden stehen hat, die folgendes zum allgemeinen Benimm beiträgt:

Café 5,- €

Ein Café, bitte 3,- €

Könnte ich bitte einen Café haben? 1,50 €

Fügen wir jetzt noch ein Lächeln hinzu und bestrahlen unser Gegenüber von Herzen, nicht nur, weil es der gute Ton erfordert, wer weiß… vielleicht kriegen wir dann sogar einmal was geschenkt? Und wenn es nur ein flüchtiger Moment gegenseitiger Wertschätzung ist. Mir würde das zu einem duftenden Latte Macchiato durchaus genügen.

25.09.2018


Investition ins (Er-) Leben

Letzte Woche hatte ich die Premierenveranstaltung zu meinem neuen Seminar „Altersmanagement: Je oller, desto toller“, in dem es darum geht, die besten Jahre erfolgreich zu gestalten. Ganzheitlich, also freilich auch am Arbeitsplatz. Weil wir doch immer länger werden schaffen müssen, sind nun merklich mehr Unternehmen interessiert daran, in die Arbeitsfähigkeit älterer Mitarbeiter zu investieren.

Sei es drum. Mir geht es in erster Linie um die Menschen in meinen Seminaren und ihr höchstes Gut – das Leben. Das lässt sich für mich nicht trennen in Arbeits- und Privatleben. Machen wir uns doch nichts vor! Wir haben nun mal nur ein Leben. Und ich möchte möglichst viel darüber wissen und so gut es mir gelingen kann, etwas beitragen, dass Menschen aus Resignation geborene Spuren überdenken und ihr Leben in selbstbewusster Regie führen und inszenieren. Auch am Arbeitsplatz.

Jedenfalls ist mir im Zuge der Vorbereitungen des Seminars eine Studie begegnet, die besagt, dass die Jahre bis zum Ruhestand gefühlt wie im Fluge vergehen – das Zeitempfinden sich also bei den Best Agern kollektiv beschleunigt –, während wir danach wieder das Gefühl haben werden, die Uhren ticken geruhsamer. Da kann es schon auch einmal passieren, dass man sich langweilt, denke ich mir. Und es ist übrigens ein Trugschluss zu glauben, wir könnten dann alles Mögliche machen, was wir zeitlebens nie unterbrachten vor lauter Pflichtfülle: Wer jetzt nicht in seine Fitness investiert, der wird sich später garantiert schwer tun damit, Berge zu besteigen. Denn die Fitness ist im höheren Lebensalter ebenso wenig abrufbar wie hochgradige Hirnleistung – es sei denn, wir üben uns und werden nicht müde, uns zielgerichtet zu fordern.

Das Zeitempfinden in der Spanne bis zum Ruhestand lässt sich aber auch austricksen, sprich verlangsamen. Auch das sagen die Altersforscher: Wer sein Leben mit vielen „ersten Malen“ durchsetzt, der lebt intensiver, wohingegen Menschen, die eingefahrene Routinen niemals verlassen, ihr Dasein gefühlt im Schnelldurchlauf fristen. Wollen wir das? Nein!

Dann machen wir doch mal was anders als üblich! Das kann schon der tägliche Arbeitsweg sein, der Einkauf im immergleichen Supermarkt am Nachmittag, der Spazierweg am stets selben See am Wochenende oder der Putzplan, den ihr vielleicht habt. Wir könnten aufhören, uns das übliche Fernsehprogramm reinzuziehen und Bücher bei Amazon zu bestellen, bloß, weil es bequem ist. Wir könnten aufs Rad steigen und das Auto mal stehen lassen. Oder statt Kaffee früh auch mal Tee trinken, die Limo-Marke wechseln oder statt täglich zu kochen, einfach mal was vom Imbiss holen.

Wahrscheinlich hat das alles, was ja tagtäglich machbar wäre, nicht gleich diese megaentschleunigende Wirkung. Aber irgendein Effekt und vermutlich ein wohltuender ist schon zu erwarten. Wenn es auf unser (Er-) Lebenskonto einzahlt, sollten wir es kurzerhand ausprobieren und uns selbst stets aufs Neue überraschen. Ist ja ziemlich einfach, so ein kreatives Investment.

Wer sich im Augenblick hingegen mit materiellen Investitionen beschäftigt, dem blüht eher Frust als Lust. Es sei denn, er hat den ultimativen Durchblick oder/und ist Aktien-Profi. Was ich ja weder habe, noch bin. Gestern stand zur Sache in der Zeitung, dass Wirtschaftsexperten eine massive Depression für die 2020er Jahre prognostizieren, in deren Rahmen der Euro völlig den Bach runtergehen wird.

Was mache ich da jetzt? Geld auf dem Konto lassen? Mich verschulden? Damit das Geld nicht auf dem Konto liegt es in irgendwas anlegen, das ich mir eigentlich nicht leisten kann?

Als selbsternannte Altersmanagerin (wird ja auch Zeit, nächsten Monat werde ich 50!) empfehle ich euch und mir schlicht eines: Investiert in Erinnerungswerte! Die kann uns nämlich keiner mehr nehmen und deshalb reist, genießt und gönnt euch was, muss ja nicht sauteuer sein.

Bedenkt, einer ist am Ende immer der, der übrigbleibt. In Freundschaften wie in Partnerschaften. Und die Erinnerung bleibt, wenn unsere Zeit letztlich zu Ende geht. Machen wir was draus und zwar im Idealfall achtsam alltäglich das Beste!

18.09.2018


Verbrannte Erde

Heute früh ging ich mit meinem Hundefreund Lemmy Gassi und passierte dabei das Brachland am Uttenreuther Rathaus, das vor ziemlich genau zwei Wochen lichterloh in Flammen stand. Es brannte vom Wind befeuert so lodernd, dass bereits die Rauchmelder in den angrenzenden Wohnungen fiepten.

Das Feuer konnte zum Glück gelöscht werden. Doch die verbrannte Erde bleibt freilich noch eine Weile wie eine Art Mahnmal. Die Natur vergisst nicht von heute auf morgen. Und obwohl stellenweise und ich finde überraschend bald bereits wieder Gras wächst, sind manche Flecken noch immer ascheschwarz und rußtot. Kann es sein, dass manchmal auch einfach kein Grün mehr kommt?

Ich gebe diese Gedanken hier wieder, weil wir gestern irritiert feststellen mussten – Julia betrieb Online-Recherche – dass Susanne Preusker, deren Geschichte ich im letzten Blog als Leseempfehlung benannte, vor einigen Monaten Suizid beging.

Im Buch schien es, als ob sie auf einem guten Weg gewesen war, ihr Trauma zu bewältigen. Auch in Interviews, die auf YouTube archiviert sind, wirkte sie „zu 85 % wieder so stabil wie im alten Leben“.

Wenige Tage bevor sie selbstbestimmt aus dem neuen Leben als themenvielseitige Autorin mit Stigmatisierung „Gewaltopfer“ schied, war noch ein stern-Reporterteam bei ihr, dem gegenüber sie sich nichts anmerken ließ. Der gut geschriebene Artikel des bestürzten Journalisten ist bei stern-online nachzulesen und stellt die gleichen unbeantworteten Fragen wie Julia und ich.

Studien zeigen, dass Opfer von Vergewaltigungen in 50 % aller Fälle mit dem Trauma kämpfen und sich Suizide häufen, während nur 4,5 % Betroffener von Naturkatastrophen diese Schwere erleiden. Nahm sich Susanne Preusker das Leben, weil sie keine Kraft mehr hatte, die angstvollen Erinnerungen zu bannen? Oder waren es die durch das Erlebte verursachten Ängste, die ihr das Leben nahmen? Hatte sie einen Flashback? Oder gab es ein auslösendes Ereignis, das ihr die mühsamen Aufbauten von Vertrauen in die Welt, sich selbst und ihre Menschenkenntnis schlagartig zerstörten?

Es war doch schon immer satter werdendes Grün auf der verbrannten Erde. Glaubten wir, die Beobachter, Zuschauer, Leser, Voyeure, Motivforscher und Mitfühler. Dabei hat die Hoffnung auf die Wiederauferstehung einer geschundenen Seele vielleicht einfach nicht tiefer blicken wollen oder blicken lassen. Womöglich auch Susanne Preusker selbst nicht. Traurig.

06.09.2018


Von der Not zur Tugend

Heute möchte ich euch Impulse zum Thema Wiederauferstehung geben. Darauf gekommen bin ich durch ein Buch, von dem ich euch berichten will. Weil es für uns alle relevant sein kann: Was hilft, wenn uns etwas wirklich Schlimmes widerfährt, wie können wir lernen, damit zu leben und weiter zu gehen?

Meine Überlegungen beziehen sich auf das Buch einer Gefängnispsychologin, die vor einigen Jahren von einem der Häftlinge – einem inhaftierten Sexualstraftäter – im Straubinger Hochsicherheitstrakt für Stunden als Geißel festgehalten wurde. In diesen existenziell bangen Stunden des Ausgeliefertseins und mehrfacher Gewalterfahrungen wurde ihr „neues Leben“ geboren. Ein Leben, um das sie nicht gebeten hatte.

Traumatisiert versucht Susanne Preusker wieder Fuß zu fassen und auf die Beine zu kommen, Vertrauen in die Menschen (vor allem die Männer) zu gewinnen und geschlossene Räume (vor allem dunkle, aber auch Parkhäuser, Supermärkte und Tunnels) zu rehabilitieren.

Sie gibt sich Zeit und nimmt sich die persönliche Freiheit, in ihrem neuen Leben eine andere geworden zu sein. Der Weg ist nicht gerade kurz und schon gar nicht geschmeidig. Eine Art Befreiungsschlag von den grauenvollen Erfahrungen gelang ihr wohl damit, dass sie selbst vor Gericht Rede und Antwort stand, um den Mann schwer zu belasten, der ihr selbst die Bürde eines solchen Schicksals auferlegt hatte. Das tut sie sachlich schonungslos. Sie ersparte sich und dem Täter nichts, ohne dabei zum Opfer geworden zu sein.

Im Buch „Sieben Stunden im April“ beschreibt Susanne Preusker die ersten Gehversuche und Fortschritte in ihrem neuen Leben, in dem sie nicht mehr als Psychologin arbeitet und es auch künftig nicht mehr zu tun gedenkt. Sie lässt sich auf das Suchen und Finden ein, gibt dem richtigen Zeitpunkt Weile und schreibt und atmet, Tag für Tag. Zaghaft keimt die Zuversicht und allmählich kehrt ein gewandeltes Selbstvertrauen aus dem alten Leben zurück.

Und die Moral von dieser, meiner Geschichte? Ich möchte an euch appellieren: Die Hoffnung kommt in fast jedem Fall nach dem Vor- oder auch mal Rückfall! Also lasst euch nicht hängen, sondern steht wieder auf, schüttelt euch gehörig und so lange ihr wollt, leckt eure Wunden – und dann kommt wieder an, wo ihr vor Schmerz und Erschütterung aufgehört habt zu sein. Im Jetzt.

Was Susanne Preusker als hilfreich benennt, nebst der Tatsache, dass am Ende des autobiographischen Zwischenberichts aus dem neuen Leben eine treue vierbeinige Seele zu ihr findet, kann bestimmt auch für euch ein Segen sein: Bewegung, Verausgabung (sich spüren), Ablenkung, das Meer, die Natur, Lachen, Musik, Bücher (keine Fachbücher), Mut zur Fremdhilfe (Therapie), Einsicht zur Eigenverantwortung (Traumabewältigung ist „Chefsache“), Geduld, gutes Essen und Menschen, denen es gelingt, das Neue sein zu lassen und der Selbstaufgabe Grenzen zu setzen.

Ich finde, all das können wir uns ab sofort auch auf die To Do-Liste schreiben. Als Anleitung zum Stabil- und Glücklichersein gewissermaßen. Oder rechtfertigt für euch etwa nur die Not das Leben als Tugend?

04.09.2018


Die rote Tasche

Neulich, noch im Urlaub, traf ich mich aufgrund der hohen Temperaturen draußen mit einer Freundin im angenehm klimatisierten Inneren von Schuh Mücke. Ihr wisst schon, das ist der imposante Latschenladen, der einen regelmäßig mit Masse überfordert und erzwingt, sich ein maximales Zeitbudget bereits im Vorhinein zu setzen, sofern man nicht den ganzen Tag dort verbringen will (kann). Und da sah ich sie: Die rote Tasche.

Die Tasche stand da zur Deko auf einem Regal zwischen all den schicken Schuhen. Und sie zog meinen Blick sofort auf sich. Tomatenrot leuchtend und gut gebaut, so dass ich alles darin unterbringen kann, was ich so auf meinen Wegen brauche, befeuerte sie mich mit der Botschaft „nimm´ mich!“. Schon lange hatte ich nicht mehr so einen launigen Lockruf gehört, so ein deutliches Habenwill verspürt. Flugs von der Ratio verlassen wuchs mein kindliches Verlangen ins Unermessliche. Der Preis? Bezahlbar! Und dass es null Innenfächer gibt, in denen sich Kleinteile wie das Handy sortiert einpacken lassen – was ich noch vor kurzem bei einer Joop-Tasche unerhört fand –, egal. „Das Leben ist endlich“, dachte ich mir. „Herzensangelegenheiten sollte man sofort erledigen. Der Intuition folgen. Predige ich ja auch immer in meinen Workshops.“

Entschlossen schnappte ich mir das signalfarbige Schmuckstück und fand noch ein passendes Kleid dazu. An der Kasse dann ließ mich die umsichtige Mücke-Mitarbeiterin wissen, dass sie mir die Gebrauchsanleitung drin liegen lassen werde. „Gebrauchsanleitung?“ „Ja, wie man die Tasche wäscht.“ „Wieso sollte ich eine Handtasche waschen?“ „Na, falls sie mal dreckig wird. Sie ist schließlich aus Schaumstoff.“ Ich lächelte milde, habe schließlich in meinen fünfzig Lebensjahren noch nie eine Handtasche waschen müssen, aus welcher Substanz auch immer diese gefertigt war.

Fortan trug ich meine rote Tasche stolz zur Schau. Ob sie sich nun farbskalentechnisch zum verkehrsschildgelben Sweatshirt fügte oder mit den müllmannoverallorangen Sneakers harmonierte, war mir völlig schnuppe. Ich fand sie einfach nur mega, bombe, super-hot.

Und so radelte ich mit meiner roten Tasche letzte Woche ins Büro. Ich wollte den Hochsommer bis zur letzten Minute auskosten und wenn es bei uns wieder höher her geht im Job, ist das mit dem leichten Gepäck passé, weil ich immer irgendein Equipment –Moderationskoffer, Beamer, Laptop, Flipcharts, Getränke – von A nach B transportiere. Auf dem nachmittäglichen Heimweg ging ich mit meiner roten Tasche noch kurz zu EDEKA, um ein Kaltgetränk zu besorgen. Der Plan war mit roter Tasche und TK-Latte Macchiato an meinem Lieblingsort am Waldesrand die Füße in die kneippkühlen Fluten der Schwabach hängen und den noch chilligen Arbeitstag geruhsam ausschwemmen zu lassen.

Am Wunschziel angekommen parkte ich mein Fahrrad und meine rote Tasche fand einen schattigen Platz unter einem Busch, in Reichweite versteht sich. Ich zog meine Sneakers aus, öffnete den Kaffeebecher und balancierte auf dem Sandstein herab in die erfrischenden Fluten. Da stand ich dann und sog den sommerleichten Glücksmoment genussvoll auf. Eisgekühlt und gut gelaunt setzte ich mich bald barfuß ans Ufer neben meine rote Tasche und ließ meine Gedanken treiben.

Bis eine Horde Hunde kam.

Ich liebe Hunde. Das wissen diejenigen unter euch, die den zeit|raum-Blog schon eine Weile verfolgen. In diesem Kontext allerdings, in dem ich nicht in abgeranzten Jeans oder Stallklamotten in Kontakt geriet, sondern in normaler Kleidung am Flüsschen abhing, empfand ich den rudelmäßigen Einfall als Überfall. Die hundsgemeinen Turbulenzen (Hüpfer über mich, Abschütteln von Nässe hinter meinem Rücken, Schnüffler am Kaffee und Scharren im Dreck neben mir) wurden natürlich durch die mitgeführten Herrschaften befeuert. Immer wieder wurden Bälle aus genau der Richtung ins Wasser geworfen, die den Rückweg über meinen Sitzplatz erforderte. Ich war mal wieder fassungs- und sprachlos in Anbetracht der fehlenden Aussicht auf Empathie. Ehe ich es mich versah wurde auch meine rote Tasche in Mitleidenschaft gezogen. Jetzt ist sie beschmutzt und ich werde sie wohl doch waschen müssen.

Das nächste Mal werde ich ein winddichtes, wasserabweisendes, teflonbeschichtetes und verhaltensresistentes Multitalent kaufen und für mich am besten einen Neoprenanzug für den Fall, dass ich mal wieder die Zeit finde am Flüsschen Rast zu machen. Was ich mir freilich nicht nehmen ließe, trotz der Menschen dort. Was ich euch damit sagen will: Habt ihr auch so etwas wie meine rote Tasche? Dann passt gut auf sie auf! Denn unverhofft kommt oft und womöglich seid ihr mit eurem Schatz einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Nennt sich wohl Schicksal und ist manchmal echt schlecht.

28.08.2018


Auf Rügen fehlten Rügen

Noch immer im mittelfränkischen Saunamodus freue ich mich aufgrund des fehlenden Regens über diesen frischen Wind aus Rügen: Ein Lokal dort wagt es, Kinder ab 17 Uhr aus dem kulinarischen Geschehen auszuschließen und erklärt, eine Gastwirtschaft sei kein Abenteuerspielplatz. Und alle Zeitungen berichten.

Ist die weltpolitische Lage momentan zu langweilig und reichen die Schreckensmeldungen über das Erdbeben in Lombok oder den Brückensturz in Genua nicht mehr aus, um Leser bei Laune zu halten? Oder hat der Wirt des Rügener Lokals etwa einen gesellschaftlichen Nerv getroffen, so dass Gott und die Welt jetzt über das Sperrgebiet spricht, während die Brücke in Genua einfach sich selbst überlassen wird? Ich denke, genau das ist der Fall.

Da wagt es einmal jemand, Konsequenzen zu ziehen aus dem Verhalten derjenigen, die Kinder konsequent Kinder sein lassen. Wann und wo auch immer. Und jetzt haben die den Salat. Oder der Wirt. Wir werden sehen. Jedenfalls wissen wir jetzt: Wer auf der Insel Rügen auf das Rügen verzichtet, der kann schon auch einmal vor verschlossenen Türen stehen.

Die Meinungen über den mutigen und sicherlich eigenwilligen Entschluss, sei es im Web oder in den Erlanger Nachrichten, gehen deutlich auseinander. Interessant ist, dass sich selbst Eltern oder Großeltern, die schriftlich Stellung zur Tat beziehen, niemals direkt angesprochen fühlen. Alle scheinen aus der Metaebene auf das Thema zu blicken. Es gibt offenbar tatsächlich keinen, der Kinder hat oder kennt, die sich grenzenlos verhalten, weil die Eltern lieber in Ruhe essen, während ihre Kleinen im geschützten Rahmen des Lokals spielen und toben können. Das finde ich komisch.

Handelt es sich bei den stürmischen Kids, die statt die kindgerechte Speisekarte des Lokals auszumalen lieber Fangen spielen, der Bedienung zwischen die Beine rennen oder den Nippes aus den Regalen vom Omas Küche räumen, womöglich um Hirngespinste? Vermeiden die besagten, unterlassenden Erziehungsberechtigten eine Einmischung in die Sache aus Scham? Oder richten sie ihre gedankliche Energie schweigend auf die Frage, in welcher Kneipe auf Rügen sie ihre Kinder nun am Abend noch verköstigen könnten?

Falls ihr mal Kinder finden wollt, die so laut kreischen, dass Fenster besser verschlossen bleiben sollten oder Balli mit Artgenossen spielen, so dass bereits betagte Menschen beständig ihre Köpfe einziehen müssen, um den An- und Einschlägen zu entgehen – freilich während ein bis zwei Elternteile anwesend sind, zumindest körperlich – der kann sich gerne mal bei der Eisdiele gegenüber unseres Büros umsehen. Am besten aber nach den Ferien, im Moment ist tote Hose. Sogar eine Erzieherin, die ich neulich fragte, was sie vom ach so bunten Treiben hält, war schlicht sprachlos. Die muss ja Ahnung haben. Ich nicht.

Apropos Stille: Der Fußball-in-den-Carport-donnernde Nils vom Haus am Eck ist noch immer ruhig (vielleicht auch einfach im Urlaub). Das Gespräch mit seiner Mutter stiftete vor drei Wochen mein Mann an, deeskalierend und taktisch klug. Sie zeigte Verständnis, zumal das Nils´sche Fußballtor vorher an anderer Stelle andere Nachbarn um den Verstand brachte. Gut zu wissen. Jetzt wurden eben unsere Nerven strapaziert und Belastungsgrenzen getestet. Wir haben es begriffen: Länger warten lohnt sich nicht! Na, wenigstens das sollte kein Problem sein. Affektiv war ich schließlich schon immer schnell (auf der Palme).

21.08.2018


Was wäre, wenn das Ende naht?

Gestern kam der olle Hollywood-Katastrophenfilm „Deep Impact“ im Fernsehen. Während ich das etwa dritte Mal mitbangte und mithoffte, dass der gefürchtete Einschlag an der Erde vorübergehen möge, kam mir der Gedanke – und berechtigt: Was wäre, wenn das Ende tatsächlich vor der Türe stünde?

Seit mein alter Freund Rainer vor einigen Wochen für mich völlig unverhofft verstarb, fühle ich mich in einem seltsamen Vakuum. Ihr wisst ja, ich liebe meinen Job. Doch im Moment scheint es mir ziemlich zweitrangig, wenn nicht sogar völlig nebensächlich, ob ich feste gebucht werde, ständig gefragt und gefordert bin. Neue Klamotten? Die nächste Handtasche? Schuhe? Alles weniger wichtig als sonst. Egal auch, ob mein Fuß mal wieder zickt oder mein Pferd. Ich genieße das Leben, gebe gerne Geld für mich oder andere Menschen aus und lasse meinem Pony seine Marotten, während ich es mit Karotten überfülle.

Und was ist schon Geld wert? Ich tue so, als ob mich das auch nicht retten würde, wenn mein Konto mich über das so genannte Rentenalter (wann war das nochmal genau?) trägt. Was es ja auch nicht tut. Ich sterbe sicher. Fragt sich nur, wann.

Wie sich Rainer wohl gefühlt haben mag, als ihm die Krebsdiagnose vor wenigen Jahren vermittelt wurde? Ob er wohl anders mit der verfügbaren Rest-Lebenszeit umgegangen ist als üblich und ob er vielleicht alles im rechten Licht sehen konnte, wichtig von unwichtig unterschieden hat? Sich nur noch selten oder überhaupt nicht mehr aufgeregt hat über den alltäglichen Irrsinn? Ich weiß es nicht, wüsste es aber zu gerne und denke dauernd darüber nach. Und an ihn und seine Frau.

Im Urlaub habe ich ein Buch über ein Selbstexperiment gelesen. Es handelt von dem Versuch, den eigenen Todestag auf ein Jahr später festzulegen und zu sehen, was das mit einem macht. In Sachen Achtsamkeit und Wachsamkeit fand die Autorin heraus, dass sie ihr gewohntes Verhalten in vielen Fällen ad acta legte zugunsten der Menschen und Dinge, die ihr wirklich Spaß machten und Sinn vermittelten. Existenzängste waren existenziellen Fragen gewichen und bedeutender als der nächste Tausender auf dem Konto war plötzlich der Preis, den man tatsächlich für dieses Geld bezahlen würde. Das ist interessant und seit einiger Zeit ebenso relevant für mich. Ich lasse mich bereits ein wenig von diesen Gedanken leiten und nicht erst, seitdem ich dieses Buch gelesen habe – und seitdem Rainer tot ist.

Doch gestern, während Deep Impact und der verbleibenden Wochen und Tage, die im Film immer wieder bis zum großen Countdown eingeblendet werden, merkte ich verstärkt, dass ich zu einigen Fragen noch keine Antworten habe. Diese Fragen sind nun aber dringlicher geworden.

Ich träume beispielsweise schon seit sehr langer Zeit von einem Sommer in Griechenland. Und von einem eigenen Zuhause dort. Ich überlege, ob und wie ich das verwirklichen könnte. Doch was mache ich in der Zwischenzeit mit meinem geliebten Pferd? Und wie  es im Winter, der auf den Sommer zwangsläufig folgt, dort wohl so ist? Vermutlich öde und leer und nass und kalt. Wie hier auch.

Als wir gestern beim Garagentrödel hier in Uttenreuth waren, mein Mann und ich, lief mir eine Katze über den Weg, mit der ich mich spontan anfreundete. Die zugehörigen Herrchen fragten mich, ob ich die Katze gerne übernähme. Sie haben gerade ihr Haus verkauft und möchten jetzt mit einem Unimog die Welt bereisen. Ja. Ich würde die (arme) Katze natürlich nehmen. Doch ich vermute, dass sie immer wieder von uns zu ihrem alten Haus laufen würde. Die Katze kann man nicht so leicht verpflanzen. Und ich? Bin ich wie die Herrchen und mache etwas aus meinen hoffentlich nächsten Jahren? Oder bin ich wie die Katze, ortsgebunden unflexibel? Und wenn ich hier so verwurzelt bin, sollte ich mir dann nicht so bald als möglich einen ganzen Zoo zulegen, so lange es noch nicht zu spät ist? Werde ich auf das Reisen vielleicht ganz verzichten können und mir stattdessen lieber lauter Herzenswesen nach Hause einladen – Hund, Katze und vielleicht ein paar Ziegen, die mag mein Mann so gerne? Einen alten Schuppen hätten wir ja.

Oder sollte ich im Job so richtig Gas geben und das Leben on the road genießen? Ich mag das jetzt ganz gerne – ab und an in fremden Städten und Hotels zugange zu sein, die Workshops und Teilnehmer landauf, landab sowieso. Heute habe ich mir mal ein mögliches neues Auto angesehen. Nichts teures, aber Geld ist mir gerade eh ziemlich egal. Zumal mein weiser Steuerberater neulich meinte: „Alles richtig gemacht hast du dann, wenn zum Zeitpunkt deines Ablebens kein Geld mehr auf dem Konto ist.“ Ja, ja. Doch ich weiß ja nicht, wann der Asteroid auf der Erde aufschlägt oder meine persönliche Welt untergeht. Ich weiß nur, dass es in meinem Himmel langsam voll wird. Also werde ich mir weiter Gedanken über mein Leben machen. In der Hoffnung, dass ich mit Bestimmtheit eine (womöglich neue) Richtung finde – auch ohne absehbares Ende. Noch ist es jedenfalls nicht so weit. Und eines weiß ich sicher: So schlecht, dass ich eine Weg-von-Motivation entwickeln könnte, ist es im Hier und Jetzt auch wieder nicht. Ob es gut genug ist für die nächsten, vielleicht letzten Jahre, weiß der Geier.

25.07.2018


Nägel mit Köpfen

Heute Morgen habe ich auf Antenne Bayern gehört, dass die Moderatoren sich mit Knigge-Verhaltenstipps beschäftigen. Es ging um die Frage wie Mann sich verhält, wenn er beschirmt im strömenden Regen an der Ampel wartet, während eine Dame wie ein begossener Pudel neben ihm trieft.

Was für eine banale Frage! Schade, dass sie kein Gewinnspiel draus gemacht haben. Interessant aber, dass es auf Antenne Bayern um Knigge geht. Könnte das ein Hinweis auf einen im Volk grassierenden Trend sein? Als Menschen- und Motivforscherin stelle ich ja schon seit geraumer Zeit fest, dass Empathie und Umsicht aussterben. Gut also, dass die im Radio davon Wind bekamen. Mit dem Medium lassen sich schon ein paar Leute von heute erreichen. Also womöglich auch einige, die es nötig haben.

Schade, dass die sich auf Antenne Bayern nur mit solchen Gentleman-Benimm-Tipps befassen. Ihr wisst ja, ich habe ständig Beispiele für soziale Störungen und Gestörtheiten auf Lager. Letzte Woche stand ich beispielsweise in einem Schuhgeschäft an der Kasse. Ich hatte das Geld bereits abgezählt in den Händen und wartete so vor mich hin. Schon ein wenig länger. Endlich erschien eine Schuhfachverkäuferin und ich lächelte sie freudig an, ich hatte bereits monoton-flach geatmet und befand mich kurz vor der nächsten REM-Phase, denn ich hatte schon nicht mehr mit ihrem Erscheinen gerechnet. Doch die Fachfrau sah mich nicht. Sie redete mit zwei älteren Kundinnen, die mich auch nicht sahen, sich aber mit Nachdruck links vor mich quetschten. Ich rückte samt Ware nach rechts und dotzte an einen wartenden Herren an, der gleich rief: „Diese Ware hier gehört aber nicht mehr zu mir.“ Ich lächelte weiter und diesmal beruhigend den nebenstehenden Mann an. Der mich irgendwie auch nicht richtig sah.

Kurz beschäftigte ich mich mit der Erfahrung, wie es wohl sein mochte, wenn man plötzlich unsichtbar werden würde. So etwas wird ja in Filmen ab und an zur Story. Auch das Schrumpfen oder Altern. Aber zurück zur Reality-Doku: Als ich endlich dran war, meine Gelenke waren bereits steif und mein Nacken schmerzte, fasste ich Mut: „Ich meine das jetzt nicht böse“, sagte ich zur mich nun abkassieren wollenden Fachverkäuferin, „aber war das Absicht, dass Sie mich nicht als erste bezahlen ließen, mich keines Blickes würdigten und stattdessen die beiden älteren Damen beim Vordrängeln unterstützten? Das war keine schöne Situation für mich!“ Die Verkäuferin war sehr freundlich, fühlte sich nicht angegriffen und sagte, sie sei mit der Situation überfordert gewesen – die älteren Damen hatten sich einfach Präsenz verschafft.

Es geht also doch. Es ist mir möglich, Haltung zu bewahren und Standing zu zeigen, ohne anderen verbale Gewalt anzutun. Und weil ich gerade so schön in Schwung bin, mache ich gleich weiter Nägel mit Köpfen. Bei der gut betuchten Manager-Familie, die ihren Hund jeden Abend, Winter wie Sommer, zwischen 21 und 22 Uhr im am Grundstück angrenzenden Waldstück frei laufen und andere Tiere verschrecken lässt. Das Gebell ähnelt einem Gebrüll und währt ziemlich genau eine Stunde. Mir fehlt jede Nacht eine halbe Stunde Schlaf, die ich mit klopfendem Herzen im Bett liege und mich über die Unverfrorenheit dieser Nachbarn ärgere. Seit gestern weiß ich aus einer Unterhaltung, dass ich nicht die einzige mit Schlafrhythmusstörungen und Wutgedanken bin. Also schreite ich zur Tat. Und Nils mit dem alltäglichen Fußball-Carport-Gedöns kommt als nächstes dran. Ich werde berichten.

17.07.2018


Keine Angst vor der Angst

Heute wundere ich mich mal nicht öffentlich darüber, dass im Edeka die Wassermelonen nicht an der Kasse gewogen werden können und gefühlte 50 Leute in der Feierabendschlange warten mussten, bis die Kassiererin die Melone zum Metzger und zurück geschleppt hatte. Ich lasse mich auch nicht darüber aus, dass die andere Kassiererin einem freundlich fragenden älteren Mann herablassend antwortete: „Iiiich? Ich mache die Kasse jetzt ganz bestimmt nicht auf. Vielleicht meine Kollegin…!“ Ich schreibe heute mal nicht über Ärger. Sondern über Angst.

Kennt ihr Angst, habt ihr Ängste? Ich glaubte bis vor einigen Jahren völlig furchtlos zu sein. Bis ich älter und vielleicht auch weiser, gepaart mit einsichtiger wurde. Tatsächlich habe ich Ängste: Ich habe Angst vor dem Alleinesein und davor, dass mein Mann vor mir stirbt (finde es aber gleichzeitig egoistisch, so zu denken). Ich fürchte mich seit geraumer Zeit vor Hunden, die mir keine eindeutigen Willkommenssignale senden (was sie vermutlich deshalb nicht tun, weil sie genau wie ich darauf warten – nur fehlt mir zum freundlichen Wedeln leider der Schwanz). Ich atme manchmal, wenn ich Auto fahre, eher flach (wahrscheinlich stehe ich dann kurz vor der monotoniebedingten Ohnmacht). Wenn ich das dann bemerke, öffne ich die Fenster, schnappe Luft und konzentriere mich im Anschluss auf meinen Atem. Beobachte ich den und mich dann so, atme ich zu schnell und mir wird angst und bange, während mein Herz wie toll klopft. Außerdem finde ich tiefe und undurchsichtige Gewässer unheimlich und im Wald, wenn da so ein stiller, stummer Mann ohne Hund in der Gegend rum steht, wünsche ich mir beim Joggen immer öfter ein Tränengasspray herbei. Womöglich sehe ich zu viel „Aktenzeichen XY ungelöst“ und sollte anstatt wie ein Kaninchen auf der Flucht einfach mal zum nächsten DM-Drogeriemarkt hoppeln und mir was Abstoßendes besorgen, das kein Parfüm ist. Und schließlich: ich will nicht vom Pferd fallen. Nicht noch einmal und nicht noch öfter. Aber die Geschichte mit dem Pferd und mir in freier Wildbahn – die Märchen von Waldgeistern und Kornfeen, falsch stehender Sonne und ungünstigen Sternenkonstellationen – die kennt ihr ja schon.

Jetzt habe ich mir also ein Buch über Angst gekauft und da steht jede Menge Interessantes drin. Beispielsweise habe ich nicht gewusst, dass wir Menschen lediglich zwei Ur-Ängste besitzen: die Angst vor großen Höhen und die Angst vor lauten Geräuschen. Diese angeborenen Ängste haben uns wohl zur Arterhaltung genutzt, sonst hätten wir sie ja nicht. Das zeigt schon einmal, dass Angst an und für sich etwas für uns Nützliches ist. Sie will uns schützen vor lauernder Gefahr. Wenn nun jemand beispielsweise eine große Angst (Phobie) vor Hunden hat, so ist diese mit ziemlicher Sicherheit erlernt. Das geschieht vorzugsweise in den ersten sechs Lebensjahren, wenn das Kind sich an den Eltern orientiert und sieht wie diese zu Hunden stehen. Nimmt das Kind Ängste mit konkretem Hunde-Bezug wahr, so übernimmt es diese durch die im Kopf wohnenden Spiegelneuronen. Will heißen: Wächst ein Kind mit Hunden im Haushalt auf und hat es infolgedessen Eltern, die Hunde mögen und mit ihnen umzugehen verstehen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Kind als späterer Erwachsener eine Hunde-Phobie entwickelt sehr gering.

Das Gleiche gilt jetzt für Spinnen, Menschenmassen, Aufzüge, Wasser, Feuer, Schlangen und was euch sonst noch so dazu einfallen mag. Aber auch für abstrakte Themen wie den Umgang mit Veränderungen, unglücklichen Liebesbeziehungen oder Jobs, die krank machen. Wenn Kinder die Eltern beim Durchhalten erleben, beim stoischen Weitermachen fern des persönlichen Wohlbefindens, kann es auch sein, dass diese Muster übernommen werden. Ängste als Störungsbilder oder auch Panikattacken kommen meist dann ins Spiel, wenn sich das erwachsen gewordene Kind in einer Lebenssituation verstrickt hat, in der es längst hätte handeln, sich retten müssen, jedoch zugunsten des geerbten Musters verzichtet hat. Dann übernimmt das Unterbewusstsein gewissermaßen die Steuerung und schickt mal die Angst ans Ruder, die das Leben fortan so quälend gestaltet, dass man ins Denken und Handeln gehen muss.

Doch zurück zu mir:

Hätte meine Mutter also damals, als ich mit etwa zehn Jahren das erste Mal vom Pferd gefallen bin, nicht solche Angst gehabt, wäre ich womöglich heute nicht so ein Weichei? Nein, so einfach ist es nicht ganz! Denn wir können uns ja als Erwachsene dem noch einmal stellen, was aber leider richtig Hirnschmalz erfordert. Der gedankliche Rückzug auf die prägenden frühen Jahre á la „Ich bin halt so und ich weiß sogar, weshalb“ kann leider als Ausrede nicht mehr gelten seit die Hirnforschung herausfand, dass das menschliche Gehirn wie ein Muskel trainiert werden kann. Das bedeutet: Sind unsere Ängste erworben, überwiegen Gedanken zum Angst einflößenden Lebenskontext bzw. zu den darin potenziell liegenden Gefahren. Die zugehörigen Strukturen im Hirn sind dann besonders gut trainiert während die positiven, zuversichtlichen und das Selbstvertrauen sichernden Spuren, die zu günstigen Erlebnissen und Ergebnissen contra die Angst führen könnten, unterrepräsentiert, weil schlicht zu schwach ausgeprägt sind.

Mittels einer wissenschaftlichen Studie fand man heraus, dass das für Orientierung zuständige Hirnareal von Taxifahrern in London um etliches voluminöser ist als das von Büroangestellten – auch daraus schloss man, dass das Gehirn lebt und sich weiterentwickeln kann wie ein Muskel. Man nennt das übrigens die Neuroplastizität des Hirns.

Falls ihr euch also an einer Angst stört, deren Herkunft ihr womöglich kennt, aber kein lebensbedrohliches Element darin orten könnt, dann achtet bitte bewusst darauf, was ihr in dieser Situation über euch und eure Bewältigungschancen denkt. Vor allem aber vergesst nicht, euch das vollendete positive Resultat vorzustellen und es zu genießen – wenn ihr es gedanklich immer und immer wieder durchgeht mit allen verfügbaren Sinnen, wächst genau die Hirnstruktur, die euch als Angstbezwinger zugutekommt.

Alles beginnt mit einem positiven und im Präsens formulierten Satz, der die Zielvorstellung auf den Punkt bringt. Bitte achtet hier darauf, dass ihr kein „Nein“ einbaut, ebenso wenig sollten negative Worte wie „angstfrei“, „furchtlos“ oder auch „entspannt“ (weil im Wort die Spannung steckt) darin vorkommen.

Beispiel-Satz zum Loswerden von Ängsten beim Autofahren oder vor Details wie Tunnels, die den mobilen Aktionsradius extrem beschränken:

Ich unternehme gerne spontane Autofahrten!

Stellt euch nun das Zielereignis visuell vor: Was seht ihr dann alles, was entdeckt ihr im Detail, wer oder was begleitet euren Weg, wo befindet ihr euch dann? Seht ihr eure rot belackten Hände am Lederlenkrad, vor euch leuchten die Dioden des Bordcomputers, draußen fliegt eine wundervolle Landschaft an euch vorbei, euer kühles Cola steht in der Mittelkonsole und der Mann eurer Träume sitzt neben euch?

Was alles hört ihr im Zielbild? Womöglich das angenehme Summen des Motors, das leise Knarzen des Ledersitzes, im Radio läuft euer Lieblingssong, ihr öffnet das Fenster und nehmt das Wummern des Luftzugs wahr.

Was alles spürt ihr? Hier könnten Gefühle von Freiheit und Abenteuer dabei sein und natürlich auch das bequeme Sitzen, der frische Luftzug auf der Haut.

Was alles riecht, schmeckt ihr…

Jetzt lasse ich euch mit eurer Phantasie alleine. Ich denke, ihr habt verstanden. Der Arbeitsanteil lautet: Geht das Zielereignis täglich für euch durch und benutzt eure Sinne für die Vorstellung. So bilden sich im Hirn neue Verknüpfungen, die eurer Furcht Beine machen. Und genau darin liegt die Crux: Wessen Leidensdruck (zum Glück) nicht groß genug ist, der hat keine Lust auf derartiges Mentaltraining, zumal es ja echt anstrengend ist. Der behält dann selbstgewählt seine Angst. Mir soll´s recht sein. Leben und leben lassen, sage ich nur. Sonst hätte ich ja auch zu der Melonenträgerin vom Anfang was gesagt, oder?

10.07.2018


Irgendwas ist immer

Meine zeit|raum-Kollegin Julia hat mich kürzlich gebeten, mal wieder über etwas Positives zu schreiben. Und glaubt mir, das würde ich auch sehr gerne. Auf die Dinge, die mir gegenwärtig widerfahren, scheine ich aber wenig Einfluss zu haben. Tatsächlich erinnern mich einige Ereignisse an den Song „Ironic“ von Alanis Morissette, in dem es ja um die Häufung bescheuerter Zufälle geht. Mir geht es genauso.

Dass kurz vor meiner ersehnten Griechenland-Reise mein guter Freund aus Studientagen an einer Krebserkrankung und für mich völlig überraschend gestorben ist und im Urlaub eine enge Freundin meiner Freundin an einem Schlaganfall, das zähle ich jetzt mal nicht zum oben Genannten. Das Adjektiv „bescheuert“ ist hierfür auch unpassend. Ich würde eher sagen, es ist zum k***** und wundere mich deshalb wenig, dass ich mich in den goldgelben Sand übergeben habe und im Anschluss einen Tag mit Magenkrämpfen im Bett verbracht habe.

Es sind eher Dinge wie diese: Ich sitze mit meinem Mann in einem Strandcafé und wir trinken Frappé mit Blick auf das tiefblaue Meer. Wir genießen schweigend. Bis ein alter Grieche angefahren kommt und nicht rechts und nicht links von uns, sondern direkt vor unseren Augen parkt. Das Meer war schlagartig weg. Ich blickte völlig verstört, gestört, zu dem aussteigenden Fahrer und fragte auf Englisch, ob er nicht vielleicht bitteschön ein wenig weiter woanders halten könnte. Konnte er nicht. Klar.

Auf unserer Hotelterrasse wohnt eine Schwalbenfamilie. Wir ergötzen uns an dem Anblick, dass die fünf Jungen tagsüber mit den Köpfen und am Abend mit den Schwänzen nach vorne im Bau hocken (zwecks Vermeidung von Netzbeschmutzung, vermute ich). Leider haben die lieben Kleinen alle paar Stunden Hunger und die Elterntiere alle Flügel voll zu tun, um die Brut satt zu kriegen. Auch nachts. Aus dem Zwitschern wird ein Kreischen. Auch nachts. Wir machten nur selten ein Auge zu. Denn wenn die Schwalben mal schliefen, schepperte es aus der Hotelküche oder Hunde schlugen an oder Menschen gaben laute Laute von sich. Da ist Nils zuhause Zucker!

An einem Abend kommen wir von einem Tagesausflug zurück und freuen uns auf ein Kaltgetränk auf der Terrasse. Leider kann sich nur einer setzen, denn der zweite Stuhl ist lehnenseits bereits besetzt. Und zwar von einer Art Eichelhäher-Küken, das uns mit seinen großen Glubschern neugierig beäugt. Niedlich, das Teil. Ich stehe ein wenig dumm in der Gegendrum und übe fränkisches Blödschauen, da tauchen die beiden Hotelhunde auf, erfreut wedelnd. Der Vogel verduftet, kommt aber mangels Tragweite nicht wirklich auf Distanz. Die Hunde lassen sich von meinem aufgeregten Kreischen gerade noch stoppen und sich rechts und links vom Küken zur Wache nieder. Ich beauftrage meinen Mann, die Hunde abzulenken (er hatte das missverstanden und ließ sich abschlecken) und versuchte mich im Vogelfang. Was für ein beträchtlicher Schnabel dem hysterisch quiekenden und flatternden Vieh schon wuchs, das fiel mir erst im Laufe des Prozesses auf, der leider zur Flucht führte, von der wiederum die Hunde ganz begeistert Notiz nahmen. Am Ende segelte das Küken auf eine andere Terrasse, wo ausgerechnet der saß, dem ich mich am wenigsten nähern wollte. Also überließ ich es seinem Schicksal und fragte mich, ob es nicht vielleicht doch besser gewesen wäre, die Hunde hätten es gefressen.

Der Mensch hatte in der Nacht zuvor – volltrunken – so laut gebrüllt und immer wieder lauthals seine Frau zur Schnecke gemacht, dass ich einen Gewaltakt befürchtete. Ich schlich zunächst in den Hotelgarten und versuchte, die Zimmernummer zu erspähen. Dann rief ich an der Rezeption an und riet, die Polizei zu benachrichtigen. Das Mädel vom Empfang war Anfang Zwanzig und tat mir dann echt leid als sie zum Nachgucken kam. Der ausschließlich griechisch sprechende Hotelgärtner, der sich mittlerweile zu mir in meinem Pyjama gesellt hatte, und ich, wir staunten nicht schlecht über die groben Worte und Drohgebärden des volltrunkenen Volltrottels. Leider kam bei einer der Schimpftiraden auch zutage, dass die angeschriene, reglos im Bett liegende Angetraute des Depps einen Gehirntumor hat und von daher momentan ungewiss war, ob sie überhaupt noch lebt (in Angebracht des Totalbesäufnisses). Also eilte mein medizinkundiger Gatte in die Höhle des Löwen, um die Vitalfunktionen der Kranken zu überprüfen. Der Gärtner und ich, wir ließen das Geschehen nicht aus den Augen. Ich vor allem meinen Mann nicht, um den ich wirklich Angst hatte, aber er kann das ja gut – psychisch Kranke deeskalieren. So gelang es ihm auch mit Volldepp, dem im cholerischen Koller zu allem Überfluss immer wieder die Türe zufiel. Ich weiß nicht, wie oft der Gärtner mit Ersatz-Zimmerkarte hin und her gerannt ist.

Als wir dann zwei Morgen später abreisen wollten, sahen wir die beiden – Volldepp und Krebskranke – bereits wieder rauchend (und wahrscheinlich erneut oder immer noch besoffen) auf der Terrasse sitzen, mit gepackten Koffern und noch immer dem Küken. An der Rezeption erzählte man mir, sie wären des Hotels verwiesen worden, weil es zu viele Beschwerden gab. Dass ich in der Nacht zuvor wieder nicht geschlafen hatte, konntet ihr euch wahrscheinlich schon denken. Ich war grundalarmiert, immer mit einem Ohr auf der Terrasse, bei den Schwalben, dem Küken und dem Volldepp, und natürlich hat mir das ganze Schicksal verdammt leidgetan. So ein Drama. Schlimmes Schicksal. Wieder mal.

Schließlich war ich froh, Hotel und Geschehen im geliebten Griechenland hinter mir lassen zu können. Im Flieger sitzend versuchte ich mich im Schlafnachholen, was ja gehen soll, habe ich neulich erst in einer Studie gelesen. Dann kamen Volldepp und Kranke hereinspaziert! Ausgerechnet in unseren Flieger… und neben mir waren noch zwei Plätze frei. Ich quetschte meinem Mann den Arm und beteuerte, keine Sekunde länger hier sitzen bleiben zu wollen, wenn es zum Schlimmsten käme. Kam es dann aber zum Glück nicht, sie nahmen zwei Reihen vor uns Platz und ich ging auf Tauschstation und atmete tief durch.

Manchmal ist das Leben eben auch gnädig, was gerade nötig ist, denn das Magenmittel geht schon wieder aus. Sorry, liebe Juli – du musst selbst zugeben: irgendwas ist immer.

27.06.2018


Leichtes Gepäck

Am Wochenende waren wir auf eine Hochzeit eingeladen. Eine Kollegin meines Mannes heiratete ihren Angetrauten nach 16 Jahren erneut – kirchlich. Die Zeremonie fand im auserwählten Kreise aus Familie, Freunden und wenigen Kollegen statt. Mir standen quasi unentwegt die Tränen in den Augen und falls gerade einmal nicht, war ich schlicht am Staunen.

Wenn ihr wollt, könnt ihr das jetzt auf die bestimmt in den Startlöchern befindlichen Wechseljahrshormone schieben. Ich habe andere gute Gründe für meine Befindlichkeiten geortet. Beispielsweise beispiellose Aufrichtigkeit und allgegenwärtige Liebe. Das völlige Fehlen jedweder Unstimmigkeiten und Bewertungen rundete den emotionalen Cocktail schlüssig ab und hauchte dem ganzen Erleben tatsächlich etwas Sakrales ein.

Nicht nur, weil der Ehemann seiner Frau ein rockiges Lied geschrieben hatte, das er selbst vortrug und im Singblatt zeichnete mit „Für meine Geliebte“. Sondern auch, weil die beiden während der gesamten Festivität statt Schnickschnack und Perfektionsstreben einfach unaufgeregte Lust auf ein fröhliches Miteinander zur Schau stellten. Auch das Wissen, dass die Gäste bewusst und nicht gezwungenermaßen ausgesucht waren, ließ das Event zu einem seltenen Segen für alle werden. Außerdem war ein Hund mit in der Kirche und das mag ich ja sowieso.

Doch mir geht über alle das Bemerkenswerte hinaus noch etwas anderes nachhaltig unter die Haut und das wühlt mich auch am heutigen Tag danach gehörig auf: Als die Gäste einander am Abend, im Wirtshaus, vorgestellt wurden, bedachte der Ehemann seine beiden Töchter mit schönen Worten. Zur Kleinen, einer wilden Fee mit bestimmt gelegentlichen Knutschkugel- sowie Satansbratenqualitäten, sagte er: Du bist die beste Tochter, die man sich wünschen kann.

Ist das nicht bewegend?

Wer von uns hat denn jemals so etwas gehört?

Gesagt gekriegt oder wenigstens geahnt – und zwar ganz unabhängig von Benimm und Leistung?

Da ich mir dessen bewusst bin, wie viele Menschen auch im höheren Alter unter den Lasten zu leiden haben, die während der prägenden Kindheitsjahre entstanden sind und später zu immer größeren Zerwürfnissen führten – zu Konflikten als lebenslänglichen Dauerbegleitern – knie ich mental nieder vor so viel Größe und Weitsicht.

Dieses Mädchen wird von Haus aus leichtes Gepäck mit ins Leben nehmen. Und jetzt sagt mir, dass euch das nicht anrührt. Dann sind es eben bei mir verflucht doch die Wechseljahre oder euch wurde als Kind ebenfalls dieses seltene Glück, ein wahrhaftes Geschenk zuteil.

Bleibt die Frage, ob die Kleine sich der großen Worte, die ihr unter anderem Leichtigkeit versprechen, als Erwachsene noch erinnert. Ich glaube nicht. Aber das Seelengedächtnis, die Psyche, wird sich schon daran laben, kann ich mir vorstellen. Es handelt sich ja schließlich um bekömmliche Kost, leicht verdaulich und gesund.

Ist schon unter diesen Denkaspekten eigentümlich, dass mich gerade in dieser Nacht ein Magendarmvirus befiel, der mir heftige Bauchschmerzen bereitete. Aber es ist wie es ist und ihr wisst ja: wenn es noch nicht gut ist, wird es schon noch werden.

29.05.2018


Lieber alleine zuhause

Ich war in den letzten drei Tagen, also rund um Pfingsten, öfter mal außer Haus unterwegs. Völlig freiwillig, das heißt, ich wandelte auf privaten Pfaden und verfolgte Freizeitinteressen. Allerdings überlege ich nun in Anbetracht der traumatischen Häufung abgefahrener Erlebnisse, ob ich in künftigen Fällen sogenannter Feiertage nicht lieber doch alleine zuhause bleiben werde statt mich outdoor sozial befremden zu lassen.

Mein verlängertes Pfingstwochenende fing am Freitagnachmittag noch ganz beschaulich mit einem Friseurbesuch an. Und ich war an und für sich auch ganz entspannt und vorfreudig bis dahin. Als meine Friseurin jedoch während sie meine Haare tönte, wusch, schnitt und fönte mehrfach mit ihrer Tochter telefonierte, die in einem Action-Painting-Kurs überdimensionierte Bilder produziert hatte und nun überrascht realisierte, dass sie diese nicht mit dem Fahrrad nach Hause transportieren konnte, wurde ich allmählich immer nervöser. Tatsächlich ist die linke Haarseite hinter dem Ohr aktuell etwas länger als die rechte. Aber was soll´s. Verglichen mit dem Syrienkonflikt ist das wirklich nicht der Rede wert.

Im Anschluss traf ich mich mit einer Freundin beim Griechen und wir wurden, wie üblich, mit einem Ouzo begrüßt, den wir beide nicht tranken. Wir waren angeregt in unsere Unterhaltung vertieft, als ich rechts von uns ein Kleinkind auf dem Schoß der vermutlich Mutter wahrnahm, das deren Ouzo staunend über Tisch und Schoß vergoss. Dem ersten Impuls, ihr meinen Ouzo geschwind rüberzureichen, kam ich nicht schnell genug nach. Denn ehe ich es mich versah, hatte das Kleinkind erneut einen Ouzo in den Pfoten, der wieder über Tisch und Schoß vergossen wurde. Ich starrte irritiert Richtung Erziehungsberechtigte, die das offenbar völlig normal fand (oder so tat als ob).

Wenig später wurde eben dieses Schnaps-Baby von einem etwas älteren Kind an unserem Tisch aufgebaut. Die Ouzopfoten krallten sich in unser Tischtuch und das größere Kind raufte dem Kleinen hingebungsvoll die noch lichte Haarpracht. Ich nehme an, das hat süß aussehen sollen. Wir reagierten ohne Absprache mit Ignoranz, zumal sich meine Freundin gerade in einem Bericht über die fünfköpfige Kindermeute in ihrer Nachbarschaft, angeführt durch den Schreihals Nils und seine geräuschresistente (autistische?) Mutter, in Rage redete. Ich hatte vollstes Verständnis und enormes Mitgefühl, denn auch bei uns gegenüber – und das wissen die regelmäßigen Blog-Leser – gibt es einen solchen Nils, der derzeit Hockey im Carport übt, manchmal mit seinem ebenfalls verhaltensauffälligen Vater. Wenn ihr das nach einem langen, anstrengenden Tag übersteht, das im Sekundentakt auftretende „Klackdiklackklackklack“, dann kann euch im Leben nicht mehr viel passieren.

Als ich später nach Haus komme, guckt mein Mann gerade eine Sendung mit Jürgen von der Lippe. Der beschreibt eine Begegnung mit Mutter und Baby im Fahrstuhl. Die Mutter will unbedingt, dass der Knirps die Tasten drückt, was er wohl nicht rafft. Von der Lippe wartet eine Weile und beschließt dann zu sagen: „Verehrte Dame, muss ich denn jetzt hier drin bleiben, bis Ihr Hoffnungsträger die Fahrstuhlführerprüfung schafft?“ und mich zerreißt es fast. Können Menschen wirklich so völlig frei von Umsicht sein?

Ja: Einen Tag später gehe ich mit meiner Freundin aus München spazieren. Wir unterhalten uns und werden plötzlich von einem Hund fixiert, dessen Frauchen ihm beherzt hinterherhechelt, um Einhalt zu gebieten. Puh, das scheint ja eine abgewendete Gefahrenlage gewesen zu sein, dachten wir. Bis der kleinste Köter aus der gleichen Meute überraschend abwendete und kläffend Kurs auf uns nahm. Kommenrtar Frauchen: „Das hat er noch nie gemacht.“ Ich lache wenig herzlich und sage ihr, dass mir dieses bescheuerte Statement neulich auch entfahren ist, als mein Hundefreund Lemmy meine Ansage ignorierte. Ich habe es zum Glück gemerkt, was ich da sage und mich sofort bei dem anderen beteiligten Frauchen entschuldigt.

Keine fünfzig Meter nach Klein-Kläffi kommen uns drei Frauen mit drei Hunden entgegen. Einer entscheidet sich gegen uns und springt mich an. Leise knurrend, aber immerhin. Gott sei es gedankt reicht er mir nur bis zu Wade, auf die ich notfalls hätte verzichten können. Ich frage das Frauchen: „Mal ganz ehrlich, finden Sie das in Ordnung?“ Die Antwort kennt ihr. Ich schnaube vor Wut und meine Freundin Eva sagt ganz gelassen „...die Menschen sind so. Keiner übernimmt mehr Verantwortung und – nein – es liegt nicht an dir, das sagt die wahrscheinlich dauernd zu irgendjemandem“, was es nicht wirklich besser macht. Meine gesunde Betriebstemperatur von 37 Grad ist längst überschritten.

Heute sind wir dann, auch zwecks Stressabbau, mit dem Fahrrad nach Nürnberg gefahren, mein Mann und ich. Wir haben ein Orgelkonzert in der Lorenzkirche besucht und sind im Anschluss ins Casa Pane, um eine Kleinigkeit zu uns zu nehmen. Vor besagtem Café hatten sich ziemlich professionelle Straßenmusiker aufgebaut. Vermutlich aus Ungarn. Jedenfalls war die Musik lustig, laut und über Geschmack lässt sich bestimmt nicht streiten. Mit Menschen, die pöbelnd diskriminierende Bemerkungen über eine solche Combo und Beschimpfungen für das teils wirklich begeisternd applaudierende Publikum keifen, allerdings schon. Ich rief zu der Gift absondernden Ziege „dann gehen Sie doch einfach woanders hin“ und überlegte, ob ich ihr einfach einen Kaffee ausgeben sollte, damit sie, die an einem leeren Tisch saß, wenigstens einen anderen Grund finden könnte zu bleiben als ihrer Mitmenschheit auf den Keks zu gehen. Mit Erleichterung nahm ich, bevor ich die gute Tat umsetzen konnte, eine Taube wahr, die sich zwischen Schaufenster und Tresen des Cafés verfangen hatte. Ich befreite das aufgescheuchte Tier und wir fuhren nach Hause. Hier bleibe ich nun erst mal. Mindestens bis morgen und in der Hoffnung, mein Glaube an mich, das Leben, die Menschen und die Welt an sich ist bis dahin wieder einigermaßen im Lot.

23.05.2018


Work-Life-Balance

Solltet ihr euch gewundert haben, dass ich so lange abwesend war, blogtechnisch: Es gibt mich noch, ich bin nicht von den schottischen Schafen absorbiert oder vom Winde verweht worden. Ich bin nur tierisch beschäftigt mit dem Arbeitsansturm und dabei das nicht zu vergessen, was ich euch immer ans Herz lege – die Work-Life-Balance.

Noch gelingt sie mir ganz gut. Wenn auch die Grenzen zwischen An- und Entspannung immer mehr verwischen. Jetzt gerade zum Beispiel sitze ich auf der Graskoppel meines Pferdes im Schatten und während die Zicke friedlich zwischen Glockenblumen und Margeriten äst, schreibe ich euch mal wieder eine Botschaft. Ob das wirklich so gedacht ist mit der Balance?

Das kommt auf die Betrachtung an. Ich wähle eine innovative: Da mein Gut Zeit gerade sehr knapp ist, balanciere ich mit den kleinsten Einheiten, die man sich nur vorstellen kann. An meinen meisten Tagen ist gerade so viel Aktion auf der Agenda, dass ich mich frage, wie das alles in die verfügbare Wachzeit passen soll. Also beweise ich mir selbst, dass ich nicht zwingend untergehen muss, auch wenn mir das Wasser gerade bis zum Hals steht. Ich lächle und atme und weiß, auch das geht vorüber. Das ist schon mal die geeignete Grundhaltung. Und mit der lässt sich mächtig was stemmen.

Heute Morgen, ein Samstag, bin ich um kurz nach 5 Uhr aufgestanden. Im Anschluss habe ich mich sofort an das Zusammenrühren der Zutaten des Erdbeerkuchens für den morgigen Muttertag gemacht. Während der Teig im Ofen buk, bin ich joggen gegangen. Das erste verbuche ich als Work (Teig), das zweite als Life (Laufen). Bei meiner Rückkehr begegnete mir mein Mann im Keller, der mich – in Anbetracht des Kuchens, der alleine im Backrohr vor sich hin blubberte – verwundert (vielleicht war es auch bewundernd?) anglotzte. Rasch nahm ich die Treppen als Workout-Finish und befreite das Backwerk noch vollends im Zeitplan. Im Anschluss zog ich flugs meine Reitklamotten über und fuhr – Kaffee trinkend (Life) ins Büro, um dort einen Bericht zum Teamsetting von Freitagabend zu produzieren und zu verschicken (Work). Wie gewollt fuhr ich um 9.30 h – den Rest-Kaffee schlürfend (Life) zu meinem Pferd, um es auf dem Platz reitend zu bewegen (sie bewegte mich – also Work). Jetzt sitze ich im Schatten und schreibe (Work-Life), während ich gedenke, um 12.30 h zuhause zum Brunch in Erscheinung zu treten (Life) und meinen Mittagsschlaf zu halten (Life). Später werden wir noch radelnd shoppen gehen (Doppel-Life). Hoffentlich habe ich bis dahin schon geduscht – obwohl ja besondere Zeiten auch mal besondere Maßnahmen, Rationalisierung, rechtfertigen. Vielleicht spare ich mir das Duschen und wünsche mir einfach ein Gewitter*, wenn wir aus der Stadt zurückradeln. Das spart auch Zeit. Und essen können wir auch unterwegs. Habe ich erst neulich gesehen, dass das geht. Und ob ihr es glaubt oder nicht, der junge Mann hat freihändig Fahrrad fahrend mit Stäbchen asiatische Nudeln gefuttert. Was der kann, das kann ich doch bestimmt auch.

Ob ich auf meinen derzeitigen Lebensstil stolz bin? Nein, natürlich nicht! Ich weiß mir nur nicht anders zu helfen. Glücklich bin ich allerdings darüber, dass ich vorhin trotz meines unablässigen Balancierens (Work-Life) das Eichhörnchen, das ebenso aufgescheucht wie ich auf die Straße und zurück und wieder auf der Straße rannte, um am Ende doch vor meinem Auto auf die andere Seite zu wechseln, n i c h t überfahren, sondern stattdessen eine Vollbremsung hingelegt habe (Life), bei der mir meine mittlerweile im Auto befindlichen fünf angetrunkenen Wasserflaschen geräuschvoll um die Ohren flogen. Achtsam bin ich also noch, wenn das auch zwischenzeitlich harte Arbeit geworden ist.

 

*Anmerkung: Es gewitterte just in dem Moment, in dem wir uns in der Innenstadt aufs Rad schwangen. Wir wurden wie bestellt nass. Allerdings hatte ich bereits geduscht. Mist.

15.05.2018


Wer Kampf ansagt, kriegt Krieg

Gestern bei der Echo-Verleihung stieg Campino mit Kollegah und Kollege in den Ring. Zur Sache will ich mich gar nicht groß äußern. Nur darüber, dass Krieg zu Krieg führt – und dieser Mangel an Auseinandersetzungs- und Reflexionsfähigkeit widert mich nicht erst seit Trump regelmäßig an.

Hat jemand von euch gestern die Echo-Preisverleihung auf VOX verfolgt? Ich konnte nicht anders, weil ich erst um 21 Uhr von einem Vortrag nach Hause und nicht so schnell runterkam. So ein richtig guter Alternativplan zum Bett war das allerdings nicht. Ich habe mich aufgeregt. Hier das, was mich genervt hat, in etwa dieser Reihenfolge:

  • Deutsche Sänger und Bands, die alle gleich klingen und zwillingshaft aussehen
  • Komisch geschriebener Wincent Weiss, der in seiner Dankesrede ständig „Scheiße“ und „Fuck“ sagte und allen schon einmal androhte, sich gnadenlos zuzuballern bei der After-Show-Party (mein innerer Kritiker fasste sich ermüdet ans Hirn)
  • Helene Fischer, die ich einfach nicht mehr sehen kann (hier kann man gut erkennen, das Perfektion auch nicht alles ist)
  • Kollegah und seine diversen Rapper-Kollegen – ich vermute stark, dass ich diese Künstler samt ihrer Kunstwerke einfach nicht verstehe (meine Schuld)

Alt-Punk Campino fasste sich ein Herz und wetterte auf einigermaßen diplomatische Weise gegen diesen Kollegah und Farid Bang, die in ihrem beknackten Song den überflüssigen Satz über das Körperschema von Auschwitz-Insassen missbrauchen mussten. Ja, Kunst hat Grenzen – bin ganz deiner Meinung, Campino. Kunst. Alles andere wohl eher nicht. Jedenfalls war klar, dass eine Retourkutsche folgen würde. Da hat der Farid doch glatt den Hintern in der Hose besessen und während der Veranstaltung ein Campino-Porträt hingerotzt, das den Kampfgegner als Engel zeigt. Ach Gottchen, wie hübsch.

An was ich euch aber erinnern wollte: Wer Kampf sät, erntet Kampf. Wer sich als Weltverbesserer aufmacht, bekommt Gegenwind. Wer in den Ring steigt und Ansprachen von oben herab hält, wird abgewatscht. Das ging mir letzte Woche genau so, Campino, als ich in unserer nur suboptimal gemeinnützigen Stall-Whats-App-Gruppe bekundete, es gemein gefunden zu haben, dass jemand fotografiert wie ein anderer vergaß seinen Dreck wegzukehren. Besagte Kritikerin erteilte mir wenige Tage später Leckerli-Verbot für ihr Pferd.

Menschen sind so und dazu braucht es keine geschmacklose Textzeile. Es reicht schon einfach, wenn du anderen den Blickwinkel erweitern oder das kollektive Miteinander optimieren willst. Ungefragt. Die Watsche hat mich jedenfalls getroffen. Kollegah wahrscheinlich seine nicht. Vermutlich hat der Cobrakopf einfach seine Sturmmaske auf oder erlebt mangels neuer Freunde seine ganz persönliche Mondfinsternis. Was weiß ich.

13.04.2018


Blut ist dicker als Wasser

Schon wieder ein Blog zum Thema Streit. Dabei kann ich wirklich nichts dafür. Genau genommen bin ich nicht einmal betroffen. Höchstens beteiligt. Als Beobachter. Manchmal genervter.

In unserer kleinen Familie brodelt es mal wieder. Ich habe mir diesmal vorgenommen, mich herauszuhalten. Schließlich sind alle erwachsen, niemand benötigt einen Anwalt oder Fürsprecher und beide Rollen stehen mir auch gar nicht zu. Allerdings ist mir über Ostern klar geworden, wie wichtig es sein kann, sich die Zeit zu nehmen und die Nerven zu haben, einfach mal zuzuhören und nachzufragen, den Menschen Gehör zu schenken und Raum, sich verstanden zu fühlen.

Sich komplett rauszuhalten hatte für mich den Zweck, weiterhin gut schlafen zu können. Ich habe in meinen fast fünfzig Lebensjahren gelernt, dass ich die Menschen nicht ändern und ihre eigenen psychischen Wachstumspäckchen nicht auflösen kann. Zusätzlich habe ich als Coach erfahren, wie leicht es ist, involviert zu werden, indem man Stellung bezieht und sich womöglich doch auf eine Seite schlägt. Dann ist man mittendrin und wird schnell selbst zum Anschürer oder Angeklagten.

Die Rettung könnte auf ganz anderem Wege nahen. Wenn sich nämlich Konfliktträger klar darüber würden, dass unsere Lebenszeit begrenzt ist. Mit diesem Bewusstsein ließe sich vieles relativieren. Auch der Wahrnehmungspositionswechsel, die Suche nach dem Motiv des jeweils anderen, könnte enorm erleichternd sein, denn eine „böse Absicht“ steckt selten hinter dem Handeln. Vielmehr verteidigen die Menschen sich und ihre Werte, ihre Sicht auf eine Sache. Könnte der ein oder die andere hier einmal abstrahieren und verstehen, dass es nur kurzfristig Genugtuung bereitet, in der Sache Recht zu behalten, wir aber die Beziehungen aufs Spiel setzen und einen dauerhaften Bruch riskieren, wäre allen geholfen.

Ja, allen. Wenn die Beziehung zum jeweils anderen es schon nicht wert ist, sich in Güte, Milde und Vergebung zu üben, so könnten es ja auch noch ein guter Grund sein, verhärtete Positionen zu überdenken, weil man andere Lieben entlasten möchte.

Und im Notfall, wenn wirklich keiner zu einem Entgegenkommen bereit ist, dann ist das halt so und zu akzeptieren. Ohnehin scheint es in Familien völlig normal zu sein, dass sich Geister scheiden. Vielleicht hat irgendjemand versäumt, uns das in unserer Kindheit mitzugeben für den späteren Lebenspfad. Gespeist von Idealen, die kaum jemals in der Realität gelebt werden, hecheln wir ständig der allumfassenden familiären Harmonie hinterher und der innigen Verbindung für die Ewigkeit. Blut ist dicker als Wasser, gell? Nur sehe ich das da draußen so gut wie nie in den Familien. Ich sehe Kleinigkeiten, die zu großen Eklats führen. Ich sehe Fehlinterpretationen („Unverschämtheiten“), die auf ein suboptimales Selbstwertgefühl gründen, so dass man sich immer gleich persönlich gemeint und angeklagt fühlt. Ich sehe Verletzungen, die über Jahrzehnte verschleppt statt angesprochen worden sind und ausgelöst von aktuellen Belanglosigkeiten mit unsäglicher Explosivität – unverhältnismäßig – eskalieren. Ich sehe enttäuschte Erwartungen, von denen leider keiner etwas wusste. Ich sehe Geltungsbedürftigkeit, die Menschen zu Übergriffen veranlassen. Und ich sehe Antipathie, die dazu führt, dass eine Beziehung einfach nur so weit trägt wie weiße Flaggen sanft im lauen Lüftlein wehen.

Ich sehe verfeindete Schwestern und bissige Schwägerinnen, Mütter, die neue Lebensgefährtinnen der Söhne nicht kennen lernen wollen, weil sie sie für Ehebrecherinnen halten und enterbte Kinder, weil sie die falschen Menschen geheiratet haben. Ich sehe Familien an Schwachsinn zerbrechen – überheblich, weil die eigenen Werte für allmächtig und die der anderen für nichtig erklärt werden.

Nur selten orte ich reflektierte Menschen, die andere sein lassen können und aus ihrer eigenen Fehlbarkeit Nachsicht generieren. Sie wandeln mit der Gewissheit auf der Welt, dass sie im Glashaus sitzen und haben deshalb schon lange aufgehört, mit Steinen auf andere zu werfen. Was übrigens immer einfacher ist, als sich zu fragen, mit welchem eigenen Zündstoff man den Konflikt angefacht, was man selbst beigetragen hat.

Ja, auch du und du. Wir alle haben Ecken und Kanten und Macken und Schrullen. Wie wäre es, wenn wir alle bereits beim Baby-Konflikt genannt Missverständnis das Gespräch mit dem anderen suchen, statt uns über Dritte zu erleichtern, so dass es ein Hintenrum-Gerede gibt und die Gerüchteküche brodelt, was die miese Sache immer schlimmer macht?

Die Entscheidung, wie wir mit Unstimmigkeiten umgehen wollen, obliegt uns allen ganz alleine und sie ist im Grunde ganz unabhängig vom Anlass, über den man sich entzweit. Ich finde sie im Grunde ganz einfach und habe folgende Schlüsse gezogen:

  • Wir müssen nicht jeden lieben und auch nicht die ganze Familie oder jeden Freund aus Kindheitstagen.
  • Wenn wir aber Wert darauf legen, langjährige Verbindungen zu behalten, können wir auch weiterhin Kontakt pflegen – auch wenn wir denjenigen nicht (mehr) lieben und nur manches an ihm mögen.
  • Wie wir den Kontakt gestalten, können wir ausprobieren und immer wieder neu definieren. Gibt mir eine langjährige Freundin nur noch wenig Aufmerksamkeit, weil sie auf sich und ihre Belange fokussiert, treffe ich sie halt seltener. Werden gemeinsame Familientreffen zur schrulligen Schaubühne, rufe ich zu Feiertagen halt nur noch an oder besuche die Menschen einzeln.
  • Wenn ich Menschen sehr schätze, versuche ich achtsam und liebevoll zu sein – wie jemand, mit dem man sich gerne umgibt. Gleiches mit Gleichem heimzahlen, aus dem Kontakt gehen, um den anderen zu „strafen“, verbale Spitzen abzusondern, um zu einer Reaktion zu provozieren? All diese Manipulationen versuche ich, mir und anderen zu ersparen. Meistens.
  • Wenn mich Menschen in ihrem Umfeld als verzichtbar empfinden – das können übrigens auch Familienmitglieder sein – und diesen Eindruck durch Kontakt-Passivität und Desinteresse an meinem Leben verstärken, m u s s ich keine Nähe suchen oder die Verbindung halten. Nur darf ich dann auch nicht mit dem vermeintlichen Verlust hadern, sondern die Konsequenzen zu tragen bereit sein.

Ich habe fertig. Seid friedlich!

04.04.2018


Streiten will gelernt sein

Was mir derzeit gehäuft begegnet: Konflikte und ihre verheerenden Auswirkungen. Was ich mich in Anbetracht dessen ständig frage: Worauf warten die Menschen eigentlich – auf den sicheren Absturz?

In meinen Seminaren fließen derzeit häufig Tränen. Völlig unerheblich, ob ich eine Führungsklausur gebe, einen Workshop zum Thema Stimmungsmanagement halte oder interveniere in Sachen Burnout-Prävention – ständig weint jemand. Und dahinter stehen gerade ungelöste Konflikte, die auf der Beziehungsebene schwelen, bis einer der Betroffenen in die Krankheit flüchtet oder den Arbeitsplatz für immer verlässt.

Ich hinterfrage, analysiere, motiviere und tröste. Doch mir sind die Hände gebunden, so lange ich keinen Auftrag habe. Alarmierend finde ich es, wenn der Personalrat bereits im Spiel ist. Denn von daher scheint selten Mediationsbereitschaft zu kommen. Vielmehr werden die vermeintlichen „Täter“ unter Druck gesetzt. Drohungen helfen nur leider nicht wirklich weiter oder gar raus aus der Misere. Sie führen nur dazu, dass mindestens einer („das Opfer“) gestärkt und mindestens einer („der Täter“) verunsichert wird.

Falls der Täter eine Führungskraft ist, übrigens ja auch ein Mitarbeiter des Unternehmens und ebenso schutzbedürftig, unterbleibt bei Personalrat-Drohung in Zukunft nicht nur jedwedes Steuerungsverhalten, sondern auch irgendein Wort zum Opfer. Könnte ja das falsche sein. Sendepause also. Da jedes Opfer einen Fanclub um sich schart – der Mensch neigt ja dazu, sich zu verstärken, wenn er der Sache nicht Herr werden kann – verliert die Führungskraft nach kurzer Zeit an Handlungsvermögen und Durchsetzungskraft. Sind dann im Team ohnehin ein paar „dominantere“ Mitarbeiter, kann der Chef oder die Chefin eigentlich gleich einpacken.

Ist der Täter im Kollegenkreis angesiedelt, bleibt das mit den Fanclubs gleich. Nur sind es diesmal vermutlich mindestens zwei – der Fanclub des Täters u n d der des Opfers. Auch hier kann die Führungskraft im Prinzip gehen, weil das Team irgendwann nicht mehr führbar ist. Zu heterogen sind die Motive und Interessen und die Arbeitseffizienz lässt eh zu wünschen übrig.

Warum reden die Menschen nicht rechtzeitig miteinander und zwar bereits beim kleinsten Missklang und direkt, eins zu eins? Weshalb wollen so wenige Kleinigkeiten aus der Welt schaffen, bevor ein großes Gezeter entsteht? Trauen die Menschen sich die Konfrontation nicht zu, fühlen sie sich zu schwach? Haben Sie Angst vor dem Worst Case? Was soll denn aber nach einem eskalierten Konflikt noch kommen, der dann am Ende nicht mehr zu befrieden, geschweige denn zu lösen ist? Das Happy End?

Unbehandelte Konflikte werden immer schlimmer. Und damit meine ich: immer. Die Möglichkeit, dass eine der mindestens zwei beteiligten Personen an einem Tag in der Zukunft früh aufwacht mit renovierten Einsichten, die zum Umdenken und anders Handeln animieren, ist völliger Humbug.

Stattdessen wird also weiter gewartet und hintenrum geredet. Bis irgendwann bei irgendwem von beiden die Energie alle ist. Einen Konflikt zu haben, das bedeutet jeden Morgen mit dem Bewusstsein zur Arbeit zu gehen, dass ich dort meinen vom Feind zum Hassobjekt gewordenen Gegner antreffe. Ich muss vorsichtig sein. Beobachten. Darf nichts verkehrt machen. Muss wachsam sein, um mir kein Missgeschick des anderen entgehen zu lassen. Wer weiß, wozu ich meine ganz private Fehlersammlung noch brauchen kann. Wenn nicht zur Selbstverteidigung, dann womöglich zur Vernichtung des Gegenübers.

Lohnt sich das wirklich? Wo ist denn da der Profit? Ich sehe nur Verluste und zwar auf allen beteiligten Seiten. Und – ja – beteiligt sind wir alle, die wir von Konflikten mittelbar oder unmittelbar betroffen sind. Egal, ob wir im Auge des vernichtenden Orkans aktiv sind oder passiv bleibend am Rande Schutz suchen. Wir könnten alle etwas tun oder unterlassen, um die Lage zu klären oder zumindest zu verändern, einen Impuls in das miese System senden. Da aber keiner etwas tut, tut sich nichts.

Also fließen die Tränen in meinen Workshops vermutlich weiter und ich sage immer dasselbe: „So kannst du das nicht lassen! Tu´ etwas, suche das Gespräch mit dem anderen, beziehe die Führungskraft oder die nächste Ebene mit ein – um deiner selbst willen!“

Als hilfloser Helfer fühle ich mich dabei nicht. Auch Worte sind Energie und sie kommen an. Ich weiß es. Nur wann, das weiß ich nicht. Und obwohl wir heute in Sekundenschnelle Nachrichten um die ganze Welt schicken können, so kann es doch ziemlich dauern, bis ein Wort vom Schädeläußeren ins Bewusstsein dringt. Also warten wir es ab und hoffen und wünschen das Beste für alle Täter, Opfer und Gestalter da draußen. Erleuchtung und Vergebung, beispielsweise.

27.03.2018


Die Socke ist nicht schuld

Wenn ich Kommunikationsseminare halte, rede ich oft – beispielhaft – von den achtlos auf dem Wohnzimmerboden liegen gelassenen Socken als Streitobjekt. Regulär ernte ich damit Gelächter. Von den weiblichen Anwesenden, versteht sich. Wusstet ihr aber, liebe Leserinnen u n d Leser, dass die Socke an sich absolut unschuldig ist?

Genauso ist es jedoch. Das eigentliche Problem hinter der Socke oder hinter der skrupellos zusammengedätschten Zahnpastatube, dem Dreck auf dem eben noch blitzblank geputzten Küchenboden oder den auf die Herkunft des Drecks Schlüsse zulassenden, schwungvoll von den Füßen gekickten Schuhen im Flur ist in den meisten Fällen Stress. Nicht nur Studien, sondern auch meinen eigenen Beobachtungen zufolge sind die meisten Menschen tagtäglich am Rande ihrer Kräfte und überfordert vom Leben. Da kann jetzt wiederum das Leben nichts dafür, sondern die eigenen hohen Ansprüche an die Ausführung der meist viel zu vielen Rollen regeln das Belastungsbarometer gen Limit.

Neulich habe ich mit einer Burnout-Kandidatin im Seminar darüber diskutiert, warum sie glaubt, nur eine gute Mutter zu sein, wenn sie täglich frisch kocht (und ob sie wirklich meint, es sei schon einmal ein geliebtes Kind an einer Fertigpizza gestorben). Und eine andere Mutter konnte kaum still sitzen und nutzte jede Gelegenheit, mit ihrem zuhause auf die Kinder aufpassenden Mann darüber zu korrespondieren, ob er seine Sache richtig macht; sie konnte offenbar kaum fassen, dass Haus und Hof auch einmal ohne ihre Präsenz überleben konnten. An alle da draußen – das könnten jetzt übrigens auch Männer sein –, die sich gerade irgendwie berührt fühlen: Wenn ihr noch mehr Stress wollt, dann realisiert bitte alle eure Lebenspläne gleichzeitig! Baut ein Haus, wenn das erste Kind ein Säugling ist, sorgt so bald als biologisch möglich für das zweite, treibt währenddessen eure Karriere voran, bringt euch in den Zwiespalt aus Elternrolle, Überflieger, Hausmeister und Financier – und schafft euch gleich noch einen Hund an! Dann regt euch bald auch die Socke auf, ich schwöre.

Herumliegende Socken und dergleichen andere Störfaktoren dringen in Lebensphasen, für die Überforderung Standard ist, immer verstärkter ins Bewusstsein. Irgendwann knallt es und weil ja das ebenfalls im Haushalt lebende und somit gleichfalls vom Stress betroffene Wesen ebenso strapaziert ist, rappelt es im Karton mindestens hoch zwei. Sind wir erst einmal auf Socken-Themen sensibilisiert, fällt gemäß selektiver Wahrnehmung gleich das nächste und übernächste Defizit des Partners auf und wenn man diesem Prozess seinen Lauf lässt, wird womöglich irgendwann nichts Positives mehr zu finden sein.

Negative Erlebnisse haben in unserem Hirn mehr Gewicht als erfreuliche. Wir sehen also tatsächlich bald das Schöne nicht mehr, das, was uns hält und gefällt und was wir lieben. Ein probates Mittel, um dieser in den partnerschaftlichen Abgrund führenden Dynamik zu entkommen, ist die 5:1-Regel. Sie bedeutet, dass wir für jedes „Manko“ des Partners mindestens fünf angenehme Aspekte benennen können (sollten), um unsere Hirnbewertung zu relativieren. Diese fünf so genannten Ressourcen können Charakterzüge oder Gesten sein. Der mitgebrachte Blumenstrauß, das mit netten Worten versehene Post-it am Kühlschrank, die Lieblingsschokolade, das Leibgericht – nicht umsonst heißt es, dass kleine Geschenke die Freundschaft erhalten und warum sollte das nicht auch in der Partnerschaft so sein.

Nur darf man sich diese Dinge nicht nur vom Partner erwarten, sondern sie auch selbst zu geben bereit sein. Für den Partner ist der andere im akuten Stress-/Streitmoment ja auch Nervensäge, statt Tankstelle. Alleine ist nie jemand von irgendetwas betroffen, beteiligt sind wir alle am Gesamtgeschehen, die wir in Beziehungen leben. Also lasst uns damit beginnen, selbst Vorbild in Sachen partnerschaftlicher Achtsamkeit sein und mit exzellentem Beispiel vorangehen. Und übrigens: Selbstfürsorge ist n i c h t Sache des Partners, nicht er oder sie muss uns unsere Wünsche von den Augen ablesen, wir selbst müssen dafür Sorge tragen, dass wir einigermaßen geistig frisch und körperlich fit bleiben.

Sollten wir uns das schon nicht zugestehen, hauszuhalten mit unseren Kräften, wird es schwierig mit dem konstruktiven Beziehungsführungsvermögen. Wer ist schon gerne mit jemandem zusammen, der seine eigenen Bedürfnisse nicht kennt oder ernst nimmt und benennt und sich mustermäßig an seine Grenzen bringt? Der ständig explodiert und selbst die betagteste Socke verschreckt, die wahrlich schon einiges mitgemacht hat? Am Ende will euch auch der Hund nicht mehr, das kann ich euch sagen. Also übt euch in Freundlichkeit, Güte und Milde und fangt noch heute bei euch an! 

13.03.2018


Leben ist wie Kuchen backen

Heute habe ich einen Orangenkuchen gebacken. Ich bin bisher keine große Bäckerin gewesen, insofern ist so eine Aktion für mich jedes Mal Neuland und überaus spannend. Die Gelinggarantie war diesmal im Rezept inkludiert. Doch das Unternehmen drohte trotzdem zu scheitern. Wie das Leben halt so spielt...

Ich war an diesem sonntäglichen Morgen extra um halb sieben aufgestanden und habe mir Zeit für das Backwerk genommen. Noch etwas müde stellte ich alle Zutaten, Gefäße und – ganz wichtig – die Waage parat. Mein Handy lag auf dem Herd, damit ich das Rezept immer vor Augen haben konnte. Der Ofen war bereits vorgeheizt. Ich begann die Zutaten zu bemessen und beim „schaumig Rühren von Ei und Zucker“ kam mir die Ware merkwürdig, weil extrem schlapp vor. Ich rückte meine Lesebrille zurecht und warf einen prüfenden Blick aufs Handy, das zwischenzeitlich neue Whats App-Botschaften vermeldete. Ich las sie und antwortete mal eben schnell. Als ich zurück zum Rezept switchte, fiel mir glücklicherweise auf, dass ich den Zuckeranteil falsch bemessen hatte. Also rein mit der fehlenden Raffinade – und siehe da, schon schlug die Masse schaumige Blasen. Ich forderte nun meine volle Konzentration und lies mich von nichts mehr ablenken, bis ich schließlich keinen Teig vor mir hatte, sondern einen cremigen Brei aus Öl, Orangensaft, Mehl und besagtem Schaum. So konnte das auf keinen Fall ins Backrohr! Also beschloss ich mutig, so viel mehr Mehl zuzugeben, bis die grobe Anmutung eines Teigs entstand.

Am Ende kam ein ganz ansehnlicher Kuchen dabei raus. Er war gut in Form, duftete nach Sommer und schmeckte. Bis jetzt haben ihn jedenfalls alle Beteiligten, die engste Familie, überlebt – so deute ich zumindest die fehlenden telefonischen Rückmeldungen. Aber der Verzehr ist ja auch erst wenige Stunden her.

Jedenfalls habe ich selbst aus diesem lapidaren Vorhaben, das letztlich im Magen landete, etwas gelernt:

  • Setze dir ein Ziel, das du auch wirklich erreichen willst (Motivation) und überprüfe, ob du die nötigen Fähigkeiten sowie Ressourcen zur Zielerreichung hast (Energie, Zutaten & Co.) – notfalls mache es dir lieber leicht, als zu schwer
  • Überlege dir genau die nötigen Schritte und bereite dich gut auf die Durchführung vor
  • Fokussiere dein Ziel und widme dich ihm mit ganzer Konzentration, lasse dich von nichts ablenken
  • Bei drohenden Misserfolgen oder tatsächlichen Rückschritten sei mutig und experimentiere – wenn du auf dem Weg planlos bist, setze auf die Strategie „trial and error“
  • Gib deinen Projekten eine individuelle Note und die nötige Freiheit – nur weil andere auf einen Orangenkuchen einen Orangenguss machen, musst du das nicht auch so machen (ich habe dunkle Schokolade gewählt – lecker!)
  • Und dann packe es an oder backe es fertig und freue dich an deinem Erfolg

Und die Moral dieser Geschichte: Selbst Kuchenbacken kann ein Lernpaket sein. Wie das Leben eben. Lasst es euch schmecken!

06.03.2018


Karrierefaktor SelfSelling

Ich befasse mich im Moment mit dem Thema Selbstdarstellung. Nein, ich glaube nicht, dass ich (noch) mehr davon bräuchte. Ich bin ganz zufrieden. Aber viele andere da draußen sind es nicht. Also wird´s ein Workshop…

…und der ist nicht ganz neu, aber liegen geblieben auf halber Strecke und von anderen, akuteren Themen überholt. Jetzt muss ich aber ran, denn der Workshop ist gebucht und wird bald gehalten werden. Und zwar von mir. Also habe ich schon einmal begonnen, mich gedanklich heranzupirschen. Ich finde nun, meine Angst vor kognitiven Einbußen, wie im Blog-Artikel von letzter Woche beschrieben, war übereilt. Denn ich habe am gestrigen Sonntag die wohl treffendste Frage für die künftigen Teilnehmer des Seminars SelfSelling gebrainstormt: „Wer bist du und für was willst du gehalten werden?“

Die Frage kam mir während ich DSDS geguckt habe. Ich schaue die Castings immer wieder gerne und nicht, weil ich so ein großer Fan von Gegenwartsgedüdel bin oder ein Voyeur – freilich gibt es auch zum Schämen reichlich. Ich schaue das aus beruflichen Gründen: Es gibt quasi keine andere Sendung, die vor meiner Schlafenszeit läuft und einen ähnlich hohen psychologischen Gehalt hat wie DSDS. Wenn sich nämlich hier jemand gut darstellt und kann, was in diesem Format verlangt wird, hat er super Chancen. Es geht nicht ausschließlich um Schönheit. Auch nur das Können reicht nicht, wenn jemand nicht die ohnehin sehr locker definierte Optik oder das Bewegungsvermögen für die Bühne hat. Im Kontext DSDS werden Menschen gesucht, die ganzheitlich Talent besitzen, singen und sich sehen lassen können – und die nicht zuletzt dem Stress, der Belastung, dem Leistungsdruck gewachsen sind.

Da kam am Samstag ein Kandidat, von dem – da wette ich – haben 80 % der Zuschauer gedacht: „Oh weh, bestimmt hält der sich nur wieder für genial, aber pfeilgrad aus den gängig als genehm geltenden Gehörpräferenzen raus.“ Und dann kam aus diesem eher unscheinbaren und ein wenig suboptimal zurechtgemachten Menschen eine derart umwerfende Stimme raus! Selbstdarstellung wird jetzt bestimmt nachgeschult, weil das Talent so außerordentlich war.

In der selben Sendung trat eine junge Frau auf, der es offenbar ingesamt an Sendungsbewusstsein mangelte. Sie trug leider eine ihre Figur auf sehr uncharmante Weise betonende Hose – die von Nena in den 80ern hip gemachten Streifen zogen und bogen sich zu psychedelisch wirkenden Linien, die nach außen, also weg vom Oberschenkel strebten. Unschön. Noch furchtbarer allerdings waren die Laute, die das Mädel selbstzufrieden und ständig kichernd von sich gab. Putzig war sie ja irgendwie – aber unmöglich gekleidet und singen konnte sie auch nicht. Also war´s wieder nix mit SelfSelling on the Screen.

Doch dann kam ich ins Grübeln: Einmal von der Grundannahme ausgehend, dass es für wirklich jedes menschliche Verhalten den passenden Rahmen gibt – vielleicht war das Mädel super und nur der Kontext falsch? Echt jetzt, Spaß beiseite – ich habe den Schlüssel zum Seminar SelfSelling! Es geht einfach nur darum, ehrlich zu sich zu sein, seine Möglichkeiten und Grenzen gut zu kennen, realistisch einzuschätzen und sich natürlich auch zielorientiert weiterzuentwickeln. Wenn aber das Ziel so ganz und gar nicht zu meinen Anlagen passt, dann wird das nichts. Dann können auch das gewiefteste Styling, der fetteste Rhetorik-Kurs und das beste Benimm- und Catwalk-Training in der Regel wenig an der zumindest mittelfristigen Erfolgslosigkeit ändern. Ideal verkaufen kann ich mich doch da, wo meine Fähigkeiten reichen, anderen einen Nutzen stiften oder sie sogar zu begeistern, oder?

Es kann schon sein, dass jemand Hollywood-Schauspieler werden wollte und auf dem Weg dahin gemerkt hat, dass er besser auf die Theaterbühne passt. Mir geht es hier nicht um das Machen oder Lassen. Ganz sicher ist aber, dass ich Leute nicht dabei unterstützen kann und will, so echt zu sein, dass es schon nicht mehr zum Aushalten ist und sich der Rest der Herde mit Grauen von ihnen abwendet. Ich möchte Menschen eher dazu bringen, ehrlich zu sich und zu anderen zu sein. Dann können sie von mir aus auch echt sein und zwar in dem Rahmen, der zu ihnen passt wie Arsch auf Eimer. SelfSelling hat also nichts mit narzisstischer Selbstüberhöhung zu tun, sondern mit dem optimalen Darstellen dessen, was ist und dem Nachjustieren dessen, was ich zu entwickeln im Stande bin. Dann wird das was mit der Karriere und ganz egal, ob diese im Büro, auf Station, im Kindergarten oder auf den Brettern stattfindet, die für uns die Welt bedeuten. 

27.02.2018


Die Pubertät war eine Lachnummer

Jetzt schreibe ich mal über ein Thema, das niemand wissen will – und das doch alle Frauen be- und dadurch auch viele Männer trifft: das Klimakterium. Ehrlich gesagt hatte ich bis gestern keine Ahnung, ob ich nur live dabei oder auch schon mittendrin bin. Heute weiß ich mehr.

Vor zwei Jahren muss es etwa gewesen sein, als ich in meiner sommerlichen Arbeitspause mutig dem Unausweichlichen näher kommen wollte, bevor es mir näher kommen sollte. Also kaufte ich ein Buch, ich glaube es hieß „Die verwandelte Frau“, und schämte mich erst am Strand damit, um mich wenig später höchst gelangweilt weniger strapaziösen Dingen zuzuwenden. Außerdem ist es ja nicht gerade sexy, sich mit der Menopause in der Sonne zu aalen und schon gar nicht in Griechenland, wo ich mich eigentlich zeitlos alterslos fühle – forever young dank feinsandiger Kindheitserinnerungen, zumindest einen Urlaub lang.

Seitdem habe ich mich proaktiv nicht mehr um die Wechseljahre geschert. Doch ab jetzt wird alles anders: Vor kurzem war ich zu einem Kaffeekränzchen eingeladen. Meine Freundin ist unwesentlich älter als ich und die Damen, die alljährlich in Erscheinung treten, um sich an den vom Hausmann gebackenen Kuchenvariationen zu laben, sind auch etwa Mitte Fünfzig. Umso erstaunter war ich, dass das Kuchengemetzel dieses Jahr unter das Motto „80er“ gestellt wurde. Das könnte am Datum gelegen haben, muss es aber nicht. Jedenfalls kam ich in Sweatshirt und Jeans. Obwohl ich tags zuvor noch überlegt hatte, ob ich vielleicht doch noch zur gealterten Madonna mutieren könnte (ich konnte nicht mangels Haaren, Minirock, Spitzenhandschuhen und vor allem wegen einer ziemlich gemeinen Blockade im Iliosakralgelenk, die mich halluxbedingt zum Hinterherziehen meines linken Beines veranlasste). Schlussendlich kam ich einfach wie ich mich fühlte: ausgelutscht und alt. Die anderen „Mädels“ im Hippie- oder Piratendress lungerten nicht lange im Flur, sondern riefen gut gelaunt Alexa zu „Spiel Earth, Wind & Fire!“. Sofort dröhnte „Gloria“ aus den Boxen. Ich habe dieses Lied schon immer gehasst. Ich nahm neben dem Hund Platz, auf der Couch und starrte irritiert und irgendwie ladegehemmt auf das bunte Gemenge aus Wechseljährigen, wie sich wenig später herausstellen sollte. Denn beim dann doch wie gewohnt am Tisch stattfindenden Kuchengelage wurde ich, veranlasst durch die Hitzewallung einer der Beteiligten, aufgeklärt: das Klimakterium ist gar nicht lustig! Frau schwitzt und möchte sich sofort alle Klamotten vom Leib reißen (Gott bewahre!), um danach sofort zur Frostbeule zu avancieren. Frau leidet unter Schlafstörungen und Schmerzen in den Brüsten, was wohl irgendwas mit dem Hormon zu tun hat, das auch für die Stillzeit wichtig ist (irrwitzig!). Was hier hilft, ist übrigens Salbeitee. Das Schlimmste aber sind die kognitiven Einbußen und da wurde mir wirklich bange. Schließlich ist ja nicht mein Aussehen, sehr wohl aber mein Hirn mein Kapital.

Nachdenklich und ein bisschen traumatisiert ging ich nach Hause. Einen Tag später merkte ich im Büro, dass ich meinen Kalender daheim vergessen hatte, was mir in zehn Jahren kein einziges Mal passiert ist. Ich meditierte kurz und innig und konnte das meiste aus meinem internen Memo namens Kopf rekapitulieren. Tags darauf merkte ich wiederum im Büro, dass ich meine Lesebrille daheim vergessen hatte. Ich wartete bis 9 Uhr und rannte zum Optiker, um mir eine Billigbrille zu besorgen, die jetzt vor Ort bleibt. Tags darauf bemerkte ich in letzter Minute, also knapp vor Verlassen des Hauses, vom Tageslicht erhellte Soßenflecken auf meiner Bluse und zog mich zügig um. Immer öfter habe ich meine Slips verkehrt herum an, das geht schon länger so, und wenn ich mal nicht aufpasse, gieße ich das heiße Wasser in die Tasse, statt in die bereit gestellte Teekanne. Hitzewallungen und Kälteanflüge hatte ich schon als Teenie, wohingegen ich niemals so viele Pickel hatte wie im angehenden Herbst/Winter 2017 – ich steuerte mit Teebaumöl gegen und nahm auch gleich eine Großpackung Johanniskraut mit, die jetzt leider aufgebraucht ist. Schon trübt sich das ohnehin nimmermüde Gedankenkarussel zusehends ein. Dass ich neulich am Geldautomaten keine (!) einzige Geheimzahl meiner drei (!) Karten mehr wusste und bargeldlos das Weite suchen musste, gibt all diesen Um- und Zuständen etwas gnadenlos Gemeines. Und jetzt noch das:

Am Wochenende kam eine Workshop-Teilnehmerin mit Tränen und entschuldigte sich, was sie nicht hätte tun müssen, denn wir anderen Frauen waren voller Mitgefühl. Das seien nur die Wechseljahre und an manchen Tagen erkenne sie sich nicht wieder. Au weia – ich mich auch nicht, vor allem nicht im Spiegel. Ich bin also doch schon mittendrin, und die Pubertät scheint echt ein Dreck dagegen gewesen zu sein.

20.02.2018


Von Mund zu Mund

Diesmal wurden mir Geschichten zugetragen, die ich euch erzählen muss, weil sie so – in zwei Fällen schräg – und dazu noch kurios sind. Irre und irritierend, sozusagen. Mal sehen, ob ich euch erheitern kann. Und zum Nachdenken bringen, wie immer...

Am vergangenen Freitag habe ich meine Eltern vom Flughafen in Nürnberg abgeholt. Das war wieder ein Erlebnis. Falls ihr mal an einem Abend nicht wisst, wohin mit euch, fahrt doch einfach zum Albrecht-Dürer-Airport und wartet auf ankommende Maschinen. Es ist immer mindestens eine Szene dabei, die das Herz berührt. Ich habe einen Hund beobachtet, der sein Frauchen, die vom Zoll kam, erst im letzten Moment erkannt hat. Eine solche Freude kann definitiv nur ein Hund leben – mit wie auf heißer Herdplatte tanzenden Tatzen, erregtem Hochtonfiepen und Kurbelschwanz. Wenn mir nicht etwas Ähnliches am selben Morgen mit meinem Gassihund Lemmy widerfahren wäre, der zwei Mal pro Woche regelrecht über mich herfällt, wenn ich in Erscheinung trete – ich wäre wahrscheinlich sofort zum Tierheim aufgebrochen, um mir auch wieder jemanden zu sichern, der sich so unbändig über mich freuen kann. Schlicht, weil ich „bin“. Jedenfalls wurden dann auch, welch´ Überraschung, meine braun gebrannten Eltern von der Schiebetüre ausgespuckt und im Auto hat mein Vater von folgender Begebenheit erzählt: Er hat auf Teneriffa sein Handy-Guthaben bei einem inländischen Telekom-Anbieter aufladen wollen und im Outlet vor Ort sein Anliegen vorgetragen. Er spricht sehr gut Spanisch, der Papa. Die aufgeschneckte Dame dort verlangte seinen Ausweis und fragte ihn, ob er Russe sei. Er verneinte, sich noch einmal selbst mit einem Blick auf den Ausweis verwirrt rückversichernd und fragte erstaunt zurück, warum die Telefon-Diva das glaube. Sie antwortete, sie könne seinen Pass nicht lesen. Er zu ihr: „Sie halten ihn ja auch verkehrt herum!“ Darauf hob sie verdutzt die frisch gezupften Augenbrauen und stolzierte lässig zum Kopiergerät. Im Anschluss daran fragte sie ihn, ob er auch englisch spräche und auch das bejahte mein mittlerweile innerlich zwischen Flucht und Angriff pendelnder Vater. Also sprach er dann englisch, was ihn leider auch nicht davor verschont bleiben ließ, Dumpfbacke am nächsten Tag wiederholt zu besuchen, da leider auf der ausgehändigten Karte kein Guthaben verbucht war. Vermutlich hatte sie das einfach vergessen, weil sie ja sehr beschäftigt mit der Zu- und Anordnung der Nationalität gewesen sein muss. Aber nicht, dass ihr jetzt glaubt, sie sei sich irgendeiner Schuld bewusst gewesen oder hätte sich entschuldigt oder geschämt. Nein: Ein Pfau behält, vielleicht auch aufgrund des extrem geringen Hirnumfanges, das federleichte Köpfchen immer oberhalb der Augenhöhe der wurmähnlichen Normalmenschheit. Da habe ich mir gedacht, was es doch für ein Glück sein muss, wenn man ziemlich untalentiert auf der Welt wandelt. Das Selbstwertgefühl scheint sich schadlos zu halten, wohingegen so viele mit mehr Intellekt bestückten Menschen von Selbstzweifeln gepeinigt ihr Dasein fristen. Macht Dummheit also schlau?

Die zweite Geschichte wurde mir gestern von einer Freundin zugetragen, die beruflich viel unterwegs ist in Deutschland. Sie ließ eines Tages über ihre Assistentin ein Zimmer in der Nähe von München buchen, das zwar stadtnah, aber vor allem auch nahe bei dem Kunden lag, den sie am nächsten Tag besuchen wollte. Sie kam also an und fuhr erst einmal ein gutes Stück durch einen Wald. Mitten in diesem Wald lag – im zwischenzeitlich Finsteren – ein unbeleuchtetes Haus. Als sie ihr Auto abgestellt hatte und sich dem Anwesen näherte, veranlasste sie wenigstens den Bewegungsmelder, sie in Empfang zu nehmen und so konnte sie den an die verriegelte Eingangstüre geklebten Zettel mit einer Handynummer überhaupt sehen. Sie wählte also die Nummer und die weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung erklärte, das Hotel habe im Moment „eigentlich Betriebsferien“, doch es sei der Schlüssel zum Haus im Wald in der anliegenden Garage in einem Kästchen auf dem Regal rechts hinten hinterlegt worden. Meine Freundin machte sich mit Taschenlampen-App auf die Suche und wurde fündig, schloss die Eingangstüre auf und suchte ihr Zimmer. Da saß sie dann etwa zehn Minuten auf ihrem Bett und lauschte der Stille um sie herum. Und obwohl die Telefonstimme ihr verheißungsvoll versprochen hatte, am nächsten Morgen eigens wegen ihr und höchstpersönlich in Erscheinung zu treten, um ihr ein Frühstück zu bereiten, entschloss sie sich, das Weite zu suchen. Szenen von „Shining“ gingen ihr durch den Kopf und angstvolle Gedanken á la „Wrong Turn“ fuhren ihr in die Glieder, während sie das Hotel des Grauens durch die menschenleeren Flure verließ. Der Wahnsinn muss wirklich nicht weit weg gewesen sein, trotzdem das Hotel strategisch nahe lag. Sind solche Leute noch ganz koscher, frage ich mich, oder haben wir es hier einfach erneut mit dem bewährten Empathiedefizit-Syndrom – ich nenne es in meinen Texten nun künftig immer EDS – zu tun?

Und zuletzt die Gute-Nacht-Geschichte für heute: Eine Pferdefrau mit jungem Wallach fuhr für eine Woche in den Urlaub. Als sie wiederkam und das Pferd ritt, schlug es wie wild mit dem Kopf. Das wiederholte sich aufs Neue. Und schließlich zog sie alle altbewährten Register aus Tierarzt, Sattler und Osteopath. Nichts half. Sie konnte das Pferd nicht mehr reiten, als ihr eine Bekannte die Telefonnummer einer Tierkommunikatorin gab. Diese konsultierte sie und es wurde der Draht zum Pferd hergestellt, das sich erst einmal verweigerte, mit jemandem anderen zu sprechen als mit der Besitzerin selbst, die es ja aber gerade eben nicht verstand. Schließlich gewährte das Tier der Pferdeflüsterin die Ehre und teilte ihr mit, dass ihm der Urlaub seiner Besitzerin nicht mitgeteilt worden sei. Eine ganze Woche lebte das Pferd in Angst und Sorge und der Schreck fuhr im ins Skelett. Die Besitzerin entschuldigte sich und wollte wissen, was sie tun könne, um das Kopfschütteln abzustellen. Das Pferd sagte, das würde es selbst schaffen, wenn es endlich einmal wieder so richtig rennen und toben dürfe. Also tat die Besitzerin wie ihr geheißen und stellte das Tier auf einen Platz, wo dem wilden Treiben nichts im Wege stand. Dort verharrte das Pferd zehn Minuten, regungslos. Die Besitzerin dachte bei sich: „Super, wieder 40 Euro für die Katz´!“ und wollte das Pferd wieder einholen. Dann geschah es. Der wild gewordene Wallach gebärdete sich wie ein Hengst während der Brunft und buckelte sich ordentlich die schlechte Laune weg. Danach – war das Kopfschütteln spurlos verschwunden und das Reiterglück wieder vollkommen. Sachen gibt es, nicht wahr? Also: Träumt weiter und haltet viel mehr für möglich als ihr bislang zu glauben wagtet!

06.02.2018


Warum wir alle nur das Eine wollen

Am Wochenende habe ich einen kompakten Artikel über die ausufernden deutschen Ernährungsgepflogenheiten in der Zeitung entdeckt. Genauer ging es darum, dass viele von uns zu viel essen. Oder das Falsche. Oder das Richtige zur falschen Zeit. Was dabei herauskommt, nimmt bestenfalls adipöse Züge an und schlimmstenfalls macht es krank.

Gähn. Ist ja nun wirklich nichts Neues? Stimmt! Nur hat mich ein Satz im Artikel ziemlich nachdenklich gemacht und zwar, dass wir biologisch gesehen darauf geeicht sind, so viel Nahrung wie nur möglich zu uns zu nehmen. Das ist bei uns demnach genetisch gesehen Programm: All you can eat. Na, prima. Wenn wir also von Haus und seit Urzeiten zum Naschen neigen, uns nach Feierabend entweder an Schokolade laben oder uns Chips zum TV vor Tütenende nicht loslassen wollen, dann haben wir an und für sich gar kein Problem. Das ist halt unsere Natur und wenn die Leckereien schon mal da sind, machen wir einfach nur das, wofür wir bestimmt sind. Wir essen sie auf.

Wir kämpfen also gegen die Genetik, wenn wir uns Essen verwehren und uns nicht jederzeit nähren. Kein Wunder, dass wir ärztlich dazu angehalten sind, zum Ausgleich in Bewegung zu bleiben. Das Problem der übermäßigen Verfügbarkeit von Futter hatten die in der Steinzeit halt einfach nicht. Die mussten sammeln und suchen, um etwas in den Magen zu bekommen. Wir hingegen haben 24/7-Food, weil ja die Tanke notfalls auch noch wach ist, wenn der innere Schweinehund ungeniert und zur Unzeit nach Nahrung giert. Nur sollten wir einfach das Jagen nicht gänzlich aus dem Speiseplan streichen. Und wenn man sich dann erst mal nachts bei Regen zur ARAL in die Drausnickstraße aufmachen muss – zu Fuß – verschlägt es einem vielleicht doch auch den kleinen Hunger zwischendurch.

Interessant ist ja, dass ich selbst nach ausgiebigem Abendmahl immer noch extremen Heißhunger auf Süßes habe. Manchmal denke ich auch schon während des abschließenden Spaghetti-Malmens an das Hanuta, das gleich folgen wird. Finde ich schon irgendwie entartet. Muss ich mir aber jetzt Sorgen machen, wo ich doch genetisch für das Vernichten von Nahrung vorgesehen bin? Oder hat das Hanuta eigentlich das Problem?

Der schlaue Professor, der in dem Artikel zitiert wurde, empfiehlt Menschen mit adipöser Neigung – die übrigens auch veranlagt sein kann, was dann zusammen mit unserem Fressprogramm doppelt gemein ist – ein Ernährungstagebuch zu führen und sich einmal aktiv damit zu befassen, wann sie was essen. Ich kann mir vorstellen, dass bei dieser Anstrengung die Rückbesinnung auf das täglich´ Brot auf dem Fuße folgt. Zumindest kurzfristig. Er meinte auch, dass bei der Erkenntnis des Musters „Nahrung = Belohnung“ Kreativität her muss, damit man andere Gutsis und somit weitere, kalorienärmere Wahlmöglichkeiten in petto hat. Der Experte riet übrigens nicht zum gänzlichen Genuss-Verzicht, sondern zu mehr Qualität statt Quantität – also lieber die längste Praline der Welt nach dem Abendmahl als das hausbackene Hanuta zum Dessert. Den Plan habe ich direkt umgesetzt, als ich vorhin zur Jagd bei REWE aufgebrochen bin. Auch gut. 

29.01.2018


Ist Empathie weiblich?

Nicht, dass ihr denkt, es passiert gerade nichts. Im Gegenteil! Doch ich muss noch ein wenig Gras über einiges wachsen lassen, bevor ich den Erlebnissen erlaube, vom Licht der Öffentlichkeit beschienen zu werden. Die Diskretion zu wahren, trotz meiner Mitteilungsfreude, ist manchmal eine echte Herausforderung. Über was ich also zu schreiben gedenke, ist das obige Thema und die Frage, ob Empathie weiblich ist.

Wie ich darauf komme: Ich habe in den letzten Monaten intensiver wahrgenommen, dass Männer vieles mit sich selbst ausmachen und auch die Dinge, die andere (meist sind das Frauen) tangieren, mit „inneren Dialogen oder Deals“ abhandeln. So kann es also passieren, dass ein Mann in Anbetracht einer Handlung völlig mit sich im Reinen ist, wohingegen die Lebensabschnittsgefährtin oder Angetraute abgeht wie eine Rakete. Zum Beispiel, weil sie weder verbal gefragt, noch mental einbezogen wurde. Kommt es dann, weil es der Teufel oder die Arglosigkeit so will, in kürzerer Zeit öfter zu explosiven Begegnungen, neigt der vom Wandeln über das beziehungstechnische Tretminenfeld bereits ziemlich irritierte, wenn nicht gar verschreckte Mann dazu, über sein nächstes Projekt Stillschweigen zu bewahren. Wehe, wenn die Herzensdame Lunte riecht – der Kamm schwillt, der Busen wogt und Kim Jong-un ist vergleichsweise niedlich!

Interessant dabei ist, dass meist keinerlei böse Absicht hinter den (verschwiegenen) Handlungen wohnt. Es ist eher völlige Bedenkenlosigkeit. Oder, in anderen Worten, auch mangelnde Empathie.

Empathie beschreibt das Einfühlungsvermögen und das Mitgefühl eines Menschen. Auf der kognitiven Ebene bedeutet das, die Fähigkeit zu besitzen, herausfinden oder vorwegdenken zu können, wie ein anderer etwas wahrnimmt und wie es demjenigen dabei geht. Auf der emotionalen Ebene ist von Empathie die Rede, wenn man selbst zu Tränen gerührt ist, weil ein anderer traurig ist oder gleichermaßen fuchsig wird, wenn jemand von einem Wut-Erlebnis berichtet – die Gefühle übertragen sich, was übrigens im Coaching-Prozess ein wichtiges Werkzeug ist: Das Nachfühlenkönnen ist oft wichtiger als das logische Durchdringen- und Nachvollziehenkönnen.

Wenn also ein Kerl seiner Liebsten einen Zweitfernseher zu Weihnachten schenkt, damit er am Hauptfernseher ungestörter Fußball gucken kann oder nicht ein, sondern für das heimische Büro gleich mehrere Arbeitswerkzeuge – wie würdet ihr das finden? Wenn ein Göttergatte seinem etwas dralleren Engelchen eine transparente Bluse Größe M schenkt (die womöglich gepasst hätte vor 20 Jahren) – alles cool? Wenn Mann heimlich Pornos ansieht und Frau das merkt – Hauptsache, er ist beschäftigt? Wenn jemand, der in zweiter Ehe mit seiner neuen Frau lebt, im Zweifelsfall auf Rufe aus dem alten Leben sofort pariert, teils ohne die Zweitfrau einzubeziehen – erstmal noch ein paar Jahre atmen?

Gute Gründe hat das fraglos alles. Aber bemerkenswert ist, dass Empathie umso entwickelter in einem Menschen ist, je näher dieser selbst seinen Gefühlen kommen kann. Heißt: Jemand, dessen eigener „Innenfühler“ sich selten regt oder auch verkümmert ist (weil er wenig benutzt wurde), kann sich schlecht in die emotionale Verfassung seines Gegenübers versetzen. Er hat quasi keinen Schimmer, was er durch sein Verhalten bei einer anderen Person auslöst oder auch anrichtet.

Ist Empathie also deshalb eher weiblich, weil wir von Natur aus auf Harmonie, Mediation, Rücksichtnahme, Einbezug aller gepolt sind und weil es für Frauen eher „normal“ als ungewöhnlich ist, über die eigenen Gefühle zu reflektieren und zu sprechen? Vermutlich! Der männliche Deal lautet: Ich meine es nicht böse, ich tue ihr damit nichts an, ich nehme ihr damit nichts weg, also passt es. 0-1-Denken. Wen wundert es da noch, dass die Zündschnüre der jeweils weiblichen Pendants kürzer werden und es immer schwieriger wird, sich zusammen auf sicherem Terrain zu bewegen.

Aber um jetzt nicht den Hass der Männer auf mich zu ziehen, sage ich noch etwas zu eurer (und meiner) Entschuldigung:

  1. Es gibt immer auch Ausnahmen von dieser möglichen Regel
  2. Ihr könnt Empathie lernen, wenn ihr eure Gefühlswelt als Teil von euch akzeptiert
  3. Wahre Anführer, solltet ihr als Chef euer Geld verdienen, sind auf Empathie angewiesen – sie macht ihnen die Menschenführung bedeutend leichter
  4. Der goldene Schlüssel zu den Herzen anderer, so auch zu euren Frauen, ist es, sich v o r irgendwelchen Taten, so auch vor Geschenken, mit dem Gedanken zu beschäftigen, welche Auswirkungen wohl zu erwarten (zu befürchten) sind
  5. Mit Empathie ist das Zusammenleben leichter – und für euch definitiv stress- und streitfreier

Außerdem kenne ich auch unempathische Frauen und einige davon leben sogar das Helfersyndrom in sozial anerkannter Weise aus, sind dabei jedoch nicht etwa von Mitgefühl beflügelt, sondern laben sich an der Selbsterhöhung durch die Unterstützung Bedürftiger. Ich will das alles nicht bewerten. Es i s t einfach so. Woher die neue Milde stammt? Mein innerer Kritiker hat es gerade schwer, das Neue Jahr ist noch jung und ich habe ihm einen guten Vorsatz als Maulsperre verpasst! Ich möchte einfach nur hinweisen auf die Vielfalt des (zwischen-) menschlichen Seins und euch vor Abgründen bewahren. Und mich. Also lasst uns denken u n d fühlen und nicht mit Steinen werfen, während wir selbst noch im Glashaus wachsen und gedeihen.

23.01.2018


Gesundes Neues Jahr?

Das wünsche ich euch, liebe LeserInnen. Und zwar von ganzem Herzen. Lasst es euch gut gehen in 2018, seid lieb zu euch und entrümpelt am besten gleich zu Beginn des Jahres eure ausgeleierten Glaubenssätze á la „Ich muss…“. Denn in Wahrheit müssen wir alle ziemlich wenig.

Wie wäre es denn stattdessen mit „Ich will…“? Gefällt mir deutlich besser und entschleunigt total, weil das Müssen Druck aufbaut. Außerdem hat dieses positivere Statement den Vorteil, dass ihr auch gleich überprüfen könnt, ob das Wollen im jeweiligen Kontext auch wirklich stimmt.

Falls ihr mir gerade nicht folgen könnt, erkläre ich euch jetzt den Hintergrund. Ich hatte eine wirklich feine Auszeit im Norden von Gran Canaria. Vor dem Abflug gab es nur noch „Ich muss…“-Sätze in meinem Hirn, gerne gefolgt vom Anhängsel „schnell“. Also war mein Tempo mal wieder dermaßen hoch, dass am Ende des Tages noch Zeit übrig blieb, um mich mental zu langweilen. Dabei war ich körperlich total erschöpft. In diesem Zustand zwischen Fisch und Fleisch durfte ich mich in Gelassenheit üben, während durch die Insolvenz der Airline Niki bis wenige Stunden vor dem Urlaub nicht klar war, ob ich überhaupt, ab wo und wann ich fliegen werde. Im Zuge dieser Hängepartie habe ich meinen bewahrheiteten Albtraum durchlebt – Packen in zwei Stunden – um nach München zu düsen. Dort wurde der Flug dann am Gate endgültig storniert, dafür konnte ich meinen Mann erfolgreich deeskalieren und Uwe Ochsenknecht am Flughafen treffen. Statt mildes Lüftchen auf Gran Canaria war erst einmal Frösteln in Leipzig angesagt, weil der Flug dorthin verlegt und auf den Folgetag verschoben wurde. Wenn mir also noch irgendjemand etwas über Flexibilität als d a s Soft Skill unserer Zeit erzählen will – ich bin jetzt sicher, ich wäre nicht mit den Dinos ausgestorben, so anpassungsfähig wie ich bin.

Gran Canaria del Norte war friedlich und menschenarm, fischreich und windig. Beim Wandern habe ich außer Ziegen, urig-hässliche Dörfer und wundervolle Natur wenig gesehen, infolgedessen nichts zu meckern gehabt. Und jetzt?

Ich bin zurück. Mein Tempo hat sich zwischen den Jahren dermaßen reduziert, dass am Ende des Tages noch viele Aufgaben übrig bleiben. Dafür ist das „Ich will…“ sehr stark, „Ich muss…“ so gut wie getilgt. Was ich davon habe? Bestimmt einen niedrigeren Blutdruck, tagsüber ein Lächeln auf den Lippen und nächtliche Unruhe, weil ich vermutlich überschlafen bin. Außerdem bin ich extrem dankbar. Mir geht es nämlich saumäßig gut, während mich Verdachtsmomente auf Knochenkrebs, Hirntumor und Kreuzbandriss sowie mit Sicherheit Herpes am Auge und Anorexie im Bekanntenkreis umgeben.

Warum also nicht einfach still sein, andächtig, ob des großen Glücks, das sich Gesundheit nennt und den Alltag glücklich genießen. Ohne Wenn und Aber und müssen und schnell. Kontrollieren lässt sich das Leben sowieso nicht. Nur leben. Also los! Und wenn ihr euch gerade auf einem geistig ähnlich gekachelten Weg befindet, kann ich noch etwas zur Ergänzung empfehlen:

Sucht euch eine schöne Postkarte heraus, mit einem Motiv, das euch berührt oder/und einem Sinnspruch, der euch inspiriert. Schreibt euch selbst einen kleinen Brief mit den guten Wünschen für dieses Jahr. Legt die Karte neben euren PC oder auf euer Nachtkästchen – irgendwo hin, wo ihr sie täglich, vielleicht sogar mehrmals lesen könnt. Ich mache dieses Experiment und ich bin gespannt, ob sich meine neuen Glaubenssätze in 2018 bewahrheiten. Macht mir die Freude, euch den Spaß und einfach mal mit – für ein Neues Jahr in dem nur eines Vorschrift ist: euer Wohlbefinden.

09.01.2018


Völlig am Ende

Und zwar am Geschäftsjahresende. Zumindest ist es das für mich, denn ich fliege am Samstag nach Gran Canaria und falls mir dort nicht die Sonne auf den käseweißen Bauch scheinen mag, dann gehe ich halt wandern. Mir egal. Hauptsache weg. Obwohl…

…es ist halt wieder Montag. Und Montage – das mag ein Glaubenssatz sein – sind einfach gemeine Tage. Passt doch mal auf: In der Regel ist das Wetter am Montag entweder nach einem verregneten Wochenende so etwas von schön, dass man sich fragt, wer da oben uns quälen will. Oder Montage sind total trüb und neblig, verhangen wie die verschlafene Stimmung, die man davonträgt, wenn man am Wochenende endlich mal länger geschlafen und öfter wenig getan hat als üblich.

Vielleicht können es mir Montage auch nie richtig recht machen. Genau wie die Menschen, die mir am Montagmorgen begegnen. Im heutigen Falle – ich „bewaffnet“ mit Deutschem Doggenfreund Lemmy samt Leine in der linken Hand und Regenschirm in der rechten (wer jetzt mitgezählt hat, weiß, dass ich alle Hände voll zu tun hatte) – werde auf dem ohnehin schmalen Gehsteig mit einem Rad fahrenden Kind um die zwölf Jahre konfrontiert. Nein, wir konnten so schnell nicht auf die Straße rennen, da fuhren Autos. Das Riesenbaby mit dem starren Blick hat aber auch nicht daran gedacht, kurz mal eben abzusteigen. Es gab also einen Beinahe-Crash und mir fehlten die Worte, sonst wäre ich gerne noch die ein oder andere Botschaft losgeworden.

Zweihundert Meter später – Lemmy und ich drücken uns an den linken Straßenrand, weil der Bürgersteig fehlt – kommt uns eine Spätpubertierende mit Langhaar entgegengeweht. Sie weicht nicht aus und ich kann nicht ausweichen. Sie bleibt in der imaginären Spur. Ich plärre sie an: „Weich´ halt bitte ein paar Millimeter aus!“ Sie schaut grimmig und ich verstehe, sie hat keinen Bock auf Umwelt. Stöpsel im Ohr.

Ich frage mich sowieso, warum früh um 7.50 Uhr nicht mehr in Uttenreuth passiert. Horden von Schülern radeln ins Emil-von-Behring-Gymnasium, in der Regel in Viererreihen á la „uns gehört die Welt“. Wenn du nicht rechtzeitig Wind von denen kriegst (falls du beispielsweise selbst Stöpsel im Ohr hast oder/und ein Mann bist, von denen ich ja eh denke, sie leben mehr „in sich“ als gesund ist), kannst du mal sehen, wie du den Stunt in die Böschung hinkriegst. Wenn´s blöd läuft noch mit hüfthoher Dogge unter´m Arm.

Montag eben. Patschnass zwischenzeitlich und länger bereits latent genervt von meinem dysfunktionalen Fuß, ging ich zur Osteopathin. Dort nahm ich all meinen Mut zusammen und erzählte ihr von meinem mysteriösen Bauchgefühl: Ich habe tatsächlich den Eindruck, jedes Mal, wenn ich vom Yoga komme, ereilt mich eine neue Bewegungseinschränkung. Die letzte war wirklich massiv und weil ich mir mit meiner Meinung „Yoga hasst mich“ langsam verrückt vorkomme, habe ich es öffentlichkeitswirksam erst einmal auf´s Schneeschippen geschoben. Die Osteopathin lauschte meinen leicht paranoid wirkenden Schilderungen und beschloss meine Rede im inbrünstigen Überzeugungston: „Na, klar kann das sein. Eine Freundin von mir sagt dasselbe. Sie behauptet sogar, sich die Achillessehne bei Yoga gerissen zu haben. Gehen Sie da doch nicht mehr hin!“ O.k. Blödes Yoga wäre heute Abend auch wieder. Wie immer am Montag.

Dazwischen steht noch etwas ganz arg Trauriges. Eine Beerdigung. Also stopp jetzt. Lass es einfach gut sein für dieses Jahr, Andrea. Mach´ mal ´nen Punkt.

Trotz etwa 53 Montagen war das Jahr – auf gut Fränkisch gesagt – gar nicht so schlecht. Es war ein passables Jahr. Gesundheitlich. Gesellschaftlich. Beruflich. Beziehungstechnisch. Hätte alles schlimmer sein können. Manches aber auch einen Deut besser. Ich werde die Tage zwischen den Jahren in jedem Falle dazu nutzen, eine Bestandsaufnahme zu machen und mir im Detail zu überlegen,

…, was alles mich glücklich gemacht hat?
…, was mir gut gelungen ist?
…, wofür ich dankbar sein darf?
…, was ich in 2018 so lassen möchte, wie es war?
…, was ich in 2018 verändern möchte?
…, welches Motto mein 2018 haben wird.

Und ich werde mir, wie jedes Jahr, wieder eine Collage basteln und mich visuell einstimmen auf 365 Tage Leben. Die Collagen hängen dann immer neben meinem Schreibtisch und erinnern mich an das Gedankengut zum Jahreswechsel. Im letzten Bildersammelsurium steht etwas von Gelassenheit und dass ich es locker nehmen soll. Das sollte ich vielleicht noch ein wenig üben. Wohingegen Shopping schon recht gut geglückt ist. In jedem Falle nehme ich mir vor, weniger streng mit mir sein, vielleicht bin ich dann anderen Menschen gegenüber auch milder. Irgendwann.

In diesem Sinne: Ihr seid nicht da, um perfekt zu sein. Ihr seid da, um hier zu sein. Ich wünsche euch eine geruhsame Jahresendzeit und freue mich auf den Januar mit euch und neuen Geschichten.

13.12.2017


Zieht euch warm an!

Wundert ihr euch auch manchmal über einen Mangel an Empathie? Ich mich schon! Es gibt sogar Menschen in meinem Leben, die sind so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass ich sicher bin, ich könnte via What´s App schreiben „bin gestern gestorben“ und es käme nichts zurück. Nein, ich nehme das nicht persönlich. Sondern eher als beschränkt.

Mit beschränkt meine ich die fehlende Bereitschaft, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Auch das ist nicht gegen andere Menschen gerichtet, davon bin ich überzeugt. Vielmehr ist es entweder ein ausgeprägter Fokus auf die eigenen Belange (z. B. Familie, Kinder) oder schlichtweg ein Kraftmangel, der die Erkenntnis verhindert, dass es da draußen ja auch noch andere und anderes gibt.

Um es konkreter zu machen und damit ihr euch besser vorstellen könnt, von was ich rede: Neulich erzähle ich, dass es mich momentan ziemlich erschöpft, wenn ich zu viel auf der Autobahn unterwegs und dort ständig mit irgendwelchen Verkehrsbehinderungen konfrontiert bin. Mal sind es umgekippte LKWs, mal ineinander verkeilte PKWs, mal einfach Baustellen. Schön ist nichts davon. Unfälle erschrecken mich. Baustellen nerven mich. Jedenfalls ist mein „eigentlicher“ Job, das Seminaregeben, vergleichsweise ein Kinderspiel, das ich zudem liebe. Mein Gegenüber kontert: „Ja, was meinst du, wie es mir früher immer ging? Ich bin manchmal an einem Tag nach Norddeutschland (also rund 800 km einfach) und zurück gefahren!“ Ja, Wahnsinn. Da kann ich wohl einpacken.

Eine Freundin von mir hat gerade intensive familiäre Probleme. Ich nehme Anteil, bereits seit Wochen. Da fällt mir auf, dass sie niemals, und das ist wirklich wahr, auch nur ein Wort an mich richtet, geschweige denn auf das reagiert, was ich über mich erzähle. Sogar auf die Adventsgrüße kommt nur eine Info darüber, was sie heute mit ihrer Familie zu tun gedenkt.

Einer anderen Freundin steht eine OP bevor. Ich fühle mit. Grausig, aber geht nicht anders. Unsere gemeinsame Erfahrung ist eine gemeinsame Bekannte, die sowohl zu meinem Befinden neulich, als auch zur OP jetzt lediglich einen Kommentar á la „Augen zu und durch!“ von sich zu geben vermag.

Ich habe das Gefühl, dass die Menschen immer mehr Empathie, also Einfühlungsvermögen und Mitgefühl abverlangen – sie fordern viel Verständnis für sich, sind aber im gleichen Zuge nicht in der Lage zu signalisieren, dass sie auch die „andere Seite“ im Blick haben, sich mitfreuen, mitleiden können oder einfach nur Interesse am anderen Leben haben. Völlig wertneutral, also ohne gleich in die Be-, Auf- oder Abwertung zu gehen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Empathie ist eine Eigenschaft, die uns Herdentieren von Geburt an zur Verfügung steht. Alles andere ist asozial und in der Regel einhergehend mit Hirnschädigungen oder Störungsbildern wie etwa Autismus. Beim gesunden Menschen zeugt ein Mangel an Empathie, der wie emotionale Kälte rüberkommt, davon, dass dieser Mensch zu sehr mit sich beschäftigt ist. Er schippert nur in eigenen Gewässern, vielleicht begrenzt vom wolkenverhangenen persönlichen Horizont und dümpelt womöglich sozial verarmt irgendwann mutterseelenalleine vor sich hin – vielleicht auch jetzt schon und wundert sich dabei über die böse Welt.

Zwischenmenschliche Beziehungen und Freundschaften funktionieren anderes. Wertschätzend. Gebend und nehmend. Deshalb lasst euch nicht entmutigen, sondern bleibt herzlich und voller Mitgefühl, auch wenn ihr punktuell vergleichsweise wenig dafür bekommt. Und zieht euch sicherheitshalber warm an!

06.12.2017


Oh, du fröhliche

Von wegen. Das wird ein bissiger Text. Aber so etwas muss auch mal sein dürfen. Denn ich bin gerade auf 180. Dabei hat der Tag so behaglich begonnen. Nahezu bemerkenswert nett. Am Ende bin ich dann doch wieder am Ende und die süßen Glocken können gern wem anders läuten.

Heute Morgen war ich joggen und wie meine Leser wissen, ist das ganz alltäglich für mich. Völlig unnormal, wenn nicht sogar irritierend fand ich es, dass mich – wie immer gekleidet in dunklen Fetzen, die sich höchstens noch zum Laufen bei Nacht und Nebel eignen – dauernd Leute grüßten. Das hat mich gefreut, zumal ich das Grüßen von Gassigehern, Bushaltestellenstehern und Radlern so gut wie aufgegeben hatte, weil selten was zurückkommt. Heute aber alles anders als sonst. Vielleicht stimmt das vorweihnachtliche Flair, das bereits im saukalten Morgenniesel liegt, schaurig illuminiert von LED-Rentierformationen in den Vorgärten, die Menschen ja mal milde.

Als nächstes bin ich in ein lokales Versicherungsbüro. Dort habe ich mich wohl und willkommen gefühlt. Die Vertreterin tickt wie ich! Sie ist vor allem wahnsinnig schnell – ich hatte das KFZ-Angebot innerhalb einer Stunde und schon tags drauf einen Termin – und darüber hinaus liebt sie Pferde (ich kam in Reitklamotten). Das habe ich ihr natürlich rückgemeldet, dass ich ihr Tempo zu schätzen weiß, woraufhin sie mit mir gemeinsam einen Schmähgesang über die immer üppiger werdende Servicewüste um uns herum anstimmte. Ich glaube, wir könnten Freundinnen werden. Anschließend war mein Pferd brav, meine Reitfreundin allerdings wild – was so gar nicht ihre Art ist. Sie sagte, sie habe zuerst zu viel um die Ohren gehabt im Job, jetzt die Schnauze voll (ihre Interpretation der Ohrenentzündung, gefolgt vom Schnupfen jetzt). Sie warf ihrer Stute noch eine letzte Entschuldigung zu und stapfte missmutig von dannen.

Als ich nach dem Duschen ins Büro fuhr, ahnte ich schon, was mir bald blühen sollte: wieder einmal 10 km Stau auf der Autobahn, natürlich in die Richtung, in die ich wenig später musste. Zur Entstressung informierte ich schon einmal meine Ansprechpartner in der zu becoachenden Firma und kündigte eine noch nicht absehbare Verspätung an. Ich brauchte 75 Minuten, um nach Nürnberg Süd zu gelangen, nach dem Setting 90 Minuten bis nach Hause. In der Zwischenzeit habe ich so wenig wie möglich getrunken, um nicht ständig zu müssen und dem Zahnschmerz bedingten Impuls, eine Schmerztablette zu nehmen, widerstanden. Dafür habe ich etwa zehn Mal versucht, meine Zahnärztin zu erreichen – Zeit hatte ich ja im Stau genügend -, die mir mitteilte, vor Weihnachten würde ein Termin schwierig. Sie ließ sich dann aber doch erweichen, sie ist immer kooperativ, wenn ich anrufe. Dafür zeigte sich die Straßenführung völlig unflexibel, denn die Autobahnauffahrt Mögeldorf gibt es momentan leider nicht mehr, weswegen sich gefühlte Milliarden Lichter im Schmalspurverfahren über eine selbstverständlich mit Ampel ausgestattete Umleitung schlängeln. Dann, endlich auf der Autobahn, musste ich doch noch und hielt kurz an. Ich fühlte mich so, wie ich mich sonst fühle, wenn ich im Berufsverkehr nach München und zurück gefahren bin, nur dass das Honorar für einen zweistündigen Coachingtermin da freilich nicht mithalten kann.

Endlich im heimischen Nest angekommen, sondiere ich ein jüngst eingetroffenes Päckchen vom Heine-Versand. Ich freue mich verhalten, weil ich einfach zu erschöpft bin. Ich öffne das Paket und die Sicherungen brennen durch: der für meine Mama zu Weihnachten gedachte Pullover in Größe 38 passt – sofern das putzlappenähnliche Material den Schlupf über Kopf überleben sollte – maximal einem dreijährigen Kind. Für 39,90 € eine wahre Abzocke. Bevor ich meinen Mann anherrsche, der ja auch nichts dafür kann, wähle ich die Service-Hotline und warne die wenig Deutsch sprechende Dame am anderen Ende der Leitung sicherheitshalber im Vorfeld, dass sie das, was ich gleich von mir geben werde, nicht persönlich nehmen soll. Ich erspare euch die Einzelheiten, die Fachabteilung wird sich jetzt um mich kümmern. Wenigstens was. Ich bin gut aufgehoben am Ende dieses Tages. Nach „oh, du fröhliche“ ist mir noch immer nicht und das Fernsehprogramm, das seit September nur noch aus missglückten Sondierungsgesprächsberichten und Groko-Schlangenlinien-Kurs, gefolgt von völlig verblödeten Raketenabschüssen aus Nordkorea und einem jetzt auch noch austickenden Vulkan auf Bali besteht, wird meine Stimmung auch nicht heben. Wenn ich das Alkoholtrinken nicht schon vor Jahren aufgegeben hätte, würde ich jetzt aber ganz bestimmt einen heben. Unvermeidlich also, was ich getan habe. Einen Blog schreiben. Und ihr müsst da jetzt durch. Es wird auch wieder besser, versprochen.

30.11.2017


Lernen für´s Leben

Letztes Wochenende hatten wir ein Klassentreffen. Wir, das ist die Mädchenklasse des musischen Gymnasiums, Abi-Jahrgang 1988. Und, ja, es war schön. Wir begegneten uns freundlich und zugewandt und ehrlich und echt. Und wir stellten fest: Wir haben in unseren gemeinsamen damals noch neun Jahren für´s Leben gelernt.

Leider handelt es sich bei den Weisheiten, die wir auf dem Gymnasium erworben haben, nicht ausschließlich um schlaue Sachen – also um Erkenntnisse, die uns förderlich waren oder sind. Nebst der Tatsache, dass ich noch heute nicht weiß, wozu der gemeine Mitteleuropäer des zwischenzeitlich 21. Jahrhunderts sich der nirgendwo mehr in Anwendung befindlichen Fremdsprache Latein nähern sollte – es sei denn, er will altrömische Grabinschriften entziffern, wie es mein Vater einst hoffnungsfroh von mir verlangte (erfolglos!) –, haben sich auch Botschaften und Bilder in den Erinnerungen festgefräst, auf die wir gerne verzichtet hätten. Doch wir hatten ja keine Wahl. Wir wurden in einer Zeit gebildet, als Autoritätenhörigkeit seitens der Eltern noch völlig normal und ein strenger, züchtigender Umgangston der Lehrer unbestrittener Bestandteil pädagogischen Wirkens waren. Hat es uns geschadet?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir das Wir verlassen und in die individuellen Auswirkungen dieser Einwirkungen, die tagtäglich zur schulischen Realität gehörten, eintauchen. Tatsächlich kamen bei unserem Klassentreffen Szenen und Statements auf den Tisch, die unappetitlich, wenn nicht sogar zum Kotzen waren. Eine ehemalige Mitschülerin erzählte von einem uns gut bekannten Lehrer, der ihr wohl wiederholt die Aussage mitgab „aus dir wird nie etwas“. Eine Prophezeiung, sofern die Eltern in ein ähnliches Horn geblasen haben. Eine andere berichtete, dass sie zeit schulischen Lebens – aufgrund ihrer eher mittelmäßigen Noten – in der „Loser“-Schublade steckte und unter der vermeintlichen Ausweglosigkeit ihres Images (ich sage nur: Self-Fulfilling-Prophecy!) fortwährend litt. Viele waren sich einig, dass unsere Schulzeit keine schöne Zeit war, sondern, dass wir alle extrem auf Leistung und Durchhalten getrimmt waren und dabei nie gefragt wurden, wie es uns emotional erging.

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass auch mir solche Erlebnisse in den Sinn kamen – schikanöse und kein Widerwort duldende, auf gnadenlose Unterordnung pochende Begegnungen im Unterricht. Doch in mir wurde offenbar ein anderer Schalter umgelegt. Ich habe mir gedacht, und das weiß ich noch ziemlich genau: „Dir zeige ich´s!“ Und nach einer akuten Versetzungsgefährdung in Latein und Physik habe ich selbstbestimmt begriffen (gut, mein Vater saß mir auch im Nacken und es hagelte Verbote ohne Ende), dass ich mir die sämtlichen Repressalien nur vom Hals halten konnte, indem ich gehörig Gas gab. Bis zum Abitur habe ich mich dann auf eine 1,8 hochgearbeitet. Lehrern fehlte somit die Angriffsfläche und Eltern fehlten die Argumente für häusliche Restriktionen.

Ich habe daraus gelernt, dass ich gute Leistung liefern kann, wann immer es für mich Profit verspricht und ich traue mich bis heute – die Lust darauf vorausgesetzt – auch an Herausforderungen heran, bei denen mir Erfahrung fehlt. Dieses Selbstvertrauen und Wissen um mein Können hat mich dahin gebracht, wo ich heute stehe. Die Kehrseite der Medaille ist, dass genau hier mein Burnout-Muster „Leistung = Anerkennung“ entstand. Andere aber haben in der gleichen Zeit und mit den gleichen Pädagogen den Glauben an sich verloren und es gab Geschichten von therapeutischen Interventionen im Hier und Heute, mit denen die Päckchen von gestern hoffentlich bald bewältigt sind.

Was lernen wir daraus? Junge Menschen suchen Orientierung und diejenigen, die Orientierung bieten können, Eltern wie Lehrer, sollten sich dieser prägenden Lebensjahre und ihres Einflusses darauf bewusst sein. Die Zeiten haben sich geändert, aber nicht unbedingt zum Glück. Denn heute stellen Eltern Erziehungsbeauftragte in Kigas und Schulen in Frage, übernehmen oft zu wenig Verantwortung für den eigenen Erziehungsauftrag und die Zöglinge selbst dürfen schalten, walten und sich entfalten wie beliebt. Auch diese extreme Anderswelt richtet Schäden an in puncto Sozialisierung (vs. Egomania), Selbstwert und Realitätsbezug.

Wie so oft, könnte es auch hier die gelungene Mischung aus Grenzen und Möglichkeiten, Regeln und Freiheit, erlösend sein. Genau diese goldene Mitte hinzukriegen, ist aber gar nicht so einfach. Und war es noch nie: Jede Generation prägt die danach. Deshalb werden Schlüsselkinder zu Helikoptereltern und die auf Selbstentfaltung getrimmte Generation Y züchtet womöglich Nachkommen, die zum Arbeiten nicht mehr bestimmt ist. Blöd nur, wenn das Geld der Familie irgendwann verbraten ist. Dann werden wieder Sicherheiten gesucht, die durch Leistung erreichbar sind und der Vermögensaufbau beginnt von vorne.

Schon Bismarck, seines Zeichens erster Reichskanzler, sprach die ziemlich weisen Worte: Die erste Generation verdient das Geld, die zweite verwaltet das Vermögen, die dritte studiert Kunstgeschichte und die vierte verkommt vollends. Das war im 19. Jahrhundert. Also hatten wir nur „Pech“ als auf Sicherheit und Leistung geeichte zweite Generation und tragen wir unsere gewonnenen Ressourcen mit Stolz zur Schau. Denn die kann uns keiner nehmen. Und das ist doch auch was, oder? Viele aus unserer Klasse haben übrigens selbst Pädagogik studiert und machen es heute bestimmt besser.

23.11.2017


Kampf dem Katastrophenhirn

Im Moment läuft im Grunde alles. Ich sollte mich wirklich nicht beklagen. Und doch habe ich oft ein Unbehagen. In beruflichen Belangen komme ich mir immer mal vor wie die Prinzessin auf der Erbse. Als ob ich gebettet wäre und doch liege ich nicht ganz bequem.

Ich kann euch ein paar Beispiele nennen: Ich absolviere einen Workshop in der fränkischen Pampa. Hin und zurück sind es gut drei Stunden Fahrt. Ich stehe an einem solchen Tag oft schon um vier Uhr auf, damit ich ganz sicher frühzeitig weg- und rechtzeitig ankomme. Ich fahre gegen den Strom aus Lichtern und gegen den Regen an, sehe so gut wie nichts in der Dunkelheit. Selbstverständlich bin ich so bald vor Ort, dass ich noch die mitgebrachte Technik in Gang setze. Ich laufe zu Höchstform auf und gebe von 8.30 h bis um 16 h ordentlich Gas. Alle scheinen glücklich und zufrieden. Ich bin es auch. Einige Tage später erhalte ich einen Anruf. Es geht um die gestellte Rechnung. Ich habe – wie immer – die Mehrwertsteuer auf das vereinbarte Honorar berechnet. Die Entscheiderin vor Ort hatte das im Angebot überlesen. Ich will nicht verhandeln, sondern lieber im Gespräch bleiben. Ich korrigiere mein Honorar natürlich nach unten. Ich spüre, wie unangenehm der Ansprechpartnerin das Thema ist. Ich bleibe locker und zugewandt und dennoch habe ich den letzten Eindruck, dass ich dort nie wieder einen Auftrag bekommen werde.

Nächstes Beispiel. Ein Team wird von mir in wenigen Settings durch eine schwierige Veränderung begleitet. Einige sind willig und arbeiten hoffnungsfroh gen Zukunft. Andere sind widerwillig, so ist das eben und oft, wenn es um fremdbestimmten Change geht. Als ich in der einen Gruppe um Freiwillige für Projekte bitte, meldet sich stellenweise niemand. Ich baue Druck auf, denn wenn keiner bereit ist, etwas zu tun, braucht sich auch hinterher niemand beschweren, dass sich nichts tut. So werden also einige gefundene Ideen gestrichen, weil sich niemand kümmern mag. Vor dem zweiten Setting gibt mir die Leitung das Feedback, der Gruppe sei der Druck unangenehm gewesen. Ich frage, wie ich diese Botschaft nun werten, was ich daraus schließen soll. Es heißt, sie wollte es mir nur sagen. Mich beschleicht das Gefühl, in dem ich mich öfter befinde: eine Patt-Situation. Arbeite ich unverbindlich, heißt es, das Coaching habe nichts gebracht. Arbeite ich verbindlich, werde ich als dominant empfunden. Obwohl mir ebenfalls rückgemeldet wird, die Lage habe sich zum Positiven entwickelt, denke ich wieder, dass ich dort nie wieder einen Auftrag bekommen werde.

So etwas passiert mir oft und insbesondere im letztgenannten Kontext Team-Coaching. Ich vermute, die Menschen können mit disharmonischen Stimmungslagen nicht so gut umgehen. Ich kann es. Am Ende habe ich mit dem menschlichen Katastrophengedächtnis zu tun. Unser Hirn ist darauf geeicht, uns davor zu bewahren, den gleichen Fehler – etwa den Griff auf die heiße Herdplatte – zweimal zu machen. Deshalb werden im unreflektierten Falle unangenehme Erlebnisse stärker bewertet als positive. Und so wird der letzte Eindruck zum bleibenden Eindruck. Am Ende zählt also die Erbse und nicht die gesamte Matratze, zumal, wenn man das Team dann auch noch befragt, wie das Setting gefallen hat (was in diesem Zusammenhang ehrlich irrelevant ist, es handelt sich schließlich nicht um einen Wellness-Workshop – oder doch? Bin ich vielleicht falsch informiert?).

Bleibt die Frage, wer führt. Und wer führt, hat im Zweifelsfall schuld. Na, dann bin ich eben die mit dem schwarzen Peter. Was soll ich auch machen, außer Beweg- und Hintergründe zu kommunizieren und meine positiven Absichten bekunden? Mit dem Katastrophenhirn anderer dealen – das ist eine diffizile Angelegenheit und eine Herausforderung, bei der meinem Einfluss Grenzen gesetzt sind. Mal sehen, was ich mitnehmen kann aus diesen Päckchen… nebst der Erkenntnis, dass Entwicklungsarbeit immer ein Stück weit schmerzlich ist. Auch für mich, aber ich werde ja dafür bezahlt.

07.11.2017


Achtsam aggressiv

Wer meinen Blog ab und an liest, der weiß, dass ich daran arbeite, ein guter Mensch zu sein oder noch mehr zu werden. Wie oft habe ich darüber geschrieben, dass mein „innerer Kritiker“ zu oft den Mund aufmacht und wie oft bin ich schon mit ihm ins Gespräch gegangen? Unzählige Male! Jetzt hat er mal wieder die Schnauze voll. Und ich kann es ihm nicht verübeln.

Dabei betrifft es mich gar nicht immer selbst, worüber er sich so aufregt. Manchmal bin ich nur Zeuge und er könnte aus der Haut fahren. Da bin ich ja schon fast froh, dass ich heute Morgen auf dem Weg zum Reitstall von einem älteren Mann aktiv bedrängt werde. Da sind mein innerer Kritiker und ich wenigstens mal einer Meinung. Das Auto des Seniors hinter mir wirkt wie eine Verlängerung meines eigenen Fahrzeugs, also fahre ich vorübergehend quasi eine XXL-Limo und ich kann seinen genervten Gesichtsausdruck im Nacken spüren. Dabei halte ich mich nur an die Geschwindigkeitsbeschränkung. Danke an dieser Stelle noch einmal für den Punkt, den ich neulich bekommen habe. Warum kommen bitte solche Leute immer ungeschoren davon? Jedenfalls bin ich angespannt und flüchte, in dem ich den Blinker setze, hoffe, dass er es merkt, und kurz auf einen Feldweg einschere, um ihn passieren zu lassen. Na, der Tag fängt ja schon gut an, denke ich mir und mein Kritiker schnaubt, als ich beschließe, dem unachtsamen Fahrer nicht zu folgen, um ihn zur Rede zu stellen. Ich will einfach völlig achtsam meine Ruhe.

Als nächstes flippt mein Pferd aus. Unvorhergesehen gerät es in Panik, weil die nun schon tiefer stehende Sonne den Schatten vor uns auf den Weg wirft. Wohlgemerkt: unseren eigenen. Doch das ist ihr egal. Sie scheut und die Augäpfel treten aus den Höhlen, während ich verzweifelt das Umfeld sondiere – auf der Suche nach möglichen Auslösern in Form von Schafen, Kühen, Traktoren, Aliens, Gespenstern, wobei ich auch die unsichtbare Präsenz von Elfen und Feen in meiner Not nicht ausschließe. Mit zitternden Knien versuche ich den Abstieg und das Tier beruhigt sich, um später an einer völlig anderen Stelle den gleichen Zirkus noch einmal aufzuführen. Ich denke und denke und das mit dem Schatten ist das einzige, was die beiden Situationen verbindet. Also werde ich bis auf weiteres nicht mehr um 10 Uhr vormittags an einem wolkenlosen Tag gen Nordosten reiten. Jedenfalls bin ich geladen und mein innerer Kritiker zeigt dem Vieh völlig zu Recht den Vogel.

Meine Friseurin erzählt mir, dass sie aus Gründen der Gesundheitsprävention vorübergehend kürzer treten will und ich kann sie – samt innerem Kritiker – völlig verstehen. Während wir uns unterhalten, kommt ein Mann mit seiner lang behaarten Tochter herein und fragt, ob die Mähne kurz gekürzt werden könne. Als nächstes sagt er, dass er jetzt wegmüsse, um in 20 Minuten zurückzukehren. Meine Friseurin atmet tief und ich einfach mit. Wir sehen uns an und wissen, dass der Stressor vor lauter Stress gar nicht gemerkt hat, wie sehr er Druck auf andere ausübt. Wir beschwichtigen uns gegenseitig und deeskalieren, in dem wir uns gegenseitig versichern, der Mann habe nicht in böser Absicht, sondern schlicht unachtsam gehandelt. Kurzum: er hatte keine Ahnung von seiner Wirkung. Mein innerer Kritiker sah hellrot.

Tiefrot wurde es, als eine meiner Nachbarinnen erzählte, ihr Lebensgefährte, unter der Woche weit weg arbeitend, habe ihr einfach seinen Hund aufs Auge gedrückt. Die Frau ist mittlerweile fix und fertig, sichtbar, und auch körperlich am Ende, voller Stresssymptome und Schmerzen, weil sie weder in Ruhe arbeiten, noch ihren Feierabend mit den Katzen verbringen kann. Auch ihren Nebenjob hat sie wegen des Hundes aufgegeben. Der Mann könnte einfach in die Verantwortung gehen. Macht er aber nicht. Lieber ist er nämlich sauer, weil sie von ihm Verantwortung fordert. Somit wird sie zum Täter und er ist das arme Opfer. Ich glaube, ich spinne.

Gerade schweigt mein innerer Kritiker übrigens. Vermutlich ist er erschöpft. Kann ich total nachvollziehen. Wenigstens ist er achtsam mit sich und hält die Klappe, wenn ihm nichts mehr einfällt.

25.10.2017


Woran sollen wir uns festhalten?

Diese Frage taucht derzeit wieder einmal gehäuft in meinem Leben auf. Bei mir, bei einigen Klienten, bei Freunden und sogar beim Friseur werde ich mit der Haltlosigkeit der Menschen beschäftigt. Im Fernsehen laufen nur noch Psychodramen. Die Vögel ziehen weg. Es wird immer früher dunkel und den ersten überfahrenen Igel habe ich heute auch schon gesehen.

Also: Woran sollen wir uns festhalten? Ist es der Job – dann laufen wir kollektiv Gefahr, an Burnout zu erkranken. Meiner Meinung nach. Denn wer den Sinn des Seins einzig aus dieser Halt gebenden Lebenssäule bezieht, der ist schwer anfällig für Störungen in dieser Säule. Ob dies nun der neue Chef ist, der nichts von deiner Hingabe weiß, die übergestülpte Umstrukturierung oder einfach die Tatsache, dass sich alles ständig verändert und sich das Blatt nicht immer nur zum Guten wendet, ist ganz egal. All das könnte uns über die Maßen erschüttern, wenn wir den Halt aus der Arbeit beziehen.

Ist es die Beziehung? Nun, Beziehungen verändern sich auch. Und das Weltbild, das du gerade von deiner Partnerschaft hast, kann sich dramatisch erneuern, wenn du beispielsweise erfährst, dass dein geliebter Gefährte ein Eigenleben führt, von dem du nichts ahntest.

Ist es die Familie? Stirbt schlimmstenfalls früher oder hoffentlich später weg. Genauso wie die Tiere, die du hast und mit denen du deine freie Zeit verbringst.

Freunde? Haben ihr eigenes Leben, sind meist gestresst und haben ihre eigenen Sorgen und Nöte. Sie sind auch nicht da, um dir Halt zu geben.

Die Frage nach dem Halt stellen sich, das habe ich diese Woche herausgefunden, Menschen in völlig unterschiedlichen Lebenssituationen und -konstellationen. Alter und Partnerschaft scheinen dabei keine Rolle zu spielen. Was ich aber auch erfahre, wenn ich mich so umsehe und -höre ist, dass die Suche nach Halt überwiegend diejenigen betrifft, die überhaupt die Zeit haben, sie sich zu stellen. Stress im Sinne von Taktung scheint vor Haltlosigkeit zu schützen, taugt allerdings nicht, um gesund zu bleiben, weil dauerhafte Überforderung, eine Art Wettlauf mit den täglich 24 verfügbaren Stunden, bekanntermaßen zu körperlich-seelischer Erschöpfung führen kann. Und wenn ich nun die Wahl habe, an Burnout zu erkranken, weil ich die Arbeitssäule als einzig sinnhafte erachte oder eine Depression zu entwickeln, weil ich zu viel Leere spüre, nehme ich dann Pest oder Cholera in Kauf? Ich wähle die Pest und so lange es irgend geht, versuche ich anderen Menschen die Hoffnung zu geben, dass sich das mit der Haltlosigkeit schon legen wird.

Bis dahin könnte man sich auch einfach darauf beschränken, den Tag zu leben, von früh bis spät. Da gibt es schließlich immer etwas zu tun. Aufstehen beispielsweise. Atmen. Dein Spiegelbild aufmunternd anlächeln. Dich hübsch anziehen. Anderen Gutes tun. Dich an der Natur erfreuen. Ein Liedchen anstimmen. Oder bewusst schweigen. Sport treiben. Oder dich achtsam ausruhen. Menschen genießen, die deinen Horizont erweitern. Oder den Horizont genießen, weil er dein Menschsein erweitert. Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.

21.10.2017


Die Macht der Gefühle

Montagabend läuft immer mein ganz persönliches Testprogramm. In diesem Semester habe ich beschlossen, Yoga kennen zu lernen, nachdem ich meine Bauchtanz-Karriere vorübergehend an den Nagel hängen musste. Vielleicht sollte ich aber auch einfach stattdessen den Fernseher anschalten...

Ich mag Montage nicht. An den meisten Montagen ist das Wetter schlecht, immer liegt die ganze Woche noch vor mir, niemand will was von mir an Montagen und ich könnte auch im Büro schlafen, wenn ich antriebsarm bin – das Telefon klingelt so gut wie nie. Für einen Leistungsträger-Typ wie mich, der so gerne gebraucht werden will, sind Montage eine gute Gelegenheit, mir selbst zu beweisen, dass ich auch ohne die Welt kann und dass mir trotzdem etwas Sinnvolles einfällt. In diesem Semester soll es jedenfalls als Seelenschmeichler und zur Bespaßung in den frühen Abendstunden Yoga sein.

Ob die Idee wirklich so gut war? Bereits vor Stunde Eins meldeten sich erste Zweifel. Denn einmal ganz abgesehen von der Tatsache, dass mir montags von Haus aus gerne die Füße einschlafen, mit denen ich noch am Wochenende jede Menge zu unternehmen wusste, kommt Yoga ja gänzlich ohne Musik aus. Wenn ich dann noch ziemlich reglos auf einer Matte liege, meinen montäglich trübsinnigen Gedanken nachhänge und um mich herum atmet es nur und sonst nichts – na, ich weiß nicht. Schlafen kann ich ja auch zuhause. Oder im Büro.

Jedenfalls fand ich mein voriges Testprogramm, den Bauchtanz, schon ziemlich schön. Zum einen mag ich seit einem abenteuerlichen Marokko-Urlaub orientalische Klänge, zum anderen wurden durch Bauchtanz Muskeln trainiert, von deren Existenz ich bislang nicht das Geringste ahnte und darüber hinaus habe ich montags selten so herzhaft gelacht: Die anwesenden Damen waren durchschnittlich so alt wie ich, also um die 50, und wirklich keine konnte auch nur annähernd von sich behaupten, mittelmäßig talentiert, geschweige denn locker rund um die Hüfte zu sein – wohingegen einige Bäuche geschmeidig im Takt wippten, aber das hat mit kontrollierten Moves nur rein zufällig etwas gemein. Was fand ich das ulkig, als die reifen Mädels Step by Step in Klirrklirr-Geschirr um den Wams auftauchten wie echte Profis! Und da standen wir dann vor dem großen Spiegel und gaben ein erfreulich farbenfrohes Lustspiel der Gattung „gewollt, aber nicht gekonnt“. Manchmal war ich kurz vor dem Platzen und hinterher hatte ich immer hübsch rote Bäckchen, vor Scham, nicht vor Anstrengung.

Jedenfalls bin ich von Anfang an Bauchtanz-Fan gewesen, wenn mir auch eine Sache mit jeder Stunde Rätsel aufgab: Unsere Lehrerin, eine Steffi Anfang 30 und eigentlich Regisseurin, kam sportlich-durchtrainiert daher. Bis auf den Bauch, was für ein Kaliber! Es war mir tatsächlich schleierhaft, wie man sich bei dieser Normalstatur und so gezielt so einen Ranzen anfuttern kann. Und dann erzählte sie uns kurz vor Ende des Sommersemesters, dass sie bald niederkäme und deshalb der nächste Anfängerkurs (niemandem von uns empfahl sie, in den Fortgeschrittenenstatus zu wechseln!) erst Mitten im Winter beginnen könne. Sie würde dann auch ihr Baby mitbringen. Na, prima.

Also jetzt Yoga. Letzten Montag ging ich dann das erste Mal. Kaum im Raum angekommen, musste ich mich ablegen. Es begann eine Reflektionsrunde. Als ich an die Reihe kam, war ich bereits so müde, dass ich kaum mehr reden konnte. Aber ich hatte eh nicht viel zu sagen, weil ich nicht wie all die anderen Ur-Yogis einhellig die vorherige Lehrerin betrauern konnte, die den Kurs kurzfristig abgegeben hatte – an eine Sozialpädagogin, bei der leider jeder Satz mit „Ja, genau…“ begann. Sie saß seit Anbeginn der Stunde, womöglich seit Anbeginn der Zeitrechnung, im Schneider- oder vielleicht auch im Lotussitz, rührte sich nur wenig und las alle Übungen vom Blatt ab. Im Großen und Ganzen sogen wir Luft an. Allerdings entspannte ich mich dabei nur mäßig, weil der vorgetragene Rhythmus einfach nicht zu meiner Lunge oder meinem Puls oder was weiß ich passte, was mich mächtig irritierte. Den Beckenboden anspannen, das konnte ich noch einigermaßen. Und schon mussten wir wieder still daliegen, atmen und uns bilateral in verschiedene Körperpartien hineinspüren – es war die Abschlussentspannung und ich hatte wahre Mühe, mein inneres Kind im Zaum zu halten. Hätte mir jemand gesagt, dass die versteckte Kamera im Spiel ist, ich hätte es sofort geglaubt und am lautesten gelacht. Doch leider war nur mir nach Witz, daneben befand sich bereits ein wenig Wut im Blut. In der abschließenden Reflektionsrunde (es war die dritte!) waren alle wahrscheinlich wohl oder übel wohlwollend und nachsichtig mit der neuen Lehrerin. Freilich wollte ich jetzt ebenfalls wertschätzend, aber ehrlich sein. Ich sagte also: „Nimm´ es bitte nicht persönlich, aber ich weiß jetzt nicht, ob Yoga und ich Freunde werden.“ Sie lächelte milde und darüber hinweg. Ich stürzte hinaus. Wie konnte sich etwas, von dem ich bisher nur Gutes gehört hatte, so völlig verkehrt anfühlen? Und meine Freundin Heike macht das schon seit bestimmt zehn Jahren – ist die irre? Ich verstand die Welt nicht mehr und hatte mal wieder den bestätigten Eindruck, anders als andere zu sein.

Zwei Tage später kam die Auflösung der Geschichte: Ich war falsch. Im falschen Raum, bei der falschen Stunde. Nur die Zeit hatte gestimmt. Jetzt bin ich aber mal gespannt, was meine Gefühle in Stunde Zwei beim richtigen Kurs sagen. Ich bin jetzt schon gestresst, wenn ich nur daran denke. Da kann ein wenig Entspannung sicher nicht schaden. 

04.10.2017


Grübeln macht munter

Am Wochenende hat mich ein Zeitungsartikel inspiriert. Es ging um das Grübeln, das vielen Menschen nebst innerem Frieden auch die nächtliche Ruhe rauben kann. Dabei ist die Lösung ziemlich einfach…

Das haben wir ja alle schon mindestens einmal, wenn nicht gar hunderte Male erlebt: Wir glauben, vor einem unlösbaren Problem zu stehen und in Anbetracht dessen fangen unsere Gedanken das Kreiseln an. Meist drehen sich die mentalen Konstrukte um Worst Cases, sind demnach gespeist von Ängsten und in der Regel baut sich der Wirbel um eine zentrale Frage auf, auf die momentan die geeignete Antwort fehlt. In diesem Falle kann ich euch, liebe Leser, nur raten: Kommt ins Handeln! In dem Moment, in dem man irgendetwas zu tun beginnt, geht es schon aufwärts, denn ihr fühlt euch statt machtlos einflussreich. Dabei ist das Zielführende der Handlungsstrategie, die ihr wählt, zunächst weniger entscheidend als vielmehr der Tatbestand von Bedeutung, dass ihr einfach loslegt. Machen – da steckt doch auch ein bisschen „Macht“ drin, oder?

Wenn es um eine berufliche Frage geht, könnt ihr beispielsweise eine Web-Recherche zum Thema starten oder euch auf die Suche nach passender Literatur begeben – oder nach Gleichgesinnten im Kollegenkreis, denen ihr euch anvertrauen könnt. Plagt ihr euch mit einer privaten Problemsituation, sucht euch vielleicht erst einmal jemanden, mit dem ihr die Sache besprechen könnt. Auch das Reden alleine kann schon hilfreich und entlastend sein, selbst, wenn nicht gleich die Problemzone schrumpft – die Worte sind aus euch raus, damit kommt ihr wieder in Fluss und manchmal sogar näher zu euch und euren Bedürfnissen. Zumal, wenn euer Ansprechpartner ein guter und empathischer Zuhörer ist, der euch nicht gleich mit Ratschlägen und Eigenerfahrungen erschlägt.

Zermartert ihr euch das Hirn, weil ihr euch fehlbar fühlt und euch Misserfolge – selbst die kleinen – nicht verzeihen könnt? Dann gehört ihr entweder zur Gattung der Perfektionisten, die Mühe haben, ihre eigenen hohen Ansprüche zu erfüllen. Oder aber ihr befindet euch von Haus aus (meist schon von Kindheit an) für ungenügend und euer suboptimales Selbstwertgefühl hält euch schön klein. Dann mal Hand auf´s Herz: Glaubt ihr denn wirklich, Fehler sind unverzeihlich und Misserfolge vermeidlich? Das sollte nicht euer Ernst sein! Übt euch in Eigenliebe und stärkt euch, in dem ihr euch fragt, was ihr aus dem Ereignis lernen, welche Botschaft für euer künftiges Leben mitnehmen könnt, so dass es euch nicht noch einmal passiert.

Wenn ihr die Blume am Rande des Lehrpfades, der sich Leben nennt, gezupft habt und ihr nun sicher sein könnt, dass sich Ereignisse n i e m a l s in genau dieser Form wiederholen werden, wendet euch mit einem hoffnungsfrohen Lächeln wieder dem Hier und Heute zu. Oder dreht euch um und schlaft weiter.

19.09.2017


Leben bis zuletzt

Wir sind wieder da. Hurra! Nach der Sommerpause hat unser zeit|raum uns wieder – und ein ziemlich großer Haufen Arbeit, nebst selbst auferlegten Fleißaufgaben wie Workshops in Akribie zur wissenschaftlichen Reife entwickeln (Julia) und Buch aus Blog-Artikeln schreiben (Andrea) wartet auf uns. Umzingelt uns. Verschlingt uns, wenn wir nicht aufpassen.

Und bestimmt kennt ihr das: Wenn man sich zu ungünstigen Zeitpunkten wie spätabends noch vergegenwärtigt, was alles zu erledigen ist und bis wann, neigt man schon einmal dazu, kein Auge zuzutun oder zur Beschwichtigungsdroge Alkohol zu greifen. Ich aber atme vorbildlich, natürlich, immer tief und weiter, mache Achtsamkeitsübungen, während ich meines Auslaufs über Felder und Wiesen fröne und versuche, Gleichmut zu entwickeln, wo Gelassenheit nicht genügt.

So. Und trotzdem schlafe ich schlecht, was mal an den Moskitos liegt, mal an meinem Mann, der schwer schnaufend nach seinen Gummi-Ohrstöpseln japst, mal an den vielen Gedanken zu oben genannter Vielfalt an To Dos.

Und just bevor ich doch noch überschnappe und die Nacht kurzum zum Arbeitstag mache, weil sich vorhandener Energielevel und nötige Tatkraft ohnehin uneins sind, beschert mir das Leben diese beiden berührenden Geschichten:

Mein Mann, der im Klinikum Nürnberg Süd arbeitet, erzählte, dass er gestern – noch getragen von den Gedanken über das Arbeitsgeschehen – Richtung Parkhaus lief und sich wunderte, weil ein Krankenbett mitten auf dem Weg stand. Als er näher heranging, sah er eine schon sehr betagte und offenbar sterbende Frau, die umringt von Pflegekräften und Angehörigen einen Hund herzte. Der Hund war voller Freude zu ihr ins Bett gesprungen und alle Anwesenden lachten von Herzen, teils unter Tränen, über das freudvolle Tier. Mein Mann sagte, er sei zutiefst bewegt gewesen – und just wieder voll im Hier und Jetzt. Geerdet und dankbar. Verstehe das völlig.

Heute schickt mir Julia einen Link zu den Fürther Nachrichten, den wir euch zeigen wollen. Ich habe geweint, als ich das Bild sah und den Text dazu gelesen habe: Eine Frau, Ende 50, palliativ stationiert im Klinikum Fürth, hatte wohl den Wunsch, ihr ehemaliges Pflegepferd noch einmal zu sehen. Als die noch übrige Lebenszeit aus Sicht der Fachleute knapp wurde, kamen sowohl Pflegepersonal, als auch Pferdefreunde aus dem Langenzenner Reitstall in die Pötte und brachten die Ponystute Dana an das Bett der Totkranken, die dann wenige Tage später starb. Das Klinikum veröffentlichte die Fotos wohl ausnahmsweise und natürlich mit Einverständnis der ehemaligen Patientin und ihrer Angehörigen. Gut, dass auf diese Weise dem Palliativ-Team, das sterbenden Menschen unablässig versucht, wichtige Wünsche zu erfüllen, auch einmal zigtausend Dank zukommt – via Facebook und auf anderen Kommunikationswegen. Respekt!

Also konzentrieren wir uns doch, hoffentlich berührt und inspiriert von diesen beiden bewegenden Geschichten, auf das Wesentliche und leben bis zuletzt, in vollen Zügen und in dem Bewusstsein, was wirklich wichtig ist.

07.09.2017


Erst Köter, dann Köder

Gestern wartete ich in einem Café auf eine Freundin. Ich nahm an einem Tisch Platz und nur wenige Meter vor meinen Füßen lag eine schwarzweiße Hündin, die mich neugierig, mit wachsam nach vorne geschwenkten Ohren, aber total regungslos anstarrte. Unangeleint. Und so kamen wir dann ins Gespräch…

…das Frauchen und ich. Vielleicht leider. Bin mir gerade nicht ganz im Klaren. Sicher ist, dass ich das Hündchen nicht nur vorbildhaft brav, sondern auch herzallerliebt fand und es unbedingt locken wollte. Also sprach ich die vermeintliche Besitzerin, die mit dem Rücken zum Hund lesend am Tisch saß, an und fragte, ob das ihr Hund sei. Sie bejahte und in genau dem Moment sprang das schöne Tier auf und kam zu mir, ließ sich seinen supersoften Pelz durchwalken und mit Kuschelworten verwöhnen. Ich erzählte – offenbar brauche ich immer noch diesen Zuspruch – vom Verlust meiner Hündin und was ich bekam, war alles andere als Mitgefühl: „Na, super. Der Tod ist doch einfach nur super!“ Ich war kurz davor, mein Handy zu zücken, um die Frau zu fotografieren, denn so ein ausgefallenes Exemplar Mensch (abgesehen davon, dass ihr der BH und vielleicht der ein oder andere gütige Zug um die Augen fehlten) hatte ich noch nie gesehen.

Natürlich wollte ich wissen, was es mit dieser – meine Freundin, die mittlerweile auf der Bildfläche erschienen war, fand die Botschaft einen Tick zu laut in die desinteressierte uns umgebende Welt posaunt – Einstellung auf sich hatte. Sie erzählte, sie sei Tochter eines Ungläubigen und einer Pastorin und habe lange Zeit in der festen Überzeugung gelebt, dass sie keinen Glauben habe. Eben bis zu dem Zeitpunkt, als sie merkte, dass sie ständig Geschehnisse nach ihrer Bedeutung durchsuchte und wie ich in Päckchen dachte, also auch unangenehme Ereignisse annehmen konnte, wissend, dass sich der tiefere Sinn häufig erst nachträglich zeigt.

Irgendwann gestand sie sich also ein, dass sie sehr wohl an etwas glauben konnte, wenn sie dafür auch keinen Namen wusste. Gott, Schicksal, Universum? Egal! Und deshalb ist sie überzeugt, dass auch das Leben in Summe eine Verkettung von sinnigen Ereignissen ist und wir alle in Verbindung miteinander stehen. Wenn Menschen gehen („sollen sie doch, mir egal!“), und wenn Tiere sterben („habe schon den vierten Hund, aber das ist jetzt der letzte. Ich will nicht mehr angebunden sein“ – ich blickte traurig zum selbigen und überlegte, ob ich ihn nicht einfach mitnehmen könnte), tangiert sie das wenig. „Nur damals, als mein einer Hund vom Jäger erschossen wurde – der andere hat dann tagelang getrauert – das war schon doof!“ Aha.

So. Da saß ich dann zwischen den zwei Stühlen Faszination und Naserümpf.

Faszination, weil ich bislang nur Menschen getroffen habe, für die das Loslassen von was auch immer ein Drama ist.

Naserümpf, weil ich denke, es gehört zu unserer sozialen Struktur, dass wir nach Bindungen streben, Zuneigung entwickeln und Verlust nur unfreiwillig in Kauf nehmen, selbst, wenn er zwangläufiger Bestandteil des Lebens ist. Wir alle kennen die Spielregeln, doch deshalb müssen wir sie noch lange nicht mögen.

Wenn dann jemand so gar nicht leidet und nicht einmal bedauert, was er gehabt und verloren hat (und sei es auch in dem Wissen, dass er darüber hinweg gekommen ist), dann sagen meine auf Empathie getrimmten Spiegelneuronen „igitt“ und wenden sich ab. Ich kann das wahrlich null nachempfinden, über den Abschied von jemandem oder etwas, das man geliebt hat, zu frohlocken. Auch wenn sie dann den lustigen Totenkult Mexikos ins Gespräch brachte, was mir an der Stelle ohnehin zu weit weg war, fühle ich mich dieser Haltung nicht nahe. Vielleicht noch nicht. Womöglich bin ich aber auch einer Frau auf den kommunikativen Leim gegangen, die durch ungünstige Erfahrungen diese trotzige LMAA-Haltung kultiviert hat. Aus Selbstschutz. Für eine Erleuchtete war sie für meine Begriffe nämlich eine Spur zu schnoddrig, die stelle ich mir einfach feiner vor. „Und leiser“, sagt meine Freundin. Aber was wissen wir schon davon. Wisst ihr es?

30.08.2017


Ein tierisch guter Lesetipp!

Jetzt ist es für viele so weit. Große Teile der Bevölkerung wandern gen Süden aus. Davon zeugt zumindest die Verkehrsdichte auf den Autobahnen. Dass es auch für mich (längst) so weit ist, das Weite zu suchen, kann man auch daran erkennen, dass ich in kurzer Zeit zweimal geblitzt worden bin. Das kam mich richtig teuer zu stehen. Also nix wie weg…

Habt ihr vielleicht noch Platz im Koffer und freie Kapazität im Hirn? Dann solltet ihr euch noch schnell diesen Schmöker besorgen, der nicht nur praktisch, weil quadratisch und light, sondern vor allem geistreich und gut ist. Das Buch heißt „Der Buddha auf vier Pfoten“ und setzt zwar voraus, dass ihr Hunde mögt, kennt, habt oder hattet. Aber es bietet wirklich jede Menge Denkimpulse für in Hängematten baumelnde Seelen nebst Strand und Meer. Ihr könnt förmlich eintauchen in diese erstaunlichen und erbaulichen Anekdoten aus dem Leben des Autors mit dem zwischenzeitlich leider im Regenbogenland befindlichen Stubenwolf Bobba.

Tatsächlich studierte Dirk Grosser fernöstliche Philosophie und neigte seinerzeit dazu, sich im tiefgründen Taumel zu verlieren – sein reales Leben mit Gelderwerb und einigermaßen tauglicher sozialer Vernetzung schien er damals jedenfalls nicht so richtig auf die Reihe gekriegt zu haben. Bis eben der fellige Meister per Zufall in sein Leben trat und den theoretischen Höhenflügen auf pragmatisch-begreifbarem Wege ein Ende setzte. Beispielsweise kann man hier als Leser lernen, welchen Effekt es hat, wenn man Gefühle wirklich mit jeder Faser durchlebt, was Bewertungen anrichten, wie sich Traumata bemerkbar machen und wie es geht, das Tao fließen zu lassen und sich ganz und gar seinem Da-Sein zu widmen.

Das Buch ist amüsant und stellenweise traurig, bodenständig und ab und an abgefahren, lehrreich und immer toll geschrieben.

Ich wünsche euch viel Freude mit dem vierbeinigen Buddha und Dirk Grosser – und mentale Regeneration, die bis in den Alltag nachhält. Bis bald!

07.08.2017


Stur oder weise?

Ich habe eine Ponystute. Und ich bin froh um sie. Doch an manchen Tagen frage ich mich: Ist dieses Pferd schlichtweg das Sturste, was der liebe Gott jemals erschaffen hat – oder ist sie nicht einfach ein Vorbild in Sachen Achtsamkeit und infolgedessen einfach weise?

Mir doch egal, könnte man meinen. Verstehe ich. Ging mir auch so. Mein Pony ist eigenwillig und störrisch und von daher rät mir jeder, der etwas von Pferden versteht, sie zu dominieren, zu domestizieren und ihr jederzeit und allerorts Orientierung zu bieten (unpädagogisch formuliert: sie in die Schranken zu weisen). Was in vielen Situationen Sinn macht. Beispielsweise, wenn sie mal Angst hat. Kommt allerdings äußerst selten vor. Doch in ebendiesen äußerst seltenen Momenten ist es wichtig, dass sie sich bei mir sicher fühlt. Blöd nur, dass ich ihr das dann auch nicht bieten kann. Ist ein Teufelskreis. Ich sitze auf und wir reiten aus. Sie ist verspannt und wiehert am laufenden Band, als ob sie auf Nimmerwiedersehen ihre Heimat verlassen muss. Ich bin genervt und denke mir: Was hat sie nur? Ich fange an, sie von oben zu beobachten und folge jedem Ohrenwink und Augenaufschlag. Ich sehe ein Reh zwischen zwei Kornfeldern und denke mir: Oh nein, hoffentlich springt es nicht auf uns zu! Felina schaut derweil nicht mehr einfach nur interessiert in der Gegend herum, sie starrt in Richtung Reh und verspannt sich noch mehr. Ich merke, wie ich mich anspanne und erinnere mich, zu atmen und loszulassen. Weil es nicht so gut klappt, beginne ich „an der Nordseeküste“ oder „when the Saints go marchin´ in“ zu singen. Ihre Ohren klappen genervt in meine Richtung. Das sehe ich, weil ich sie ja unablässig beobachte. Ein anderes Pferd erscheint am Horizont. Sie wiehert. Ich denke: Hoffentlich rosst sie nicht gerade, das ständige Wiehern spricht dafür. Das Fremdpferd nähert sich. Felina wirkt übermäßig wachsam und baut sich auf wie ein Junghengst auf Brautschau. Ich steige ab, bis wir das andere Pferd passiert haben. Ich denke: Immer muss ich absteigen, ein entspannter Ausritt – den hatten wir schon lange nicht mehr. Felina denkt (vermutlich): Das muss ja ein ganz besonderes Pferd sein, Frauchen steigt sonst nur bei Gefahr ab. Anschließend ist sie noch verspannter als vorher. Ich steige auf und singe weiter und irgendwann sind wir zurück im Stall. Ich verschwitzt. Fee hungrig.

Man muss zu meiner Entschuldigung noch anbringen, dass ich schon mehrfach in mehr oder weniger großem Bogen im Feld gelandet bin, weil Fee Atem beraubende 180-Grad-Wendungen hinlegen kann. Außerdem habe ich mir schon einmal einen Wirbel angebrochen. Allerdings bin ich da vom stehenden Pferd gefallen. Ja, das gibt es auch, wenn man beim Aufsteigen nicht achtsam ist.

Ach ja, darauf wollte ich ja hinaus. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Pony je sturer und störrischer wird, desto mehr ich Druck ausübe. Wenn ich mich dann während einer Reitstunde mal nicht mit ihr anlegen will, werde ich aufgeklärt: „Sie veräppelt dich, hau ordentlich drauf!“. Was ich nur halbherzig tue. Weil ich genau spüre – und ganz ohne ordentlich Hiebe – dass sie auch so weiß, was ich von ihr will. Und dann bringt mich zusätzlich zum Nachdenken, dass ich – wenn ich eben alles easy angehe und ganz locker bin – meist genau das von ihr kriege, was ich will. Dauert manchmal etwas länger und funktioniert erst nach dreimaligem (immer!) Äpfeln, aber immerhin. Wenn ich es mir genau überlege, könnte ich diesen Weg einfach mal als Experiment ausprobieren. Ich könnte auf sie hören und sehen, was dann passiert. Schließlich ist es ja schon so: Fee zeigt mir, wenn sie nicht im Gelände laufen will, weil zu viele Bremsen an ihr nagen. Fee zeigt mir, wenn ich sie führe, welche Fliege ich verjagen soll. Fee zeigt mir, wenn sie freudvoll und willig ist und ebenfalls überdeutlich, wenn sie null Bock hat. Heute hat sie mir mal gezeigt, dass sie nicht gedenkt, auf ihrer ansonsten geliebten Graskoppel zu weilen. Sie wieherte, als ich ging und steckte ihren Kopf zwischen Hecke und Gitter. Also stellte ich sie zurück auf ihr Paddock, sie hatte schon während des Reitens die ganze Zeit in ihre Hütte gelugt und systematisch überprüft, ob ich bereits Heu nachgelegt hatte.

Das heute hat mich nachdenklich gemacht. Ich dachte, Grasfressen sei ihr das Liebste. Doch dem ist offenbar nicht so. Sie wählt mit Bedacht. Pony ist nicht nur stur, sondern auch ziemlich schlau. Sie weiß offenbar viel besser, was sie will, als wir Menschen. Wenn du denkt, du magst mit ihr rechtsrum laufen, sagt sie dir, dass linksrums schöner wäre. Wenn du denkst, ich hänge noch ´ne kleine Runde dran, ist sie ein Navi auf vier Beinen, biegt spontan den Abhang runter ab und will die direkte Reiseroute retour nehmen. Wenn du denkst, du willst wider Willen galoppieren, quiekt sie wie ein Mastschwein auf dem Weg zum Schlachter und demonstriert mit ungeahntem Temperament, dass Pferde auch mal hinten höher als vorne sein können für einen bangen Augenblick. Wenn du denkst, das war jetzt das letzte Leckerli für heute, sabbert und knabbert sie so lange an deinem Unterarm herum, bis dein Ärmel nass und du durch bist. Wenn du ihr ein Küsschen geben willst, weil du vor Liebe zu dieser ungestümen Schönheit fast zergehst, zieht sie auch mal den Kopf hoch und verpasst dir eine angebrochene Nase (und das verdrängte Bewusstsein, dass pferdische Zuneigungsbekundungen, gespeist aus 500 kg Lebensgewicht, einfach robusterer Natur sind).

Am Ende ist mein Pony weise. Lebt immer im Moment, plant nicht von langer Hand, will sich nicht selbst optimieren, kein Gewicht verlieren oder die Gunst von wem auch immer gewinnen. Ihr ist es egal, was du willst und schnuppe, wer du sein magst. Aber sie zeigt dir mit Eselsgeduld, wo du gerade stehst im Leben. Ich spüre, ich entwickle mich mit ihr, bin mir nur noch nicht sicher, wohin genau. Allerdings könnte ich schwören, sie weiß es.

25.07.2017


Die Entdeckung der Einfachheit

Vielleicht kennt ihr das: Manchmal schieben wir zu erledigende Sachen vor uns her oder machen uns das Leben anderweitig schwer, in dem wir glauben, etwas eben „genau so“ oder „nur selbst“ bewältigen zu müssen. Ich habe festgestellt, dass es auch anders geht und dabei geht es mir total gut. Weil einfach einfach einfach ist.

Beispielsweise hatte ich ziemlich lange den Anspruch, mir immer nur Bücher mit Tiefgang reinziehen zu müssen oder eben solche lesen zu sollen, die mir reifetechnisch etwas bringen. Seit ich bemerkt habe, dass mich ständig etwas emotional bewegt, berührt, erschüttert – sei es nun das, was früh in der Zeitung steht oder später in den Tagesthemen kommt, der kritische Film als Betthupferl oder der autobiographische Schmöker zwischendrin – versuche ich, immer mal wieder etwas für mein Seelenleben, anstatt für meinen Intellekt zu tun. Was dabei herauskommt, empfinde ich für mich als revolutionär! Ich lese derzeit tatsächlich einen sanften Roman mit Allgäuromantik, Tieren, Natur und Liebe und fühle mich richtig wohl mit der unaufgeregten Vorhersehbarkeit der Geschichte. Ich lese wieder richtig gerne am Abend, vor allem, wenn der Tag bis dahin schon anstrengend genug war.

Neulich habe ich mich mit einer Freundin über Schlafstörungen bzw. das ungute Gefühl unterhalten, nie richtig ausgeruht zu sein. In diesem Zusammenhang habe ich mein Experiment erwähnt, nicht einfach – weil ich mich ja um 21.30 h zur Ruhe bette – anzugucken, was die Glotze gerade bietet. Sondern bei Amazon Prime einen Film ganz gezielt rauszusuchen und mich am Abend bequem berieseln zu lassen. Leider ging das schon mehrfach völlig daneben. Selbst ein griechischer (preisgekrönter) Film vor kurzem mit dem lapidaren Titel „Nacktbaden“ hat mich fast in den Wahnsinn getrieben und meinen Herzschlag aufgrund seiner extrem depressiven Story rasant beschleunigt. Die Nacht darauf war wieder ein erholungsmäßiger Fehlschlag. Daraufhin meinte meine Freundin: „Ich schaue immer nur Filme, die ich schon kenne und mag.“ Aha, so kann man das also auch machen.

Und weil aller guten Dinge drei sind: Ich habe ein neues Handy bekommen von der Telekom. Ein schickes Teil. Es liegt jetzt schon seit sechs Wochen und zwischenzeitlich wenigstens von mir geladen in seiner Kiste und schlummert unbenutzt vor sich hin. Jedes Mal, wenn ich an der Schachtel vorbeigehe (jeden Morgen), denke ich, was ich für eine technische Nullnummer bin – und das ganz bewusst. Denn ich habe einfach weder Motivation, noch sonst irgendeinen Lustgewinn, mich mit diesem „Spiegeln“ aller Daten und dem Herunterladen es-möglich-machender-Apps zu beschäftigen. Das kostet mich unverhältnismäßig Kraft und Nerven. Ich hasse es aus Erfahrung. Gestern früh hatte ich dann die errettende Erkenntnis: Es gibt Leute, die sowas mit Links machen, es folglich können und auch wollen. Also habe ich jetzt einen Termin beim IT-Techniker meines Vertrauens. Den bezahle ich dafür, habe schließlich das Handy umsonst bekommen. Ich gehe hin, sehe zu und nehme es gebrauchsfertig mit. Um die Schutzhülle habe ich mich aber noch selbst gekümmert.

So schön einfach kann alles sein. Ich teste weiter – und, wenn ihr Lust habt, probiert es doch auch mal aus!

11.07.2017


Monotasking macht Laune

In einem Workshop neulich bat mich eine junge, lebhafte Teilnehmerin, Achtsamkeits-Tipps von mir zu geben. Ich vertröstete sie auf nach die Mittagspause. Und bis dahin fiel mir auf: ihr Handy. Als einzige hatte sie es zum Glück stumm auf dem Tisch liegen und ihre Blicke darauf waren unzählbar viele…

Ich nutzte also in der Mittagspause einige Minuten, um flugs ein Chart zum Thema Achtsamkeit zu illustrieren. Nebenbei überlegte ich mir, wie ich meine Wahrnehmungen an diese Teilnehmerin herantragen könnte, ohne einen Beziehungsbruch zu riskieren. Ich entschied mich für den geradlinigen, direkten Weg und sprach sie unter vier Augen darauf an. Sie sagte mir, dass sie sich häufig völlig zerrissen fühlt. Das ständige Bangen, irgendwo irgendwas zu verpassen – und sei es ihren nächsten Einsatz bei der freiwilligen Feuerwehr (tatsächlich brannte während unseres Seminars eine nahe liegende Kirche) – trieb sie in ihrer berufsbedingt raren Freizeit, die sie an den Wochenende noch mit Kellnern verknappte, immer öfter an den Rand der Verzweiflung.

Meine Meinung könnt ihr euch bestimmt denken: Wenn du dein Leben randvoll machst und dir in der Flut aus Beruf, Nebenjob, Pferd (sie hatte eins), Ehrenamt, Freunden, Partner und Haushalt wie Treibholz vorkommst, dann hast du recht. Das ist nämlich vom selbstbestimmten, bewussten Leben so weit weg wie der Lago di Garda von Uttenreuth. Mindestens. Ob da Achtsamkeits-Tipps noch helfen, sei dahin gestellt. Hier geht es wohl eher um Priorisierung und inhaltliche Regulation der Aktivitäten (das Wie und wie oft), so dass sie den 16-Stunden-Tag nicht sprengen. 8 Stunden ziehe ich wegen der Notwendigkeit des Schlafens ab.

Ich bat die Teilnehmerin, es mal mit einer ganz einfachen Übung zu verssuchen. Und die heißt Monotasking. Was ich meine ist, einfach mal auf ein Erleben zu fokussieren und den immer wieder für eine Aufmerksamkeitsunterbrechung sorgenden Blick aufs Handy zu unterlassen. Noch besser wäre es, falls diese Übung noch zu schwer ist, das Handy nur früh, mittags und abends anzuschalten. Dann kommt man zwischendurch gar nicht erst in Versuchung.

Sagt sich leicht, ich weiß. Ich habe da auch so meine Erfahrungen, merke aber, dass – wann immer mein Stresspegel steigt – das nervöse Handy-im-Auge-behalten und sofort-auf-Whats-App-Nachrichten-antworten für zunehmende Gereiztheit sorgt. Wenn ich dann mal Urlaub mache und wirklich loslasse von all dem, was mich an Informationen umgibt (auch von den Nachrichten, die momentan eh nur negativ sind), geht es mir schlagartig besser. Plötzlich gelingt es mir, Ruhe, Stille und Leere nicht mehr als Feinde zu sehen, vor denen ich gewöhnlich auf der Flucht bin. Es ist, als fände ich gute alte Freunde wieder und zudem meine innere Mitte, aus der ich immense Kraft, Fröhlichkeit und Gelassenheit schöpfe. Das geht so weit, dass ich es in dieser Zeit des Abstands sogar schaffen kann, einen amerikanischen Jugendroman (500 Seiten!) über eine College-Liebe (trivial!) zu lesen und diese Lektüre (vorhersehbar!) einfach nur angenehm entspannend zu finden.

Ich habe das Buch noch am Strand des Gardasees dankend verabschiedet und in die Tonne getreten, es hatte seine gute Tat vollbracht. Was ich aber mitnehme? Mal wieder die Erkenntnis, dass ich nur Ruhe finde, wenn ich Ruhe zulassen kann. Das geht übrigens auch stau- und kostenfrei und ganz ohne Urlaub und Krankheit. Zuhause.

21.06.2017


Vom Suchen und Finden

Gestern habe ich eine systemische Familienaufstellung besucht. Als Zuschauer, das heißt, ich habe kein konkretes persönliches Anliegen mitgebracht. Wohl aber die berechtigte Hoffnung, dass ein paar Bilder und Botschaften für mich herausspringen. Dem war auch so. Das Resonanzgesetz gilt schließlich immer und überall…

Ich habe mich also an einem sonnigen Sommersamstag am frühen Morgen auf den Weg gemacht. Leider einen Tick zu spät. So wartete im REWE Uttenreuth schon die erste bemerkenswerte Erfahrung auf mich. Ich wollte noch auf die Schnelle ein Getränk to go kaufen, doch die Kassenschlangen waren länger als gedacht. Ich entschloss mich zu einem Experiment und fragte die wartenden Herrschaften beherzt und freundlich: „Entschuldigen Sie bitte, ich habe es furchtbar eilig. Dürfte ich vielleicht vor?“ Eine Dame sagte gar nichts, der Herr davor schaute angriffslustig. Die dritte Dame hörte mich nicht. Da sagte ich zum Herren: „Ist wohl keine so gute Idee?“ Er: „Ich habe hier auch nur ein Teil liegen.“ Die andere: „Ich auch.“ Ich: „Oh, das habe ich nicht bemerkt, Verzeihung.“ Also stellte ich das Getränk zurück und ging zur Tanke. War sowieso die bessere Idee. Das Experiment war missglückt. Ich fühlte mich seltsam zurückgewiesen und dachte mir, dass ich in Zukunft milder sein müsse mit den Menschen. Unbedingt. Menschen sind so. Und bei REWE kann man so viel über das Leben lernen und über sich selbst! Probiert es ruhig mal aus. Hier habe ich schon Nähe-Distanz-Experimente vollzogen, Studien über auf dem Boden liegende, schreiende Kinder und hilflose Mütter durchgeführt und Rentner, die wegen eines unauffindbaren 50 Cent-Coupons etwa zehn nach ihnen in der Reihe wartende, müde Arbeitstiere unverfroren – so ganz „bei sich“ – schlicht für fünf Minuten vergaßen.

Ich fuhr also hin, zum Ort des systemischen Geschehens. Wie immer, empfing mich dort die sektuös wirkende Fangemeinde eines regional bekannten Aufstellungsleiters. Die meisten von ihnen waren barfuß. Wir begannen mit einer lustigen Vorstellungsrunde, in der rund zwei Drittel sagte „Ich heiße xy und freue mich auf den Tag.“ Der Rest teilte sich in „Hallo, ich bin xy und noch müde“, „ich komme von ganz weit her“ oder „ich bin das erste Mal hier“. So. Nun wussten wir alle ja schon viel voneinander und von rund 30 Leuten kann man sich die Vornamen freilich sofort merken. Interessanter Weise waren ziemlich viele Männer da und bei der ersten Aufstellung eines solchen ging es um das Thema Männlichkeit. War wirklich mächtig, wie das Schlussbild, untermalt vom laut-dröhnenden Trommelklang aus der mitgebrachten Soundanlage, für eine Weile wirken durfte. Das ging nicht nur mir unter die Haut. Es war nahezu erotisierend, ich glaube, einige Damen erröteten an der Stelle nicht nur wegen der sommerlichen Temperaturen.

In einer der Pausen zwischen den Aufstellungen wurde eine „Übung“ angeleitet, bei der es hieß, wir sollten total authentisch sein. Nachdem der Aufsteller verdeutlicht hatte, um was es jetzt gehen würde, dachte ich: „Dann bleibe ich doch einfach sitzen.“ Aber nein. Ich wollte mich ja nicht in meiner Komfortzone einnisten und machte brav mit. Wir sollten durch den Raum wandeln, wild durcheinander, und jede Begegnung zulassen, innehaltend den Blickkontakt suchen, mit Nähe und Abstand experimentieren. Spontan kam es zu ein paar Umarmungen und der eine Mann wollte mich gar nicht mehr loslassen. Herzig. Andere Begegnungen waren deutlich kühler. Ich ertappte mich beim Lächeln wie ein Honigkuchenpferd, wen ich auch traf. Ich beobachtete mich selbst, wie ich (dümmlich) grinsend, manchmal tat es schon fast weh, alle möglichen Leute zu mir einlud. Also körperlich-sozial, meine ich. Interessant. Ich will also geliebt, angenommen werden und bestimme das in erster Linie nicht selbst. Aha.

Besonders beeindruckt hat mich die Aufstellung, bei der ein sehr „weich“ wirkender Mann erfuhr, er solle nicht gegen andere, sondern für sich kämpfen. Da resonierte etwas gehörig in mir. Ich bin mir nur nicht sicher, ob ich zu wenig gegen andere oder aber zu viel für mich selbst kämpfe. Das muss ich noch herausfinden. Kämpfen ist ohnehin nicht der Weg, den ich für gangbar halte. Also ich meine, so als Dauerstrategie.

Definitives Highlight war für mich eine Aufstellung, in der der Betreffende seinen Vater nicht kannte und sich aufgrund dessen wurzellos fühlte. Der Anleiter sagte „Du lehnst also 50 % in dir ab“ (den Vater). Am Ende sollte sich der Aufsteller vor den Vater hinknien (der Kleine, das Kind), was auf immense Abwehr stieß und nur mit hinzugefügter Mutter (und deren Erlaubnis) funktionierte. Ein überwältigendes Bild! Viele im Raum waren zu Tränen gerührt. Ich auch. Viele von uns kennen genau dieses Thema und haben damit zu tun. Selbstwert, sage ich nur. Fazit:

Wir sollten unsere Eltern annehmen und lieben und akzeptieren und loslassen von der Rolle, in der wir uns überheben, kritisch oder (zu) fürsorglich sind – oder uns zuständig fühlen für die Lösung deren psychischer Probleme. Eine gigantische Aufgabe. Aber nur dann gelingt uns ein ganzheitlich glückliches und erfülltes Dasein, in dem wir uns selbst annehmen und uns erlauben, zu leben, was wir lieben und wer wir wirklich sind.

Falls ihr Interesse an diesem Thema habt, könnt ihr mal „Was die Seele krank macht und was die Seele heilt“ von Schäfer, Knaur Verlag, lesen. Das erklärt die Grundprinzipien Systemischer Familienaufstellungen ganz gut. Außerdem lasst uns in Verbindung bleiben. Denn ich fühle, dahin geht mein Weg und ich würde mich freuen, wenn ihr dann, wenn die Zeit reif ist, zu mir findet.

07.06.2017


Total verstrahlt?

Jetzt ist mir wieder etwas zugefallen, das mir erst aufgefallen ist und dann ganz und gar nicht gefallen hat. Wie nicht anders zu erwarten war, hat es mit Menschen zu tun – genau genommen mit Leuten, die sich offenbar schwer tun mit Herzlichkeit und einer offenen, wohlgesonnenen Weise, auf andere zuzugehen und mit anderen umzugehen. Woher das wohl kommt? Sind wir womöglich verstrahlt und die anderen in Angst vor Strahlenschäden tatsächlich auf der sicheren Seite?

Ich möchte erst einmal beim positiven Gegenteil beginnen: Ich suche im Moment nach weiteren Firmenkontakten, will Herausforderungen in wirtschaftlichen Branchen finden und Partner aus der Personalentwicklung, die Lust haben, gemeinsam etwas Neues im Seminarbereich auszuprobieren und zu platzieren. Der Weg führte mich zu einem naheliegenden Konzern und dort zu einer Ansprechpartnerin, die mich – obwohl wir uns noch nie gesehen hatten und der ich meine Geschichte vom missglückten Erstkontakt vor einigen Jahren freimütig erzählte – völlig unkompliziert und urteilsfrei zum persönlichen Gespräch einlud. So etwas erfreut mein Herz, weil es zwei Menschen bei der Bemühung um Kooperation zeigt und eine Begegnung auf Augenhöhe verspricht. Ich mache meinen Job, sie ihren. Und vielleicht finden wir einen gemeinsamen Weg. Das wäre dann für beide Seiten ein Gewinn.

Und jetzt das, was mir aufgefallen ist: Es gibt immer mal wieder Kontakte mit Menschen, deren Sendungsbewusstsein – na, ich will mal sagen – suboptimal ausgeprägt ist. Was in mir Gefühlsqualitäten von Verwunderung (an guten Tagen), bis Ärger (an miesen) auslöst. Aber das ist definitiv mein Problem, nicht das der anderen.

Beispiel 1: Ich halte für eine Top-Firma das erste Mal einen Workshop. Das Feedback ist überragend. Beim anschließenden Gespräch mit der zuständigen Ansprechpartnerin im Unternehmen äußere ich meine Freude über den gelungenen Tag verbal. Sie freut sich offensichtlich nicht so wie ich, fragt mich aber investigativ über eine minimalistisch-kritische Äußerung einer ansonsten begeisterten Teilnehmerin aus, die einen wissenschaftlichen Part im Seminar zu lang fand.  Was soll ich sagen, spiegelt sich da vielleicht was?

Beispiel 2: Wir gehen auf eine Messe zur Kontaktanbahnung mit Firmen. An einem Messestand entdecke ich eine Ansprechpartnerin, mit der ich erst wenige Tage zuvor telefoniert habe. Ich bin überrascht und finde es fein, kurz persönlich „hallo“ sagen zu können. Die Dame hingegen wirkt sehr reserviert. Den mitgebrachten Smoothie, unser Give-Away zum hauseigenen Motto „Gesund leistungsfähig bleiben“, nimmt sie fast schon irritiert entgegen. Ich entdecke Julia und mich beim Weitergehen auf einer Leinwand, offenbar wurden wir von einer unsichtbaren Kamera eingefangen und auf Großfläche projiziert. Wir strahlen, wirken fröhlich und freundlich. Lag es an uns, dass die Personalerin so abweisend sein musste?

Beispiel 3: Ich bekomme einen Anruf von einer potenziellen Coaching-Klientin. Sie meldet sich für ein Setting an und ich erkläre ihr auf Wunsch die Konditionen. Zum völlig marktüblichen, wohl eher sogar im unteren Preissegment angesiedelten Honorar für Privatpersonen sagt sie mir, dass das für sie hart verdientes Geld sei. Mir fällt nichts anderes darauf ein als zu antworten, dass unsere Leistung ja auch eine wertvolle ist. Fünf Tage später sagt sie das Setting ab, fragt mich aber, ob sie unsere Räume für ihre Energiearbeit mieten dürfe. Ich verstehe das alles nicht so recht, lehne aber das Untermietangebot ab.

Gestern habe ich mich mit einer guten Freundin in Ingolstadt getroffen. Sie erzählte von einer Führungskraft – sie hat zwei Oberchefs – die steuert, in dem sie Angst schürt, Leute völlig unerwartet in der Probezeit entlässt und offenbar die verunsicherten „Schäfchen“ um sich herum genießt oder zumindest billigend in Kauf nimmt. So sind wir, mal wieder, beim leidigen Thema Selbstwertgefühl gelandet. Denn wer sich selbst für ungenügend hält, der hält gerne auch andere klein, lobt nicht und ergötzt sich an der Macht, die er gegenüber (vermeintlich) Ohnmächtigen bzw. Abhängigen besitzt. So denke ich, ist das Selbstwertgefühl auch für all die anderen geschilderten Beispiele mal wieder verantwortlich. Ich gucke dann bei anderen und Ereignissen nur auf die Löcher im Käse statt auf die Substanz, ich schütte zu wenig positives Feedback aus, um anderen Menschen nur ja nicht die Gelegenheit zu geben, im Kontakt mit mir zu wachsen. Ich bin es mir selbst nicht wert, mir etwas Gutes zu tun, lieber leide ich weiter und gehe für die 60,- € zzgl. MwSt. einmal im Monat zum Friseur (sofern das überhaupt reicht).

Ich kann nur sagen: Leute! Lernt, euch zu lieben, anzunehmen und euch selbst zu wertschätzen – und übt euch in einem positiven Menschenbild! Dann wäre so manches leichter, wenn nicht sogar das ganze Leben. Ich bleibe jedenfalls dran und werde mich auch weiterhin und völlig ungeachtet wirtschaftlicher Interessen, sondern einfach, weil es mir Spaß macht, in Herzlichkeit üben.

01.06.2017


Mal was Positives

Ja, ich merke es selbst. Wenn ich einen Blog schreibe, ist das meist schwere Kost. Gedanken, die mich bewegen. Oder Bewegungen, die mich irritieren. Wie andere Menschen übrigens auch. Deshalb schreibe ich ja darüber. Heute möchte ich es mal mit der Schönheit im Kleinen versuchen. Also begebe ich mich mit euch auf eine Entdeckungsreise…

Ich gehe mit meinem Gassihund Lemmy spazieren und komme im Wald an einem Baum vorbei. Der Baum quiekt wie verrückt. Ich blicke hoch und halte die Hand Schatten spendend vor meine Augen. Da sehe ich es. Ein Loch im Baum. Hier drinnen müssen junge Vögel sitzen und aus Leibeskräften singen, sofern man das schon so nennen kann. Ich sehe nichts. Auch keine Nahrung spendende Mama. Ich gehe weiter und frage mich, wann sie wohl kommen mag. Bleibe zuversichtlich.

Da ist ein wilder Fliederstrauch. Er blüht schon und wunderschön duftend, da sehe ich, dass die Blütenstände nicht einfach nur fliederfarben sind, sondern in ganz unterschiedlichen Nuancen von hell- bis dunkellila schillern, gerade regennass von glitzernden Tropfen besprenkelt. Herrlich ist das!

Ich schlendere weiter, aus dem Wald heraus. Da sind die Regenwolken noch in der Ferne zu sehen und über den tiefgelben Rapsfeldern prangt bayerisches Weißblau. Ein imposantes Gemälde, von der Natur gemalt.

Lemmy rast über einen frisch gepflügten Acker und ich teile seine jugendliche Hundefreude, sehe, wie sich seine Muskeln unter dem glänzend-grauen Fell anspannen, wie er enge Wendungen nimmt, auf mich zu rast, dass mir bange wird und im letzten Moment die Kurve kriegt. Ich habe mal wieder Glück gehabt und schenke ihm als Belohnung ein Lächeln samt Leckerli.

Jetzt grast er und ich mache mir Gedanken über seine Verdauung. Nein, Schluss damit. Er grast. Es ist wie es ist. Und weiter. Richtung Butterblumen. Ich pflücke total gerne Blumen, ich genieße es wie ein Privileg, ein Stück Natur mit nach Hause bringen zu dürfen. Ich ertappe mich im Hier und Jetzt. Es ist einfach nur ein friedlicher Augenblick, in dem es mir genügt, ich und hier zu sein. Mit Lemmy. Und an vielen Tagen ohne Hund. Dann fragen mich die Menschen, die ich vom Spazieren kenne und lange nicht mehr gesehen habe, nach meiner verstorbenen Sina. Es ist immer noch schmerzlich.

Kurz vor Zuhause, ich bin verzückt-entrückt wie ganz oft, wenn ich das Leben da draußen bestaune, trete ich auf eine Schnecke. Es knirscht. Ich blicke mich um und sehe… Matsch und drüber ein gebrochenes gelb-schwarzes Gehäuse. Es tut mir leid. Vor lauter Achtsamkeit üben war ich wohl unachtsam am Ende.

Also doch kein Happy End. Gar nicht so einfach, das Positivsein. 

17.05.2017


Für immer und ewig

Ich war auf zwei Vorträgen von Dr. med. Rüdiger Dahlke. Ihr wisst schon, das ist derjenige, der die vielen Bücher über das Thema Psychosomatik geschrieben hat. „Krankheit als Weg“ ist wohl das Bekannteste. Endlich hatte ich Gelegenheit, ihm einmal zu lauschen. Ich muss gestehen, ich bin ein Stück weit geläutert: Auf was soll das Ganze eigentlich hinauslaufen – auf das ewige Leben?

Das Gedankengut ist mächtig und tiefgreifend. Es geht vorwiegend darum, dass wir alle (Problem-)Themen haben, die sich mehr oder weniger dauernd zeigen. Zum Beispiel kann es sein, dass jemandem – das war eines von Dahlkes Beispielen – ständig jemand hinten drauf fährt. Also nicht nur einmal, was ja jedem einmal passieren kann. Sondern öfters. Auffallend häufig also. Dann kann oder besser sollte man sich Fragen stellen wie „Wo stehe ich anderen im Wege? Wobei und wozu benötige ich ständig einen Anschubser? In welchem Bereich müsste ich mal auf die Tube drücken, Gas geben, statt der Bremser zu sein?“. Klingt irgendwie einleuchtend und entspricht meiner Denke. Denn ich glaube auch, dass eine merkwürdige Häufung gleicher Ereignisse oder auch Themen, die dir folgen – von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz, von Beziehung zu Beziehung, von Wohnung zu Wohnung – etwas mit dir zu tun haben und eine Botschaft für dich enthalten, die es zu entschlüsseln gilt. Mit der Be-Deutung, dass du kein Opfer der Umstände, sondern Teil des Problems und somit auch Teil deiner Lösung bist, geht es zumindest mir in meinem Leben gut. Alles ist ja auch besser als sich schicksalhaft ausgeliefert zu fühlen, oder?

Das Gleiche kann man Dahlke nach auch mit Krankheiten oder ihren Symptomen machen. Halte ich grundlegend auch für schlüssig oder zumindest für in vielen Fällen einleuchtend: Du steht durch dich selbst, so wie du bist, und mit deinen ungelösten Themen in einem andauernden Spannungsfeld mit deinem Lebensrahmen, aus dem Stress erwächst – die bedrohliche Bewertung in deinem Gehirn, der Situation nicht gewachsen oder ausgeliefert zu sein. Das kann fraglos krank machen, wenn man den Gefühlen (Emotion, das hat auch was mit „beweg´ dich!“ zu tun) kein Gehör schenkt und sich nicht als Change Manager seiner eigenen Geschicke auf einen neuen Weg macht.

Wenn ein Mensch im Alter nicht nur ein insuffizientes Herz bekommt, sondern dieses auch physisch vergrößert ist, könnte das dafür sprechen, dass sein unbewältigtes Lebensthema war und ist, sein Herz groß und weit zu machen. Wenn eine Frau Brustkrebs bekommt, könnte dies dafür sprechen, dass sie sich nicht offensiv und radikal (so wie der Krebs das jetzt tut mit seinem Wachstum) mit Themen wie Mutter- und Partnerschaft auseinandergesetzt hat. Wenn ein Raucher ein Bronchialkarzinom bekommt, könnte das damit in Verbindung stehen, dass er sich nicht für sein wahres Ich in der Kommunikation eingesetzt hat. Sagt Dahlke. Nicht ich.

Wie auch immer. Als die Ernährung ins Spiel kam, fragte ich mich letztlich in der schlaflosen Nacht, die auf die Vorträge folgte – mir gingen unendlich viele Gedanken durch den Kopf, die sich sortieren wollten, ausgerechnet nachts: Auf was soll das Ganze eigentlich rauslaufen? Auf das ewige Leben? Wir sterben ja alle früher oder später, das ist Fakt. Wie und wann, das ist ungewiss. Aber nützt alles nichts. Wir sterben. Müssen wir uns auf dem Weg dahin denn unbedingt vegan ernähren – auf tierisches Protein jeglicher Art verzichten und im Idealfall auch noch glutenfrei leben?

Was essen wir dann noch? Was genießen wir dann noch? Wie kompliziert ist das dann, im Alltag, im Urlaub? Ich esse seit drei Jahren kein Fleisch mehr. Einfach so. Das ist schon kompliziert genug, man denke nur an fränkische Gaststätten, die Menschen, die wir ab und an zum Essen begleiten, gerne aufsuchen. Da gibt es Braten, Braten, Braten. Käsespätzle. Punkt. Iss´ halt Kloß mit Soß´! Na klar. Und die Soße? Ist aus Spinat, oder was?

Muss das denn wirklich sein, dass das ganze Leben nur aus Überlegungen besteht, dass wir noch verkopfter werden als wir ohnehin schon sind und das jeglicher Genuss völlig verschwindet, weil wir entweder unsere Themen bewältigen und verdauen müssen oder statt Weizen Hirse und statt Joghurt Soja käuen? Kein Mensch hat jemals so viel Soja gegessen wie wir, die wir auf Fleisch verzichten, da bin ich mir sicher. Ob das so zuträglich für unseren Körper ist, sei dahingestellt. Ich bin jedenfalls zu einer Haltung gelangt: Wenn ich mich über das, was ich esse, freue, wenn es mir schmeckt, dann sind Pommes mit Mayo und Ketchup bestimmt genauso gesund wie eine Karotte im Salatblatt an Mangosud. Und beides ist bestimmt ungesund, wenn ich nichts anderes mehr zu mir nehme. Muss Achtsamkeit unbedingt so weit in die Beschränkung an Wahlmöglichkeiten gehen, wo ich doch eh irgendwann sterbe? Werden wir je alle Themen gelöst, alle Probleme bewältigt, unsere Persönlichkeit bis zum Ende der menschlichen Fahnenstange optimiert haben? Sterben wir dann trotzdem früher als wir müssten, weil wir uns schon zu lange mit dem Wachstum gequält haben? Wir werden es nie genau wissen. Und deshalb esse ich weiterhin mein Joghurt. Punkt.

09.05.2017


Ins Leben gehen

Die vergangenen Wochen waren voller Ereignisse. Und anlässlich dieser wurde mir wieder einmal klar, dass es nicht nur oft, sondern auch bei den meisten unserer (Problem-)Themen und Krankheiten um die Frage geht: Gehst du ins Leben – bleibst du jetzt lebendig – oder ergibst du dich und gibst (du dich) auf. Im wahrsten Sinne geht es um Leben oder Tod. Darauf müssen wir wohl immer wieder eine Antwort finden.

In einem Seminar neulich – ich referierte über mein Lebensthema Burnout – gaben sich einige Teilnehmer als ehemals von der Erschöpfungsdepression Betroffene zu erkennen. In dieser Häufung und mit dieser Offenheit passiert das selten. Es war, das könnt ihr euch denken, ein eindrucksvolles Seminar, bereichert von den sehr persönlichen Schilderungen, Emotionen und auch von den Botschaften, die aus dem Erlebten ins weitere Leben mitgenommen wurden. Eine Teilnehmerin bewegte der Austausch zu Tränen: Sie sei inmitten einer Depression, nicht zum ersten Mal und momentan medikamentös eingestellt, um so das Wesentliche bewältigen und mindestens funktionieren zu können. Das teilte sie uns mit.

Wir anderen lauschten betroffen und gebannt. Da meldete sich eine es bestimmt gut meinende Kollegin zu Wort: „Glaub mir, wir wissen, wie es dir geht. Das geht vorbei. Das wird schon wieder.“ Einige andere nickten bestätigend mit den Köfpen. Das Weinen wurde stärker. Wir verstärkten das Leid, indem wir mitlitten. Mitleid und Mitgefühl liegen übrigens  Lichtjahre voneinander entfernt.

Niemand kann wissen wie es einem anderen Menschen geht. Es sei denn, er hat sich die Mühe gemacht, ganz und gar zu lauschen, ganz Ohr zu sein, die Emotionen auszuhalten und mit dieser absoluten Zuwendung, womöglich mit den richtigen Fragen (sofern der andere die Bereitschaft zeigt, andere Menschen teilhaben zu lassen), mehr Einsicht in das persönliche Erleben zu gewinnen. Wenn wir nach bereits wenigen Sätzen des Austausches zu wissen glauben, dann verlassen wir die Augenhöhe. Wir gehen zurück auf unsere eigene Erlebens- und Erfahrungsebene und stellen uns über den anderen (der sich ziemlich dumm vorkommen muss: „Wie können andere so schnell wissen, während ich mir seit Jahren die Zähne an meinem Leid ausbeiße?).

Ich hatte bei dieser Workshop-Teilnehmerin das Gefühl, dass eine Entscheidung noch nicht mit Klarheit getroffen wurde. Die Entscheidung, ins Leben zu gehen. Meine Intuition sagte mir, dass dieser Mensch dem Tod momentan näher steht als dem Leben.

Leben heißt, zu sich zu stehen und sich mit aller Kraft und Entschlossenheit den Themen des Lebens zu stellen. Durch sie hindurchzugehen. Aufzustehen. Weiter zu gehen. Diese Entscheidung stand noch aus und ich meine, das defizitäre Selbstwertgefühl, das die Erlaubnis erteilt, dies auch zu dürfen, als elementaren Hinderungsgrund geortet zu haben. Dazu muss ich das auslösende Thema der Depression auch schlussendlich gar nicht kennen.

Wenn der Wert, den man sich selbst zuschreibt, nicht reicht – du dich als unzureichend, unzulänglich, ungenügend bewertest – erlaubst du dir nicht, zu leben wie du es brauchst und wie es dir zusteht. Du unterdrückst einen Teil in dir, der erhört werden will und lässt diesen Wesensanteil mit seinen Bedürfnissen nicht ans Licht, hältst ihn im Schatten. Und der Schatten bahnt sich aus dem Unterbewusstsein heraus seinen Weg. Sei es durch eine physische Erkrankung. Sei es durch eine psychische Erkrankung. Oder auf beiden Wegen.

Die Teilnehmerin, die ich natürlich fragte, wie sie sich selbst um ihr Leid kümmert, sagte, sie mache eine Hypnotherapie. Als ich systemisches Gedankengut in das Gespräch einbrachte, kontaktierte sie mich im Anschluss, wo sie eine Familienaufstellung machen könne. Sicher, es gibt viele Wege. Doch der einzige Weg, der meiner Meinung wirklich heilsam ist, ist die Beziehung zu dir selbst zu heilen.

Als ich dann vor zwei Tagen auf einem Kongress mit anderen Coaches und Trainern selbst der Intervention auf den Leim ging „Schreibt mal die zehn wichtigsten Menschen in eurem Leben auf!“ – keiner hatte sich selbst dazu notiert – wurde es auch mir wieder deutlich: wir sind der einzige Mensch, mit dem wir unser Leben lang zu tun haben werden, deshalb müssen wir alles erdenklich Mögliche für uns tun, um uns mental und physisch gesund zu halten. Und was wirklich wichtig und gut für uns ist, das können nur wir selbst wissen.

Wer also von der Welt erkannt werden und Anerkennung empfangen will, sei es in der Partnerschaft, von Freunden, von Kollegen oder Vorgesetzten, der darf sich selbst weder verkennen, noch verleugnen. Und wenn wir von außen zu wenig Wertschätzung erfahren, dann sollten wir uns in Anbetracht dieses Spiegels unserer momentanen Realität ab sofort jeden Tag im Spiegel betrachten, uns fragen, wer uns da anblickt – und ganz nebenbei auch einen prüfenden Blick zuwerfen, der bemisst, ob wir denn auch anderen gegenüber an Wertschätzung sparen oder mit ihr verschwenderisch umgeben, sie in Fülle nach außen bringen.

Wer Wertschätzung will, muss sich nicht zwingend einen Hund zulegen. Es kann auch nützlich sein, sich selbst zu umhegen, zu pflegen, lieb zu gewinnen, zu bespaßen, zu füttern und zu führen. Besonnen zu bleiben auf all den tagtäglichen Gassiwegen und gleichermaßen quietschfidel die Nase in den Wind zu halten, um Witterung aufzunehmen, wenn uns andere wertvolle Artgenossen oder persönlichkeitsrelevante Themen begegnen. Womöglich sollten wir das erst einmal üben, b e v o r wir uns einen Hund kaufen oder sogar einen zweibeinigen Lebensgefährten anlachen. Ich vermute, damit könnten viele von uns eine Weile beschäftigt sein: Liebe dich selbst wie deinen Nächsten. Ich wünsche uns allen gutes Gelingen. Weiterhin.

04.05.2017


In den Ring steigen oder nicht?

Reden können wir ja. Zumindest, wenn wir ein intaktes Sprachorgan haben. Doch das heißt leider nicht automatisch, dass Kommunikation gelingt. Woran es liegen könnte? An unserer Art zu sprechen – und vor allem an unserer Haltung…

Ein Beispiel zum Thema: Letzte Woche musste ich etwas aus dem Druckladen abholen. Da wie schon so oft kein Parkplatz frei war, erlaubte ich mir (in Anbetracht der mutmaßlich nicht zu überschreitenden drei Minuten Standzeit), mein Auto auf einem Behindertenparkplatz abzustellen. Was nicht toll ist. Keine Frage.

Als ich nach der erwartungsgemäß kurzen Abholzeit der Drucksachen wieder zu meinem Wagen kam, hatte sich dort ein städtischer Verkehrswachmann postiert, schon etwas rot befleckt im Gesicht. Kaum trat ich als Fahrzeughalterin in Erscheinung, holte er tief Luft, um mich über meine Verbotsüberschreitung zu informieren. Laut. Keifend. Herablassend. Von oben herab. Wie das oft so ist bei den belehrenden Zeitgenossen, sagen sie dir nicht einmal, was du verbrochen hast. Sie wiederholen das Ganze wieder und wieder, so dass das innere Verteidigungssystem hochzurüsten beginnt und schon einmal Abwehrbotschaften á la „glauben Sie, ich bin völlig verblödet oder warum wiederholen Sie sich – und das auch noch in dieser Lautstärke – nun schon zum dritten Mal?“ vorformuliert.

Um Selbstbeherrschung bemüht, habe ich mich aber stattdessen an meine eigene Gebrauchsanleitung für derlei Situationen gehalten. Sie lautet: Erst einmal ruhig bleiben und atmen!

Ich atmete also und ließ ihn mich mit seiner Berliner Schnauze (!) anplärren. Auf Kommunikation auf der Sachebene konzentriert, gab ich lasche Erläuterungen von mir (die allerdings der Wahrheit entsprachen): „Ich dachte, man dürfe – wie auch im eingeschränkten Halteverbot – drei Minuten stehen bleiben“. Das beeindruckte den Wachmann allerdings nicht, sondern ermutigte ihn zum Weiterausholen: „Sie haben Glück, dass wir hier nicht in Berlin sind. Da würden Sie jetzt nämlich über die 30 € hinaus auch noch…“ – ich hörte nicht mehr zu. Ich überlegte nämlich währenddessen, ob ich nun nicht lieber doch mit ihm in den Ring steigen wolle, was sich in etwa so hätte anhören können: „Wissen Sie was? Ich bin kein Depp. Bestrafen Sie mich einfach. Los! Ich zahle die 30 € gerne, Hauptsache, ich bin Sie los.“

Oder aber, ob es eine Lösung geben könnte, die den Gott der Parkplätze milder stimmen würde.

Intuitiv griff ich zur geeigneteren Waffe. Sie tut keinem weh und nützt meist. Nennt sich Charme. Ich also, etwas debil grinsend: „Wieso sagen Sie denn so etwas? Ich l i e b e Berlin!“

Da huschte ihm ein kaum merkliches Lächeln über´s Gesicht – und er ging (immer noch schimpfend) von dannen.

Merke: In den Ring steigen muss man sich leisten wollen und können. Der Profit mag im ersten Moment Genugtuung sein. Doch die geht zu Lasten der anderen Person. Ich investiere lieber in den Frieden. Und ab und zu in eine neue Klamotte. Das finde ich schicker.

21.03.2017


Wahre Schönheit kommt von innen

Erinnert ihr euch an diesen Claim von Merz Spezial Dragees? Im Grunde glaube ich daran: Wer mit sich zufrieden ist und sein Leben als ein gutes empfindet, der strahlt das auch aus. Das mag dann auch sich rasant vermehrende Fältchen, dünner werdendes Haar und rot geäderte Augen kaschieren…

Leider habe ich die Erfahrung gemacht, dass wir, wenn wir unzufrieden und grummelig, zweifelnd und hadernd, dauerhaft rastlos oder ständig müde sind, auch an uns selbst nichts mehr schön finden können. Der Blick wandert dann gnadenlos auf die Löcher im Käse – will heißen auf das, was uns ohnehin an uns selbst eher miss- als gefällt.

Umso überraschender war es für mich neulich, als ich in München zum Seminar und von Schmerzen geplagt war, dass ich ein Kompliment bekam. Wie immer unterhielt ich mich eingangs sehr angeregt und angenehm mit meiner PE-Ansprechpartnerin, als diese an passender Stelle im Gespräch sagte: „…was, Sie sind schon 48? Sie wirken viel jünger!“ Erstaunt hat mich das deshalb, weil ich vor rund zwei Jahren während eines Seminars – es war am Tag nach meinem 46. Geburtstag und ich weiß nicht, was mich ritt – mein gut gelauntes Publikum um eine Altersschätzung bat. Das Ergebnis wollt ihr nicht wissen. Ich war schockiert, denn die Statements reichten von Ende 30 bis Ende 50. Aktuell, also neulich, fühlte ich mich außerdem physisch schlecht, so dass ich kaum glauben konnte, was ich da hörte. Aber jetzt kommt´s: ich nahm diese unverhoffte Geschenk während des ganzen Workshops gedanklich mit und profitierte sogar noch mehrere Tage davon. Ich freute mich richtig!

Dann war ich letzten Samstag mit Julia auf einer Jobmesse. Wir hatten beide nicht wirklich Elan, stützten uns aber gegenseitig bei der Bewerbung unserer Seminarleistungen. Vor Ort hatten wir ein sehr lustiges Geplänkel mit einem Security-Typen, der uns bei wiederholter Begegnung und ganz ohne Anmache fragte, ob wir – er bezog sich auf unser „strahlendes Lächeln“ – irgendwas mit Zahngesundheit zu tun hätten. Sehr erheitert und inspiriert von unserer Außenwirkung hatten wir dann ein paar wirklich gute Gespräche mit potenziellen Firmenpartnern.

Und gestern, als ich mal in Normalklamotte in den Reitstall radelte, sagte mir eine junge Freundin, wie toll sie meinen Style findet und sie klang dabei so richtig positiv und ehrlich begeistert.

Ja, das erhellt meine subjektive Weltsicht doch ganz erheblich und dergleichen Balsam auf der Seele entfaltet zusammen mit verabreichtem Vitamin B12 eine exorbitante Energie. Längst vergessen geglaubte Kräfte entfalten sich gerade und, obgleich es nicht zum Bäumeausreißen reicht, könnte ich schwören, jetzt kommt mal wieder was richtig Gutes, Frisches, Neues auf mich zu. Passend zum Seminar „Neue Wege gehen“, das ich am BZ Nürnberg nächste Woche besuchen werde.

Was ich euch hier mitteilen will, soll bitteschön nicht als Selbstbeweihräucherung verstanden werden: Ich möchte daran erinnern wie wichtig Wertschätzung ist und das sage ich ja nicht zum ersten Mal. Wertschätzung fließt, wenn euer Gegenüber das Gefühl hat, von euch aufgewertet zu werden. Das kann durch ein liebes Lächeln, ein herzliches Danke, ein einfühlsames Gespräch, eine erbetene Hilfestellung (auch das ist wertschätzend, sofern ihr dem anderen tatsächlich die Wahl lasst und keinen Druck ausübt – sonst wird die Bitte nämlich zur Erwartung!) geschehen. Und eben auch durch ein ehrlich gemeintes Kompliment.

Macht mit mir mal dieses Experiment: Lasst uns in den nächsten Tagen ganz bewusst darauf gucken, wo wir anderen durch ausgedrückte Wertschätzung eine kleine Freude im manchmal grauen Alltag machen können. Und freut euch an der Wirkung, die ihr erzielt. Da der Wetterbericht gen Wochenende bereits wieder Regen meldet, könnt ihr als Lichtblick in Menschengestalt die Schönheit im Inneren des anderen zum Strahlen bringen. Ganz ohne Merz Spezial Dragees.

16.03.2017


Auch Probleme sind relativ

Die letzten Wochen kamen mir schwer vor. Tatsächlich gab es Tage, da dachte ich, in dieser Form nicht länger leben zu können. Eine andere Art, mein Dasein zu fristen, fiel mir allerdings auf die Schnelle auch nicht ein. Deshalb atmete ich einfach weiter, nahm Traumeel und Johanniskraut. Und jetzt? Habe ich auch durch Torsten Sträter neue Einsichten gewonnen!

Die vergangenen beiden Monate warteten mit einer völlig neuen Erfahrung auf: Mein linker Fuß „zickte“ gehörig. Mal ging es ihm besser, mal schlechter. Regelmäßigkeiten und Zusammenhänge waren nicht wirklich erkennbar, was eine rein kognitive Problembewältigung enorm erschwerte. Die mit Unterbrechung andauernden Schmerzen brachten bald meine ohnehin fragile Psyche zum Einknicken und trübten meinen Blick auf die Welt. Arbeitsbedingte Anforderungen, die ich sonst routiniert stemme, wurden zeitweise zu Herausforderungen. Sonstiger Schmarrn mit Nervpotenzial brachte mich unverhältnismäßig schnell in Rage.

Unter dem Strich wurden aus vielen Mücken Monster, die sich an folgenden Gedanken nährten: Was, wenn ich mit einer Schmerzattacke im Workshop stehe? Was, wenn das ohnehin kriegerische Team meine Verwundbarkeit wittert? Was, wenn ich das ständige Kupplungtreten im Auto nicht mehr schaffe, geschweige denn den Weg vom Parkplatz zur Location? Wenn ich mein Pferd weder führen, noch reiten kann? Operiert werden muss? Wochen- oder gar monatelang ausfalle? Und danach meine vollumfängliche Belastbarkeit nicht mehr wiederkommt?

Ich vermute, es war der körperlich-seelische Dauerstress, der an meiner Resilienz nagte. Alles setzte mir mehr zu als gewöhnlich. Brachte mich an meine Grenzen.

Und nun?

Geht es mir wieder besser!

Hoch drei:

Erstens, weil mir der Zufall (an den ich ja bekanntermaßen nicht glaube) eine Krankengymnastin geschickt hat, die schon einmal das gleiche Fußleiden hatte wie ich und die mir Hoffnung macht.

Zweitens, weil ich die Faschingsferien genutzt und für drei große Lebensbereiche Strategien entwickelt habe, z. B. werde ich beruflich mehr auf mich aufpassen, private Energiefresser auf zwei Beinen meiden, verstärkt in die Beziehung zu meinem Pferd investieren und alles aus der Reihe „sonstiger Schmarrn mit Nervpotenzial“ milde lächelnd verabschieden.

Drittens habe ich am vergangenen Samstag mit meinem Mann die Comödie Fürth besucht. Torsten Sträter – einer unserer Lieblingskünstler – gastierte in der Kleeblattstadt. Ich freute mich wie verrückt auf den Abend. Als wir kurz vor Vorstellungsbeginn am Theater ankamen, sah ich plötzlich meinen Star rauchend und Kaffee trinkend vor der Türe stehen. Ich ging zu ihm und ließ ihn wissen, wie sehr ich auf den Abend und „endlich mal wieder was zu lachen“ hingefiebert hatte. Da sagte er mit seiner vollen Stimme und jedes einzelne Wort betonend: „Ja, was w a r denn?“

Ich: „Wollen Sie das wirklich wissen?“

Er: „Ja, klar!“

Und da wusste ich nicht wirklich in Worte zu fassen, was mich so gequält hatte. Etwas von Hund und Job faselnd, kam ich mir total unterbelichtet vor. Doch eine erhellende Eingebung folgte der Begegnung, die ich mir (meinerseits) deutlich strahlender, glänzender und natürlich völlig anders vorgestellt hatte:

Womöglich habe ich es wieder einmal geschafft, die Dinge schwerer zu machen als sie sind. Die Widrigkeiten des Lebens, mit denen ich zu tun habe, sind doch – trotz Betrübnis – relativ überschau- und händelbar. War mir also meine Gelassenheit einmal wieder abhandengekommen auf der zugegebenermaßen bewegten ersten Wegstrecke des Neuen Jahres. Ich hatte meinen guten Vorsatz einfach aus den Augen verloren, dafür hat mich jetzt der Zufall (?) um die schaurig-schöne Begegnung mit Torsten Sträter bereichert.

Ist jedenfalls schon immer wieder beeindruckend wie beharrlich Verhaltensmuster sind. Ich staune. Und arbeite jetzt mal wieder gewissenhaft mit Affirmationen. Falls ihr, liebe Leser, auch eine wollt, könnt ihr euch meines aktuellen Tischkalender-Spruches von Martin Luther bedienen: „Die ganze Welt ist voller Wunder.“ Wir müssen nur immer wieder neu lernen, sie zu sehen.

07.03.2017


Haltlos glücklich?

Passend zu meinen Gedanken von letzter Woche, beschert mir das Leben Begegnungen. Was bedeutet es, Halt im Leben zu finden – oder haltlos zu sein? Ich habe zumindest auf diese Frage eine Antwort: Haltlos heißt, es gibt nichts, das mich hält. Vielleicht nicht hier, in Erlangen. Oder in Deutschland. Manche Menschen haben aber auch einfach nichts mehr, das sie im Leben hält. Nachvollziehbar?

Vor wenigen Tagen hat mich die (Horror-)Nachricht erreicht, dass eine liebenswürdige Bekannte ihr fast 30-jähriges Pferd einschläfern lassen musste. Ich rief sie an, um sie zu fragen, wie es ihr geht. Und um mein Mitgefühl auszudrücken. Sie sagte in wohlüberlegten Worten, dass ihr nun emotional gesehen nichts mehr passieren könne. Mit schlussendlich ihrem langjährigen tierischen Freund habe sie nun wirklich das letzte Lebewesen, das sie liebte, verloren.

Viele Menschen, die fundamentale Schicksalsschläge erlitten haben und denen, womöglich auch in Anbetracht altersbedingter Einschränkungen die Gesundheit schwindet, fragen sich, wie und ob sie noch Kraft aufbringen können für irgendeinen neuen Anfang. Sei es eine Partnerschaft, den Anschluss an eine Interessensgruppe, ein Tier, eine Aufgabe. Ich kann es verstehen und konnte das auch schon immer, wenn jemand für sich entscheidet, nichts mehr beginnen zu können und zu wollen.

Eine Freundin, mit der ich dieses Gedankengut teilte, schrieb mir: „Nein, aufgeben geht nicht. Man muss sich immer neue Herausforderungen suchen, dem Leben einen anderen Fokus geben…“. Ich finde, man m u s s das nicht.

Eine andere Freundin, die wie ich vor vielen Jahren einer seelischen Krise entwachsen ist, gab mir gestern Recht. Obwohl zum Kämpfertum erzogen, hat sie die Krise gelehrt, wie Sinnleere und Erschöpfung Richtung Aufgeben anstiften können.

Woher kommt es aber, dass manche Menschen so einen tief eingeprägten Überlebenstrieb besitzen, der sie über sämtliche Unerträglichkeiten hinwegträgt und für andere das Aufgeben immer als Ausweg mental mitschwingt?

Meine Oma konnte im hohen Alter weder mehr sehen, noch laufen. Geschweige denn selbständig Nahrung zu sich nehmen und anderen alltäglichen Verrichtungen hilflos nachgehen. Alles, was ihr einmal am Herzen lag, konnte sie nicht mehr tun. Und dennoch wollte sie mindestens 100 Jahre alt werden. Warum? Und weshalb sind manche bereits in der Mitte des Lebens, vom Schicksal gebeutelt oder nicht, überfordert und sinnentleert?

Ist es eine systemische Blockade, fehlt die Erlaubnis, steht dem Menschen ein Leben in Fülle nicht zu? Ist es die geringe familiäre Zugehörigkeit, sind es die vielleicht vielen, aber viel zu unverbindlichen Kontakte? Ist es die minimalistische spirituelle oder religiöse Überzeugheit, der Mangel am Glauben zu wissen, wozu das große Ganze gut ist? Oder ist es einfach das zu Wenig an Freude und Leichtigkeit, das Gefühl, das Halt gebende Säulen im Leben zu fragil sind oder anfällig für Ärger sind?

Ich bleibe dran, denke und forsche weiter und werde berichten. Falls Ihr Ideen dazu habt, schreibt bitte an info@mein-zeitraum.de.

25.01.2017


Beschäftigt oder erfüllt?

Gestern habe ich endlich mal wieder so ein richtig gutes, intensives Gespräch geführt. Mit meiner zeitraum-Kollegin und Freundin Julia. Wir haben darüber diskutiert, ob es reicht, im Leben einfach beschäftigt zu sein oder ob es eine realistische Aufgabe ist, Erfüllung zu finden.

Ein Luxusproblem? Vielleicht! Es ist mir völlig klar, dass diejenigen unter euch, die Kinder und an sich eine größere Familie haben, oft so getaktet sind, dass sie sich nichts sehnlicher als ein wenig Zeit für sich wünschen. Doch was tun, wenn man so viel Zeit für sich und zum Nachdenken hat, dass man sich mehr Erfüllung als nur Beschäftigung wünscht?

Beschäftigung ist einfach. Da fällt mir sofort etwas dazu ein: vor zwei Jahren angefangenes Buch fertig schreiben, Fotobuch Algarve das letzte Finish geben, Sommermöbel-Schnäppchen für den irgendwann ja wieder frühlingsfrischen Garten fangen, farblich auf neue Handtücher abgestimmte Badteppiche googeln, abstauben, ausmisten, mehr lesen, Weiterbildungsmöglichkeiten suchen und finden, Akquise betreiben, Pferdetrense einfetten, Freunde treffen… .

Keine Lust.

Und einiges mache ich ja zwischendurch.

Nebenher.

Manches früh um 6, wenn ich noch willenlos bin.

Oder abends, wenn ich von Schokolade erfüllt dem müden Alltag etwas milder gesonnen bin.

Erfüllung ist anders. Da hüpft das Herz. Da quietscht das innere Kind. Da lechzt der innere Triebtäter nach mehr. Da steckt Antrieb drin, ein fundamentales Motiv.

Also haben uns Julia und ich gestern überlegt, wann das Herz das letzte Mal so richtig hüpfte. Sehr viel ist uns nicht eingefallen. Julia geht völlig auf, wenn sie mit ihrem Pferdefreund Cai mal „Einheit“ ist beim Reiten (Anmerkung: wir beide wissen aus Erfahrung, so etwas darf man nie aussprechen – just ist es damit immer vorbei, sobald man schwärmt), wenn ihr das Geigespiel gut gelingt und wenn sie eine gute Zeit mit netten Menschen hat. Mir macht es mehr als gute Laune, wenn in meinen Workshops mal das Miteinander so perfekt passt, dass fast überirdische Energien fließen, ich in der Stadt erfolgreich nach schönen Sachen jage, ab und an die Natur und – ja – als ich vor einigen Monaten mal bei Thorsten Sträter war. Das war lustig.

Erfüllung ist schwer.

Und es gibt – das haben wir gestern herausgefunden – nur zwei Herangehensweisen, die als gesunde Lösung taugen (Alkohol als nebulöse Egalzustände herbeiführende Alltagsdroge kommt für mich nicht mehr in Frage und Julia hat es damit nicht so im Überfluss):

Nach Erfüllung sucht ja nur der, der irgendwelche Energien übrig hat. Also kannst du überlegen, wo lässt du die Energien hinfließen, so dass sie sinnig investiert sind. Dieses zusätzliche Something im Leben muss sich (bei uns jedoch) an- und abschalten lassen und es darf nicht regelmäßig an einem bestimmten Tag stattfinden. Denn wenn wir jobbedingt viel unterwegs sind auf Bayerns Straßen, haben wir für Zusätzliches kaum Zeit.

Eine andere Möglichkeit ist, die allgemeine Beschäftigungslage massiv zu erhöhen und damit den Energiepegel zu senken. Dann hat man nämlich zum Denken keine Zeit mehr und Erfüllung ist rein energetisch gesehen schlagartig ein minimalistisches Thema, wenn nicht sogar völlig schnuppe.

Erfüllung. Das ist nicht nur „Fülle“ im Sinne von „volles Leben“. Erfüllung ist „voll mein Leben“. Und wer wir gerade sind und was wir wann genau brauchen, das ist wohl das Päckchen dahinter. Mit dem Öffnen gestaltet es sich bei mir offenbar genauso wie mit den vielen Verpackungen, an denen ich mir regelmäßig beinahe Fingernägel abbreche, Zähne ausbeiße und ohne meine Lesebrille verloren wäre: es ist mühsam, braucht genaues Hinsehen und den richtigen Dreh, bevor man zum Aufreißen kommt. Also ist wohl mal wieder Geduld angesagt. Gähn.

19.01.2017


Armes Neues Jahr!

Zu Beginn eines Jahres geht den meisten Menschen ganz schön viel im Kopf herum. Selig hingegen scheinen diejenigen, die sich überhaupt keine Gedanken machen – weder über das, was kommt, noch über das, was war. Sofern dieses Phänomen nicht stressbedingt ist, eine tolle Geisteshaltung: „Es ist wie es ist und das ist gut so“.

Da ich diese Haltung extrem erstrebenswert finde, habe ich mir als Motto für 2017 „Locker bleiben!“ auf die Fahnen geschrieben und diese frohe Botschaft, zusammen mit meiner selbst gebastelten Silvestercollage, ein paar Freunden gewhatsappt. Gemäß Feedback habe ich einen kollektiven Nerv getroffen. Offenbar gibt es noch andere, die immer wieder mit Unsicherheiten dealen und die Leichtigkeit des Seins propagieren müssen. Neulich im schlafnahen Gamma-Zustand während Reiki kam mir immer wieder „hoffentlich klappt dies und hoffentlich passiert jenes nicht in 2017“. Da fiel mir ein und auf, dass es für so ein Neues Jahr ganz schön überfordernd sein muss, sich mit all unseren mentalen Altlasten und meist grundlosen Zukunftssorgen konfrontiert zu sehen.

Schließlich reifte eine Idee: Was wäre, wenn wir uns einmal nicht fragen, was das Neue Jahr für uns tun kann, sondern was wir für das Neue Jahr tun können, damit wir ihm in unserem Leben 365 glückliche und gesunde, ganzheitlich gehaltvolle, lebenslustige und leichtsinnige, geschäftlich erfolgreiche und privat traumhafte, erlebnis- und geldreiche Tage mit tiefgründigen und vielleicht sogar hochgradig Nutzen stiftenden Zufällen, Shopping-Schnäppchen, die uns heiter stimmen und Erkenntnis-Häppchen, die uns weiter bringen, schönen Reisen und einem Lottogewinn… bescheren?

Die Lösung liegt in der Frage selbst. Wer nichts tut, bei dem tut sich vermutlich nichts im gewünschten Sinne und – ach, Gott – der hat dann ein armes Neues Jahr. Je nachdem also, wie viel wir in den nächsten 365 Tagen materialisiert haben wollen, gibt es tendenziell zwei Möglichkeiten:

A) Wenig wollen und dafür kaum einen Finger krumm machen müssen – dann können wir uns aber Prozess begleitend auch gleich darin üben, uns über nichts und niemanden zu beschweren

oder

B) viel begehren und in eben dieser Relation Energie aufwenden i. S. v. Lage fortwährend sondieren, auf Chancen fokussieren, am Leben bleiben, uns als Menschen managen und unser Schicksal steuern – und uns gehörig über unsere Erfolge freuen.

Freilich gibt es auch Ereignisse, die wir machtlos hinnehmen müssen. Schon klar. Hier bleibt uns nichts anderes übrig, als mit den Konsequenzen umzugehen und mit ihnen leben zu lernen.

Wie auch immer. Locker bleiben kann so oder so selten schaden. Ich wünsche euren jeweiligen Neuen Jahren jedenfalls viel Vergnügen mit euch als kompetente Frauchen und Herrchen – und euch 365 Tage voller Bewusstheit, was ihr wirklich braucht. Denn nur darauf kommt es an.

11.01.2017


Gedankengut für Gans & Karpfen

Am Wochenende hat mir eine langjährige Freundin eine What´s App geschrieben. Sie erzählte von ihren aktuellen Trennungs-Nachwehen, bezog sich schließlich auf das trotz allem wundervolle Wetter und schloss mit: Alles wird gut. Da kam mir ein Gedanke, den ich mit ihr und euch teilen wollte: Was ist, wenn alles nicht erst gut wird, sondern bereits gut ist?

Das mag jetzt für euch beim ersten Drüberlesen etwas wirr daherkommen. Aber kommunizieren wir nicht häufig im Futur und tauschen uns über Dinge aus, die in der Zukunft liegen? Was wir dabei womöglich übersehen ist, dass Gedanken Energie haben und somit tatsächlich auch Erlebnisse in Bewegung bringen können. Zumindest solche, an denen wir beteiligt sind (Anmerkung: die Hoffnung, dass unsere Gedankenkraft tatsächlich reicht, um Bargeld direkt in den Briefkasten fließen zu lassen, habe ich aufgegeben – vielleicht glaube ich aber auch einfach zu wenig daran).

Zurück zum Thema. Alles wird gut. „Es“ wird also erst in Zukunft gut, vielleicht in ein paar Monaten, wenn meine Freundin Pech hat (und nicht mitwirkt), auch erst in einigen Jahren. Und wenn jemand beispielsweise sagt, dass er sich Sorgen macht über die Entwicklung seines Kindes in der Schule, ist der Zweifel ja bereits inkludiert und geht bestimmt am allerwenigsten an diesem selbst spurlos vorüber. Eine meiner Stall-Kolleginnen hat derzeit Angst, vom Pferd zu purzeln, zumal das Tier für sie neu und sie schon lange nicht mehr gefallen ist. Da kannst du quasi drauf warten, dass es passiert. Und wenn ich ihr vorrechne, dass bei etwa 200 Mal Reiten im Jahr ein Sturz drin sein muss, siehst du ihr förmlich das Blut aus dem Gesicht weichen. Also wird es sicher in Kürze geschehen.

Locken wir an, was wir befürchten? Ich glaube ja. Halten wir Positives ab, das wir in die Zukunft verlegen. Ich denke schon. Also: Darf es auch schon heute gut s e i n? Warum bewerten wir ständig, was uns umgibt? Vielleicht ist es schlicht goldrichtig, wenn jemand, der die Familie betrogen hat, so schnell es geht geht. Womöglich taugt es auch zu irgendwas, wenn ich vom Pferd fliege – vielleicht bin ich dann wach und achtsam im Anschluss. Und kann es auch in Ordnung sein, dass jemand an Latein scheitert, eine Prüfung nicht bewältigt oder einen bestimmten Arbeitsplatz nicht bekommt – am Ende ist das sogar genial, weil einfach der richtige Weg? Wer sich fühlt, als ob er überflüssige Pfunde mit sich herumschleppt und diese auf vielen Wegen des Verzichts nicht loswird – vielleicht sind die Pfunde dann gar nicht überflüssig, sondern wichtig für das innere Gleichgewicht? Natürlich kann man auf diese Weise all das entschuldigen, was man nicht gemeistert hat. Davor möchte ich warnen, denn das schlichte Ausruhen auf „es hat nicht sollen sein“ in jedweder Lebensbegebenheit, das ist mir dann doch zu einfach und bringt keinen Menschen mehr aus seiner Komfortzone raus. Wir sollten schon wissen, was wir wollen und was uns glücklich (nicht -er) macht. Das sind wir uns in Anbetracht der potenziellen Einmaligkeit des Lebens einfach schuldig.

Ansonsten: Probiert das doch aus und nehmt die Ereignisse für eine Weile einfach als „gut für mich“ an. Mal sehen, was dann in und um euch herum geschieht. Das kann ich jedenfalls versprechen: eure Ängste schwinden und euer Vertrauen in das Leben steigt enorm.

Also experimentiert einmal ein bisschen. Weihnachtszeit ist ja Ausruhzeit. Da könnt ihr euch dann geflügelte Gedanken über Soll und Haben machen und mentales Mürbgebäck, an dem ihr euch schon das ganze Jahr die Zähne ausgebissen habt, zusammen mit Gans, Bratwurst und Karpfen (endlich) schlucken. Wohl bekomm´s!

13.12.2016


Der Tod im Leben

Heute habe ich einer Freundin, die in Niedersachsen lebt und auf Touren eine What´s App absonderte, geschrieben, dass ich hoffe, zu Weihnachten nicht noch besinnlicher zu werden als ich es ohnehin schon bin. Denn wenn ich tief in mich hineinhöre, was ich seit Reiki immer öfter mache, dann nehme ich manchmal mehr wahr als mir lieb ist. Den Tod um uns herum, beispielsweise.

Tod, Abschied, Verlust von geliebten Menschen und Tieren – das ist etwas, über das wir nicht gerne nachdenken, geschweige denn sprechen. Viele von uns verdrängen die lästige Tatsache, dass das Altwerden von Wesen nichts anderes ist als der schleichende Prozess der Vergänglichkeit. Kennt ihr das, liebe LeserInnen, auch, sofern ihr schon etwas betagter seid? Je nach Sportlichkeitsgrad und Bewegungsdrang – freilich, auch an euch wird dieser Abbau an Saft und Kraft nicht spurlos vorübergehen. Bei mir zwickt es seit einigen Monaten mal in der Leiste, mal knirscht es im Kiefer, mal drückt der Hallux, mal scheint mir die plötzlich überlang gewordene zweitletzte Zehe zum Fremdkörper geworden zu sein, der mich Schritt für Schritt daran erinnert, dass irgendwann selbst die bereits in zweifacher Ausführung (verschiedene Farben) erworbenen Tamaris-Schuhe mit Ultrageschmeidig-Fußbett nichts mehr helfen werden. Es ist ein Elend. Ich werde alt. Ja, auch ich. Und du da draußen, wir alle.

Im Prinzip müssten wir, wenn wir denn mit unseren lädierten Stimmbändern könnten, alltäglich Freudenjuchzer von uns geben und übermütige Sprünge machen, wenn es die Reiki-behandelte Muskelzerrung in der Wade gerade zulässt. Denn Altwerden, das ist schon auch eine Gnade – ich meine, leben zu dürfen bin in die höheren Zweistelligen. Jetzt klinge ich schon wie eine Greisin. Mag sein, dass mich Blacky Fuchsberger´s Buch „Altwerden ist nichts für Feiglinge“ ein wenig zu sehr inspiriert hat, noch mehr über all das nachzudenken, als ich es ja sowieso schon tue. Und gerade jetzt, in diesem Denken und Nachsinnen über das Er- und Überlebte, was ja gen Jahresende wieder typisch ist, kreuzt der Tod häufiger meine Wege. Letzten Freitag wurde der Stallkater Paule tot aufgefunden, vor wenigen Tagen mussten zwei Hundefreunde das Leben lassen und einige Senioren in der Nachbarschaft bauen so rapide ab, dass mir manchmal bange wird. Die Zeit scheint zu rasen und je älter ich werde, desto schneller geht das.

Seid ihr jetzt gespannt wie ich den Bogen zum Happy End hinbekommen werde? Gar nicht! Es gibt kein lustiges Ende, aber ein friedfertiges. Der Tod ist im Leben und ständig zugegen und es gilt, uns mit dieser unabänderlichen Tatsache auszusöhnen. Sorgenvolle Rückblicke in die Vergangenheit lohnen sich in Anbetracht dessen ebenso wenig wie angsterfüllte Szenarien, die der Zukunft gelten. Atmen wir weiter. Leben und lieben wir im Hier und Jetzt. Ja, lieben! Ich glaube das wird schließlich die Quintessenz sein – oder eine der feierlichen Abschlussfragen: Wer hat dich geliebt, wen hast du geliebt, warst du ein liebevoller und liebenswürdiger Mensch? Ich bleibe dran. Und ihr?

28.11.2016


Was ist schon normal?

In der ICD-10, der internationalen Diagnoserichtlinie der WHO, ist ja von „psychischen Störungen“ die Rede. Gemeint sind damit Befindlichkeitsbilder wie Persönlichkeitsstörungen, Depressive Episoden, Ängste und Phobien sowie Psychosen und dergleichen Unschönes mehr.

Manchmal allerdings frage ich mich, ob diese Begrifflichkeit der Störung wirklich gut gewählt ist. Denn sie macht ja die Patienten und Klienten glauben, sie seien nicht normal. Will heißen: sie entsprechen nicht dem, was menschlich akzeptabel und gewöhnlich ist. Doch stimmt das so wirklich und was ist denn schon normal?

Immer mal wieder und manchmal geballter als mir lieb ist mache ich die Erfahrung, dass es da draußen jede Menge Leute gibt, die „komisch“ wirken oder vielleicht sogar auch sind. Diese Zeitgenossen scheinen gar nicht zu merken, dass sie auf andere Menschen etwa einen Eindruck á la Reibeisen oder Sau am Sofa machen. In einem naheliegenden Lebensmittelmarkt haben wir so eine Kassiererin, die mich persönlich belustigt und fachlich gesehen neugierig macht, weil sie von Haus aus maximal giftig guckt und dazu jede Verhaltensauffälligkeit im Kundenumfeld mit tödlich anmutenden Blicken abstraft. Brüllt sich gerade ein Kind ins Koma, weil die Kaugummis nicht mit „Kevin-Johannes an Bord“ dürfen oder braucht eine augenscheinlich etwas weniger rüstige Seniorin einmal etwas länger, um das – zugegeben immer schwerer auseinanderzuhaltende – Centgeld zu sortieren, geht es im REWE nonverbal zur Sache. Ihre Augen werden schmal, die Stirn wirft Falten, der Mund steht verständnislos halb offen. Meine Augen fixieren sie, meine Muskeln spannen sich an, der Schweiß auf der Stirn wird vom ausgesetzten Atem begleitet. Aber es passiert dann regelmäßig doch nichts. Also atme ich weiter. Bis zum nächsten Mal.

Einmal habe ich einen im selbigen Moment wie ich präsenten, bemerkenswerten Vorfall an der Kasse auch echt „blöde“ gefunden und die Kassiererin humorvoll angesprochen: „Ist doch schön, wenn man alle Telefonate live und aus erster Hand mithören kann!“. Da hat sie mich ebenso grantig angeglotzt und mir ein irritiertes „Wieso jetzt?“ hingeraunzt. Seitdem sage ich nichts mehr und versuche, mich möglichst unauffällig zu verhalten. Ich weiß noch immer nicht, ob sie sich wirklich nichts denkt, wenn sie so schaut, oder ob sie so schaut, weil sie sich was denkt und das dann nur nicht sagt. Fakt ist, sie weiß nicht, wie unfreundlich sie wirkt.

Und glaubt ihr jetzt etwa, so jemand würde deshalb ins Coaching gehen? Nö! Also ist jemand so lange normal, wie er nicht selbst begreift, dass sein Verhalten irgendwie gestört, verstörend oder störend ist?

Und für wen überhaupt?

Kann jemand mit sich selbst glücklich sein, auch wenn sich das Umfeld mit Grauen abwendet? Ja! Das ist dann das wirklich Verrückte: diejenigen, die eine offizielle Diagnose wie „Angststörung“ oder „Depression“ oder „Burnout“ haben – die kann ich oft total gut verstehen und ihre Empfindungen teilen. Viele der so genannten intakten anderen kann ich weder verstehen, noch für sozial bewusst, geschweige denn kompetent einstufen.

Jetzt hab´ ich´s: Ich bin nicht normal. Und Julia ist es auch nicht. In diesem Sinne: Habt euch lieb, erlaubt euch eure Fehlbarkeiten, wachst und gedeiht weiter und seid auf dem Weg nicht so streng mit euch! Sonst werdet ihr vielleicht noch krank.

21.11.2016


Coaching ersetzt Denken und Handeln nicht

Vergangenen Donnerstag lief eine Reportage auf 3sat. Der tolle Titel lauete „Der Coaching-Wahnsinn“. Na, danke, habe ich mir gedacht, als ich früh das Fernsehprogramm überflog. Genau so eine Message brauchen wir nämlich nicht, Julia und ich. Wir arbeiten doch seit Jahren daran, Menschen verständlich zu machen, was Coaching kann und wo Coaching Grenzen hat. Deshalb und nicht nur aus diesem Grunde fand ich den Beitrag schon einmal von vornherein extrem kontraproduktiv. Klar musste ich mir das ansehen!

Die Sendung war dann doch ganz interessant, wenn auch für mich nicht wirklich nachvollziehbare Rückschlüsse erfolgten.

Sehr ausführlich gezeigt wurden ein Business-Schamane und ein Outdoor-Coach. Der Schamane setzte auf urschreigewürzte Rituale und ließ Teilnehmer mit blanken Füßen was auch immer in der Erde verscharren. Der Outdoor-Typ führt eine Horde mehr oder minder mutiger Führungskräfte auf einen alpinen Gipfel, über Hängebrücken, durch Wildbachtäler und in einen alten Stollen, in dem sie gebückt mehrere Stunden Hirn an Hintern durch die stickige Enge schlichen.

Zwischendurch kam immer mal wieder ein Wirtschaftswissenschaftler zu Wort, der uns Zuschauern erklärte, dass der Begriff Coach nicht geschützt ist, dass sich heute quasi jeder ein Schild an seine Türe schrauben kann und – das war das wirklich Irritierende – dass der Effekt von Coaching schwer messbar ist. Wohingegen eine Doktorandin, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Business-Coaching in Unternehmen mittels selbst renovierter ROI-Formel untersucht hatte, eine positive Erfolgswirksamkeit nachgewiesen zu haben glaubte. Ich schreibe das hier ein wenig ironisch, weil ich selbst folgender Meinung bin:

Es gibt viele Menschen und jeder ist anders. Folglich gibt es X-fach so viele Schuhe, die individuell potenziell drücken können. Warum darf es dann nicht auch zig verschiedene Wege, Tools, Methoden und dazu eben Helfer, Heiler, Coaches geben, die ganz subjektiv unterstützen können? Was uns angeht und das Privat- und Business-Coaching im zeit|raum, so haben wir eine umfassende Ausbildung genossen, die sich auf systemisches Gedankengut sowie auf NLP stützt. Wir sind zertifiziert von der European Coaching Association und waren beide vorher in der freien Wirtschaft tätig. Wir lieben, was wir tun und haben rund zehn Jahre Erfahrung.

Doch all das nützt auch nichts, wenn es bei unserer Mentalarbeit an der kognitiven und emotionalen Mitwirkung des Klienten mangelt. Gerade, wenn es um konkrete Verhaltensveränderungen geht, die jemanden etwa in puncto Beziehung oder Karriere weiterbringen oder einfach glücklicher machen sollen, bleibt die Coaching-Stunde dann ein reiner Besuch, statt ein gemeinsamer Akt der Ressourcenoptimierung. Wo keine Selbstreflexionsfähigkeit, da keine Entwicklungsmöglichkeit. Wo wenig Leidensdruck, da kaum Lust. Und wenn jemand nur ins Coaching kommt, um seinem Chef oder einem Familienangehörigen einen Gefallen zu tun – wir nennen diese Klienten „geschickt“ –, dann fehlen oft sowohl Einsicht, als auch Nachhaltigkeit.

Da kann der Coach dann noch so gut können und auch wollen – ohne den Menschen selbst geht halt einfach nichts. Und da lacht sich der Wirtschaftswissenschaftler, der auf 3sat munter seinen rationalisierten Senf zugab, dann ins Fäustchen, weil ja Coaching nicht sicher Erfolg verspricht. Wahnsinn! Ach, deshalb der Titel.

Heilversprechen dürfen wir übrigens sowieso keine machen. Denn Coaching kann ja das eigene Denken und Handeln nicht ersetzen. Und nicht nur Coaching nicht. Auch kein Arzt oder Apotheker. Schade eigentlich. Wäre alles so einfach, wenn man doch nur die völlige Verantwortung für sich nach außen verlagern könnte…

08.11.2016


Frische Energie – dank Reiki

Ich habe jetzt Reiki in den Händen. Lebenslänglich. Julia auch. Wie es dazu kam? Meine unablässige Suche nach Sinn hat mich meinen Weg mit der universell verfügbaren Energie kreuzen lassen. Und zwar in kurzer Zeit so häufig, dass ich mich schließlich entschlossen habe, es einmal auszuprobieren und am eigenen Leibe zu erfahren, was es damit auf sich hat. Ich kann nur sagen: Wow!

 Natürlich hatte ich Vorbehalte. Denn jeder, der Reiki bereits in sein Leben integriert hat, verspricht, dass (s)ich dadurch alles zu ändern vermag. Julia und ich empfanden dieses immer wiederkehrende Mantra „Eingeweihter“ als Drohung. Wollen wir diesen Wandel überhaupt? Darüber haben wir diskutiert (und nebenbei bemerkt, auch viel gelacht). Am letzten Wochenende war es dann so weit. Wir waren gespannt auf das Seminar mit Reiki-Meister Daniel Thimm, der seine materiellen Bedürfnisse bislang als Ingenieur einer Augenlaserfirma deckt. Daniel ist ein angenehmer und sehr wertschätzender Mensch. Jemand mit Bodenhaftung und Streben nach Höherem. Einer der weiß, wovon er spricht und – obgleich er eigenes körperliches Leid mit Reiki lindern konnte – nichts verspricht, außer neuer Energie. Und die haben wir erhalten.

 Im Wesentlichen kam es mir so vor, als ob ich noch nie zuvor so lange am Stück und so gedankenversunken und zugleich körperlich mit mir selbst beschäftigt war. Dass sich da am Abend des ersten Seminartages seelische Abgründe – emotionale Lasten – aufgetan haben, wen wundert das. Als Hausaufgabe über Nacht bekamen wir eine einstündige Selbstbehandlung mit Reiki zu Übungszwecken auf. Meine psychische Abwehr lief nach der Tränenflut wieder einmal auf Hochtouren. Kurz überlegte ich auch, am nächsten Tag einfach nicht mehr in Erscheinung zu treten. Aber ich kenne mich ja. So ist das mit mir, wenn ich mich zu Ruhe und Auseinandersetzung mit vergrabenen Gefühlen gezwungen fühle. Also ging ich natürlich auch am Sonntag brav in unseren Seminarraum. Allerdings entschied ich, mein Tempo geltend zu machen und meine Gefühle als Wegweiser zu nutzen. Interessant, dass die dann so gar nichts mehr dagegen hatten. Sie fanden Reiki irgendwann sogar voll gut und gaben sich dem kommentarlos hin. Wir haben uns nach all den Einweihungen (was genau da passiert, weiß niemand so genau) gegenseitig behandelt und erfahren, dass wir Reiki in Zukunft auch Tieren und Pflanzen angedeihen lassen können. Nun, vor allem unsere Büropflanzen hätten es dringend nötig. Und wir sowieso. Wie oft bringen auch uns, die wir als Trainerinnen und Coaches unterwegs sind, dichte Aufträge und herausfordernde Situationen an unsere Grenzen, die wir mit Professionalität zu wahren suchen. Also durfte reichlich Reiki fließen. Durch unsere Hände zu den anderen Teilnehmern und durch deren Hände zu uns selbst.

Am Abend und zu Seminarende war ich voller Energie. Das meine ich ernst! Nie zuvor war ich nach zwei Fortbildungstagen so erfrischt und so „bei mir“, in meiner Mitte. Jetzt geht es darum, Reiki in mein Leben zu lassen. Jeden Tag bestenfalls eine Stunde. Damit habe ich noch ein Thema (Problem sagen wir jetzt nicht mehr), denn meine Getriebenheit strebt nach kürzeren Episoden. Also habe ich vorerst einen Deal mit mir gemacht, mir Reiki-Musik im Internet gesucht, mich auf die Couch gemümmelt und mit der Selbstbehandlung begonnen – zeitlos und viel zu kurz. Nicht zuletzt auch deshalb, weil mein Mann irgendwann rief: „Das Essen ist fertig!“. So sieht Reiki derzeit also bei mir aus. Es muss schnell fließen, zügig energetische Dissonanzen harmonisieren und ruckzuck seelische Blockaden abbauen. Mal sehen, ob es das kann. Oder ob ich irgendwann wirklich dauerhaft zur Ruhe und zu mir finden kann. Oder mich so gar nicht mehr verliere.

Noch 20 Tage bis zum Feedback an Daniel. Ich bin gespannt. Und irgendwie freue ich mich auf die „verschriebene“ Zeit mit mir selbst. Dank Reiki.

02.11.2016


Führende Einsichten

Ich weiß ja, Handys gehören heute zum Alltag. Und je jünger die Menschen sind, desto mehr. Gewichtig ist die Rolle, die den mobilen Begleiterscheinungen vor allem der Generation Y und Z zugestanden wird. Das Schlimme daran: Selbst das beste Smartphone kann den oft damit verbundenen Verfall der guten Sitten nicht wettmachen. „O tempora, o mores“, ruft der alte, kritische Lateiner in mir. Aber er muss einfach auch mal die Klappe halten können, sonst würde er in dieser Welt nicht überleben.

Apropos Sendepause: Ich finde ja, mein innerer Kritiker hat oft was für sich und Dinge über Sachen zu sagen, die einen wahren Kern in sich bergen. Das ist auch der Grund dafür, dass ihn andere Menschen nicht so gerne hören. Vor allem, wenn er voll ins Schwarze trifft. Wahrheit tut weh und deshalb will sie keiner wissen. Trotz seiner Teilzeit-Weisheit darf sich mein innerer Kritiker aber nicht anmaßen, überall sein Wörtchen mitzureden. Schon gar nicht, sich über andere zu erheben – also überheblich zu sein – und so zu tun als ob er Gesetz wäre. Denn das erlaube ich ihm nicht.

Beispielsweise letzte Woche hatte er ganz schön zu knabbern an seinem Hochmut. Da hielt ich ein Seminar mit Nachwuchsführungskräften zwischen 25 und 35 Jahren. Zwei davon malten Mandalas aus und irgendwo hatte immer irgendwer ein Handy in der Hand, einmal waren mindestens sechs Smombies zeitgleich online.

Da geriet mein Kritiker in Wallung und in eine lebhafte Debatte mit der inneren Lehrerin und dem Spielkind. Das Spielkind lachte den Kritiker, der das Ganze gar nicht lustig fand, fröhlich feixend aus: „Ach, ist doch nicht so schlimm – wer will schon sechs Stunden auf seinem Hintern hocken, ohne schöne bunte Bildchen zu malen oder auch mal ein virtuelles Pläuschchen auf What´s App mit dem Rest der Welt zu halten…?“ Der Kritiker grollte. Die Lehrerin flüsterte ihm leise ins Ohr, sichtlich bemüht, das Spielkind mit ihrer autoritären Haltung nicht zu verschrecken: „Ich bin grundsätzlich deiner Meinung. Früher hatte man vor Führungskursen und Dozenten mehr Respekt.“ Etwas lauter und nachsichtig lächelnd fügte sie hinzu: „Unter pädagogischen Gesichtspunkten muss ich sagen: Hauptsache, die jungen Leute sind teilnahmsvoll. Für sie ist es ein Pflichtseminar und dafür sind sowohl Stimmung, als auch Aktivität richtig gut.“ Der Kritiker grollte weiter und raunte der um Diplomatie bemühten Pädagogin ins Ohr: „Das nächste Mal kannst du Ihnen ja noch einen Kaffee servieren. Schule ist Schule und Schnaps ist Schnaps.“ Zum Kind gewandt kommentierte er: „Stell´ dir mal vor, du bist irgendwann erwachsen und hast einen Chef, der zwar wachsam, aber nicht achtsam ist. Würde dir das gefallen?“ „Wie meinst du das?“, fragte das Spielkind. „Na, dem Chef würde nicht das geringste Fehlverhalten entgehen und er würde jederzeit sofort Einhalt gebieten. Aber du würdest dich dabei jedes Mal erniedrigt fühlen. Oder angegriffen. Ungenügend eben. So, als ob du es nicht wert wärst, mit Respekt behandelt zu werden.“ „Oh. Das wäre aber bitter. Da würde ich sicher nicht bleiben wollen. Ich bau´ mir meine Welt nämlich wie sie mir gefällt. Also woanders, wo Chefs nicht nur vor-gesetzt sind, sondern sich ihren Respekt auch verdient haben.“

Und jetzt die Moral von der Geschicht´: Fehlt Vorgesetzten Sendungsbewusstsein, kann es zu erheblichen Führungsdefiziten kommen, die auch Seminare nicht zu lindern vermögen. Treffen diese Schwächen auf Generation Y oder Z, wird flugs ein reges Bäumchen-Wechsel-Dich-Spiel die Folge sein. In von Fachkräfte-Mangel geplagten Unternehmen kann sich also suboptimale Selbstreflexionsfähigkeit seitens der Führung zu einem noch größeren Problem auswachsen, als es das rein menschlich gesehen ohnehin schon ist.

Hatte der Kritiker also mal wieder Recht? Wir werden sehen!

27.09.2016


Gestresst oder wichtig für die Welt?

Heute früh habe ich mir mal wieder die Frage gestellt, welchen kürzlich durchlebten Content ich zu einem Blog verarbeiten könnte. Nicht, dass ich nichts zu sagen hätte. Doch es sollte schon auch für euch Leser von Relevanz sein. Ein Thema flog mir dann beim Zeitunglesen zu, ein anderes mehr oder weniger vor die Füße: Zwei Bussarde ließen laut jaulend von einer eben gejagten, toten Taube ab. Offenbar hatte ich Ihnen auf meinem Joggingweg die Fresstour verdorben – und mir im Anschluss den Appetit auf mein Müsli. Also wird jetzt das Zeitungsthema abgefrühstückt. Was für ein Stress im Morgengrauen…

Stress ist ja gemeinhin bekannt als etwas Böses. Stress macht ein ungutes Gefühl und sogar krank, wenn er chronisch ist. Doch wissen wir überhaupt – mal ehrlich – wann wir wirklich gestresst sind und wann wir uns lediglich in bemerkenswerter Weise gebraucht oder vielleicht sogar über die Maßen wichtig für die Welt fühlen?

Stress ist nämlich nicht gleich Stress. Er ist stark an ein Subjekt gebunden und oft wortwörtlich Substitut für Status. Will heißen: Was den einen Menschen fordert, kann den anderen überfordern. Und was wir als Stress titulieren, muss eben nicht auch zwingend mit einer Cortisol-Ausschüttung zu tun gehabt haben.

Cortisol ist das Hormon, das ausgeschüttet wird, um uns in eine leistungsfähige Form zu bringen. Dem Körper wird quasi Energie zur Verfügung gestellt und verschiedene Gehirnareale werden aktiviert, um etwa unsere Aufmerksamkeit und Wachsamkeit zu steigern. Dabei ist das Hormon an sich nicht schädlich und auch das Erlebnis Stress nicht zwingend schlecht, zumal es Konzentration, Durchhaltevermögen und Kreativität anspornt. Wir sind also auch wirklich zu Höchstleistung fähig, wenn ein wenig Cortisol im Spiel ist. Entspricht ja auch den Erkenntnissen aus der Teamforschung: umgeben von Gleichrangigen in puncto Leistungsvermögen, schaltet der Mensch eher auf „passt schon“ und strengt sich nicht weiter an. Umgeben von leicht Überlegenen, tritt der Teamplayer verstärkt in Aktion (und sich selbst vermutlich in den Allerwertesten). Ein bisschen überfordert sein, das scheint also ganz gut, wenn man nicht nur in lauer Mittelmäßigkeit vor sich hindümpeln will.

Interessant ist auch, dass Männer eher gestresst reagieren, wenn es um Leistung, Kompetenz und Wettbewerb geht, während Frauen Gefährdung der sozialen Zugehörigkeit sowie Bewertungssituationen heftiger touchieren. Bei Männern wird gemeinhin auch mehr Cortisol ausgeschüttet, was sie – bei chronischem Stress – stärker gefährdet für Infarkte und kardiovaskuläre Erkrankungen macht. Frauen neigen hingegen bei Dauerbelastung zu Angststörungen und Depressionen.

Wichtig ist in jedem Falle und egal ob Männlein oder Weiblein, dass nach stressigen Situationen auch wieder Regeneration und Entspannung Raum finden. Was ja bei dem Wetter nun wirklich kein Problem sein dürfte. Sollte die Langeweile aber doch zu groß werden, könnt ihr – liebe Leser – euch ja demnächst noch mehr über das Thema Stress, was uns antreibt und frustriert, gewürzt mit neuesten Erkenntnissen aus der Hirnforschung reinziehen: Vom 30. September bis 1. Oktober 2016 findet in der Stadthalle Fürth ein großes Symposium dazu statt! Weitere Infos findet ihr auf www.turmdersinne.de/de/symposium.

19.09.2016


Was macht die Bayern so lebensmüde?

Gestern hat mich ein Workshop-Teilnehmer angesprochen und mir von seiner vorgestrigen Scheidung erzählt. Als ich etwas unsicher kommentierte „ist es für Sie traurig oder darf ich Ihnen gratulieren?“, öffnete sich dieser Mensch und klagte mir sein großes Leid durch den Beziehungsbruch:

Seine mittlerweile Ex-Frau hatte sich mit dem Paten seiner Kinder zusammengetan und für meinen Workshop-Teilnehmer glich diese neue Paarung in seinem Familiensystem dem Zusammenbruch seiner Welt. Er büßte den Glauben an alles und jeden ein. Sein Halt war weg. Die Sinnhaftigkeit seines Daseins, die er einzig über seine familiäre Fürsorge bezog, verlor sich ins Nichts. „Meine Frau kenne ich schon seit Kindheitstagen. Sie ist meine beste Freundin und engste Vertraute gewesen, der Pate meiner Kinder war mein bester Freund.“

In dieser desaströsen Krise habe ihm sein Chef sein Leben gerettet. Mehrere Wochen habe er ihn jeden Morgen zuhause abgeholt und dafür gesorgt, dass er nicht vollends aus dem Takt geriet und ihm auf diese Weise gewissermaßen den Zugang zum „Leben danach“ verschafft.

Was für ein Chef! Was für eine Geschichte! Und heute früh lese ich in der Zeitung, dass die Suizidrate in unserem schönen Bundesland im innerdeutschen Vergleich am höchsten ist und dass vor allem in Niederbayern, gefolgt von der Oberpfalz, dem Leben vergleichsweise häufig willentlich ein Ende gesetzt wird. Was hat das zu bedeuten, frage ich mich. Während die Statistiken der Krankenkassen ausweisen, dass die Bayern im Bundesschnitt sehr selten am Arbeitsplatz fehlen, reagieren sie dann doch umso „empfindsamer“ auf Ein- und Umbrüche?

Vielleicht sind die Bayern ein temperamentbegabtes Volk, so dass sich die Affekte im Falle persönlicher oder beruflicher Katastrophen ebenso dramatisch ins Depressive verkehren. Womöglich sind wir ausgestattet mit der kulturellen Kognition „stark sein zu müssen“ und statt bei kleineren Alltagsdramen zu schwächeln, speichern wir quasi unserer inneren Impulse, um in der Not zur Eskalation zu neigen. Negieren wir also psychische oder physische Wehwehchen und nehmen wir uns nicht ernst genug? Erlauben wir uns keine Abweichungen vom geplanten Leben und gönnen wir uns zu wenig Hilfe? Oder sind wir zu ortsverwurzelte Sicherheitsjunkies, so dass wir im Falle des Verlusts von Arbeit oder Liebe nicht über die Region hinausdenken, geschweige denn einen Orts- oder Richtungswechsel in Betracht ziehen können?

Ich habe keine Antworten. Nur Ahnungen. Aber eines weiß ich sicher: Coaching kann in vielen Fällen helfen, verlockende Perspektiven zu entwickeln. Was man dazu braucht? Erst einmal 60 € und Lust auf Leben!

07.09.2016


In Resonanz mit dem Irrsinn

Die Ferien waren wunderschön. Viele menschliche und tierische Kontakte, feine Fügungen, herrliche Wanderungen und eine erholsame Zeit am Meer. Folglich war auch die Stimmungslage insgesamt sehr sonnig. Bis ich vergangene Woche mit einer Freundin beim Frühstücken saß und wir (einmal wieder) dem menschlichen Irrsinn begegneten.

Meine Freundin und ich trafen uns also im Outdoorbereich einer regionalen Bäckereikette (die aus jeder leer geräumten Garage eine Filiale macht) und ließen es uns in den früheren Morgenstunden gut gehen. Der mitgeführte, greise Hund meiner Freundin lag friedlich und leise stöhnend bei uns. Vermutlich wird er nicht mehr lange unter uns sein, der arme, kranke Knirps. Jedenfalls erzählte mir meine Freundin von einer aggressiven Begegnung mit einer Hundehasserin vor kurzem. Daraufhin berichtete ich ihr von einem bösartigen Eklat mit einer Reiterin neulich, die mich ins Mark traf.

Und da saßen wir, uns über gestörte Verhaltensweisen unterhaltend, als ein Paar mit Tablett unseren Tisch passieren wollte. Die Frau fragte unwirsch, ob wir den Hund bitteschön aus dem Weg räumen könnten. Ich daraufhin friedfertig: „Er ist schon älter…“ und weiter kam ich nicht, denn der Mann fauchte mich sofort in ungehöriger Lautstärke an: „Wenn ich so einen Schmarrn höre, so ein Gewäsch, der blöde Köter“ und so weiter und so fort. Wir waren beide von so viel Kriegsgebahren total verwundet und überfordert. Ich gab noch leise zurück: „Ich wollte Ihrer Frau doch nur sagen, dass der Hund so schnell nicht mehr reagieren kann.“ Daraufhin er in rüdem Angriffston: „Sie wissen doch gar nicht, ob das meine Frau ist!“

Wir waren zutiefst erschrocken und unsere Worte erschöpft von so viel Zorn. Da wurde mir klar:

Mit unseren Erzählungen über unliebsame Begegnungen hatten wir offenbar genau das angezogen, was wir so abstoßend finden – den menschlichen Irrsinn. Also passt besser auf, was ihr denkt und über was ihr euch in Zukunft unterhaltet, liebe Leser! Es gibt nämlich richtig viel Coaching- und Therapiepotenzial da draußen. Aber diejenigen, die unsere Unterstützung wirklich brauchen könnten, wissen davon leider nichts. Sie sind nämlich unkorrigierbar von sich überzeugt. Schade eigentlich.

30.08.2016


Der Tod geht um

Die letzten beiden Wochen waren keine leichten. Bewegende Begebenheiten im Freundes- und Bekanntenkreis. Weltpolitische Furchtbarkeiten und die zu allem Überfluss nun auch noch drohende Konstellation Trump-Erdogan-Putin. Terror in Europa und neuerdings sogar Attentate nah wie nie vor der eigenen fränkischen Haustüre.

Wie gut, dass wir am vergangenen Wochenende nur in der Gustavstraße und am Grünen Markt in Fürth unterwegs waren. In Fürth wird schon nichts passieren. Das haben die jungen Leute, die im McDonald´s im OEZ ins Wochenende starten wollten, wahrscheinlich auch gedacht. Falls sie sich überhaupt Gedanken gemacht haben über die momentane Gefahrenlage, auf die de Maizière immer wieder hinweist (ich finde, er und auch unser Innenminister Herrmann sehen richtig gequält aus – bestimmt würden sie am liebsten hinausbrüllen „was ist mit dieser sch… Welt los?“, aber das dürfen sie ja natürlich nicht.) Vermutlich haben die jungen Leute sich gar nichts weiter gedacht. Und jetzt sind sie tot. Da hatten die Opfer in Ansbach noch mehr „Glück“.

Auch wir könnten übrigens längst tot sein. Wir alle oder einzelne von uns. Er könnte an jedem Tag in jeder Sekunde kommen, der Tod. Die Frage ist nur, wie er uns ereilt und ob er uns in Form einer psychisch irritierten oder politisch frustrierten oder religiös rigorosen Persönlichkeit erscheint. Oder auf eher herkömmliche Weise.

Bleibe ich nun mit der erstgenannten Gewissheit und der zweitgenannten akuten Gestörtheit der globalen oder/und interkulturellen zwischenmenschlichen Beziehungen am besten gleich zuhause? Dann weiß ich wenigstens, wo ich bin, falls ich mal sterben sollte in näherer Zukunft.

Ich weiß nicht, wie ihr das angeht und seht, meine lieben Blog-Leser. Ich werde es dem Tod jedenfalls nicht so leicht machen, mich anzutreffen. Ich bleibe am Leben und lebhaft wie gehabt. Menschliche Massenaufläufe werde ich trotzdem meiden, was mir aber auch nicht schwer fallen wird. Wenn es mich dann im Flugzeug Richtung geliebtes Griechenland erwischt, soll es wohl so sein. Dann sterbe ich wenigstens glücklich.

26.07.2016


Auf der Suche nach (S)ich

Am Wochenende habe ich wieder interessante Gespräche geführt. Beim Treffen mit einer Freundin. Beim Ausreiten mit einer guten Bekannten. Beim Kaffee trinken mit Nachbarn. Interessanterweise touchierten wir immer wieder ein Thema: den kollektiven Hang zur Inszenierung des eigenen Selbst.

Eines meiner Spezialgebiete ist ja das Burnout-Syndrom, für das insbesondere Menschen anfällig sind, die ihren Selbstwert unverhältnismäßig stark davon abhängig machen wie „wichtig“ sie für andere sind. Dieses ausgeprägte, ja schon fast zwanghafte Streben nach Anerkennung seitens der Außenwelt führt die Betroffenen in eine Spirale aus zur Erlangung von Wertschätzung getriebenem Geben und schließlich zu einem „sich Übergeben“ über die eigenen Leistungsgrenzen und Belastungslimits hinweg. Als eine, die sich einst selbst krank machte, weil sie nicht bei sich selbst ankommen, aber gefühlt auch nicht die Ansprüche der umgebenden Systeme erfüllen konnte, weiß ich eines ganz sicher:

Um auf Dauer und auf hohem Niveau leistungsfähig zu bleiben ist es unabdingbar, persönliche Fähigkeiten, Bedürfnisse und Werte zu erkennen, aber auch schädliche Muster und gefährliche innere Triebkräfte zu entschlüsseln, damit ein gesunder Umgang mit den eigenen Ressourcen erfolgen kann. Es bringt schlicht nichts und auch niemanden von uns weiter, wenn wir nur am Ausgeben von Energie sind. Womöglich profitieren andere Menschen oder auch Arbeitgeber von uns. Doch was bleibt, wenn am Ende nichts mehr zum Ausgeben übrig ist – wenn der Ausbrenner physisch und psychisch krank und überhaupt nicht mehr funktionsfähig ist? Ein Häufchen Elend Mensch!

Die Erlangung eines soliden Selbstwertgefühls ist für mich heute einer der essentiellen Schlüssel für das Leben und Überleben. „Ich bin ein wertvolles Wesen ganz unabhängig vom meinem geldwerten oder applauswürdigen Schaffen“, so könnte ein innerer Leitspruch lauten. Klingt einfach, ist in der Umsetzung allerdings ziemlich anspruchsvoll, zumal viele von uns Richtung Leistung getrimmt und als gefällige, geschmeidige Wesen sozialisiert worden sind. Und jetzt komme ich daher und sage euch, kommt bei euch selbst an.

Manche Leser mögen nun denken (das weiß ich aus meinen Gesprächen über diese Thematik): Wie, es soll mein Ziel sein, ein Egoist zu werden? Das ist zwar der geläufige Rückschluss, aber ein Trugschluss!

Wie oft erlebe ich etwa Männer, die – obwohl sie verlockende Vorruhestandsregelungen oder dem Stellenabbau dienende Ausgleichszahlungen in Anspruch genommen haben – immer noch ausgiebig in Erinnerungen von ihrem Wirken als „tolle Hengste“ im Job schwelgen? Oder Frauen, die fix und fertig sind, wenn ihre Kinder das Haus verlassen, um ein eigenes Leben zu beginnen? Oder Geschichten von verlogenen Herzensbrechern, die sich, sich eigentlich gar nicht aus der langjährigen Lebenspartnerschaft oder von der Familie lösen wollend, Paralleluniversen mit Liebschaften aufbauen, aus denen sie ihre Anerkennung als Sexbomben oder Lustobjekte beziehen? Oder Erzählungen von Arbeitskollegen, die sich für ultimativ genial halten und zur Aufrechterhaltung ihres Narzissmus lieber andere in die Pfanne hauen als einen Fehler zuzugeben? Oder Berichte von der Beendigung bewährter Freundschaften, weil es an der Auseinandersetzungsfähigkeit im Falle einer Reiberei mangelt? Oder von Menschen, die dem Alkoholismus verfallen und von daher nur noch anwesend sind in ihrem eigenen Surrealismus aus Halbwahrheiten, der unanfechtbar ist und mit affektiver Bissigkeit böswillig verteidigt wird, wenn der kranken Persönlichkeit auch nur das geringste Haar gekrümmt wird.

Und jetzt stellt euch mal vor: all diese Menschen würden an sich glauben und sich grundlegend gerne mögen. Sie würden gut zu sich und zu anderen sein, viel für sich und für andere übrig haben. Sich würden sich in sich zuhause fühlen und dennoch lebendig bleiben, immer mal wieder eine Standortbestimmung durchführen und einen Selbstbild-/Fremdbild-Abgleich vornehmen. Bei wiederholtem Stolpern über ein persönliches Potenzial würden sie sich aufmachen, sich weiter zu entwickeln. Diese per se wertvollen Wesen müssten sich nicht ständig unter Beweis stellen. Sie würden sich und andere leben lassen. Lieben können. Verantwortung übernehmen für sich selbst. Sie würden an energetischen Abflüssen an Arbeitsplätzen arbeiten, statt sich tatenlos aufzureiben und immer wieder solidarisch den optimierenden Stellhebel in Partnerschaften bedienen, statt zu mentalen Gräuel- oder auch körperlichen Gewalttaten anzusetzen.

Na, sind wir uns diesen Weg wert, auch wenn er kein leichter sein wird? Coaching kann in diesem Kontext eine stärkende Begleiterscheinung sein. Wer Lust hat, die Last des persönlichen Wachstums nicht ganz alleine zu tragen, ist uns herzlich willkommen. Jeder andere auch. 

20.07.2016


Vom Sinn des Seins

Wenn sich eine fundamentale Lebensveränderung – schicksalhaft, unerwartet – ergibt, kann es sein, dass eine Frage in den Mittelpunkt rückt, die vielleicht bislang nur am Rande wichtig war. Oder auch gar nicht. Die Frage nach dem Sinn des eigenen Seins. Von Neugier und aktuellem Bezug getrieben, habe ich zum Thema eine schnelle Umfrage im Bekanntenkreis gestartet. Könnte ja die eine oder andere Inspiration für mich und euch, liebe Leser, dabei sein…

Tatsächlich sind die Antworten, die ich bislang bekam, relativ ähnlich. Spuren hinterlassen i. S. v. Großes für die Menschheit bewirken (und sei es auch nur die in der eigenen Gemeinde oder näheren Umgebung) will bislang niemand der von mir Befragten. Die Leute scheinen sich darauf zu konzentrieren, das Leben an sich gut zu leben und meinen damit etwas wie „mit sich selbst im Reinen sein“, „es sich gut gehen lassen“, „anderen willentlich nichts Böses tun“, aber auch „nachdenken über die Welt“, „ein kollektives Bewusstsein entwickeln“.

Ich bin mal gespannt, welche Antwort zum Beispiel die Mütter in meinem Freundeskreis für sich finden, wenn die Kinder aus dem Haus sind und das „empty nest syndrom“ zuschlägt. Oder welche Definition die Männer nach Karriere-Ende finden, die sich bis dato ganz und gar über ihr berufliches Wirken definieren (es gibt kaum ein anderes Gesprächsthema). Und natürlich warte ich selbst brennend darauf, eine gute Interpretation für mich zu finden. Am besten zügig.

Vielleicht ist es gemäß Maslow ja wirklich das Luxusproblem eines umtriebigen Geistes, sich mit so etwas Ideellem zu beschäftigen. Meine Oma, einst gebeutelt von Kriegstraumata und existenziellen Nöten, hatte bestimmt Wichtigeres zu tun, als sich mit der Sinnhaftigkeit ihrer eigenen Existenz zu beschäftigen. Leider kann ich sie nicht mehr persönlich um Auskunft bitten. Für mich hatte ihr Leben jedenfalls einen tiefen Sinn. Sie hat mir nämlich vorgelebt, was Zufriedenheit fern von Materiellem bedeutet, konnte aus Wenigem etwas machen und hat von Herzen gerne gegeben. Und so vieles mehr.

Entsteht Sinn dadurch, dass ich für andere Menschen etwas bewirke? Für andere von Bedeutung, wichtig bin? Als Lehrer, Inspirator, spiritueller Wegweiser?

Oder kann es auch Sinn machen, einfach nur mit sich selbst klarzukommen und authentisch zu sein, im Augenblick zu leben und das große Glück im (vermeintlich) „Kleinen“ zu finden – etwa in der Natur, der Gesundheit, nützlichen Fügungen? Geht es am Ende vielleicht um Dankbarkeit und Demut? Um das Anerkennen der Gesetzmäßigkeiten des Lebens, um die Integration dieser unabänderlichen Aspekte wie Veränderung und Verlust? Um Lieben und Loslassen?

Dann ist es wohl die Weisheit, die es zu erstreben gilt. Und womöglich werden aus ihr wiederum Taten (faktisch oder mental) geboren, die auf andere Menschen Impuls gebend wirken. Spuren in deren Hirnen und Herzen hinterlassen. Ein schöner Gedanke.

Wenn ihr, liebe Leser, etwas zur Sinnfrage beisteuern möchtet, bin ich ganz Ohr und freue mich: schreibt mir bitte an andrea.baumgartl@mein-zeitraum.de, was ihr für euch zum Sinn des Lebens erklärt habt und ob ich euren Beitrag anonym zitieren darf. Herzlichen Dank!

12.07.2016


Auf (Ab-) Wegen

Für einen Coach gehört es zum guten Ton, sich auch ab und an coachen zu lassen. Finde ich. Zumal, wenn man Bedarf hat. Wie ich. Denn ich möchte mit manchem aus der Vergangenheit gerne gesund abschließen und neue Wege gehen. Dachte ich. Eigentlich. Vielleicht.

Also habe ich mir schon länger die Frage gestellt: wohin mit mir und meinen Fragen an das Leben? Ich weiß, dass ich die Antworten nirgendwo besser finden kann als in mir selbst. Aber da sich mein Unterbewusstsein manchmal verschlossener zeigt als mir lieb ist (vermutlich will mein Bewusstsein mal wieder zu viel auf einmal und mein armes Unterbewusstsein ist völlig überfordert und macht deshalb erstmal dicht), brauche ich einen versierten Goldgräber, der mit mir nach ungeschliffenen Wahrheiten gründelt. Wer suchet, der findet. In meinem Falle lief mir der Therapeut während einer Fortbildung über den momentan etwas holprigen Lebenspfad. Gleich im Anschluss machte ich mit ihm zwei Termine klar. Sicher ist sicher. Bis zu den Sommerferien sollte sich (ich) schließlich noch einiges bewegen.

Wenige Wochen später. Der erste Coaching-Termin nahte. Und mir graute. Wollte ich wirklich wissen, was da tief in mir grollte, was mich wurmte, manchmal wütend und oft auch traurig machte? Im Moment ging es mir doch prima. Alles lief blendend. Wunderbar. Nun ja. Aber Termin ist Termin und ich bin da sehr zuverlässig. Also nahm ich mir vor, mir nichts vorzunehmen. Es sollte aus mir herauskommen, wenn es wollte. Was es auch war. Ich war planlos. Ist ja manchmal ganz gut, wenn man ansonsten recht kognitiv-gesteuert (ein Kontrolli) ist.

Letzten Donnerstag war es dann so weit. Zwei Tage vorher: Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe, Müdigkeit, Spontanalterung. Donnerstag früh: Magnesium genommen, Laune top, Optik o.k. Donnerstag gegen Mittag: Halsschmerzen, enorm. Aha. Abwehr, vermutlich.

Also wollte ich mir etwas Gutes tun. Im Büro rechtzeitig losfahren und noch ein wenig durch den Park spazieren. Ich kam 45 Minuten vor Coaching-Start an und fand einen wie bestellten Parkplatz auf der anderen Seite der Grünfläche. Und marschierte los. Und marschierte. Und marschierte. Mir lief das Wasser übers Gesicht. Meine Füße taten weh. Mein Hals fühlte sich taub an. Mir ging es grottenschlecht. Und ich kam einfach nicht auf der anderen Seite des Parks an. Sonders ganz woanders raus. Bei Hausnummer Eins. Und das besagte Haus hatte eine Neunziger Nummer…

Da war ich dann Punkt 15 Uhr. Völlig zer- und verstört. Der Therapeut hatte eine Kerze angezündet im luftleeren Raum. Mein letztes Taschentuch, mit dem ich mir versuchte, die Schweißtropfen aus den wenigen Haaren zu saugen, war triefend nass. Ich konnte mich nur auf meine Transpiration konzentrieren und auf sonst nichts. Also bat ich, in den Park gehen zu dürfen. Der Therapeut holte – ein wenig überrascht vielleicht – seinen Hut.

Wir fanden keine Bank im Schatten. Laufen konnte ich nicht mehr. Ich plädierte für sofortiges Sitz unter einem Baum und ich bettete meinen Allerwertesten – ausgerechnet an diesem Tag trug ich eine weiße Hose – auf Workshop-Unterlagen. Nach kurzer Zeit liefen die Tränen. Sehr. Ich dachte, die wasserfeste Wimperntusche, die ich weitsichtig aufgetragen hatte, würde der Sintflut standhalten (im Auto später entdeckte ich „Panda-Augen“, es war die falsche gewesen). Eine Polizeistreife fuhr vorüber und ich setzte vorsorglich die Sonnenbrille auf. Wollte kein falsches Bild in den Köpfen entstehen lassen: Ich heulend mit einem Mann unter einem Baum, kauernd quasi.

Nach knapp einer Stunde klagte der Therapeut über seinen nassen Hintern. Ich gab ihm mein letztes Fachbuch. Nach einer Stunde war ich seelisch total erschöpft. Am Freitag, dem ersten freien Tag seit längerem, war ich dann richtig krank.

Bis heute, fast eine Woche später, habe ich verzweifelt und zweifelnd darauf gewartet, dass mein Unterbewusstsein irgendwas von dem, was da angestoßen wurde, sortiert. Doch es hält mich mit unguten Gefühlen bei niedergeschlagener Laune und ansonsten weiterhin dicht.

29.06.2016


Einfach anziehend!

Ich habe eine Woche Urlaub hinter mir. Portugal. Wunderschön. Ich fühle mich richtig gut erholt und habe an den unglaublich menschenleeren und weitläufigen Stränden neue (alte) Einsichten ausgegraben. Zum Beispiel weiß ich jetzt ganz gewiss, dass wir nicht alleine sind.

Als wir ankamen in Olhos de Agua und ich diese urgewaltigen Klippen das erste Mal sah, ist mir die Seele aufgegangen und die Tränen kamen ins Fließen. Lange aufgestaute Traurigkeiten, Ängste, Selbstzweifel, Hoffnungen und Sehnsüchte – all das bündelte sich in Sekundenschnelle und strömte aus mir heraus. Untermalt wurde meine Gefühlseruption vom klagenden Gesang der Möwen, die sich hoch und höher in den azurblauen Himmel schwangen und mich von oben ganz klein aussehen ließen. Klein. Genau. Ich fand meinen Platz wieder in der Welt und die Brandung klatschte natürlich Beifall, während ich endlich mal wieder nur diesen und keine weiteren Gedanken fassen konnte. Alles, was vorher war in diesen letzten bewegten und bewegenden Monaten, das viele Erlebte und Überstandene, das zutiefst Schwere und aufgesetzt Leichtfüßige, das Suchen und nicht Finden, das Akzeptieren müssen und nicht wollen – es war gut. Endlich gut. Es durfte alles sein wie es nun ist: Emotionales Treibholz auf den Wogen des Lebens, die gerade mal wieder höher schlagen.

Ich war bereit, aufzugeben und anzunehmen. In diesem einen Blick auf die Klippen hat sich etwas tief in mir gerührt, zurechtgerückt. Als ich dann am übernächsten Vormittag mit meinem Mann ein tief greifendes beidseitiges Offenbarungsgespräch führte, ist daraufhin wieder etwas in Fluss geraten: wir unterhielten uns über den Wunsch, von anderen Menschen gesehen und angenommen zu werden. Für Menschen von Interesse zu sein. Ganz ohne Leistung. Und wenige Stunden später lernten wir einen Mann kennen, der die vom Universum geschickte Antwort auf viele unserer Fragen zu sein schien. Wir haben einige Stunden mit ihm und auch auf Tiefgang verbracht und auf die Schnelle einen neuen Freund gewonnen. Im Flugzeug habe ich knapp drei Stunden mit einer neuen Sibylle und den Themen Abschied, Trauer, Verlust verbracht und wir gingen als Vertraute und mit ausgetauschten Telefonnummern auseinander. Bestimmt treffen wir uns bald einmal wieder. Tags darauf hat eine Freundin aus früheren Zeiten, die ich gedanklich immer wieder besucht habe vor kurzem, wieder Kontakt mit mir aufgenommen. Als ob es so sein soll. Als ob sie mich gehört hat.

Nein. Wir sind nicht alleine. Wir sind verbunden. Wir alle. Doch ich glaube, wir müssen erst wieder bei uns ankommen und erwartungslos zufrieden sein, damit Gehaltvolles bei uns andocken kann.

Nein. Portugal kann nichts garantieren, aber viel dafür, dass es mir mit mir wieder besser geht. Ich glaube, wir brauchen kleine Auszeiten mit uns alleine, immer mal wieder und manchmal auch öfter als üblich. Was ziemlich unaufwändig und zugleich bequem ist: um unserer Seele Urlaub zu bescheren, braucht es weder Kohle, noch Koffer voller Klamotten, dafür sind wir dann im Anschluss für glückliche Fügungen und andere Menschen umso anziehender. Weil wir es sind.

08.06.2016


Wir verpassen – was?

Gestern habe ich mir eine geschlagene halbe Stunde die Diskussion in „Hart aber fair“ angehört, in der einige Menschen etwas zum Thema „Machen Smart Phones dumm?“ zu sagen hatten. Leider kam nicht viel dabei heraus. Aber eine zentrale Frage hat sich für mich schon herauskristallisiert: Verpassen wir im Offline-Status was? Und was?

Eine junge Social Media-Voluntärin in der Gesprächsrunde gab an, dass ihr iphone nachts rechts von ihr schläft, während links ihr ipad ruht. Sie findet das ganz normal. Und wie findet ihr das, liebe Leser?

Ich weiß ja nicht, was euch nachts so beschäftigt und wo eure klugen Kommunikationsbegleiter ihr Dasein fristen. Meines hat jedenfalls ab etwa 19 Uhr Sendepause bis zum nächsten Morgen. Bin ich nicht normal?

In der Sendung wurde auch die Statistik zitiert: Die Deutschen schauen durchschnittlich 53 Mal am Tag auf ihr Handy und verbringen regelmäßig etwa 81 Minuten Zeit damit (zum Vergleich: in Südkorea liegt die durchschnittliche Nutzungsdauer bei über 5 Stunden und unter den jungen Leuten sind über 90 % kurzsichtig). Befragt wurden auch Passanten auf der Straße, von denen einige angaben, ohne Handy entstünde das ungute Gefühl, man könne etwas verpassen.

Das finde ich in Anbetracht von What´s App und Facebook irgendwie nachvollziehbar. Aber: Was genau ist es denn, das wir verpassen könnten? Den Anschluss? Das Mitspracherecht? Eine wichtige Gelegenheit? Shopping-Schnäppchen?

Ich denke mir: Was für dich bestimmt ist, geht nicht an dir vorüber und was nicht sein soll, das soll nicht sein. Natürlich muss ich deshalb trotzdem nicht mutwillig ständig offline sein, denn das würde ja bedeuten, ich ziehe mich sozial total raus aus sämtlichen Affären.

In mir erhärtet sich hier ein Verdacht, den ich schon seit längerem hege und gelegentlich auch selbst zu spüren bekomme: Viele von uns leiden unter fehlender Zugehörigkeit und das wird durch den landläufig häufig loser werdenden Familienrückhalt und den Mangel an spiritueller Überzeugung noch begünstigt.

Ich denke, das mit dem Zugehörigkeitsgefühl steckt hinter vielen Suchbewegungen, die dann in Süchten münden können. Was die Smart Phone-Sucht angeht, gibt es übrigens noch keine klaren Diagnosekriterien, aber eindeutige Hinweise, die sich aus der benachbarten Internet- und Computerspielsucht ableiten lassen:

  • Gedankliche Eingenommenheit

  • Entzugssymptomatik

  • Reizbarkeit, Angst, bis hin Traurigkeit bei Entzug

  • Toleranzentwicklung (d. h. der Konsum nimmt zu)

  • Anderweitige Interessen gehen verloren

  • Familienangehörige werden über das Nutzungsverhalten getäuscht

Na, wie sieht´s aus?

Um zurückzukommen auf die Sendung „Hart aber fair“: Sicher ist, dass wir Deutschen uns ohne die Intensivierung unseres Verständnisses für digitale Technologie immer mehr aus dem globalen Wettbewerb katapultieren. „Kinder sollten schon im Kindergarten Programmieren lernen, um nicht die Analphabeten von morgen zu werden“, so Frank Thelen. Aber sicher ist auch, dass wir ganz bestimmt sozial verkümmern, falls nicht sogar entwicklungstechnisch als Menschen verblöden, wenn unser einziger Weg zur Welt über den digitalen Highway führt. Im Zweifelsfall verpasse ich da dann noch die Ausfahrt, auf der wahres Leben steht. Na, das wäre ja was!

25.05.2016


Darwin hatte Recht: Egoismus siegt.

Mein Vater hat mir vieles zu vermitteln versucht. Einiges davon habe ich integriert. Anderes abgelehnt. Und so manches nicht verstanden. Einen Glaubenssatz betreffend habe ich mir seit einigen Tagen eine Meinung gemacht: Jeder denkt nur an sich selbst. Wenn auch nicht das „jeder“ stimmt, so denke nun auch ich, im Grunde ist es die Wahrheit. Mein Vater und Darwin hatten Recht.

Ob uns wirklich der nackte Überlebensdrang der Evolution Richtung Egoismus kultiviert hat oder der generationale Wandel in der Gesellschaft, der vom solidarischen Nachkriegsmiteinander zum profitgeilen Einzelkämpfertum führte? Keine Ahnung! Vielleicht stimmt beides. Und im Grunde ist es auch völlig egal. Zu wissen, wo ein Verhalten herkommt, beantwortet ohnehin nicht zwangsläufig die Frage, wie bestmöglich damit umzugehen ist. Fakt ist: Mir fällt zunehmend auf, dass viele Menschen nur an sich denken. Es ist bei meinen Beobachtungen völlig egal, um was es geht. Und altersunabhängig ist das Phänomen auch. Hier einige Beobachtungen:

  • Neulich stand ich beim Bäcker an. Ein schon etwas tattriger Senior mit Hörgerät ignorierte mich und bestellte vor mir 9 Rosinenbrötchen. Also alle, die noch da waren. Ich, die ich dachte „ach, lass doch dem älteren Herren den Vorrang“ und der Bäckereiverkäuferin per Blickkontakt mein Einverständnis signalisierte, ging leer aus. Eine Freundin aus Bremen, mit der ich kürzlich telefonierte, erzählte, das passiere ihr ständig. Alter vor Anstand.
  • Bei uns in der Wohnsiedlung wurde neu gebaut. Am Eck ist eine Familie mit Kindern eingezogen. Der Sohn ist definitiv extrem sportlich. Vor allem aber scheint er kaum zu ruhen, sich leise zu beschäftigen oder drinnen zu spielen. Ich habe mit meinem Mann, der nach einem sehr früh beginnenden Arbeitstag um etwa 16 h nach Hause kommt, schon einige Diskussionen geführt, weil ich glaube, am Nachmittag sollten wir Kinderspiel/-geschrei verknusen können. Aber am Sonntag früh um 7? Ich hätte mich gerne ein wenig an Ruhe erfreut. Der zugehörige Papa auch. Den habe ich nämlich beobachtet, wie er beide Kinder – selbst noch im Schlafanzug – vor die Türe ließ. Ich denke, er hat sich gedacht: besser Lärm draußen als Lärm im Haus. Dankeschön, liebe Nachbarn.
  • Im Reitstall fragte mich einmal wieder jemand, ob er sein Pferd zu meinem stellen dürfe. Ich stimmte zu und bat im Gegenzug – an mein Pferd denkend – um eine längere Verweildauer. Nach wenigen Wochen erfahre ich in einem Nebensatz, dass der Entschluss, wieder das Weite zu suchen, nun gereift ist. Ohne Bedauern, wenn und aber. Ich frage: „Und was ist mit meinem Pferd, hast du daran mal gedacht?“ und ernte Schulterzucken. Ist mir nun schon das zweite Mal passiert.
  • Eine Freundin berichtete mir, dass sie einem befreundeten Kollegen in einer gemeinsamen Rauchpause von einem Missgeschick im Kollegenkreis berichtet hatte. Die Verschwiegenheit die Sache betreffend, gebot der Takt. Keine zehn Minuten später hörte die Freundin, wie der befreundete Kollege den Betreffenden selbst über die „lustige Begebenheit“ aufzog. Hallo?!

Ich kann die Liste noch fortsetzen. Will ich aber nicht. Ich mag mich eher fragen: Was kannst du selbst tun, um in Anbetracht dieser Erlebnisse deine eigene Umsicht, dein „an dich und an andere denken“, deine Solidarität, dein Taktgefühl und deine Mitmenschlichkeit aufrecht zu erhalten? Ich werde mich jedenfalls darum bemühen, nicht aus Enttäuschung, Verwunderung und Verletztheit eine andere zu werden. Wenn es nämlich so ist, dass wir alle erst aus Erfahrung so werden, dann haben wir gemeinsam nur eine Chance, wenn wir nicht umdenken und schlussendlich kollektiv zu Egoisten werden. Einfach ist anders. Aber vielleicht lohnt es sich ja.

03.05.2016


Ausstrahlung lass nach!

Vorletzte Woche gab es so einen richtig rabenschwarzen Tag. Er begann am Morgen vor dem ersten Hahnenschrei. Ich war traurig, mutlos, frustriert und fühlte mich mal wieder „anders als andere“. Und dann ist folgendes passiert…

Tage können bei mir sein wie sie wollen. Gut oder schlecht der sonstwas. (Anmerkung: der Tag an sich ist nicht böse – er ist einfach ein Tag!). Ich gehe joggen. Ob es stürmt oder schneit. So auch am Freitag vor einer Woche: Mich zieht es schon früh ins Büro. Also ziehe ich mir bereits um 6 Uhr bequeme Sachen an, in denen ich meist aussehe wie ein gestopfter Strumpf. Aber mich sieht um die Zeit ja in der Regel keiner. An diesem Freitag aber joggschlurfe ich gerade so die Straße lang, damit ich Licht habe auf meinen finsteren Abwegen, als ich einen Mann mit freilaufendem Schäferhundmischling passieren will. In genau dem Moment, als ich zum Überholmanöver ansetze, sieht mich der Hund düster an. Ich erstarre. Teils vor Schreck. Teils, weil er mich fokussiert und seinen Blick nicht mehr zurück zu dem wendet, womit er gerade beschäftigt war. Was das auch gewesen sein mag. Jedenfalls trifft Fokus auf erstarrten Menschen (vermutlich müffelnd und ganz sicher schwarz gekleidet) und der Hund fackelt nicht lange, sondern stürzt sich wütend kläffend auf mich. Ich wende mich ab und schreie wie am Spieß, auf die nun sicher drohenden Bissschmerzen wartend. Soweit kam es dann nicht. Aber ich habe am ganzen Körper gezittert vor Angst und während ich mir gerade die Seele aus dem Hals geschrien hatte, blieb das zugehörige Herrchen – ach ja, das gab es ja auch noch in der Geschichte! – stumm. Und machte im Anschluss völlig überflüssiger Weise seinen Mund auf, um folgende Frage zu formulieren: „Warum schreien Sie denn so?“ Nun. Ich habe es ihm kurz und bündig erklärt.

Danach stellte er fest: „Das muss an Ihnen liegen. Hat der noch nie vorher gemacht.“

Mir blieb nur kurz die Spucke weg. Dann startete ich völlig irritiert über so viel Unverschämtheit ins Wortgefecht, welches endete mit „…und soll ich jetzt vor Ihnen auf die Knie fallen und Sie küssen?“

Neeee. Lass mal.

Ich lief weiter. Heulend. Schluchzend. Mir leid tuend und wütend.

Denn da hatte ich die Bestätigung: ich bin anders als andere. Und jetzt soll noch irgendjemand da draußen am Resonanzprinzip zweifeln. Der kann was erleben. N A T Ü R L I C H hatte das Ganze mit mir zu tun. Mit wem sonst?

Sicherheitshalber laufe ich jetzt manchmal noch früher oder ich wechsle die Straßenseite, wenn ich jemanden sehe. Bei meiner augenblicklichen Ausstrahlung kann man schließlich nie wissen…

20.04.2016


Null Bock oder keine Zeit oder…

Immer häufiger beobachte ich folgendes Phänomen: Ich schreibe jemandem eine E-Mail und erhalte keine Antwort. Weder ein kurzes „danke“, noch ein kompaktes „melde mich bald“. Sondern einfach gar nichts. Und das stört nicht nur mich, sondern auch andere Menschen, wie ich durch aktuelle Umfragen im Bekanntenkreis feststellen muss…

Schon als Kind habe ich gelernt: Schweig, wenn andere reden. Grüße, wenn du jemanden siehst. Schau nicht so grantig. Sei zuverlässig. Antworte, wenn dich jemand etwas fragt. Sag `danke` und `bitte`. Wasche dir regelmäßig die Hände, ab und an auch mehr. Und noch mehr.

Und genau aus dieser meiner Prägung genannt Kinderstube heraus, lege ich diese Maßstäbe auch für andere Menschen an.

Eine Anmaßung? Ein Fehler? Neue Zeiten, neue Sitten?

Freilich kenne ich die heute häufigsten Stressoren am Arbeitsplatz. Chronische Zeitnot steht immer ganz weit oben auf der Ranking-Liste. Doch hält einen diese Zeitnot wirklich davon ab, eine knappe Antwort auf E-Mails zu schreiben – vor allem noch auf solche, die zur Weiterverarbeitung gedacht sind und insofern sehnlichst erwartet sein müssten? Und sollte diese Zeitnot nicht dazu bewegen, seine persönliche Organisation und Prioritätensetzung zu überdenken, anstatt auf den guten Ton zu verzichten und vielleicht sogar Beziehungen zu vernichten? Zumal ja das Gut Zeit ja nicht knapp, sondern jeden Tag gleich ist.

Vor allem ist diese kommunikative Unsitte ja auch im Privatbereich oft anzutreffen. Lebt die Menschheit nur noch am Limit? Und wenn schon für solche Kleinigkeiten wie „eben mal ´ne kurze Antwort geben“ die Zeit fehlt, wie sieht es dann wohl mit größeren Details des Lebens aus, etwa der seelischen Wichtigkeit, Kontakte zu pflegen, ab und an mit Menschen zu sprechen oder sie sogar zu sehen, geschweige denn das Leben und seine Ereignisse mit anderen Wesen zu teilen?

Vielleicht würde die Einsicht in die Endlichkeit so manches relativieren, anderes möglicherweise ausradieren. Etwa unsoziales Verhalten. Oder sollten wir es wollen, dass schließlich auf dem Grabstein steht:

„…hat zeitlebens versucht, es allen recht zu machen, war chronisch am Limit, aber auch liebenswert. Leider war zuletzt niemand mehr da, der das bestätigen konnte.

24.03.2016


Flucht vor der Leere

Eine ganze Weile dachte ich ja, ich bin alleine auf weiter Flur. Doch immer öfter begegnen mir auch andere Menschen – und sei es im Coaching – die genau wie ich auf der Flucht zu sein scheinen…

Auf der Flucht, das heißt: Immer in Bewegung. Getrieben. Durchorganisiert. Ausgebucht. Man könnte aber auch sagen: Lebhaft. Ideenreich. Inspiriert. Doch so lustig ist es eben nur selten.

Meist erinnere ich mich in dieser Phase an „Hennen rennen“ und komme mir selbst wie ein aufgescheuchtes Huhn vor. Und wenn mir dann jemand etwas von Meditation erzählt, um besser zur Ruhe zu finden, neige ich dazu, sofort drei Bücher zum Thema zu kaufen (und sie dann doch nicht zu lesen, weil mir das zu langweilig ist).

Derzeit würde ich so ziemlich alles dafür tun (außer mir wieder ein Wirbel anbrechen, damit ich im Bett bleiben muss für ein paar Tage), um mir jetzt endlich mal auf die Schliche zu kommen. Ich kenne das ja, dass ich terminfreie Ruhezeiten zwar brauche, aber nur selten aushalten, geschweige denn genießen kann. Doch merke ich gerade jetzt und seit meine mein Leben taktende Hündin von mir gegangen ist eine Besorgnis erregend abnorme Verzigfachung meines Flucht-Instinkts.

Im Normalfall fühle ich mich irgendwann so gnadenlos an meinen Grenzen, dass ich freiwillig auf weitere Freizeitfüllungen verzichte und stattdessen alle Viere von mir strecke. Jetzt – übergangsweise, weil es gerade wirklich eine schwere, von Trauer geprägte Zeit ist – probiere ich es mit der Strategie: „Schaffe dir Optionen und ersinne schon im Vorfeld Wahlmöglichkeiten für das unterbelegte Wochenende. Ob du sie dann als Notausgang nutzen willst, merkst du schon!“

Diese Strategie ist zur mentalen Besänftigung, wenn man bereits angstvoll auf ein (oh Gott, welch Luxusproblem!) total freies Wochenende lugt, sehr zu empfehlen. Ich gucke also in der Zeitung, was so los ist in und um Erlangen, funke ein paar Freundinnen an und weiß dann, wann ich mich wo einklinken könnte. Mein Pferd beschäftigt mich eh halbtags und Shopping ist ja auch immer eine gangbare Alternative. Kann also nichts schiefgehen…

Endete aber konkret am gestrigen Sonntag wie folgt: 6.45 h aufstehen, 7.00 h Workshop vorbereiten, 7.45 h joggen, 9.00 h duschen, 9.30 h Treffen zum Ausreiten, 12.00 h Brunch, 13 bis 14.00 h (erschöpfter Tiefen-) Mittagsschlaf, 14.30 h Spaziergang jetzt ohne Hund, dafür neuen Gassi-Hund Buddy zufällig getroffen, 15.30 h Start nach Neunkirchen zum Frühlingsmarkt, 16.30 h Kaffee beim Beck, 17.30 h Urlaub in Portugal gebucht, 18.00 h Stammtisch.

Jetzt muss ich nur noch lernen, Wahlmöglichkeiten n i c h t anzunehmen.

Dann habe ich´s geschafft.

15.03.2016


Leben mit Heiligenschein

Denkt ihr jetzt, liebe LeserInnen, ich sei womöglich total verstrahlt aufgewacht heute Morgen? Weit gefehlt! Ich habe mir nur – mich vom vielen Schafe Zählen wie durch den Fleischwolf gedreht fühlend – mal wieder Gedanken über das Leben gemacht. Wie so oft.

Und weil ich gerade am vergangenen Wochenende wieder eine zwischenmenschliche Begegnung der ärgerlichen Art hatte, bin ich schließlich einmal wieder bei mir selbst gelandet. Genau genommen bei der Offenbarung: das gleiche unsoziale Potenzial steckt auch in mir!

Eben diese erschütternde Selbsterkenntnis hat gelangt, um mir den auf fehlbare Menschen ausgestreckten Zeigefinger selbst zur Brust zu nehmen. Oder zum vitalisierenden Tippen an mein frühdementes Hirnkammerl zu verwenden.

Ihr wollt die Begebenheit wissen, die mich zum Umdenken und zu meinem neuen Leben mit Heiligenschein bewegte?

Na, bitte: Ich bin ja jetzt auch Hundegassi-Dienstleister, seit mein vierbeiniger Liebling tot ist. Und als solcher hatte ich am Wochenende einen Klienten namens Buddy, einen temperamentvollen und vor Kraft strotzenden Boxer-Rüden. Ich nahm ihn sicherheitshalber nicht von der Leine, weil er ja Hündinnen gerne sehr lieb hat und männliche Artgenossen im günstigsten Falle nur hasst.

Da kam uns ein offenbar tauber Windhund in die Quere und trotz mehrmaliger Aufforderung (= brüllen) reagierten die kaum mehr in Sichtweite befindlichen Halter kaum (= lahmarschig). Als sie dann näher kamen, sagte das Frauchen in herablassendem Ton zu mir: „Warum soll ich meinen Hund an die Leine nehmen? Ist doch nicht mein Problem, wenn Sie Ihren nicht im Griff haben.“ Und das, obwohl ich gesagt (= geschrien) hatte, dass dies ein Pflegehund sei.

Buddy war total brav, aber der leinenlose Hund kam bis auf 30 cm heran und ich muss, um in Zukunft solche Situationen ohne Muskelzerrung zu überstehen, unbedingt jetzt auch noch mit Krafttraining anfangen. Wenn das so weitergeht, komme ich irgendwann nicht mehr zum Arbeiten…

…aber darüber kann ich mir ja ein anderes Mal Gedanken machen. Just in dieser Situation dachte ich mir jedenfalls: „Gemeine…!“ Gefolgt von: „Blöde…!“

„Asoziales Gesindel. Weder gesellschaftsfähig, noch rudeltauglich“, kam als Nächstes.Dabei wollte ich nur Gefahr fern halten. Von Buddy und dem Köter mit den Tomaten auf den Ohren.

So blieb ich brüskiert, still und stumm im Walde stehen, einzig meinen wüsten Gedanken überlassen. Das blieb auch so, weil sich Buddy ja aus allem raushielt. Typisch Mann.

Dann fiel mir ziemlich abrupt eine Situation wieder ein, in der ein verknallter Collie-Jüngling meiner immer schick gewesenen Hündin hinterherhechelte und das zugehörige, in ein Gespräch vertiefte Frauchen zu spät merkte, dass wir drei uns gerade von ihr entfernten. Sie bat mich, meinen Hund an die Leine zu nehmen, damit sie an ihren überhaupt rankäme. Was glaubt ihr, wie ich reagiert habe?

Ja, ja. Sie holen mich und dich immer wieder ein. Die kleinen Sünden und die großen sowieso, sofern wir welche haben. Die Frage ist nur wann.

Deshalb habe ich beschlossen:

Ich will ab jetzt sofort genauso durch die Welt gehen und mit Menschen umgehen, wie ich auch möchte, dass mit mir umgegangen wird. Da ich in dieser Hinsicht ganz schön hohe Ansprüche habe, dürfte ich damit dann auch für den Rest meines Lebens beschäftigt sein. Ich werde berichten, ob und wie es funktioniert. Bevor ihr euch aber mit leichtem Kopfschütteln über mich amüsiert, probiert es erst einmal selbst aus! Ihr werdet schon sehen, einfach ist anders. Aber so ein Heiligenschein ist halt einfach nice to have – schlicht der Anstrengung wert. Außerdem leuchte ich so schön im Dunkeln (also doch verstrahlt?).

01.03.2016


Alles reiner Zufall. Oder was?

Es passiert wieder öfter. Was es auch ist, das mich da auch beseelt, begleitet, beschützt. Vielleicht ist es ja auch völlig gleichgültig wie es funktioniert. Ich bin beGEISTert von den vielen glücklichen und manchmal auch verwunderlichen Fügungen, die mir widerfahren. Hier einige Beispiele.

Vor jetzt schon fast vier Wochen ist ja meine geliebte Hündin gestorben, wie ich euch berichtet habe. Und seitdem geht es mir… – naja – ich bin total traurig und wütend und wehleidig und noch emotionaler als eben sonst schon. Und irgendwie „durchlässig“. Ich versuche ausnahmsweise einmal, nichts zu kontrollieren und mich dem Lebensfluss ohne Wertung hinzugeben. In der stillen Hoffnung, alles möge sich weisen und manchmal auch mit dem tiefen Vertrauen, dass ich aufgehoben und beschützt bin. Fragt mich nicht, wo das herkommt. Jedenfalls passieren zeitgleich in eben genau dieser Phase wunderschöne Dinge:

Ich war letzte Woche zu einem Workshop in der Uniklinik Regensburg. Dort meldete sich eine Teilnehmerin zu Wort und bat mich um meine Meinung zu einer Freundin, deren Namen sie aus Diskretionsgründen nicht nannte. Ich gab ihr meinen Tipp und bettete ihn in ein kommunikatives Beispiel, in dem ich der Freundin einen „fiktiven“ Namen gab. Dieser Name stimmte. Und dabei ist mir genau dieser weibliche Vorname überhaupt nicht geläufig. Ich kenne niemanden, der so heißt. Alle schauten mich wie vom Donner gerührt an. Ein eindrucksvoller und wunderschöner Moment!

Zwei Wochen vorher hatte ich die Sendung „Wer wird Millionär“ gesehen und bei der Millionenfrage, wie viele Würfelchen in einem Zauberwürfel verbaut sind, eifrig mitgetüftelt. Daraufhin beschloss ich als Kinder der 80er, dass so ein Zauberwürfel mal wieder her muss. Bei Amazon kostet das wie geschmiert drehbare Original 19,80 €. Das war mir dann doch zu viel Geld für so eine Spielerei. Im Wirrwarr der Duplikate und Rezensionen verhedderte ich mich und parkte meinen Wunsch leicht entnervt vorübergehend. Dann kamen meine Eltern von einem vierwöchigen Teneriffa-Aufenthalt zurück. Dreimal dürft ihr raten, was das Mitbringsel war.

Wir bekamen von der Tante meines Mannes zu Weihnachten einige Flaschen besonderes Heilquellwasser. Marke noch nie gehört. Design hübsch, aber noch nie gesehen. Geschenke werden willkommen geheißen. Und nach Wasser geschmeckt hat es ja auch. Jedenfalls suchte mein Mann, der webtechnisch extrem findig ist, neulich nach einer Unterkunft für einen kurzen Wanderausflug in die bayerischen Berge. Nach ein paar Minuten hatte er ein schönes, naturnahes, bezahlbares und verfügbares Domizil gefunden. Was glaubt ihr, welches Mineralwasser die abfüllen, vertreiben und auf einer ihrer Webpages abgebildet haben? Als ob es so hätte sollen sein.

Um uns die Trauer um unsere Tiere (auch die Katzen meines Mannes sind gestorben) zu mildern, sind wir vorletztes Wochenende nach Leipzig gefahren. Als wir am Sonntag wiederkamen, war mir wirklich bange. Das erste Mal eine Reiserückkehr in ein total leeres Haus. Natürlich stand genau in dem Moment, als wir ankamen, eine ganz liebe Gassigeh-Bekannte mit ihrem süßen Hund vor unserem Haus und hat mich zu ihrem Geburtstag eingeladen. Wir haben uns noch nie privat getroffen bisher. Ich habe mich sehr über diese freundliche Geste, aus der eine Freundschaft erwachsen könnte, gefreut – und sie kam genau im rechten Moment, von Herz zu Herz.

Und noch ein letztes, etwas anders geartetes Beispiel:

Wir haben im Wohnzimmer einen antiken Melkschemel. Auf dem steht ein Buddha. Vor kurzem fiel mir auf, dass besagter Buddha mittig unter dem Schemel (aufrecht) steht. Ich fragte meinen Mann, ob er ihn da hingestellt hat. Hat er nicht. Die Tage vorher hatte ich um Zeichen gebeten.

Ich weiß auch nicht. Ist es das morphogenetische Feld, eine Art allumfassendes Bewusstsein und universale mentale Verbindung, dem wir alle angeschlossen sind? Wir hier im Diesseits und die Seelen auf der anderen Seite? Oder das Göttliche? Oder ist das vielleicht das Gleiche? Oder reiner Zufall und gibt es den überhaupt?

Ich finde, ihr könnt glauben, was ihr wollt. Ich tue das auch. Hauptsache, wir alle fühlen uns gut aufgehoben – und gerade in schweren Zeiten fürsorglich ummantelt. Begleitet von der Ahnung, dass da draußen doch noch etwas ist, das größer ist als die Ratio und von liebevoller Zuwendung genährt kleine feine Zeichen für uns hat. Das gibt Hoffnung. Findet ihr auch?

12.02.2016


Begegnung mit dem Tod – und der Ewigkeit...

Wer uns kennt, weiß, dass wir unsere Räumlichkeiten in der Lachnerstraße mit einer „ganz besonderen Mitarbeiterin“ geteilt haben: die zeit|raum-Hündin Sina, den meistgestreichelten Hund der Welt, gibt es nun nicht mehr und weil sie und das Thema Abschied es wirklich wert sind, widme ich beiden hier ein paar Zeilen.

Ich habe nun fast 13 Jahre mit meinem kleinen Sonnenschein verbracht und es gibt – außerhalb der Business-Engagements (und sogar bei Team-Coachings war sie manchmal dabei) – quasi keinen Weg, den ich nicht mit ihr zusammen gegangen bin. Winter wie Sommer, bei Sonne, Regen oder im Schnee, den sie extrem mochte. Während des Burnouts und in der schwierigen Zeit danach, bis ich wieder Fuß fasste im Leben. Sogar zum Friseur hat sie mich begleitet und beim Einkaufen gierig ihr gewohntes „Wartewürstchen“ in Empfang genommen. Joggen, Wandern, Gassis überhaupt hat sie geliebt wie ihre Leckerlis und die kleinen schokoladigen Süßigkeiten am Abend, an denen ich gen Ende, als ich die Disziplin getrost über Bord werfen konnte, zum Glück nicht gespart habe. Geliebt hat sie auch die Menschen. Meine Sina war eine Menschenfreundin. Immer freundlich. Immer gut gelaunt. In jungen Jahren oft stürmisch und ein Quälgeist, später dann einfach eine gute Seele. Ein feines Wesen. Knapp 13 Jahre hat sie ihr Bettchen neben meinem gehabt. Liebe Leser, ihr könnt euch bestimmt vorstellen, wie sehr sie mir fehlt.

Ich habe gelernt, dass man sich auf das Thema Abschied vorbereiten kann.

In den vergangenen Wochen habe ich an fast nichts anderes mehr gedacht, mir „Was-ist-wenn“- und „Was-mache-ich-dann“-Fragen gestellt, mit dem Schicksal gehadert, mit dem lieben Gott verhandelt, mit Sina gesprochen, geweint und schlecht geschlafen, mir diverse Szenarien ausgemalt, keine Lösung, aber mal eine Haltung gefunden, dann wieder verloren, mich in das Hier und Jetzt gezwungen, mich von Zukunftsängsten peinigen und von Sorgen erfüllen lassen. Ich habe ein paar wichtige Gespräche geführt, Bücher gelesen (sehr empfehlenswert: „4 minus 3“ von Barbara Pachl-Eberhart) und die wohltuende Wirkung von Mitgefühl erfahren.

Doch auf den Verlust konnte ich mich nicht vorbereiten. Ich glaube, das kann man nicht.

Verlust bedeutet, damit leben zu lernen, dass ein geliebtes Wesen fehlt und unwiederbringlich verloren ist. Zumindest im irdischen Sein. Und wo du auch bist und woran du auch denkst und wohin dein Weg dich auch führt: dein Blick schweift ins Leere und auf die Lücke und jüngere und ältere Erinnerungen holen dich ein. Diese Trauer ist allgegenwärtig. Sie packt dich in Watte, macht dich milde und manchmal auch müde. Dein Herz ist schwer und zeitweise tut es richtig weh. Es ist, als ob jemand etwas aus deiner Mitte gerissen hat. Ein fast physischer Schmerz.

Wenn ein Leben keine Zukunft mehr hat und das andere schon, dann gibt es keine andere Möglichkeit als in trauriger Dankbarkeit das Loslassen zu lernen. Und sich voneinander zu trennen. Nach der Leere kommen Wahlmöglichkeiten, die man gar nicht wollte. Wo etwas stirbt, beginnt etwas Neues, ob du nun magst oder nicht. Die Entscheidung für das Leben zu treffen heißt, das noch fremde und vielleicht auch ferne Neue zuzulassen und – wenn die Zeit reif ist und du so weit bist – willkommen zu heißen. Mit dem vermissten Liebling im Herzen, ob Mensch oder Tier, gehst du deinen Weg weiter und bis ans Ende und vielleicht sogar weiter… zusammen. Auf eine andere Art.

28.01.2016


Ganz gelassen bleiben, notfalls: atmen…

Hallo meine lieben Blog-Leser, wir sind aus den Weihnachtsferien zurück und schon wieder ziemlich geistreich. Dann hat die Auszeit ja zumindest dem Hirn gut getan, wenn sie schon nicht dem Body-Mass-Index zuträglich war. Aber, was soll´s. Es gibt wahrhaft Schlimmeres als ein paar (Kilo) Kekse zu viel, etliche (Dutzend) Salatköpfe zu wenig und den sanft wabbernden Hüftspeck beim Joggen im Morgengrauen…

…womit wir beim Jahresauftaktthema wären: Gelassenheit.

Ich habe mir ja wie alle Jahre wieder eine Collage gebastelt, in der ich persönliche Entwicklungsaspekte visualisiert und im Büro gleich neben meinem Schreibtisch aufgehängt habe. Derzufolge kann ich jetzt also gar nicht mehr anders als relaxed sein bei unkontrollierbaren Ereignissen oder eigenen Versäumnissen, cool bleiben, wenn es mal heiß her- oder turbulent zugeht, herausfordernde Verhaltensweisen anderer milde lächelnd begrüßen, friedvoll Abschied nehmen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist und mich über jeden schönen Zufall freuen.

Ich bemühe mich. Wirklich. Und ich feiere bereits Teilerfolge, da ich jüngst einen kontraproduktiven Konter per What´s App zurückhielt und erst vorgestern einen scharfzüngigen Kommentar in einer E-Mail an einen Kunden löschte – beides, weil es nicht mehr meinem rundherum tiefenentspannten und eben total gelassenen neuen Selbst entsprach. Damit ist dann ja wohl in kürzester Zeit und extrem effektiv der erste Schritt Richtung Lernfortschritt schon getan. Ich habe mich ertappt. Als nächstes kommt vielleicht schon der Automatismus, was meinem hohen Grundtempo total entgegenkäme.

Wie viel Zeit das Projekt aber letztlich auch brauchen mag… ich bin bestrebt, weder das Gras aus dem Boden ziehen zu wollen, noch verdonnere ich mich zur Rückschrittslosigkeit. Ich kenne mich schließlich lange genug. Sollte mir Gelassenheit also einmal nicht gelingen, kann ich immer noch gelassen drüber stehen und notfalls einfach weiteratmen bis zum Schlafengehen. Wenn ich Glück habe, wache ich morgen früh wieder auf und darf mich dem Abenteuer, das sich Leben nennt, weiter stellen, weiter lernen und weiter wachsen und dabei völlig lebendig bleiben.

13.01.2016


Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne…

Naja. Zunächst einmal gilt es, die Jahresendzeit zu überstehen. Nervlich. Notfalls mit Lavendel und Johanneskraut, viel Schlaf und reichlich Stöbern in den hell erleuchteten Arcaden.

Ich weiß nicht wie es euch in Anbetracht dessen geht, dass das Jahr gerade zur Neige geht. Ich selbst habe gemischte Gefühle. Und zwar diese:

Das Jahr 2015 war in jeder Hinsicht ein sehr bewegtes und bewegendes. Anfangs war bereits klar, dass wir gut gebucht und viel besucht sein werden. Das ist so etwas von schön – gebraucht zu werden, gewollt zu sein, erfolgreich zu bleiben. Dafür sind Julia und ich extrem dankbar und wir wünschen uns auch für 2016 (die Zeichen stehen bereits günstig!), darauf aufbauen und daran festhalten zu können.

Apropos festhalten. Da sind wir gleich beim nächsten Thema. Wir Menschen neigen ja dazu, alles halten zu wollen, was uns lieb und wichtig ist. Nur ist das Leben ja lebhaft und Abschied und Loslassen gehören nun einmal auch dazu. Was schwer erträglich, ein großes „Lebenspäckchen“ ist, an dem wir wachsen dürfen, oder besser: mit dem wir umgehen lernen müssen. In diesem Jahr mussten wir von Angehörigen einiger guter Freunde Abschied nehmen. Die beiden Katzen meines Mannes sind gestorben. Mein Hund kündigt seinen Fortgang an. Es gab Trennungen im Freundeskreis und psychische Krisen im Anschluss. Aber auch gewollte Abschiede in anderer Form. Manche Menschen kommen und gehen. Andere begleiten uns noch eine Weile und wir sie und das hoffentlich gesund und munter. Womit wir beim letzten Thema wären.

Gesundheit ist das Wichtigste, hat meine Oma immer gesagt. Jetzt endlich begreife ich, was sie gemeint hat. Mit zunehmendem Alter weiß man das eigene Intaktsein, das verlässliche Funktionieren wahrhaft zu schätzen, weil man die eigene Endlichkeit in Form verschiedener Vergänglichkeiten zu spüren bekommt. Ich bin in diesem Jahr vom Pferd gefallen und habe mir einen Wirbel angebrochen. Das Gefühl, nicht wirklich alles kontrollieren zu können und die Einsicht, dass ein unachtsamer Augenblick bei dir oder anderen dein Dasein binnen einer Sekunde völlig verändern können, wird mir wohl bleiben.

Und weil wir gerade beim Bleiben sind: Bleibt uns bitte verbunden, liebe Leser, Freunde, Bekannte, Geschäftspartner und Kollegen. Entdeckt mit uns, was vor uns liegt und hofft mit uns auf 365 Wunder-volle Tage! Glück liegt ja oft im Kleinen und Erkenntnisse lauern überall. Lasst uns also gemeinsam gespannt sein! Wir wünschen euch eine geruhsame (= ereignisarme und sorgenlose) Jahresendzeit und von ganzem Herzen alles Gute für das Neue Jahr!

17.12.2015


Von wegen „stade Zeit“…

Alle Jahre wieder wundern wir uns über das Phänomen, dass viele Menschen in unserem näheren und weiteren Bekanntenkreis gerade in der Zeit, die sich hier in Bayern „stade“ nennt, total am Limit sind. Und wir fragen uns, warum.

Tatsächlich sind wir der Sache noch nicht auf die Schliche gekommen. Julia meint, dass diese gehetzten Zeitgenossen in der Regel Kinder haben und zusätzlich in Vereinen sind. Das macht dann in Summe, bei mehreren Kindern, diverse Schulweihnachtsfeiern und Vereinsfestivitäten und wenn der Nachwuchs noch in irgendwelchen Kapellen oder Theater spielt, verschiedene Aufführungen, bei denen die Eltern natürlich dabei sein müssen.

Doch ich kenne auch erwachsene, selbstbestimmte Menschen, deren Kinder bereits groß bzw. aus dem Haus sind und denen es so geht, dass eine Verpflichtung die nächste jagt.

Machen also wir beide etwas falsch, wenn wir uns vor dem Fest der Feste Ruhe gönnen und uns nicht mit selbst gemachten Dringlichkeiten den Eindruck vermitteln, wir seien mit hohem Tempo auf der Flucht?

Tatsächlich ist es so, dass das Vakuum, das Stille erst einmal mit sich bringt, zunächst kaum zu ertragen ist und bei Erstgenuss nach Workshop-intensiven Wochen schwer verdaulich scheint. So sehr wir uns auch auf diese (bei uns regelmäßig ruhigere) Zeit vor Weihnachten und bis Ende Januar gefreut und uns manchmal richtiggehend danach gesehnt haben, endlich einmal wieder Gedanken austauschen zu können im Büro und Pläne zu schmieden und völlig entspannt nach Hause zu fahren, ohne gleich im Anschluss mit unseren Pferden quasi um die Wette zu galoppieren… im ersten Moment ist das schon sehr befremdlich so und mutet wie ein Leben in Slow Motion an. Julia hat berichtet, dass sie kürzlich, an einem der ersten ruhigeren Tage, fast eine Stunde vor den Barbecue-Soßen im Supermarkt verbrachte und sich völlig zeitbefreit in deren Auswahl vertiefte, während ich – geplagt von innerer Unruhe, Sorge um meinen Hund und den vielen Lebensfragen, die gewissermaßen auf mich lauern, sobald ich nicht mehr am Rennen bin – schon Dauergast bei Amazon bin. Irgendwas braucht „man“ schließlich immer.

Aber das wird schon. Es ist eine Suche, ein sich Wiederfinden müssen.

Nach diesem „Schwebezustand“ kommt etwas. Hinfühlen heißt die Devise. Aushalten lernen. Wachsam bleiben. Nur aus Leere kann Fülle entstehen. Und zwar „echte“ Fülle, i. S. v. „das erfüllt mich, macht mich glücklich“. Also, liebe Leute: gönnt euch Besinnung und verzichtet auf selbstgemachte Stressoren. Das Gut Zeit ist nämlich nicht knapp. Euer Kalender ist einfach zu voll.

03.12.2015


Kinder, Kinder!

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, wenn ihr euch am Ende eines ereignisreichen und erlebnisintensiven Wochentages noch zum Einkaufen schleppt. Meinerseits kann ich berichten, dass meine Sinne im Gegensatz zu meinen müden Gliedmaßen in der Regel hochwachsam und geschärft sind. Anders formuliert: gelegentlich bin ich etwas gereizt.

Jedenfalls, und das wissen viele meiner Workshop-Teilnehmer, sind ALDI, REWE & Co. für mich die perfekten Testfelder für neu zu erprobende Abgrenzungsstrategien oder auch Schaubühnen zur Beobachtung der Spezies Mensch in Groß und Klein im Allgemeinen.

Was mir derzeit wieder verstärkt auffällt ist, dass Eltern dort Exempel ihrer kaum wahrnehmbaren Erziehungsberechtigung statuieren und dass wirklich niemand dem erwachsen genug gegenübersteht, um das, was sich vor aller Augen abspielt, zu kommentieren.

Alle schauen weg.

Viele schauen genervt.

Keiner sagt was.

Und psychologisch gesehen bestärken wir alle damit das Verhalten (der Eltern).

O.k., dass mir das derzeit überhaupt in gehäuftem Maße auffällt, hat schon auch mit mir zu tun. Viele Workshops. Viel Gefahre. Viel gegeben. Viel bekommen. Am Limit entlangschrammend, interagiere ich oft mit anderen Menschen und dem Universum im Allgemeinen auf eine äußerst inspirierende Weise, die mir wiederum zig Beispiele für meine Workshops liefert…

Um was geht es jetzt also?

In erster Linie wollte ich euch fragen, liebe Leser, ob ihr denn Stellung bezieht.

Etwa, wenn ihr bei ALDI ein Kleinkind beobachtet, das sich aus seinem Sitz im Einkaufswagen heraus völlig arglos ein Fruchtsaftgetränk aus der kassennahen Schütte hangelt, daran zerrt und nuckelt, so dass Speichelfäden die Kartonage überziehen. Im Anschluss bemerkt die Kassiererin das Getränk und will es auf die Rechnung setzen. Die Mama aber konstatiert: „Nein, das darf er ja gar nicht trinken!“. Und legt das bereits sich im Mund befunden habende Getränk in die Schütte zurück.

Oder wenn ihr vor euch eine feengleiche Mutter in Blümchenhose habt, deren halbwüchsige Kinder konträr zur lustigen Erziehungsberechtigten völlig lustlos und bestückt mit einem einzigen Hokaido auf dem meterlang leeren Kassenband lümmeln, während ihr belastet mit reich gefülltem 25 kg-Körbchen euch nichts sehnlicher wünscht, als endlich die Ware auflegen zu dürfen?

Oder wenn ihr auf der Jagd nach Barilla-Nudel über ein kreischend am Boden liegendes Balg balancieren müsst, dessen euch wiederholt auffällig gewordene Mutter den Ausbruch abwartend rein gar nichts tut (außer die Nerven aller zu schädigen)?

Na?

Verbal oder nonverbal oder gar nicht?

Es gibt kein Richtig oder Falsch, sofern ihr euch die Frage nicht beantworten könnt, wie ihr dazu steht. Beflügelt von entsprechend zugefallener Lesekost kann ich euch nur raten: geschehen und entfalten lassen kippt leicht in erlauben und verwöhnen. Und das ist nicht gut für Kids, denen ein gewisses Maß an gesunder Sozialisierung vermittelt werden soll.

Und jetzt?

 

25.11.2015


Ein Beinahe-Crash und seine Folgen

Kürzlich hatte ich Geburtstag. Wie jedes Jahr und insbesondere in der jüngeren Vergangenheit, in der meine Lenze mit beträchtlicher Geschwindigkeit gen die 50 rauschen, habe ich mir viele Gedanken gemacht. Über das Altern und die entsprechenden Begleiterscheinungen wie die vielen Falten, die hängenden Augenlider, das lichter werdende Haar und die zunehmende Regenerationsnotwendigkeit nach Belastung. Über die noch ausstehenden, einschneidenden Veränderungen im Leben wie etwa den Abschied von mir nahe stehenden Menschen und Tieren. Und über den Tag an sich, der alljährlich Ärgernisse birgt, über die ich hier nicht schreiben mag.

Jedenfalls habe ich trotz all der Gespinste, die mein Hirn rund um den Anlass alljährlich hervorbringt, versucht, mir einen schönen Tag zu schenken. Ich habe mir frei genommen und bin erst einmal mit meiner Cousine zum Frühstücken gegangen. Wie gewohnt ist es ein schönes Date gewesen mit Herzenswärme und tollem Austausch. Genau wie ich es mag. Im Anschluss machte ich mich auf nach Hause, noch immer in Gedanken über das was hinter mir lag und noch kommen würde. An diesem Tag und überhaupt. Währenddessen stand ich im Hier und Jetzt an einer Ampel und fuhr bei Hellgrün langsam an, als ein anderes Auto bei hoher Geschwindigkeit von links über die Kreuzung raste. Zum Glück hing ich gerade nur meinen Gedanken nach und war ansonsten „ zufällig“ mal unbeschäftigt, weder abgelenkt von Radio, noch Telefon oder dem altersbedingt häufig im Fußraum des Beifahrersitzes befindlichen Hund. Sonst wäre es passiert.

Ich war so erschrocken, dass ich nach intuitiver Vollbremsung erst einmal inmitten der Kreuzung stehen blieb. Ich erkannte ebenso erschrockene Gesichter wie meines an den Straßenrändern und fragte zwei von ihnen, ob ich wirklich Grün gehabt hatte (in der Hoffnung, das manchmal einsetzende frühdemenzielle Syndrom habe nicht bereits auf meine Wahrnehmung abgefärbt).

Danach war mir übel. Ich zitterte. Aha, habe ich mir gedacht, so schnell kann das also gehen. So schnell kannst du weg vom Fenster sein. Oder, falls nicht gleich gar so schlimm, so ratzfatz kannst du zu Schaden kommen.

Da war mir dann mein Geburtstag kurz einmal heilig und das Bewusstsein wieder da, dass wir alle, die wir älter werden, froh sein dürfen, wenn sich die Lenze häufen. Denn dieses Glück ist nicht jedem gegeben.

Ich habe das Ereignis als Signal gedeutet Richtung mehr Dankbarkeit und als Bestärkung meiner ohnehin reifenden Haltung, stets das Beste aus all dem zu machen, was mit dem Leben einhergeht.

Außerdem werde ich nie mehr bei Dunkelgelb über Ampeln rasen. Denn dabei hatte ich mich in letzter Zeit immer wieder ertappt. Vermutlich hatte es der andere Autofahrer genauso eilig wie ich oft. Das kann dann dabei herauskommen: ein Beinahe-Crash mit Folgen im Bewusst-Sein.

 

12.11.2015


Von der Kunst der kommunikativen Gelassenheit

Heute habe ich in einem Artikel über das Thema Stoische Gelassenheit gelesen. In etwa ist damit gemeint, dass man nicht immer alles, was anliegt, gleich erledigt, sondern völlig frei von Druck den richten Zeitpunkt abwartet.

Gelassenheit steht für das tief verankerte Bewusstsein – eigentlich ist es eine Lebenshaltung –, dass es für alles auf der Welt den rechten Moment gibt.

Steht also eine Entscheidung an, die ich treffen müsste, aber noch nicht kann, darf ich einfach abwarten. Mit dem an wahnhafte Überzeugung grenzenden Glauben, dass ich bestimmt irgendwann wissen werde, wo es lang geht. Und so lange ich es noch nicht weiß, ist eben einfach der rechte Moment nicht da.

Kommt eine E-Mail rein, die nach Beantwortung schreit, darf ich mir getrost sagen, dass auch morgen noch ein geeigneter Tag dafür ist. Ärgere ich mich über eine zwischenmenschliche Interaktion, von der ich betroffen bin, zwingt mich niemand in die affektive Blitzreaktion, sondern höchstens zum Weiteratmen.

Schön klingt das. Verdammt erstrebenswert. Und ich sage Ihnen, liebe Leser, wenn sich einer übt, dann bin ich es. Und zwar schon seit Jahren, wobei ich mich auch „schon“ über gelegentliche Erfolge freuen darf. Das sind dann die Ereignisse, die mich innerlich kirre machen und ich spüre den dringenden Impuls, mich sofort damit zu befassen und Stellung zu beziehen. Oder einfach nur Botschaften von wem und über was auch immer. Und ich zwinge mich zum Nichtstun.

Vielleicht steckt mein anerzogener Glaubenssatz „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ dahinter, dass ich mir so schwer mit jedweder Gelassenheit und vor allem der kommunikativen tue? Das kann gut sein. Wer wie ich gelernt hat, dass man nichts auf die lange Bank schieben sollte, müsste dann dieselben Probleme damit haben.

Neulich habe ich im Rahmen eines Workshops mal die Teilnehmer gefragt, wie es Ihnen mit meinem Forschungsobjekt What´s App so geht. Diese Plattform ist für mich die allerallergrößte Herausforderung, weil sie ja auf den zackigen Austausch von News und dynamische Dialoge, teils sogar in Gruppen, baut. Als ich mein erstes Smart Phone bekam, habe ich mich mit Vergnügen auf What´s App gestürzt. Ich fand damals, das sei genau mein Ding, denn ich bin ja quasi von Geburt an so kommunikativ wie kontaktstark und zudem noch extrem schnell, also fühlte ich mich endlich in genau meiner Welt. Mit der Zeit dann verdichtete sich, auch aufgrund meiner Freizeitaktivitäten, das What´s App-Aufkommen und es gab Tage, da hatte ich gefühlt keine drei Minuten mehr Ruhe am Stück. Ich begann, mein Handy auf Lautlos zu stellen, was zur Folge hatte, dass ich es ständig in die Hand nahm, um visuell zu überprüfen, was so abgeht. Dann habe angefangen, mein Handy zu hassen oder mich zu zwingen, es nicht mehr auffindbar zu verlegen. Oder es nicht mehr vor der Frühstückszeitung anzuschalten. Wann immer ich die Incoming News sichtete, von denen es reichlich gab, fühlte ich mich genötigt, meinen Senf sofort dazuzugeben. Es war verrückt. Gleichermaßen hatte ich den innigen Wunsch nach reduziertem Tempo in der Kommunikation, nach emotionalem Abstand und absoluter Stille. An manchen Tagen sehnte ich mich nicht nur in die Zeit vor den smarten Phones, sondern sogar in die Ära vor dem Anrufbeantworter zurück – in längst vergangene Lebensphasen, in denen man einfach nicht erreichbar sein und zugleich nicht zum Antworten genötigt werden konnte.

Andererseits wuchsen auch meine Erwartungen an meine Umwelt. Ich, mit meinem hohen Tempo und meinem Kommunikationszwang, konnte bei der ein oder anderen What´s App erkennen, dass der Empfänger zwar online war, aber mir nicht geantwortet hatte. Das ging ja schon gleich gar nicht.

Oh Mann.

Und im Kommunikationsworkshop neulich endlich fand ich dann Gehör mit meinen wirren Gedanken und inneren Zwängen – bei sogar wesentlich jüngeren Leuten. Die wussten, von was ich sprach. Die kannten das Phänomen. Denen ging es auch schon mal so. Sie konnten mich total verstehen.

Das hat sowas von gut getan.

Also. Ich übe mich jetzt noch verstärkter in Gelassenheit. Ganzheitlich und kommunikativ ganz genauso. Ich habe in puncto What´s App & Co. entschieden, dass ich meinen Senf auch gerne gelegentlich für mich behalten darf. Seitdem sage ich nur noch etwas, wenn ich gefragt werde oder glaube, was ich zu sagen habe, ist von globalem Wert.

Seitdem hat das What´s App-Volumen deutlich nachgelassen und ich habe meinen Seelenfrieden zurück.

Die Stoiker haben also Recht. Alles hat seine Zeit, alles wird letztlich gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist der rechte Augenblick (der Weisheit letzter Schluss) einfach noch nicht da. Das sehe ich jetzt genauso und völlig gelassen. Da vertraue ich drauf.

11.11.2015


Von Vampiren und anderen Märchenwesen: Alles Humbug?

Ich habe mich in jüngster Vergangenheit arg viel mit Menschen geplagt, die mir nicht gut tun. Raus aus der Situation konnte ich aber nicht. Also habe ich mir nahezu tagtäglich Gedanken darüber gemacht, wie man optimal mit diesen Situationen im Leben umgehen könnte. Und siehe da, meine Hirninhalte haben offenbar im Universum Anklang gefunden (Resonanzprinzip!). Denn nur wenig später lese ich im Wochenendmagazin der Tageszeitung von Energieräubern – also von Menschen, die einen aussaugen wie Vampire. Die Begegnung mit diesen Leuten, der Autor dort spricht von Dampfplauderern, Blockierern, Spaßkillern, Wettbewerbs-Anheizern, Großmäulern, Besserwissern und Nur-von-sich-Erzählern, kostet uns Unmengen Kraft. Und das dauernd.

Die Gemeinsamkeit all dieser Subtypen an Energie-Saugern ist, dass sie es offenbar selten schaffen, auch einmal ihre Seite zu verlassen und vorübergehend in den Sichtbereich ihres Gegenübers einzutauchen, um herauszufinden, wie es dem anderen dort gerade wohl gehen mag mit dieser oder jener Angelegenheit. Ich spreche von einem Mangel an Empathie, also Einfühlungsvermögen.

Empathie ist aber nun die Grundvoraussetzung für hochqualitative soziale Beziehungen. Sie ermöglicht es uns, unsere eigenen Verhaltensweisen zu reflektieren und womöglich die Reaktionen anderer in diesem Kontext nachzuvollziehen.

Empathische Menschen sind in der Regel auch sehr sensitiv. Die Schlussfolgerung aber, dass einfühlsame Wesen bevorzugt von Vampiren heimgesucht werden, wird seitens der Psychologie eher verneint. Denn Einfühlsame sind angeblich besser in der Lage, andere zu lenken, weil sie sich in zwischenmenschlichen Interaktionen eben auch mal auf die Metaebene schwingen und das Ganze von oben beleuchten können. Sie verstehen leichter, was der andere denkt, braucht und allgemein wie er tickt. Infolge dieses Durch- und Überblicks richten sie ihr Verhalten aus, um zu bekommen, was sie vom anderen gerne haben möchten.

Das eigentlich Interessante und für uns alle Relevante des Artikels ist nun folgende Erkenntnis:

Es ist dem Menschen in die Wiege gelegt, nach Wertschätzung zu streben und von anderen für sympathisch befunden zu werden. Also strengen wir uns an. Werden dann unsere Erwartungen nicht erfüllt und begegnen uns andere trotz unserer Bemühungen vermeintlich reserviert oder „wurschtig“, sind wir enttäuscht und reagieren ablehnend. Hinzu kommt der so genannte „Attributionsfehler“, das heißt, wir selbst glauben, uns auch einmal ein zwischenmenschliches Fehlverhalten leisten zu dürfen, gehen aber bei unpässlichen Verhaltensweisen anderer gleich davon aus, es handele sich um eine Charakterschwäche.

Unter dem Strich könnte es also sein, dass es diese energieräuberischen Menschentypen in Wahrheit gar nicht gibt. Wenn die Chemie zwischen uns nicht stimmt und wir unsere wechselseitigen Erwartungen – und sei es auch nur mit der Frage: „Und wie geht es (dabei eigentlich) dir?“ – nicht erfüllen, empfinden wir Beziehungen als anstrengend. Wir sind also gleichermaßen beteiligt am Geschehen. Durch das simple Geschehenlassen, unsere eigenen Erwartungen und schließlich, weil wir bestimmt auch mal von anderen als Vampire empfunden werden. Echt gruselig.

21.10.2015


Ist das noch schön?

Auch das noch: Ich habe kürzlich von einem mir bislang noch nicht geläufigen Begriff gelesen. Und da ich gerne neue Wörter und Redewendungen lerne, mich über Alpha-Kevin, „das holt mich total ab“ (i. S. v. „gefällt mir“) oder „das resoniert völlig“ amüsiere, habe ich mich gierig über den zugehörigen Lesestoff hergemacht. Das Novum heißt „Skinny Fat“ und bezeichnet, was ich habe. Ja. Auch ich. Ja, ich weiß, ich bin schlank. Aber ich werde eben auch bald 47 und ich habe bereits ackerfurchentiefe Lebenslinien im Gesicht und so darf ich wohl doch preisgeben, dass ich die ein oder andere Rolle da habe, wo sie meinem inneren Ästheten (= der Body- und Optik-Kritiker) vor allem bei der rückseitigen Betrachtung meines Oberteils Brechreiz verursacht. Frontal weniger. Deswegen verrenke ich mich seit geraumer Zeit nicht mehr groß vor dem Spiegel, sondern begutachte einfach das, was noch einigermaßen intakt ist. Ist doch eine praktikable Strategie. Predige ich schließlich auch immer in meinen Seminaren: nicht immer nur auf die „Löcher im Käse“ starren, sondern auch auf die Substanz. Das, was passt. Mach´ ich!

Doch muss man diesen Rollen jetzt wirklich auch noch einen Namen geben? Sie zur Beweisführung hernehmen, dass man trotz täglichem Bewegungsdrang und Obst ohne Ende gerne mal Pizza-, Pasta- oder Pommes-All-you-can-eats am Abend (ungünstig!) veranstaltet und danach die innere Naschkatze mit Schokolade (viel!) füttert?

Und kann ich – jetzt, da sie einen Namen haben und von einem doch nicht so ganz idealen Ernährungsstil zeugen – noch so weitermachen als ob nichts wäre?

Yes, I can!

Weil für mich Ernährung eben nicht Kult ist, der zur Perfektion getrieben werden muss. Sondern Genuss. Und so lange mich keine gesundheitlichen Problemzonen zum Verzicht auf dies und das bewegen, bewege ich mich von dieser Einstellung keinen Millimeter weg.

Meine Rollen gehören mir. Punkt.

14.10.2015


Ein Tropfen auf dem heißen Stein

Samosurlaub im September. Sonnige Tage auf einer schönen Insel. Das Meer ultrablau. Der Himmel weitestgehend wolkenlos. Der Urlauberstrom schon flau. Blaue Stühle vor weißen Mauern. Malerische Idylle mit liebevoll muschelverzierten Tavernen, bunten, sanft schaukelnden Fischerbooten und hübschen Katzen an jeder Ecke. Ein Fotoobjekt reiht sich an das nächste Postkartenmotiv. Vom Einchecken bis zum Loslassen war es wirklich nicht weit. Kaum in die erholsame Atmosphäre eingetaucht, sind mein Mann und ich auch schon tiefenentspannt und erkunden gut gelaunt Land und Leute im seit jeher geliebten Griechenland.

Und dann: Flüchtlinge an den Häfen von Samos-Stadt und Polygorion. Menschen mit eingestaubten Rucksäcken, sorgsam in Plastikfolie verpackten Pässen und glühenden Gesichtern in der Mittagshitze. Männer und Frauen, die Schlange stehen vor Registrierstellen und behelfsmäßigen Krankenstationen. Kinder, die schlapp an den Händen ihrer Eltern schlurfen oder schlafend geschultert sind. Deren müde Augen mich verfolgen.

Es geht mir ans Herz und an die Seele, so etwas „live“ zu erleben. Einmal mittendrin zu sein im meist diskutierten Thema dieser Zeit. So sieht das also aus, wenn hoffnungslose Heimatlose über die Türkei gen Westen schippern und damit im vermeintlich sicheren Staatenbund Europa Fuß zu fassen versuchen.

Es ist elend. Und die eigene Hilflosigkeit in Anbetracht der vielen Hilfsbedürftigen ergreift dich sofort, erschüttert die Distanz, die in der gewöhnlichen Situation – Nachrichten guckend vom heimischen Sofa aus – auch die Empathie eindämmt.

Was wir getan haben? 48 Flaschen gekauft. 4 Zwölferpacks mit je einem Dutzend 0,5 Litern Wasser. Ohne Kohlensäure. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Mehr ist uns spontan einfach nicht eingefallen.

29.09.2015


Kampf gegen Windmühlen, oder: Wahres Loslassen lernt man im Fürstentum Dellavalle

Diese Geschichte aus Italien ist einfach unglaublich: Da wurde ein Typ namens Pier Giuseppe Dellavalle vor 15 Jahren zwecks Straßenbau enteignet. Einfach so nahm man ihm sein Haus, um an Ort und Stelle einen Kreisverkehr zu errichten. Dafür sollte er ein stattliches Sümmchen erhalten, das in Gänze bis heute nicht ausbezahlt wurde. Alles Klagen nützte nichts und – das ist das Allerschärfste daran – der ehemalige Hausbesitzer muss bis heute noch Steuern auf sein nicht mehr existentes Anwesen zahlen.

Seinem Unmut verleiht Signore Dellavalle mit stetigen Prozessen Ausdruck, doch die Restsumme der Enteignung steht noch immer aus. Die Mühlen der Verwaltung haben das Mahlen scheinbar komplett eingestellt in Bella Italia. Kein Wunder also, dass das Motto des jüngst gegründeten Zwergstaates Dellavalle, der – Überraschung! – in der Mitte des erwähnten Kreisverkehrs liegt, lautet: „Lass uns die Welt nicht in den Händen von Idioten lassen!“.

Wir predigen in unseren Seminaren angestrengten Arbeitnehmern ja häufig als Handlungsstrategie „love it, change it, leave it“. Was so viel heißen soll wie: versuche, das Gute an beruflichen Rahmenbedingungen zu erkennen, die Herausforderung zu nutzen, die Chance zum persönlichen Wachstum darin zu finden. Oder aber nimm´ Einfluss und gestalte die Umstände so gut es eben geht mit. Und schließlich, noch bevor es um das tatsächliche Verlassen des Arbeitsplatzes als Exit-Lösung geht, lerne, Unveränderliches anzunehmen und loszulassen, statt alltäglich gegen Mauern zu rennen.

Unveränderliche Rahmenbedingungen gibt es in jedem Job – Dinge, über die man sich zwar mächtig aufregen kann, aber denen gegenüber mal letztlich machtlos ist. Genau hier geht es um das „sein lassen“, das Loslassen, das nicht gegen Wände rennen. Nicht jedermanns Sache, aber für jeden von uns eine Riesenlernlektion.

Wem das heute oder die Tage oder überhaupt einmal wieder schwer fällt, der kann sich ja das Beispiel Dellavalle gedanklich herholen. Wenn der arme geplagte Geist des Signore Dellavalle das schafft mit einem lebenslänglichen Schildbürgerstreich umzugehen, dann ist es auch für uns noch nicht zu spät, unsere eigene Komfortzone zu gründen, statt zu kämpfen, wo es sich vergleichsweise wirklich nicht lohnt.

17.09.2015


Flucht vor der Flucht?

Baden-Württemberg meldet Brandanschläge auf zwei Asyl-Unterkünfte, Türkei jagt Schlepper, Frankreich beklagt Hetze gegen Flüchtlinge, Lesbos steht kurz vor einer Explosion, Kos quillt über und ich fliege nächste Woche nach Samos, das auch nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste liegt.

Und in Buckenhof, wo sich die von mir aus nächstgelegene Flüchtlingsunterkunft befindet, habe ich neulich einen Mann im Wald laut schreien hören: „Dieses Gesindel, dieses Gesocks, Deutschland verkommt immer mehr, wo soll das noch enden mit diesem Dreckspack…“.

Da habe mal wieder gestaunt. Über die Einfachheit der Menschen. Ebenso wundere ich mich schon länger über die lokale Presse, die zwar täglich einschlägige Meldungen macht, aber keine Geschichten erzählt über die armen Seelen, die bei uns ihr Leben retten wollen. So dass man in der Lage wäre, Einsicht zu gewinnen und Mitgefühl zu entwickeln. Steckt da eine Strategie dahinter? Es wäre doch so einfach, aus anonymen Asylsuchenden Bedürftige mit Gesichtern zu machen, die man sich merkt. Denen man helfen will.

Aber was geht in den Köpfen derer vor, die sich in ihren eigenen (schon lange vor der Flüchtlingsflut vorhanden gewesenen) Vorurteilen gegen Ausländer nun endgültig verheddern? Die nicht differenzieren, sondern alle in einen gedanklichen Topf schmeißen, auf dem steht: „Die nehmen mir mein Fressen weg“?

Wenn es etwas zu beklagen gäbe, dann ist es – denke ich – die Durchwinkepolitik der Balkanstaaten und die im Schneckentempo mahlenden Mühlen der Verwaltung vor Ort. Denn ich denke schon und vor allem auch in Anbetracht der massiven Überforderung unserer Kommunen, dass es eine schnellere und treffsichere Auswahl geben sollte, so dass wirklich nur Menschen zu uns kämen und blieben, die definitiv in Not sind. Und nicht auch „Trittbrettfahrer“, also solche, die einfach nur auf wirtschaftliche Optimierung hoffen. Was sie natürlich dürfen. Aber im Moment herrscht ja wohl in jeder Hinsicht eine Nadelöhr-Situation, die zu schmal ist für alle.

Aber das ist nur meine laienhafte Meinung.

Ansonsten bin ich ziemlich sicher, dass auch ich mein Leben zu retten versuchen würde, wenn mir jemand Haus und Hof und Zukunft nimmt. Ich würde es also nicht anders machen. Und Sie? Was würden Sie tun?

Meine Großeltern wurden damals vertrieben. Sie hatten keine Wahl. War dann die Situation damals besser oder anders? Darf man Menschen einen Vorwurf dafür machen, dass sie ihre Wahlfreiheit genutzt haben, um ihre Existenz zu sichern?

Und wie wäre es, wenn man selbst helfen würde, statt sich immer nur den ARD-Brennpunkt anzusehen und bestürzt die Zeitung zu lesen? Selbst mitwirken, mitgestalten, sich einmischen und Nähe suchen: so könnte womöglich aus der „Asylsache“ eine „Herzensangelegenheit“ werden…

Darüber sollten wir mal nachdenken. Und dann: handeln.

08.09.2015


Erlanger leben gesund – warum wohl?

Kürzlich fiel mir mal wieder psychologisch wertvolles Futter in meiner morgendlichen Fundgrube Erlanger Nachrichten zu. Das reibe ich Ihnen, liebe Leser unseres Blogs, mal eben unverdrossen unter die Nase:

Laut der jüngsten Statistik der Techniker Krankenkasse sind die Erlanger Arbeitnehmer mit „nur“ 10,8 Tagen Kranksein pro Kalenderjahr am gesündesten im fränkischen Vergleich. Der Landkreis Erlangen-Höchstadt liegt mit 12,3 Tagen so gut wie im bayrischen Durchschnitt, der mit dem Arbeitsabstinenzwert von 12,8 beziffert wird, wohingegen der Raum Ansbach mit 16,2 Krankheitstagen an der ungesunden Spitze rangiert.

Warum das so ist, weiß angeblich keiner so genau. Wobei der Zusammenhang zwischen Arbeitszufriedenheit – sowohl inhaltlich als auch honorartechnisch – und Verbundenheitsgefühl zum Job schon angenommen wird. Was ja ziemlich einleuchtend wäre: wenn ich mich in meinem beruflichen Umfeld nicht wohl oder gar verkannt fühle, wird aus einem Ziehen im Rücken schon eher eine ausgewachsene Zerrung und aus einem Nasenflügelzucken womöglich die nächste Grippe. Um ganz sicher zu gehen, bleibe ich dann erst mal zu Hause. An meinem Arbeitsplatz sieht mich ja eh keiner. Möglicherweise merkt auch niemand, dass ich fehle. Also bleibe ich halt fern (und vielleicht auch länger, als ich bräuchte). Kann ich völlig nachvollziehen und Sie, meine psychologisch interessierten Blog-Leser, bestimmt auch.

Jedenfalls habe ich auch keinen Plan, warum die Ansbacher Beschäftigten so „häufig“ im fränkischen Vergleich der Arbeit fern bleiben, womöglich sogar das Bett hüten. Aber eines weiß ich jedenfalls genau. Nämlich, warum die Erlanger so überdurchschnittlich gesund sind.

Mich fragt aber niemand.

Trotzdem sage ich Ihnen das jetzt: Das ultimative Rezept gegen winterlich dunkle Grübeleien, windigen Frühjahrsfrust oder episodisch wiederkehrende Herbstzeittiefs sind die hochgradig erbaulichen, komfortabel erreichbaren, kunterbunten, Samstag mittags knallevollen und kinderlauten Arcaden. Warum? Weil die zum einen hell erleuchtet sind, wenn der Vitamin-D-Mangel durch fehlendes Tageslicht auf die Stimmung schlägt. Und im Hochsommer, bei seit einigen Jahren wüstenhaften Außentemperaturen, die nicht nur dem heimischen Mais den Saft abdrehen, sorgen sie für ein, zwei, drei Stunden für ein äußerst zuträgliches Wohlfühlklima. Zumindest für uns Frauen. :-) 

Also nichts wie hin.

So einfach ist das.

01.09.2015


Multitasking macht Psyche mürbe!

Erst neulich wieder wurde ich unfreiwillig Zeuge eines spektakulären Beinahe-Zusammenstoßes zwischen einem vor mir in der Erlanger Ebrardstraße fahrenden Auto und einem Biker. Letzterer hatte – natürlich – Stöpsel im Ohr und raste ungebremst über die Straße. Einfach so. Von links nach rechts. Der Autofahrer hatte zum Glück gerade sein Handy nicht zur Hand, um mal eben eine What´s App zu beantworten, seine E-Mails zu checken oder nach der angesteuerten Adresse zu googeln. Denn sonst wäre es passiert. Und zwar heftig (genauso heftig schimpfte der Autofahrer übrigens, ich will ihn hier lieber nicht zitieren, konnte ihn aber sowohl akustisch als auch inhaltlich total verstehen).

Was ist nur los mit den Leuten? Warum hat jeder ständig den inneren Drang, alles nur erdenklich Mögliche gleichzeitig machen zu wollen, jederzeit verfügbar und erreichbar sein zu müssen und sogar im friedlichen Morgenwald von Musik berieselt über das nächstgelegene Reh stolpern zu sollen?

Ich wundere mich schon seit Jahren beispielsweise darüber, dass mein Mann sein Walken am Wochenende nur mit speziell getakteten Rhythmen aus dem MP3-Player richtig gut findet, Frauchen beim Gassi gehen Friseurtermine vereinbaren, Herrchen von der Couch aus merkwürdige Farmer-Spiele spielen, Teenies überwiegend digital kommunizieren, Eltern beim Essen in Gaststätten einhändig Kloß balancierende Sprösslinge akzeptieren (die andere Hand wird gebraucht) und dass die Kunst des Original Fränkischen „Bled-Schauens“ an Bushaltestellen immer mehr verkommt.

Und jetzt endlich habe ich ihn. Den ultimativen Beweis, dass all das auch wirklich nicht gesund ist, wenn nicht sogar mürbe oder krank im Kopf macht. Stand vor kurzem in der Erlanger Nachrichten: Das Hirn braucht den Wechsel aus Beschäftigung mit der Außenwelt und dem Blick nach Innen. Wer sein Hirn davon abhält, eingehende Eindrücke zu verarbeiten und sich quasi niemals der Langeweile hinzugeben vermag, der riskiert sogar psychische Erkrankungen.

Aha. Sind also nicht immer nur die Arbeitgeber Schuld an der neurologischen Überlastung und dem sinnlichen Bombardement, das sich Multitasking nennt.

Schade eigentlich. Müssen wir wohl bei uns selbst anfangen, uns mehr Achtsamkeit und Wertschätzung zu gönnen… und dem schon fast zwanghaften Blick auf das tapfer wenigstens temporär auf Lautlos oder Brumm gestellte Handy zu widerstehen.

25.08.2015


Sommerlektüre

Seichte und sommerleichte Romane gibt es ja wie Sand am Meer. Wer allerdings etwas mehr für seine seelische Erfrischung tun möchte und sich Lesestoff wünscht, der zugleich Sinn und Spaß macht, der ist mit diesen Büchern gut beraten: 

Die Australierin Bronnie Ware lässt uns in ihrem Spiegel-Bestseller „Fünf Dinge, die Sterbende am meisten bereuen“ teilhaben an ihrem unkonventionellen, selbstbestimmten Lebensweg, der sie, die ursprünglich erfolgreiche Bankerin, in die Palliativbetreuung führt. Die Begegnungen, die sie in ihrem unterhaltsam geschriebenen Buch dokumentiert, sind rührend und nachdenklich machend, voller Achtsamkeit und Respekt, reich an kleinen Wundern und großen Taten. In jedem Falle zeigt uns diese autobiografische Reise, dass es in diesem Leben so vieles für uns geben kann. Fernab vorgeschriebener Spuren und unreflektierter Automatismen. Das Buch macht definitiv Lust auf Leben und Mut, individuell lebensnotwendige Veränderungen zu initiieren. 

Zum Nachdenken über das, was man im Hier und Heute alltäglich tut und warum, regt auch „Das Cafe am Rande der Welt“ von Streckeler an. Es handelt sich um ein kleines, kompaktes Büchlein, das man mal eben in ein paar Stunden am Pool durch hat. Die Impulse sind allerdings nachhaltiger Natur. Warum bist du hier? Das ist die zentrale Frage, um die sich hier alles dreht. Also ebenfalls Futter für die Seele und Zündstoff für Glückssucher.

Schließlich sollte man den Wälzer „Der große Trip“ noch mit in den Koffer packen. Das lohnt sich, denn die Autorin nimmt uns mit auf den Pacific Crest Trail und lässt uns teilhaben an ihrer Atem beraubend spannenden und körperlich beinharten Fernwanderung, im Laufe derer sie die Trauer um ihre geliebte Mutter, ihr „verkorkstes“ Leben und ihre Drogen- und Sexaffinität hinter sich lässt. 

Wir wünschen Ihnen lauschige Lesestunden, erquickliche Einsichten – und natürlich einen wunder-vollen Sommer!

29.07.2015


Alles gesund. Alles gut.

Aktuelles

Es weihnachtet wieder…

...und wir erlauben uns eine stade Zeit: vom 18.12.2024 bis einschließlich 1.1.2025 sind wir beim Meeting mit dem Christkind, mit essen und ausschlafen und damit beschäftigt, unsere Tiere vor Beschuss zu schützen...

... mehr

Blog

Rezept gegen Wahnsinn

Gestern habe ich eine Reportage über die anstehende Wahl in den USA gesehen. Gezeigt wurde auch die Rückblende vom „Attentat“ auf Trump, als er kaum eine Sekunde später die Faust hochriss und zum Kampf aufrief. Er ist unkaputtbar, gottgleich. Schrecklich...

... mehr